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Verrat des Herzens
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eBook324 Seiten4 Stunden

Verrat des Herzens

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Über dieses E-Book

Ein eiskalter Handel macht Lady Ghislaine zur Frau des normannischen Ritters Guy de Courcy. Doch als süßer Wein und unerwartete Sehnsucht sie für eine Nacht in seine starken Arme treiben, begehrt sie ihn heiß – gegen ihren Willen! Denn noch muss sie fürchten, dass ausgerechnet Guy der Mörder ihrer besten Freundin ist …

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum6. Aug. 2021
ISBN9783751502467
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    Buchvorschau

    Verrat des Herzens - Elizabeth Henshall

    IMPRESSUM

    Verrat des Herzens erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

    © 1996 by Elizabeth Henshall

    Originaltitel: „Betrayed Hearts"

    erschienen bei: Mills & Boon, London

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    Deutsche Erstausgabe 1995 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,

    in der Reihe HISTORICAL, Band 73

    Übersetzung: Dr. Eva Hoffmann

    Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

    Veröffentlicht im ePub Format in 08/2021.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783751502467

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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    1. KAPITEL

    Die dünne Schnur, mit welcher Ghislaines Hände zusammengebunden waren, schnitten schmerzhaft in die Haut, und das Mädchen versuchte verzweifelt, sich von der Fessel zu befreien. Dabei schnaubte das schwere Schlachtross unter ihr so unwillig, dass sie inständig hoffte, das riesige Tier möge ihre ungeschickten Bewegungen nicht missverstehen.

    „Wenn Ihr nicht genug Verstand habt, Mädchen, um Euch ruhig zu verhalten, werdet Ihr schnell merken, dass meine Gemütsverfassung noch viel weniger umgänglich ist als die des Pferdes", knurrte ihr Entführer unwirsch, und Ghislaine kniff zornerfüllt die Augen zusammen. Liebend gern hätte sie dem Schurken die Antwort gegeben, die er verdiente, doch zu allem Überfluss hatte man ihr den Mund mit einem schmutzigen und nicht besonders gut riechenden Tuch verbunden und einen derben Strohsack über den Kopf gestülpt.

    Der Bursche zog sie grob an seine Brust zurück und drückte dabei seine Finger hart in ihre Arme. Nun bohrten sich die Nieten seiner ledernen Halsberge so spürbar durch Ghislaines wollenes Gewand, dass ihr keine andere Wahl mehr blieb, als möglichst bewegungslos an der Stelle zu verharren, an der sie sich befand, zumal sie auch noch zwischen zwei muskelharten Oberschenkeln eingeklemmt war, die jede Möglichkeit, sich von ihrem Peiniger wenigstens ein Stückchen zu entfernen, von vornherein zunichte machten. Ergeben in ihr Schicksal, ließ sich Ghislaine an die Brust ihres Widersachers sinken.

    Der Sack über ihrem Kopf benahm ihr fast den Atem. Man hatte sie zusammengeschnürt wie einen Strohballen und den Strick am Sattelknopf befestigt. Ghislaine hatte das Gefühl, von dem Hanfseil in Stücke zerteilt zu werden, und fragte sich, wie lange sie diesen Zustand wohl noch würde ertragen können. Es schienen Stunden vergangen zu sein, seitdem sie zum letzten Male frische Luft geatmet hatte.

    Der Herzschlag des Mannes hinter ihr dröhnte laut in ihren Ohren. Inständig flehte sie den Himmel an, dem Klopfen Einhalt zu gebieten – nichts Schlimmeres, sondern es einfach nur aufhören zu lassen. Vater Thomas hatte sie zwar oft und eindringlich vor den Gefahren argwilliger Gebete gewarnt, aber Ghislaine war überzeugt, dass Gott ihr in diesem Falle ausnahmsweise einen solchen Wunsch nicht verdenken würde. Schließlich hatte sie ja ganz und gar nichts getan, um eine derartige Behandlung zu verdienen.

    Nun ja, fügte sie in Gedanken hastig hinzu, zumindest habe ich nicht verdient, von einer Schar marodierender Geächteter verschleppt zu werden. Das Vergehen, dessen sie sich schuldig gemacht hatte, bestand ja lediglich darin, sich weiter von ihrem Hause entfernt zu haben, als tunlich gewesen wäre. Und wenn sie Edwins Warnungen nicht so leichtfertig in den Wind geschlagen hätte, wäre sie niemals in diese missliche Lage geraten.

    Die Morgenluft war so frisch und trocken gewesen und hatte den mildesten Tag dieses etwas rauen Februars versprochen. Ghislaine war des langen Daheimhockens während endloser feuchtkalter Winterwochen müde gewesen, hatte ihr Pferd satteln lassen, Pfeile und Bogen von der Wand genommen und sich auf die Suche nach einem Reh oder vielleicht gar einer Hirschkuh gemacht. Der immer zu Nachsicht bereite Edwin war seiner eigensinnigen Herrin nur zögernd gefolgt und hatte sie immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass man erst kürzlich im Wald eine Gruppe Vogelfreier entdeckt habe.

    Selbstverständlich hatte Ghislaine diese wohlmeinenden Warnungen überhört. Schließlich jagte sie das Wild des Earl of Chester, um es den hungrigen Dorfbewohnern zukommen zu lassen, und da würde der liebe Gott doch bestimmt ein Einsehen haben. Letztendlich hatten die Bauern ja keine Schuld an der Viehseuche, die ihre Herden fast völlig vernichtet hatte, und niemand außer ihr, am allerwenigsten der Earl, würde ihnen zu der notwendigen Nahrung verhelfen.

    Als sie die Grenze zwischen ihrem Land und dem Gebiet des Earls erreicht hatten, spürte Ghislaine zum ersten Male eine unbestimmte Unruhe. Aber selbst in diesem Augenblick hatte sie ihrer Vorahnung keine Aufmerksamkeit geschenkt, bis das Unheil just in der Sekunde über sie hereinbrach, als sie sich nahe genug an eine Hirschkuh herangeschlichen hatte und nach einem Pfeil in dem Köcher tastete. Urplötzlich hatte sich eine große Hand auf ihren Mund gelegt, und irgendjemand zerrte sie in das dichte Unterholz.

    Ghislaine hatte heftig zugebissen und um sich getreten, sodass ihr Entführer einen grimmigen Fluch ausstieß, bevor er ihr den Mund verstopfte und irgendetwas Dunkles über den Kopf zog. In Blitzesschnelle war sie zusammengeschnürt worden wie ein Bündel, wurde emporgehoben und ohne viel Federlesens auf den Sattel eines kräftigen Pferdes gebunden. Der Schurke hatte noch ein paar halblaute Befehle gegeben und seitdem kein Wort mehr gesprochen.

    Anfangs war Ghislaine wie gelähmt vor Angst gewesen und hatte nicht gewagt sich zu rühren, um sich nicht den Zorn des Mannes zuzuziehen, der sich hinter ihr in den Sattel geschwungen hatte. Als sie schließlich erkannte, dass dieser gemeine Menschenräuber offensichtlich nicht gewillt war, sie sofort umzubringen, wurde ihr klar, dass man anscheinend irgendeinen anderen Zweck mit ihrer Entführung verfolgte.

    In dem Land, das seit seiner Eroberung durch die Normannen noch nicht wieder recht zur Ruhe gekommen war, fand man nichts Besonderes daran, wenn junge Erbinnen entführt und eine gewisse Zeit gefangen gehalten wurden, bis man sie um ihrer Ländereien willen verheiratete. Doch was sie selbst betraf, so hielt Ghislaine eine solche Möglichkeit für wenig wahrscheinlich. Gewiss, sie besaß Äcker, Wiesen und Wald und auch ein burgartiges Herrenhaus, doch im Vergleich zu anderen nahm sich dieser Besitz eher bescheiden aus. Und überdies entsprach ihr Äußeres ganz und gar nicht dem Bilde einer Grundherrin. Im Allgemeinen ähnelte Ghislaine mehr einem ihrer Bauernmädchen, und ihr Entführer musste sehr gut informiert gewesen sein, wenn er gewusst hatte, wen er vor sich hatte.

    In ihre trüben Gedanken hinein bemerkte Ghislaine plötzlich, dass der Reiter das Ross zum Stehen gebracht hatte. Etwas unsanft wurde sie aus dem Sattel gehoben und auf die Füße gestellt. Als man ihr den Sack vom Kopfe zog, konnte sie die Augen in dem ungewohnten Tageslicht nur mühsam blinzelnd öffnen.

    „Wenn Ihr den Wunsch habt, die nächste Stunde noch zu erleben, solltet Ihr den Mund halten, Mädchen", knurrte eine dunkle Stimme unmittelbar hinter ihr. Auf noch unsicheren Beinen wandte sich Ghislaine erschrocken um und starrte den Mann an, der sie wie ein Turm überragte. Er war in der Tat groß, sehr groß. Sein dichtes schwarzes Haar hing ihm auf die Schulter, und seine kalten eisblauen Augen schienen sein Opfer förmlich zu durchbohren. Er war in einen weiten, fleckigen Mantel gehüllt, unter dem die lederne, nietenbeschlagene Halsberge hervorsah. Die Gefahr, die von seiner bösen schwarzen Seele drohte, war deutlich auf seinem Gesicht zu erkennen, und Ghislaine wusste sofort, dass er auch vor einem Mord nicht zurückschrecken würde.

    Befriedigt von der furchtsamen Miene seines Opfers riss der Mann das Tuch von Ghislaines Mund und erwischte dabei eine Strähne ihres langen Haares. Ein Schmerzensschrei kam über ihre Lippen, und sofort wurde ihr wieder rücksichtslos die Hand auf den Mund gepresst.

    „Zum Teufel, dummes Ding, zischte der Mann wütend. „Ist Euch denn Euer Leben nicht lieb?

    Am liebsten hätte Ghislaine ihm wieder in die Hand gebissen. Doch sie verzichtete vorsichtshalber auf diese nutzlose Rache und maß stattdessen ihren Peiniger mit einem hasserfüllten Blick.

    „Habt Ihr eigentlich schon immer eine so natürliche Liebenswürdigkeit besessen, stieß sie mit blitzenden Augen hervor, „oder übt Ihr sie bei mir nur ein? Mit einer heftigen Bewegung warf sie ihr wildes goldrotes Haar über die Schulter, hob trotzig das Kinn und wartete auf den tödlichen Streich. Wenn sie schon umgebracht werden sollte, dann war es besser, wenn es schnell geschah.

    Doch der dunkelhaarige Mann zückte kein Messer, wie Ghislaine erwartet hatte, sondern starrte sie nur mürrisch an. Dann wandte er sich an einen blondhaarigen Jüngling, der ein paar Schritte abseits stand. „Bist du sicher, dass sie die Richtige ist?", fragte er, nur mühsam beherrscht.

    Der Gefragte nickte wortlos, und so drehte sich der Mann wieder zu Ghislaine um.

    „Also, Demoiselle de Launay, Ihr hängt offensichtlich nicht sehr am Leben – oder irre ich mich?"

    Da er meinen Namen so genau kennt, dachte Ghislaine, war der Überfall also geplant. Sie schloss die Augen und suchte krampfhaft nach einer Erklärung für ihre Entführung.

    „Oh, sagte sie schließlich mit dem Ton des Bedauerns, „ich fürchte, es ist Euch ein Irrtum unterlaufen. Ich bin Demoiselle de Launays Kammermädchen Effie.

    Der Mann musterte sie mit zusammengekniffenen Augen von Kopf bis Fuß. „Effie ist klein, drall, blond und …, fügte er mit boshafter Betonung hinzu, „hübsch. Ihr seid nichts davon.

    Diese Bemerkung war ein unmissverständlicher Versuch, Ghislaine aufzubringen. Doch sie verzog keine Miene. „Ich bin sicher, dass …", begann sie stattdessen einen neuen Versuch.

    Der Mann schnitt ihr indes mit einer unwilligen Geste das Wort ab. „Und ich bin sicher, dass Euer hübscher Begleiter dort drüben seinem Schöpfer früher gegenübersteht, als er erwartet, wenn Ihr nicht bereit seid, mit mir am selben Strang zu ziehen."

    Ghislaine wandte den Blick in die angewiesene Richtung und erblickte Edwin zwischen mehreren Bewaffneten. Auch er war mit groben Stricken gefesselt. Resigniert hob Ghislaine die Schulter und blickte zu ihrem Entführer empor. „Also gut, sagte sie mutlos, „was wollt Ihr von mir?

    „Ich will, dass Ihr Euch wie eine Lady benehmt, sofern das möglich ist. Sein beißender Spott prallte nahezu wirkungslos an Ghislaine ab. Nur einen kurzen Augenblick hob sie hochmütig die Brauen. „Wir reisen nach Chester, fuhr der Mann fort, „und ich möchte mit meinen Männern die Stadt so unauffällig wie möglich betreten."

    „Und was soll ich dort?", fragte Ghislaine verblüfft. Sie konnte keinen Sinn darin entdecken.

    „Ich habe die Absicht, mit dem Earl of Chester zu sprechen, und denke, dass er mein Anliegen in einem etwas gefälligerem Lichte betrachten wird, wenn ich sein Mündel mitbringe."

    So war sie also eine Geisel!

    „Und wenn ich dieses Spiel nicht mitmache, bringt Ihr Edwin um", ergänzte Ghislaine.

    Der schwarzhaarige Räuber nickte kurz. „Ich hoffe, Ihr behaltet diesen Umstand im Gedächtnis, Demoiselle de Launay", bemerkte er mit drohender Miene und wandte sich dann an die kleine Schar Bewaffneter, die in einigen Schritten Entfernung schweigend wartete.

    Trotz ihrer mutigen Worte war Ghislaine von Furcht erfüllt. Edwins Leben hing von ihrer Bereitschaft ab, auf die Forderungen ihres Entführers einzugehen. Aber selbst wenn sie sich dazu erbötig zeigte, hatte sie doch erhebliche Zweifel, dass der Earl durch ihre Gegenwart günstig gestimmt werden würde. Ihre Vorliebe, seine Pläne zu durchkreuzen, hatten ihn schon des Öfteren in Harnisch gebracht, und wenn ihr Vater nicht einer seiner treuesten und vertrautesten Vasallen gewesen wäre, hätte er Ghislaine bestimmt schon vor Monaten in ein Kloster verbannt.

    Wehmutsvoll blickte Ghislaine zu Edwin hinüber. Der Vater war nicht mehr am Leben, und im Augenblick hing ihr Leben von einem habgierigen Manne ab, der sich nicht der Mühe unterzog, seine Abneigung ihr gegenüber zu verbergen.

    Spät am Nachmittag war die Stadt Chester erreicht, deren Sandsteinmauern in der tiefstehenden Sonne rosig schimmerten. Ghislaine seufzte erleichtert. Trotz ihrer Besorgnis wegen des weiteren Ganges der Dinge hoffte sie inständig, dass der Earl sie aus ihrer unglückseligen Lage befreien werde. Sicher war sie sich dessen jedoch keinesfalls. Ungeachtet ihres gegenseitigen Missfallens war er nun einmal ihr Vormund, aber Ghislaine wusste, dass er gegebenenfalls keine Skrupel hatte, mit einem Geächteten gemeinsame Sache zu machen, wenn es ihm nur half, seine Münzschatullen zu füllen.

    Im Burghof ließen der Entführer und sein blondhaariger Begleiter die anderen Männer mit Edwin zurück und führten Ghislaine schweigend zu der großen Halle. Vor der schweren zweiflügligen Eichentür hielten sie an, und Ghislaine hatte kaum Zeit, den Staub von ihrem zerdrückten Mantel zu schütteln, bevor zwei kriegerisch aussehende Wachposten die Flügel weit aufstießen. Die sanften Töne einer Rotte, dem beliebten fünfsaitigen Zupfinstrument, hin und wieder übertönt von rauem Gelächter, drangen aus dem langen, schmalen Raum, der von Fackeln an den Wänden und unzähligen brennenden Kerzen in eisernen Leuchtern erhellt wurde.

    Am entgegengesetzten Ende brannte ein riesiges Feuer, um das sich fünf oder sechs der besonders favorisierten Barone des Earls nebst einigen Frauen versammelt hatten. Aus der Kleidung und dem Gebaren der letzteren schloss Ghislaine, dass es sich bei ihnen wohl nicht um Damen von Stand handeln konnte. Der Earl war schließlich bekannt für seinen lockeren Lebenswandel.

    Die verschwenderische Pracht des Raumes verschlug Ghislaine die Sprache. Schattenspiele, die von den flackernden Kerzen ausgingen, tanzten über die prunkvollen rotgoldenen Wandbehänge und gaben der Halle einen beeindruckend unwirklichen Anschein. Eine solche Üppigkeit war Ghislaine aus ihrem Alltag nicht gewöhnt, und dieser Eindruck wurde auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Binsen, mit denen der steinerne Fußboden bestreut war, wohl schon vor einiger Zeit hätten erneuert werden müssen, wie ihr muffiger Geruch verriet.

    Ängstlich bahnte sich Ghislaine ihren Weg bis an das andere Ende der Halle, wo der Earl lässig in einem großen geschnitzten Armstuhl saß und träge die Ohren eines großen Jagdhundes zu seinen Füßen kraulte. An seinem enormen Fettbauch war er schon von Weitem unschwer zu erkennen.

    Bei dem Eintritt der drei unerwarteten Besucher hatte sich Schweigen über die Halle gebreitet, und selbst die Barone wagten nur flüsternd, ihre Vermutungen auszutauschen.

    Der Earl ließ aus seinen verschwommenen blauen Augen flüchtig den Blick über die Ankömmlinge schweifen und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder den reichlich gefüllten Zinntellern auf dem Tische zu. Während er mit seinen dicken weißen Fingern die Fleischstücke prüfte, verzogen sich seine Lippen in genüsslicher Erwartung.

    Für die Waliser war Hugo d’Avranches Hugh der Fettwanst, für seine eigenen Leute hingegen Hugo Lupus, der Wolf. Aber keiner von ihnen unterschätzte dabei die gewitzte Schläue, mit deren Hilfe es ihm gelungen war, vor allen anderen die Gunst Wilhelms des Eroberers zu erlangen. Er war des Königs Lieblingsneffe und der mächtigste Mann im Norden Englands. Entschlossen, hinterhältig und rücksichtslos im Umgang mit seinen Vasallen stellte er hochmütig sein Emporkommen zur Schau. Die Grafschaft Cheshire hatte er sicher im Griff, und er war fest entschlossen, so viele Pfunde Silbers aus der Bevölkerung herauszupressen wie nur möglich.

    Nachdem er seine Esslust fürs Erste gestillt hatte, tauchte Hugh die Finger in eine Schale mit Duftwasser und wischte sich danach sorgfältig und mit fast feierlicher Langsamkeit die Hände ab. Dann bedeutete er mit einer herrischen Geste, die Essensreste von der Tafel zu entfernen, und wandte sich mit einem unterdrückten Seufzer seinen unerwartet aufgetauchten Verpflichtungen zu.

    „Also, de Courcy, welchem Anlass verdanke ich die Ehre Eures Besuches?"

    Zu Ghislaines Überraschung ließ diese Anrede eine gewisse Vertrautheit erkennen. Woher um alles in der Welt mochte der Earl of Chester diesen geächteten Räuber kennen? Doch ungeachtet der ungezwungenen Worte war es unübersehbar, dass Hugo Lupus sie beide ohne das geringste Zeichen von Erfreutheit betrachtete.

    „Ich bin gekommen, um Eure Gunst als Schutzpatron in Anspruch zu nehmen." In der dunklen, klangvollen Stimme des Geächteten schwang immer noch ein leises Grollen mit, und in den wenigen Worten lag nichts von der gewählten Höflichkeit, in der man gemeinhin mit einem Earl zu verkehren hatte.

    Der Earl of Chester überhörte jedoch bewusst diese Missachtung. Er erhob sich schwerfällig, zog seine Cotte aus lavendelblauem Wollstoff glatt, steckte die Daumen hinter den mit Juwelen besetzten Ledergürtel und trat auf seine ungebetenen Gäste zu. Auf seinen Lippen lag ein gezwungenes Lächeln.

    „Und womit habe ich mir diesen überaus glücklichen Umstand verdient?"

    De Courcy runzelte missmutig die Stirn. Sein Begleiter jedoch erwiderte eilfertig das Lächeln und verneigte sich ehrerbietig, wobei die blonden Locken über sein hübsches Gesicht fielen.

    „Mein Name ist Arnaud d’Everard, Mylord Chester. De Courcy bittet Euch um eine Aussprache."

    Hugh d’Avranches musterte seine Gäste noch einmal schweigend und nickte dann kurz.

    „De Courcy wurde unbegründet eines Verbrechens beschuldigt, fuhr der junge Mann fort, „und möchte in Cheshire unter Eurem Schutz verweilen, bis er die Möglichkeit bekommt, seinen Namen wieder reinzuwaschen. Da er in der Vergangenheit die Ehre hatte, Euch seine Unterstützung angedeihen zu lassen, setzt er seine Hoffnung darauf, dass Ihr ihm als Gegenleistung diese Gunst gewähren werdet. Die Stimme von d’Everard war sanft und wohltönend. Er war ganz offensichtlich kein niedriggeborener Vagabund.

    Voller Unbehagen warf Ghislaine ihrem Entführer einen unsicheren Blick zu. Der Earl war in der Tat dafür bekannt, dass er alle Arten von Verbrechern unter seiner Schirmherrschaft beherbergte. Für eine entsprechende Gebühr war Hugo Lupus jederzeit bereit, Geächteten, die ihrer Untaten wegen hatten fliehen müssen, einen sicheren Unterschlupf in den riesigen Wäldern Cheshires zu bieten. Seine Schatullen mussten mit Silber angefüllt sein, denn in seinen Forsten wimmelte es nur so von Vogelfreien.

    Aber nicht einmal des Königs Leute wagten es, die Grenzen von Cheshire bei der Verfolgung eines Flüchtigen ohne Brief und Siegel des Königs zu überschreiten, und Wilhelm wiederum mischte sich nicht gerne in die Angelegenheiten des Earls. Auf Grund dieser Zustände war heutzutage niemand mehr sicher, der einen längeren Ritt unternahm, und so nahm man auch an, dass Ghislaines Vater und Peter of Staveley vor ein paar Monaten Opfer dieser umherstreunenden Banden geworden waren. Deshalb machte der Earl nur noch ungern in aller Öffentlichkeit gemeinsame Sache mit den Geächteten, zumal seine Schatullen inzwischen von dem Gewinn aus diesen zweifelhaften Verbindungen fast überquollen.

    Ghislaines Lippen waren trocken vor Erregung, und so nahm sie dankbar einen Becher Wein entgegen, den ihr ein Knappe auf einen Wink Hughs überreichte. Ein bohrendes Hungergefühl machte sich in ihrem Magen breit, denn sie hatte seit dem Morgen nichts mehr zu sich genommen.

    „Und um was für ein Verbrechen geht es dabei?" Hugo Lupus hatte urplötzlich seine gelangweilte Haltung abgelegt.

    Auf de Courcys Stirn erschienen zwei tiefe senkrechte Furchen. „Um den Mord an einer Edelfrau – einer gewissen Margaret of Staveley."

    Die raue Stimme hallte in Ghislaines Ohren wider. Sie brauchte einen Augenblick, um das Gehörte zu begreifen: Margaret war tot, und der Mann, der des Mordes an ihr beschuldigt wurde, stand neben ihr!

    Sie starrte de Courcy entsetzt und ungläubig an, während ihr sonst so frisches sommersprossiges Gesicht erbleichte. Der Mörder ihrer liebsten Freundin forderte Hilfe von Hugh d’Avranches und gab dabei auch nicht das geringste Zeichen von Reue oder Bedauern von sich. Irgendein unterdrückter Ausruf musste ihr dabei über die Lippen gekommen sein, denn erneut schienen die blitzenden Augen des Mannes sie sekundenlang zu durchbohren, ehe er den Blick wieder dem Earl zuwandte.

    „Margaret war die Witwe von Peter of Staveley. Sie lebte im Osten der Macclesfield Hundred, wenn ich mich nicht irre?, erwiderte Hugh d’Avranches langsam und nachdenklich. „Welche Angelegenheit hat Euch in dieses Gebiet geführt?

    De Courcy verzog keine Miene. „Ich hatte ein Haus gekauft, etwa einen halben Tagesritt von dem Anwesen der Staveleys entfernt." Seine Stimme war auf einmal nicht mehr so frisch und sein Ärger über diese Frage für jedermann erkennbar.

    „Ich hatte davon keine Kunde", erwiderte der Earl in einem so merkwürdigen Tonfall, dass Ghislaine sofort davon überzeugt war, dass er nichtsdestoweniger in diese Angelegenheit eingeweiht gewesen war. De Courcys entrüstetes Schnauben quittierte er jedoch lediglich mit einem hochmütigen Heben der Brauen.

    Wer immer dieser Schurke sein mag, dachte Ghislaine, er muss jedenfalls von einiger Bedeutung für den Earl sein. Normalerweise blieb Hugh d’Avranches bei solchen ungeschliffenen Manieren nicht ruhig. Immerhin lag in seinen blassblauen Augen ein unübersehbarer Schimmer von Missvergnügen.

    Nun sprang de Courcys jugendlicher Begleiter wieder in die Bresche.

    „Er hat das Haus im vergangenen Jahr von Bigot de Loges gekauft, erklärte er bereitwillig. „Die Dienste meines Freundes waren bei den Heerführern sehr gefragt gewesen, und er hatte nun das Bedürfnis, sich sesshaft zu machen. Kurz nach dem Julfest war er eingezogen, und wir statteten der Lady ein paar Tage später einen Höflichkeitsbesuch ab. Als wir sie verließen, war sie bei bester Gesundheit. Es erwies sich jedoch, fuhr er zögernd fort, „dass Mistress Margaret und ihr Gesinde kurz nach unserer Verabschiedung bei einem Überfall getötet worden waren, und so wurden wir des Mordes beschuldigt. Der Bruder von Mistress Margaret, Henry of Dettingham, fordert unseren Kopf und hat das Haus meines Freundes in Besitz genommen."

    Langsam wurden Ghislaine die Zusammenhänge offenbar. De Courcy verdingte sich also als Kriegsknecht, und Margaret war von einem Söldner ermordet worden. Wieder musterte sie die grimmigen Züge des Mannes neben ihr. Es gab keinen Zweifel, dass er auch gegenüber einer Frau keine Gnade walten lassen würde. Was für ein Unmensch tötete wohl ein so sanftes und liebevolles Wesen wie Margaret!

    Margaret war nur ein knappes Jahr mit Ghislaines Bruder Richard verheiratet gewesen, und die beiden jungen Frauen hatten eine ungewöhnlich enge und herzliche Freundschaft geschlossen, während Richard an dem Kriegszug gegen die Waliser teilnahm. Als Richard nicht mehr heimkehrte, rückten sie noch enger zusammen, obwohl die ruhige Margaret manchmal entsetzt war über Ghislaines wilde Abenteuer.

    Ihr dichtes aschblondes Haar, die freundlichen blauen Augen und ihre zarte, schlanke Gestalt zogen viele Freier an. Doch zur Überraschung aller entschied sie sich für einen gesetzten Witwer in mittleren Jahren. Peter of Staveley war ein enger Freund ihres Vaters gewesen, und sie kannte ihn als einen klugen, edel denkenden Menschen, der sich nach einer Frau und einer Familie sehnte, denen er seine Liebe und seinen Reichtum zukommen lassen konnte. Nun weilten sie beide nicht mehr unter den Lebenden.

    „Und Eure Leute?", forschte der Earl weiter. Er erinnerte Ghislaine dabei an einen Habicht, der sich auf eine Beute stürzen wollte – allerdings einen etwas fetten Habicht.

    „Zwanzig von ihnen überlebten den nachfolgenden Überfall Dettinghams auf mein Haus und warten nun auf ein Zeichen von mir." De Courcys Stimme war so kalt, dass Ghislaine ein Schauer über den Rücken lief.

    Hugh d’Avranches strich sich durch sein silberblondes kinnlanges Haar. „Würdet Ihr wohl die Freundlichkeit haben, mir zu erklären, wozu es eines solchen Zeichens bedarf?" Er blickte mit zusammengekniffenen Augen zum anderen Ende der Halle, bevor er sich wieder seinem Gast zuwandte.

    Doch noch ehe de Courcy antworten konnte, stürzte Ghislaine, angetrieben von Zorn und wohl auch von zu viel des schweren Weines, auf ihn zu. „Warum?, schrie sie ihm ins Gesicht. „Warum habt Ihr sie umgebracht?

    Jetzt richteten sich alle Augen auf sie, und die Weibspersonen rissen den Mund auf über diese Unverfrorenheit. Frauen hatten sich nicht in Männerangelegenheiten zu mischen. Es schien, als halte die ganze Halle den Atem an in Erwartung des ausbrechenden Gewitters.

    De Courcy blickte das Mädchen an, das mit zornfunkelnden Augen und gehobenen Fäusten vor ihm stand. Trotz seiner Erschöpfung und seines Verdrusses konnte

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