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Assassin's Creed: Valhalla - Das Schwert des weißen Pferdes (Roman)
Assassin's Creed: Valhalla - Das Schwert des weißen Pferdes (Roman)
Assassin's Creed: Valhalla - Das Schwert des weißen Pferdes (Roman)
eBook360 Seiten4 Stunden

Assassin's Creed: Valhalla - Das Schwert des weißen Pferdes (Roman)

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Über dieses E-Book

In dieser fesselnden Original-Saga, die in der Welt des Games Assassin's Creed Valhalla spielt, schleicht sich eine keltische Kriegerin, die ihr Volk vor Wikinger-Räubern verteidigt, zur Rettung ihres Heimatlands in eine uralte Sekte ein. Mercia, 878. Die Hexenkriegerin Niamh entdeckt, dass ein neuer Orden namens "die Verborgenen" versucht, in Lunden Fuß zu fassen. Ihr Land ist bereits von Wikingerüberfällen, blutigen Kriegen und aufeinanderprallenden Kulturen gezeichnet. Entschlossen, das zu schützen, was von ihrer Heimat übrig geblieben ist, schleicht sie sich in diese neue Gruppe ein, um herauszufinden, ob diese auf ihrer Seite steht … oder gegen sie ist. Doch als Niamh erfährt, dass die Verborgenen ein Artefakt gestohlen haben, das ihrem Volk heilig ist, wird ihre eigene Loyalität in Frage gestellt. Niamh wirft neu gewonnene Allianzen und Freundschaften über den Haufen und entdeckt bald, dass Verrat einen hohen Preis hat. Sie wird alles in ihrer Macht Stehende tun müssen, um zu überleben – wenn ihre Götter es so wollen.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum13. Mai 2022
ISBN9783966588591
Assassin's Creed: Valhalla - Das Schwert des weißen Pferdes (Roman)

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    Buchvorschau

    Assassin's Creed - Elsa Sjunneson

    KAPITEL 1

    Die Wellen brachen an der Küste und schlugen gegen den steinigen Strand im äußersten Norden Kaledoniens.

    Niamh saß auf einem Felsen mit Blick auf die Brandung und betrachtete das kalte Wasser, während sie meditierte. Ihre Hände ruhten auf ihren Knien und sie klopfte den Rhythmus eines Liedes, das ihr durch den Kopf ging. Gerade noch in Reichweite lag ein ramponiertes und kampferprobtes Schwert. Ihre Augen waren halb geschlossen und ihr Blick war auf den Horizont gerichtet, ohne ihn wirklich wahrzunehmen, während sie durch die Teile ihres Geists wanderte, die befreit werden mussten, um sich mit der Energie des Ozeans zu verbinden.

    Die Sonne stieg langsam hinter dem Horizont auf und tauchte den Strand in die goldenen und orangen Farben der Morgendämmerung. Ihr kastanienbraunes Haar war mit einem Band, das so orange wie ein Fuchsschwanz war, zurückgebunden, damit es ihr nicht ins Gesicht hing. Eine praktische Lösung für eine Schwertkämpferin. Während sie sich auf ihre Meditation konzentrierte, war ihr bewusst, dass nicht allzu weit von ihrem Dorf entfernt Räuber gesichtet worden waren. Wenn diese auf sie stießen, würde sie nicht nur sich selbst, sondern das ganze Dorf verteidigen müssen. Das war ihre Aufgabe als Hexenkriegerin dieser Stadt.

    Deshalb hatte sie das Schwert dabei und lauschte auf ihre Umgebung, auch wenn sie beides nur zu gern hinter sich gelassen hätte. Es wäre einfacher, sich mit den Energien der Erde zu verbinden, wenn sie so tun könnte, als gäbe es in der Welt keine Gefahren. Ihre Finger strichen über die tiefgrüne Wolle ihres Kleides mit dem Schwertschlitz auf der linken Seite. Niamh von Argyll war die Art Frau, die nie unvorbereitet war, nicht einmal, wenn sie morgens am Meer meditierte.

    Sie beendete ihr stilles Gebet und neigte den Kopf in Richtung des Weges, den sie zum Wasser hinuntergegangen war. Sie hörte das Geräusch schneller Schritte. Ihre Schülerin rannte den Pfad hinunter, das Gesicht vor Anstrengung gerötet. Der Anblick bereitete Niamh Sorgen – sie würde ihren ersten Kampf niemals überstehen, wenn sie nicht an ihrer Ausdauer arbeitete. Das Schwert in ihrer linken Hand bebte bei jedem ihrer Schritte. Ihre andere Hand umklammerte fest eine auf Papier geschriebene Botschaft. Niamh stellte sich kurz vor, was passieren würde, wenn die Kleine stolperte, und machte sich im Geiste eine Notiz, mit ihr am richtigen Umgang mit dem Schwert zu arbeiten. Sie sollte es schließlich erst dann ziehen, wenn es auch einen Feind gab.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte das Mädchen sie endlich und atmete schwer.

    »Du kannst dein Schwert wegstecken, Mädchen«, sagte Niamh mit strenger Stimme. »Es gibt keine Feinde zu bekämpfen, keine Wölfe, die uns überraschen könnten. Es sei denn, du bist gekommen, um mich zu töten?«

    Die Rolle der Mentorin war ungewohnt für Niamh und der Tadel aus ihrem Mund fühlte sich seltsam an. Aber offenbar brauchte der Lehrling ihre Strenge. Das unsinnige Herumhantieren mit dem Schwert würde eine Reihe von Menschen – einschließlich Niamh – das Leben kosten, wenn Birdie nicht vorsichtig war.

    Niamh sprang von dem Felsen herunter und ging zu dem Mädchen, das mitten in den Seegräsern stand. Am besorgten Gesichtsausdruck ihrer Schülerin erkannte Niamh, dass jemand den Brief, den Birdie ihr mit der freien Hand hinstreckte, gelesen hatte. Das Kind konnte nicht lesen, was ein weiteres Problem war, das Niamh lösen musste, bevor ihre Schülerin zur weiteren Ausbildung geschickt werden konnte. Niemand wurde aus ihrer Obhut entlassen, ohne die Fähigkeit, eine Nachricht zu lesen.

    »Was ist los?« Sie versuchte, gelangweilt zu klingen. Das Mädchen war überreizt, dachte womöglich, dass die Dringlichkeit des Briefes sie ebenfalls betraf, und malte sich wahrscheinlich ihre erste Aufgabe aus. Vielleicht stimmte das, falls Niamh Hilfe brauchte, aber sie nahm ungern jemanden mit, dem es nicht in den Sinn kam, sein Schwert in die Scheide zu stecken, wenn er im Laufschritt unterwegs war …

    »Die Herrin bittet um deinen Rat«, sagte das Mädchen steif und die Worte klangen so gestelzt aus ihrem Mund, als hätte sie sie auf dem ganzen Weg zum Strand geübt. Es war die Art förmlicher Formulierung, die ihr der Absender des Briefes oder derjenige, der ihn ihr vorgelesen hatte, vorgegeben haben musste.

    Die Herrin. Die Betonung bedeutete, dass es nur eine Frau sein konnte, die Niamh um Hilfe bat. Eine einzige Frau, die sie von überallher, von jedem Ort und zu jeder Zeit herbeirufen konnte.

    Aber obwohl sie es nur ungern zugab, war Niamh müde. Sie wollte hierbleiben, in ihrem Dorf, und solchen Aufforderungen nicht nachkommen. Es fühlte sich an, als hätte sie ihr ganzes Leben lang gegen diejenigen gekämpft, die nehmen, nehmen, nehmen wollten – seien es Räuber oder Eindringlinge, die aus anderen Ländern an ihre Küste kamen. Sie würde es sich lieber in ihrem Heimatdorf gemütlich machen, die Stadt vor ständigen Plünderern und Unheil bewahren und vielleicht ein oder zwei Kinder großziehen, so die Göttin es wollte.

    Stattdessen schien die Göttin sie auf einen weit weniger friedlichen Pfad zu schicken. Einen, für den Niamh trainiert hatte, so viel war sicher, aber keinen, den sie wirklich vor sich gesehen hatte. Und natürlich war dieses Mädchen, Birdie, noch nicht so weit, tief in den Süden zu gehen, wo die Herrin wohnte, oder wohin auch immer sie sie womöglich hinschicken würde.

    Niamh sah auf das Papier, das ihre Schülerin ihr mit zitternder Hand reichte. Nach einem Moment erkannte sie, dass Birdie nicht nur eins, sondern zwei Blätter in ihrer Hand hielt. Das erste trug eine Handschrift, die sie nicht kannte. Es war ein Gekritzel in einer Sprache, die ihr zwar nicht völlig fremd war, die aber schwieriger zu entziffern war. Sie setzte sich zwischen Seegras und Dünen wieder und hielt sich das Papier näher vors Gesicht, um es zu lesen.

    Der Absender dieser ersten Botschaft suchte eine erfahrene Kriegerin mit dem Namen Nimue. Dem Brief zufolge war sie geschickt im Umgang mit dem Schwert und konnte sich mit der Verstohlenheit eines Fuchses und der Lautlosigkeit einer Kreuzotter anschleichen. Derjenige, der diesen Brief geschrieben hatte, bat jemanden, diese Nimue zu treffen, weil sie in seinen Orden aufgenommen werden sollte.

    Das Gefühl der Erschöpfung verstärkte sich, als ihr, ohne die nächste Seite lesen zu müssen, klar wurde, was man von ihr verlangen würde. Die Herrin würde sie bitten, sich als diese Kriegerin auszugeben und ihren Platz einzunehmen. Irgendwie hatte Avalon diese Nachricht abgefangen. Sie würde Nimue nie erreichen, die von dieser Einladung nichts erfahren würde. Niamh würde ihren Platz einnehmen.

    Birdie hatte ihr gesagt, dass die Herrin sie rief. Das bedeutete nur eines: Die Herrin wollte, dass sie nicht nur zum Tor, sondern nach Lunden ging. Der Brief des Fremden, der nach solch verstohlenen Kriegern suchte, hatte seinen Aufenthaltsort genannt. Obwohl Avalon in Chiffren schrieb, war die Herkunft dieser Notiz eindeutig. Niamh hatte es bei jeder ihrer Reisen in den Süden vermieden, die Stadt aufzusuchen. Der Gedanke an eine Stadt bereitete ihr Kopfschmerzen. Zu viele Menschen. Zu viel Lärm. Zu viele Dinge, die sie sich nicht vorstellen konnte, weil sie so viel Zeit in den Sümpfen, im Moor und an der Küste verbracht hatte. Sie kannte dieses Land, diese Menschen, aber bis nach Lunden zu reisen bedeutete, dass sie vielleicht nie wieder zurückkehren würde. Die Reise war so weit, dass viele nur in eine Richtung gingen und nie zurückkehrten. Eine solche Reise war mit vielen Gefahren verbunden und Niamh wusste, sie würde all ihre Fähigkeiten einsetzen müssen, um sicher anzukommen.

    Sie starrte auf das ramponierte Stück Pergament, das die Reise in ihren Winkel der Welt überstanden hatte, faltete es zusammen und steckte es in den Lederbeutel an ihrer Hüfte. Ihr Verdacht bestätigte sich, als sie einen Blick auf die zweite Seite warf.

    Sie war von der Herrin höchstpersönlich. Sie war handgeschrieben auf dem hellsten Pergament, das Niamh je gesehen hatte, mit Tinte, die vor Magie der Insel schimmerte.

    Die Herrin bat sie, ihre Heimat zu verlassen, nach Lunden zu reisen – wie Niamh es vorausgesagt hatte – und herauszufinden, wer diese Leute waren. Zu diesem Zweck sollte sie den Platz dieser Nimue einnehmen. Wer waren diese Verborgenen, die Leute wegen ihrer Verstohlenheit brauchten? Wer brauchte Leute, die sich anschleichen und morden konnten?

    Die Herrin stellte klar, dass niemand ohne das Wissen oder die Zustimmung der Frauen des Nebels eine Gruppe wie diese leiten sollte. Also aktivierte sie eine ihrer besten Hexenkriegerinnen, die einzige, der sie zutraute, die Anforderungen dieser speziellen Mission erfüllen zu können. Niamh von Argyll. Die Herrin betonte, es sei hilfreich, dass sie fast den gleichen Namen trugen. Obwohl Niamh wusste, dass man Namen jederzeit ändern konnte. Es waren ihre Fähigkeiten, die sie für diese Aufgabe prädestinierten, nicht ihr Name.

    Trotz der Müdigkeit und der Angst vor der Reise, die Niamh bevorstand, spürte sie auch das Wissen um ihr eigenes Können. Sie war stolz auf das, was sie im Namen von Avalon zu leisten vermochte. Sie wusste, dass sie dafür ausgebildet worden war, denn man hatte Zeit, Energie und Gebete in sie investiert. Ihr Lebensmittelpunkt war gewesen, Wege zu finden, der Göttin durch die Künste des Schwerts und des Kräuterhandwerks zu dienen. Das war es, wozu sie bestimmt war. Auch wenn sie dem langen Ritt zwiespältig gegenüberstand, kam sie nicht umhin, einen Funken Stolz zu empfinden. Sie hatte genug getan, um einer Mission würdig zu sein, zu der die Stimme der Göttin sie rief.

    Und so würde sie der Herrin gehorchen und diesen gefährlichen Auftrag annehmen.

    Sie hätte sich gern mehr Zeit am Wasser genommen, um sich zu verabschieden, aber ihr Lehrling schien nicht geduldig warten zu können. Birdies Füße scharrten im Sand und gruben sich weiter in die weiche Erde ein. Ihre Finger tanzten über den Knauf ihrer Klinge, bereit, zuzuschlagen, auch wenn ihre Fähigkeiten noch nicht vollkommen ausgereift waren. Zumindest war das Mädchen eifrig. Das würde es auf seinem Weg ein gutes Stück weiterbringen.

    Niamh nickte, stand auf, steckte den zweiten Brief in ihren Beutel und machte sich auf den Weg zu ihrem kleinen Dorf. Sie wartete nicht, ob ihre Schülerin ihr folgte, denn sie wusste, dass das Mädchen ihr Zeichen verstand.

    Birdie konnte nicht ganz mithalten. Niamhs Schritte waren lang und schnell und sie eilte mit Leichtigkeit an den Seegräsern vorbei und in den lichten Wald, der ihr Haus umgab. Trotzdem rief das Mädchen ihr hinterher, wobei ihre Worte durch den Abstand, den Niamh zwischen sie gebracht hatte, fast unverständlich waren.

    Das Kind wiederholte seine Bitte und Niamh hörte, wie seine Schritte schneller wurden. Sie hielt inne, um Birdie die Möglichkeit zu geben, um sie herumzugehen, sich vor sie zu stellen und mit ihr zu sprechen. Sie war nicht gerade beeindruckt von dem Mädchen, aber es hatte das Recht, jederzeit mit seiner Mentorin zu sprechen und Fragen zu stellen.

    »Wirst du mich brauchen? Soll ich mit dir kommen?«, fragte Birdie atemlos.

    Niamh musterte das schmutzige kleine Mädchen, das zerbrechlich und abgemagert vor ihr stand. Sie dachte an den langen Ritt von Argyll bis zum südlichen Rand von Mercia, an die Zeit, die sie allein auf der Straße verbracht hatte, begleitet nur von ihrem Pferd. Sie dachte daran, wie hilfreich ein zweites Paar Augen wäre, und als sie in den düsteren Himmel sah, wusste sie, dass sie ihren Lehrling auf dem vor ihr liegenden Weg brauchte, auch wenn sie das Kind nicht mitnehmen wollte. Wenn sie klug genug, schnell genug und begabt genug wäre, könnte das Kind vielleicht nach Avalon geschickt werden, anstatt ein langes Leben als Wollspinnerin zu fristen. Aber Birdie hatte bisher nicht bewiesen, dass sie genug Verstand besaß, um nützlich zu sein. Es war eine schwere Entscheidung für Niamh, denn sie wusste, dass Birdies gesamte Zukunft in ihren Händen lag.

    Das Leben hier oben im Norden war hart. Es war oft kurz und Mädchen erging es nicht so gut wie Jungen. Niamh hatte es zu etwas gebracht, weil sie dem entkommen war und eine Aufgabe und ein Schwert, das ihr gute Dienste leistete, gefunden hatte.

    Wenn das Mädchen sich als nützlich erweisen und seine innere Stärke finden könnte, würde sich die Reise aus Argyll vielleicht lohnen. Wenn es Niamh das Leben ein wenig leichter machte, auch wenn Birdie nicht ganz so klug oder schnell war, wie Niamh es sich erhoffte … Nun ja. Sie würde ihr eine Chance geben.

    »Sattle zwei Pferde, besorg uns genug Proviant für einen Zweitagesritt nach Süden und vergiss nicht, dir eine anständige Waffe zu besorgen. Du musst eine haben, wenn wir aufbrechen, und die, die du in der Hand hältst, ist nicht so scharf, wie ich es mir wünschen würde. Geh sofort zum Schmied.«

    »Ich darf also mitkommen?«

    »Ja, Birdie. Du darfst mitkommen.«

    Das eifrige Mädchen nickte und eilte ohne ein weiteres Wort davon. Niamh blieb mit den beiden Briefen und ihren Gedanken zurück.

    Sie war die Heckenhexe dieser Gemeinschaft. Ihre Aufgabe war es, über die Menschen zu wachen, die sie großgezogen hatten, ihre Wunden zu heilen, ihre Kinder zur Welt zu bringen und sie bei Gefahr mit allen Mitteln zu schützen – sei es mit dem Schwert oder mit Kräutern. Sie lehrte die Kinder, wie man Wickel machte, und meditierte jeden Morgen am Strand, um sich auf die Energie des Landes einzustimmen und zu wissen, wer dort jagte, wer dort lauerte und wer in Frieden kam.

    Niamh starrte in den Wald und fragte sich, ob sie im Gegensatz zum letzten Mal, als sie ihre Heimat verlassen hatte, nicht wieder zurückkehren würde. Dieser Wald kannte sie und sie wollte nicht die Verbindung zu dem Land verlieren, auf dem sie geboren und aufgewachsen war. Ihre Familie war tot und das Einzige, was ihr geblieben war und was sie ihr ganzes Leben lang gekannt hatte, waren diese Bäume und dieses Land.

    Sie bedauerte, dass sie sich nicht richtig verabschiedet hatte, als sie in jungen Jahren zur Ausbildung nach Avalon gegangen war. Während ihrer Zeit auf der magischen Insel hatte sie ihre Heimat sehr vermisst und sie wollte den Einfluss, den sie auf ihre Seele hatte, dieses Mal aufrichtiger würdigen.

    Sie ging zurück zum Dorf und betrachtete es wie mit neuen Augen. Die kleinen Hütten hatten Strohdächer und an den Sträuchern hingen die ersten Beeren. Irgendwo blökten Schafe, die von den Hirten in die Stadt zurückgetrieben wurden. In der Ferne klopften die Frauen die Wolle aus. Zwischen den Hütten duftete es nach Gekochtem und wieder bedauerte sie, dass sie die Menschen, die sie liebte, zurücklassen würde. Sie ging an all dem vorbei. Ein anderer Ort erforderte ihre Aufmerksamkeit.

    Schließlich erreichte sie die Stelle, von der sie wusste, dass sie sich dort am längsten aufhalten musste: das Steingrab etwas außerhalb der Stadt, das für die Gebeine ihrer verstorbenen Mutter errichtet worden war.

    Ihre Mutter war vor ihr die Hexenkriegerin ihres Dorfes gewesen. Dieser Titel wurde von Generation zu Generation weitervererbt. Niamh hatte gedacht, sie würde vielleicht eines Tages eine Tochter haben und den Titel erneut weitergeben, aber stattdessen ging sie fort und ihre Zukunft war ungewiss. So hatte sie sich die Dinge nicht vorgestellt. Schließlich hatte ihre Mutter sie ursprünglich weggeschickt, weil sie darauf beharrt hatte, dass Niamh ihrem Volk und sich selbst am besten dienen konnte, indem sie so viel wie möglich in Avalon lernte. Um die ihr übertragene Rolle übernehmen zu können. So wie sie es getan hatte.

    Zeilen aus dem Brief der Herrin schossen Niamh durch den Kopf.

    Du bist aufgrund deiner Fähigkeiten am besten dazu geeignet, die Situation zu beurteilen, hatte die Herrin geschrieben. Die Göttin hat gesprochen, es ist dein Schicksal, diesen Weg zu gehen. Wir wählen dich als unsere Spionin.

    Eine Spionin. Sie hatte nie gedacht, dass sie solche Fähigkeiten besaß. Die Fähigkeiten einer Kriegerin und einer Hexe, ja, aber die einer Spionin? Sie nahm an, dass diese Fähigkeiten übertragbar waren, aber es würde eine neue Herausforderung für sie sein. Sie war dazu bereit.

    Sie erinnerte sich an ihren ersten Überfall. Die Nordländer waren an die Küste gekommen und hatten versucht, ihrem Dorf jeglichen Besitz zu nehmen … nicht dass es so weit im Norden viel zu holen gab. Niamh hatte sich durch das Chaos des Kampfes geschlichen und sich einen Weg zu dem Langschiff gebahnt, das die Feinde ans Ufer gebracht hatte. Sie versenkte es und ließ ihnen keine andere Wahl, als durch das Moor zurück zu ihrer dänischen Siedlung zu laufen, die sich auf gestohlenem Land im Westen befand. Und das alles ohne Nahrung und neue Felle.

    Doch das war nicht das einzige Mal gewesen, dass Niamh klug reagiert hatte. Ihre Hände strichen über die rauen Steine des Steingrabs ihrer Mutter und sie dachte an ihre Zeit in Avalon zurück. Ihre Mutter hatte sie bei ihrer Abreise gewarnt, dass es mehr als nur Hartnäckigkeit brauchte, um Priesterin zu werden. Es würde Tapferkeit erfordern.

    Eine der letzten Aufgaben der Frauen, die auf der nebelverhangenen Insel studierten, bestand darin, einen Spaziergang zu machen. Der Spaziergang war weder ein Spaziergang über eine Wiese mit Schafen noch ein Spaziergang an einer friedlichen Küste oder einem Flussufer. Es war ein Spaziergang in der Dunkelheit entlang der Küste, zu der Höhle, von der es hieß, sie gehöre Merlin. In der Höhle musste jede, die dem Gott und der Göttin dienen wollte, um den Segen bitten, den Weg der Hexenkriegerin beschreiten zu dürfen.

    Niamh war in fast völliger Dunkelheit am Ufer entlanggelaufen. Ihre Füße waren nackt, ihr Haar offen. Sie hatte nur ihr Gehör genutzt, um sich zu orientieren, weil der Himmel so dunkel war. Irgendwie hatten keine Sterne am Himmel gestanden und der Mond war in seiner dunkelsten Phase gewesen. Selbst jetzt, als sie im Wald ihrer Heimat stand, konnte sie das gefrorene Wasser spüren, das an ihren Knöcheln geleckt hatte. Sie hatte damals gewusst, dass ein falscher Schritt ihren Tod bedeutet hätte, und dieses Risiko akzeptiert. Sie hatte die Konsequenzen in Kauf genommen, dieser Berufung bis zum bitteren Ende zu folgen.

    Nachdem sie die Höhle erreicht hatte, die mit runden, vom Meer glatt geschliffenen Steinen gefüllt war, hatte sie ihr Gewand ausgezogen und war tief in das eisige Wasser gewatet, das die Höhle überflutet hatte. Sie war in das salzige Wasser eingetaucht und wieder hochgekommen, um den Segen des Wassers zu erbitten. Es brauchte beträchtlichen Mut, in dieser Höhle zu schwimmen, denn sie hatte gewusst, dass sie jeden Moment, wenn das Wasser es so wollte, ertrinken oder erfrieren oder von der Brandung gegen die Felswand geschleudert werden konnte. Dann wäre sie verloren gewesen.

    Doch keine dieser Erinnerungen machte sie zu einer guten Spionin. Sie war eine gute Priesterin, eine gute Kriegerin. Sie hatte unter Bedingungen, die so mancher Hebamme die Haare zu Berge hätten stehen lassen, Babys sicher auf die Welt geholfen, aber das waren nicht die Eigenschaften von jemandem, der lügen, sich anschleichen und Unwahrheiten erzählen konnte, um zu bekommen, was die Herrin brauchte.

    Aber wenn die Herrin es wollte, wenn die Göttin es wollte, dann sahen beide vielleicht etwas in ihr, was Niamh nicht sah. Wenn dies die Berufung war, der sie folgen sollte, dann war sie vielleicht wirklich die, für die sie sie hielten. Manchmal war es notwendig, sich von den Menschen, die einen am besten kannten, zeigen zu lassen, wer man sein konnte. Sie hatte der Herrin schon einmal vertraut, als sie sich auf den Weg zur Höhle gemacht hatte. Diese hatte ihr gesagt, sie wäre bereit dazu, auch wenn Niamh es nicht ganz geglaubt hatte.

    Der Weg nach Lunden wäre genauso gefährlich wie der Weg zu Merlins Höhle.

    Niamh zog die beiden Briefe aus ihrem Lederbeutel und untersuchte sie. Die Herrin hatte klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, was sie von Niamh wollte. Die Erwartungen waren klar und Niamh entging nicht, dass es sich nicht um eine Bitte handelte. Es war ein Befehl.

    Der andere Brief war seltsam. Er war eher wie ein Rätsel formuliert. Sie murmelte die seltsamen Worte vor sich hin und versuchte herauszufinden, wie sie sich laut anhörten.

    Wir, die wir uns in den Schatten verstecken, erbitten das Vertrauen von Nimue, die von den Inseln nördlich von Kaledonien stammt. Wir wissen, du bist so schlau wie der Fuchs und so leise wie die Kreuzotter. Du trägst die Wildheit des Wolfes und die Schnelligkeit des Hasen in dir, was ebenfalls von großem Nutzen ist.

    Wir wissen, weshalb du diese Fähigkeiten besitzt. Wenn du sie weiter verfeinern möchtest, besser verstehen willst, wer du bist, dann komm zum Hawk’s Nest an der Tamesis. Steig unsere Leiter hinauf und erzähle uns, was du darüber weißt, wie man mit Schatten und Dunkelheit wandelt.

    Was bedeutete es, mit Schatten zu wandeln, fragte sich Niamh. Sie hatte genug Zeit damit verbracht, die Riten der Morrigan zu studieren und Leben mit Respekt zu nehmen. Sie war gut darin, die Schattenwelt zu verstehen, aber das war nicht ganz das Gleiche wie mit Schatten zu wandeln. Sie war neugierig, was das bedeuten könnte. Sie fragte sich jedoch auch, welche Art von Vergangenheit jemanden dafür besonders geeignet machen könnte.

    Sie las die Aufforderung, die sie an ihre eigenen Traditionen erinnerte, aber von jemand geschrieben war, der sie nicht verstand. Sie konnte sehen, dass der Verfasser wusste, dass ihr Volk bemüht war, die Energie der Kreaturen um es herum zu verstehen, und dass es sie respektierte. Sie glaubte jedoch nicht, dass sie den Geist einer Kreatur annehmen konnte, nur um von ihr zu lernen, wie sie es mit den anderen Energien des Waldes tat.

    Aber es musste sich nicht um eine Bitte schlechter Menschen handeln. Sie konnten im Verborgenen für gute Zwecke arbeiten. Sie wusste, dass Menschen sie ausgebildet hatten, die glaubten, es sei manchmal notwendig, schwierige Dinge zu tun, um die Menschen zu schützen, die bei ihnen Führung und Unterstützung suchten. Sie wusste, sie hatte eine gute Ausbildung genossen, und sie konnte diesen Fremden ihr Volk näherbringen, wenn es ihr gelang, sich mit ihnen zu verbünden.

    Sie sah ein letztes Mal auf den Brief der Herrin hinunter und las die letzten Zeilen noch einmal.

    Auch wenn du ihnen Vertrauen schenkst, musst du immer noch vorgeben, diese andere Frau zu sein, und du solltest ihnen noch nicht sagen, wen du vertrittst. Erzähl ihnen die Geschichte deiner Herkunft, aber nicht, dass du eine Frau des Nebels bist. Vielleicht wissen sie nichts von uns – und wenn doch, werden sie dir weniger vertrauen, weil du eine von uns bist. Wir vertrauen auf dein Urteilsvermögen, aber wir glauben, dass sie dich auf Abstand halten werden, wenn sie wissen, dass du von unserer Gemeinschaft unterstützt wirst.

    Sie würde so tun müssen, als wäre sie jemand, der sie nicht war. Sie würde ihre Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grad verleugnen müssen. Es war klar, dass diese Leute im Hawk’s Nest, wer immer sie auch waren, nicht unbedingt Freunde waren. Aber sie könnten es sein, wenn sie den Verstand besaß, sie umzustimmen.

    Das Steingrab war klein, etwa so lang, wie ihre Mutter zu Lebzeiten gewesen war, kaum größer als Niamh, und breit genug, um den Körper ihrer Mutter vor Krähen und anderen Tieren zu schützen.

    Niamhs Hände erinnerten sich an den Bau, jeder grob behauene Stein war durch ihre Hände gegangen, wenn auch nur kurz, denn sie hatte beim Bau geholfen. Jetzt waren die Steine im Laufe der Zeit glatt geworden, die Jahre seit dem Bau des Steinhügels hatten ihre Kanten abgeschliffen. Es war lange her, dass sie hier gewesen war, nicht weil sie nicht wollte, sondern aus Zeitmangel. Ihre Pflichten im Dorf hatten sie in den letzten Jahren seit ihrer Rückkehr aus Avalon auf Trab gehalten. Es gab immer eine schwangere Frau oder ein krankes Kind, um die sie sich kümmern musste. Ein Rudel Wölfe, das vertrieben werden musste, oder eine Wache, bei der sie aushelfen musste. Es war keine ruhige Zeit gewesen, die sie in diesen Wäldern am Meer verbracht hatte. Wenig Zeit für die Trauer um ihre Mutter, die von ihr erwartet hätte, dass sie sich um ihr Volk kümmerte. Immerhin hatte Niamh von ihr die Rolle als Hexenkriegerin des Dorfes übernommen.

    Niamh schloss die Augen und dachte an die letzte Erinnerung, die sie an ihre Mutter hatte.

    Während sie sich auf die Abreise nach Avalon vorbereitet hatte, war ihre Mutter krank geworden. Ihr Körper hatte geglüht und nichts hatte ihre Haut zu kühlen oder den Schweiß, der ihr die Stirn hinunterlief, aufzuhalten vermocht, ganz gleich was sie versucht hatte. Kein Kräutermittel, nichts hatte geholfen. Niamh hatte mit ihr darüber gestritten, ob sie gehen sollte, aber ihre Mutter hatte entschieden, dass Niamh nur so lange warten durfte, bis ihr Körper unter einem Steingrab lag. Man würde ihre Ankunft in Avalon erwarten, sobald sie ihre Mutter beerdigt hatte.

    Niamh hatte mit den Frauen ihrer Gemeinschaft Totenwache am Schilfbett ihrer Mutter gehalten, auf dem sie unter Fellen und Decken lag, die man ihr gebracht hatte, um sie warm zu halten, obwohl sie von innen heraus verbrannte. Sie hatte die Hand ihrer Mutter gehalten, als diese durch den Schleier gegangen war. Dann hatten sie schnell ihr Steingrab gebaut, damit Niamh ohne Zeitverlust abreisen konnte.

    Der Ritt nach Avalon war einsam, still und meditativ gewesen. Sie hatte gespürt, wie die Rolle ihrer Mutter auf ihre eigene Seele überging. Auch wenn sie den Verlust ihres einzigen

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