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Pyria: Jagd im Schatten
Pyria: Jagd im Schatten
Pyria: Jagd im Schatten
eBook921 Seiten14 Stunden

Pyria: Jagd im Schatten

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Über dieses E-Book

»Nur war Machairi kein normaler Umstand. Machairi war wie Regen, der in den Himmel fiel oder Feuer unter Wasser: denkbar, aber eigentlich ausgeschlossen.«

Nur knapp haben sie die Flucht aus der brennenden Stadt überlebt und schon nimmt Machairi seine Gefährten mit auf die nächste schicksalhafte Reise. Die tückische Idylle der entlegenen Insel Skîl trennt die ungleiche Gruppe und bald kommen Erinnerungen ans Licht, die keiner von ihnen je preisgeben wollte. Pyria stehen dunkle Zeiten bevor und das wahre Ziel des Messerdämons ist noch wahnsinniger, noch gefährlicher und noch schwerwiegender als jedes zuvor. Machairis Motive sind nicht was sie zu sein schienen und bald ist nicht einmal mehr Leén sicher, ob der Schatten ein Mensch oder ein Monster ist. Am Rande ihrer Kräfte ist seinen Gefährten bald nur noch eines klar: Ihr aller Schicksal liegt allein in einem weißen Handschuh.

~
Der zweite Teil der Pyria Trilogie
mit einigen Antworten, mehr Fragen,
mehr Charakterentwicklung
mehr Protagonisten
mehr Blick in die Vergangenheit
mehr Dunkelheit
mehr Göttern
mehr Schauplätzen: von tropischen Wäldern über düstere Ödnis zu verschneiten Bergen
mehr Pyria!
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum14. Jan. 2022
ISBN9783754940136
Pyria: Jagd im Schatten
Autor

Elin Bedelis

Elin Bedelis purzelte im Juli 1998 auf die Welt und hat seither eindeutig zu viel Zeit in Fantasywelten verbracht. Sie liebt ausschweifende Kopfkinos, die die echte Welt für Stunden in den Hintergrund rücken, ellenlange Spaziergänge, Persönlichkeitsanalysen, Musik, Musik, Musik und Eulen. Sobald sie sich etwas vorgenommen hat, wird es schwer, sie davon abzubringen und vor einigen Jahren hat sie sich in den Kopf gesetzt: Ich bin Autorin. Daraus folgte nicht nur obsessives Schreiben, sondern auch ein Bachelor of Arts in Medienwissenschaft und noch weniger handfeste Masterambitionen. Gestützt von Songwriting, Handarbeiten, Zeichnungen und Recherche setzt sie jede freie Sekunde für ihre Bücher ein und brennt aus vollem Herzen fürs Schreiben und Erzählen.

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    Buchvorschau

    Pyria - Elin Bedelis

    Pyria_2.jpg
    Elin Bedelis
    Pyria

    II. Jagd im Schatten

    Elin Bedelis

    Pyria

    Jagd im Schatten

    High Fantasy Roman

    Dieser Titel ist auch als E-Book erschienen

    Vollständige Taschenbuchausgabe

    Deutsche Erstausgabe

    Text: © 2021 Copyright by Elin Bedelis

    Cover-Illustration: © 2021 Copyright by Maren Gloger

    Verantwortlich für den Inhalt:

    Elin Bedelis

    c/o Block Services

    Stuttgarter Str. 106

    70736 Fellbach

    info@elinbedelis.de

    Druck: epubli - ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

    Lektorat: Irina Siefert

    Korrektorat: Ida Salingré

    Für Irina,

    Danke für deine liebevolle Unterstützung,

    dein offenes Ohr

    und dass du wie eine Schwester für mich bist.

    Content Notes

    Eine dunkle Ecke

    Gwyn hasste Schiffe. Trotzdem hatte er sich nicht beschwert, als sie wieder in See gestochen waren. Er hatte sich in der letzten Woche über nichts beschwert. Er hatte sich auch nicht gefreut, gesorgt oder geärgert. Wenn es möglich war, schwieg der Feuerspucker. Was hätte er auch sagen sollen, nachdem er es sich mit Machairi verscherzt hatte und von seinem Gewissen heimgesucht wurde? Allein saß er im Schiffsbauch, starrte die Wand an, während sich der Raum um ihn herum unangenehm bewegte, und übte sich im Unsichtbarsein.

    Das kleine Schiff schaukelte beträchtlich mehr als das Sklavenboot, mit dem sie nach Hareth gekommen waren. Es war wesentlich wendiger, schmaler und kürzer und hatte weniger Tiefgang. Eilig schnitt es durch die Wellen und wären sie erneut auf einen Sturm getroffen, hätte der das kleine Ding in einem Schlag verschlungen. Doch ein kleineres Schiff bedeutete eine kleinere Mannschaft, bedeutete unauffälligeres Reisen und die benötigte Geschwindigkeit. Nichts davon machte die Seefahrt für Gwyn angenehmer. Ohne dazu aufgefordert werden zu müssen, hatte er sich in die dunkelste Ecke verkrochen. Eine Besenkammer. Er wollte niemanden sehen und niemand, so glaubte er, würde ihn so schnell wiedersehen wollen.

    Gwyn folgte Mico. Der hatte lange gebraucht, um zu entscheiden, ob er sich direkt auf den Rückweg nach Cecilia machen sollte oder den Rest der Gruppe um den legendären Schatten folgen wollte, die sich nach Osten aufmachten. Nach den Geschehnissen in Hareths Hauptstadt Om’falo, wo Gwyn das Unaussprechliche getan hatte und Machairi in den Rücken gefallen war, war der Magier verunsichert. Einerseits wollte er nach Hause eilen und nach einem Mädchen suchen. Andererseits schien sich ein Gefühl der Verantwortung eingestellt zu haben.

    Vielleicht lag das auch an Gwyn. Der Gaukler hatte die schwarze und rote Tracht der Feuerspucker abgelegt und trug nun braun. Es hatte ihn niemand dazu aufgefordert, Mico am allerwenigsten, und doch war es ein unausweichlicher Schritt. Die Dinge hatten sich geändert in ihrer kleinen Runde von Sonderlingen.

    Die Stunden, die Gwyn allein im Halbdunkel der Besenkammer verbrachte, waren gezeichnet von Gedanken, die ebenso düster waren wie die Schatten um ihn herum. Gwyn dachte an Om’falo, an Berge verbrannter Körper und feinen Ascheregen, der sich rau in die Atemwege legte und ihn noch für Tage bei jedem Atemzug daran erinnerte, was er getan hatte. Das sonst unabdingbare Grinsen war spurlos von seinen Zügen verschwunden und er wartete. Er wartete darauf, dass das grausige Gefühl hinter seinem Brustbein endlich aufhörte, dass die Schuld ihm nicht mehr auf der Seele lag und er sich selbst vergeben konnte. Er war dumm. So dumm.

    Als es leise an der Tür klopfte, fuhr Gwyn zusammen. Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er die schaukelnden dunklen Regale und den Geruch nach Rattenurin beinahe vergessen hatte. Überrascht sah er zur Tür, sagte aber nichts. Er zögerte. Wollte er nicht am liebsten allein sein? Würde es nicht eine untragbare Last sein, mit einer weiteren Person zu interagieren, wenn er sich gerne aus seinem Kopf verbannt hätte?

    Es klopfte ein zweites Mal und Gwyn drückte den Rücken gegen das Regal, als könnte er damit verschmelzen, wenn er sich nur eng genug daran schmiegte. Eigentlich hätte er nichts dagegen gehabt, jemanden bei sich zu haben, um dem endlosen Sumpf seiner Gedanken zu entkommen, aber die Kraft, die es gekostet hätte, jemanden tatsächlich sowohl psychisch als physisch einzulassen, konnte er nicht aufbringen.

    Also saß er in der Dunkelheit und wartete, dass die Person wieder ging. Er lauschte und war gerade überzeugt, dass er allein war, als sich die Tür einen Spalt breit öffnete. »Gwyn?« fragte Rish leise und schob ganz langsam die Tür auf. »Bist du hier?«, flüsterte sie und schielte vorsichtig in den Raum. Vom Flur aus fiel ein Streifen Licht in die kleine Kammer und Gwyn kniff die Augen zusammen, weil sie sich erst an die Helligkeit gewöhnen mussten. Er antwortete nicht, aber das hielt sie nicht auf. Zögernd trat das Harethimädchen ein und schob die Tür hinter sich wieder zu. »Es ist wirklich furchtbar dunkel hier«, sagte sie, während sie sich zwei Schritte von ihm entfernt auf den Boden kniete, aber Gwyn hörte die Aufforderung darin.

    Nein, er würde kein Feuer machen, nicht einmal in der Größe einer Kerzenflamme. Seit dem Vorfall in Om’falo hatte er nicht die kleinste Flamme entzündet und so würde es bleiben. Vielleicht würde er nie wieder mit diesem zerstörerischen Element spielen. Es war geschehen, was er sein Leben lang gefürchtet hatte: Er hatte die Kontrolle verloren und Zerstörung über unschuldige Menschen gebracht. Nichts konnte das wiedergutmachen. Das Feuer hatte ihn verraten, so wie er seine Freunde verraten hatte, als er den gemeinsamen Plan zunichtegemacht hatte. Das Schlimmste daran war, dass er nach wie vor glaubte, dass er es wieder tun würde. Er hatte nicht die nötige Härte, um ein Mädchen zurückzulassen, das er schon einmal einem grausigen Schicksal überlassen hatte. Vielleicht hätte er jedoch eine bessere Lösung finden können. Inzwischen waren ihm hunderte Möglichkeiten eingefallen, wie er das Ganze weniger dramatisch hätte gestalten können. Wie realistisch das alles war, war dabei vollkommen unerheblich. Es fraß ihn auf.

    Als sie verstand, dass sie keine Antwort bekommen würde, seufzte Rish deutlich hörbar und einen Augenblick später wurde es etwas heller im Raum. Überrascht sah Gwyn in ihre Richtung und beobachtete das Mädchen. Jetzt konnte er sie erkennen. Den ordentlich geflochtenen Zopf auf ihrer linken Schulter, die saubere Bluse, das weiche rote Korsett, das sie dazu trug und ihre braune Haut, auf der nun ein leichter, fast silbriger Schimmer lag. Er konnte nicht genau sagen, wo das Licht herkam, aber es reichte gerade aus, um den Raum zu erhellen. Es war, als fiele von irgendwo Tageslicht herein, klarer als das Licht einer Kerze und doch ebenso warm und nur unwesentlich heller. Also hatte wenigstens eine mehr über ihre Fähigkeiten gelernt. Es war ebenso unheimlich wie schön. »Wie geht es dir?«, fragte sie mit angespannt sanfter Stimme. Ein konzentrierter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht und man merkte ihr sehr deutlich an, dass ihre Aufmerksamkeit sich hauptsächlich auf das schwache Licht richtete.

    Gwyn zuckte mit den Schultern und sah wieder auf den Boden. Wie sollte es ihm schon gehen? Er hätte ihr sagen können, dass es ihm schrecklich ging, dass der Gedanke, sich von Bord zu stürzen, nur von seiner Angst vor Wasser zurückgehalten wurde und dass er seit sie der Stadt den Rücken gekehrt hatten mit einem seltsamen Gefühl der Leere kämpfte. Er hätte auch so tun können, als sei alles in Ordnung, als hätte er nicht Angst vor sich selbst und der zerstörerischen Macht, die ihm durch die Venen floss und die er nie so sehr gefürchtet hatte wie jetzt. Doch er blieb still.

    »Ich hab dir etwas zu Essen mitgebracht«, fuhr Rish fort, als sie keine Antwort erhielt, und schob die Schale, die sie vor sich auf den Boden gestellt hatte, etwas mehr in seine Richtung. »Du musst doch umkommen vor Hunger.« Besorgt musterte sie seine zerwühlten Haare und seine vermutlich ungesunde Gesichtsfarbe, während er auf den körnigen Brei und das Brot in der Schüssel hinabblickte. Sein Magen zurrte sich zusammen bei dem Anblick. Es war, als hätte er Watte gegessen, die nun seinen Bauch vollstopfte und es unmöglich machte, auch nur an Essen zu denken. Er konnte nicht essen, aber auch das konnte er nicht sagen. Er konnte nicht einmal begründen wieso. In den letzten Tagen hatte er fast nichts gegessen, trotzdem bekam er keinen Hunger oder auch nur Appetit. Alles war taub, aber wie sollte er das irgendjemandem begreiflich machen? »Gwyn?«, fragte Rish leise und streckte eine Hand nach ihm aus, als er noch immer nicht antwortete. »Wir machen uns Sorgen um dich«, sagte sie sanft und ihre Hand fand seinen Arm.

    Ihre Berührung kribbelte leicht. Das lag wohl an der Magie, die sie aufrechterhielt, auch wenn sie jedes Mal zu flackern begann, wenn sie sprach und ihre Aufmerksamkeit teilen musste. Gwyn unterdrückte ein Schnauben. Er glaubte ihr, dass sie sich Sorgen machte. Darüber hinaus fiel ihm niemand ein, den es auch nur im Entferntesten kümmern würde, was mit ihm war. Mico hatte bestenfalls ein Eigeninteresse daran, dass er sich nicht vom Mast warf. Es war ein weiterer Grund, weshalb er es nicht ernsthaft in Betracht zog.

    Rish ignorierte sein Schnauben oder hörte es nicht. »Vielleicht würde es dir helfen, darüber zu reden?«, fragte sie leise und dieses Mal flackerte das Licht so bedenklich, dass es sicher gleich zusammenbrechen würde.

    Der ehemalige Feuerspucker schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber reden. Es passte zu ihr, dass sie eine dünne Haut hatte, aber er glaubte nicht, dass sie wirklich etwas über die Schreie sterbender Männer hören wollte, die durch seinen Kopf dröhnten, oder über den Schnitt an seinem Oberarm oder über die gähnende Leere in seiner Brust. Der Schatten hatte die Wunde, die das Horn des Wüstenwurms hinterlassen hatte, perfekt wieder aufgetrennt, als wollte er ihn daran erinnern, dass er ihn von nun an nicht mehr retten würde, wenn alles aus dem Ruder lief. Von Machairi verstoßen zu werden – zu Recht – lastete schwerer auf ihm als alles, was er selbst verbrochen hatte, und dafür schämte Gwyn sich höchstens noch mehr.

    »Bist du sicher?«, hauchte sie und löste die Hand von ihm. Mitleidig musterte sie ihn und schwieg einen Moment. »Du hast doch nur getan, was du für richtig gehalten hast«, fuhr sie dann etwas zögerlicher fort.

    »Ich habe nicht absichtlich dutzende Menschen getötet!«, fuhr er sie an und erschrak vor sich selbst und das grausige Schuldgefühl schwoll noch weiter an, als sie zurückzuckte und das Licht erlosch. Warum ging sie nicht und ließ ihn allein? Das hätte alles so viel einfacher gemacht. Er wusste doch so schon nicht, wie er das alles weiter aushalten sollte. Es wurde nicht besser davon, dass sie nachbohrte. Trotzdem gab es ihm sicher nicht das Recht, sie so anzufahren. »Tut mir leid«, murmelte er und zog sich noch etwas weiter zusammen. Jetzt, wo es wieder dunkel war, schien der Sumpf in seinem Inneren noch tiefer. Am liebsten hätte er alles vergessen.

    Es dauerte einen Moment, dann glomm das Licht wieder auf, noch schwächer dieses Mal. Es reichte gerade aus, um die Umrisse des Mädchens zu erkennen, das mit ihm in dem winzigen Raum saß. »Niemand denkt das«, versicherte sie vorsichtig. Wieder spürte er ihre Hand auf seinem Arm und glaubte, ihr Mitleid in Wellen durch den Raum schlagen zu fühlen. Es tat gut und gleichzeitig war es unvergleichlich schmerzhaft. Er wollte kein Verständnis, wenn er selbst keines hatte. Es gab nichts zu verzeihen und nachzuvollziehen. Alles, was er an jenem Abend getan hatte, war ein einziger großer Fehler gewesen und hatte im Tod zahlloser Menschen und einem wütenden Machairi resultiert. Die Wut, die er auf sich selbst verspürte, musste jeder teilen, der wusste, was geschehen war. Anders konnte es nicht sein. Anders durfte es nicht sein.

    Gwyn merkte erst, dass er weinte, als ihm ein jämmerliches Schluchzen entfuhr. Wie konnte ein Schuldgefühl nur so wehtun? Es schnürte ihm den Brustkorb zu, drückte ihm die Kehle zusammen und ließ ihn innerlich brennen. Das Feuer war rebellischer, seit er es so weit zurückdrückte, wie er konnte. Es wartete nur darauf, wieder auszubrechen, wieder Zerstörung zu bereiten und vielleicht dieses Mal Menschen zu verletzen, die ihm wirklich wichtig waren. Dann waren sie auch noch auf einem Schiff. Selbst wenn er dem dummen Impuls nachgegeben hätte, hätte er nicht einmal weglaufen können. Das alles war eine wahnsinnige Katastrophe! Was sollte er tun und wie wollte ausgerechnet Rish, die so unbestreitbar gut war, das verstehen?

    »Hey«, flüsterte Rish, als sie hörte, dass er weinte. Das Licht erlosch und er fühlte sich noch schlechter, auch wenn er nicht gedacht hätte, dass das möglich war. Sie wollte ihn umarmen, aber er schob sie fort. Das konnte er nicht ertragen. »Es sind furchtbare Dinge passiert in der Nacht, aber du kannst dir nicht an allem die Schuld geben«, versuchte sie es aus einem anderen Winkel. »Es hätten auch tausende andere Dinge schiefgehen können. Der Plan war reinster Wahnsinn!«

    Gwyn schüttelte den Kopf, auch wenn sie das vermutlich nicht mehr sehen konnte. »Sein Wahnsinn funktioniert immer. Wenn ich nicht so dumm wäre, wären alle in Sicherheit gewesen.« Es war bescheuert, einen Plan des Messerdämons umzuwerfen. Hatte er nicht vorher selbst gesagt, dass es zu wahnsinnig war, um zu funktionieren? Er hatte es noch wahnsinniger gemacht und das hatte alles aus dem fragilen Gleichgewicht gebracht, auf dem der Plan basiert hatte.

    »Nicht Kendra! Du hast sie gerettet.« Ihre warme Hand fasste sein Handgelenk fester, als wollte sie ihre Aussage unterstreichen. »Es war richtig, sie nicht einem so grausigen Schicksal zu überlassen«, versicherte sie und er konnte hören, dass sie lächelte.

    Der Zhaki konnte nicht benennen, warum er zu zittern begonnen hatte. Es war kein wütendes Beben. Es war eine körperliche Reaktion, die vielleicht von der Enge in seiner Brust kam, oder von dem eisigen Schauer, der ihn bei der Erinnerung überlaufen hatte. »Und wenn schon. Ich hätte mich auch festnehmen lassen können, anstatt alle umzubringen!« Für ihn war es schon fragwürdig genug, für das Leben eines Mädchens zahlreiche andere zu opfern. Die Wahrheit war aber noch etwas frustrierender. Er hatte nicht sie beschützt, oder die Prinzessin, die er eigentlich hätte dabeihaben sollen. Auch nicht Vica, Mico und Machairi oder die Faust, die alle irgendwo in Reichweite hätten sein müssen. Nicht einmal den armen Harethi, der in einen Teppich verwandelt gewesen war. Nein, er hatte allein sich selbst beschützt. Es wäre nicht unmöglich gewesen, sich festnehmen zu lassen, als er in die Sackgasse gelaufen war, und vielleicht darauf zu hoffen, dass die anderen ihn befreien würden, bevor sein Kopf über den Boden rollte.

    »Du hast doch selbst gesagt, dass du das nicht vorsätzlich ausgelöst hast. Das war ein Schutzreflex. Ila hat auch darüber gesprochen: Das ist normal. Außerdem hast nicht du diese Menschen getötet, sondern das Feuer.« Wie sie das sagte, klang es tatsächlich, als würde sie sich selbst glauben. Sie verstand nichts.

    Es war in Ordnung, wenn sie Schutzreflexe hatte. Schließlich war sie neu im Anwenden ihrer Magie. Es war auch in Ordnung, wenn damit ein Übel abgehalten wurde, aber bei ihm war es anders. Er hatte sein Leben lang mit dem Feuer trainiert und ein Kontrollverlust wie dieser hätte ihm nicht widerfahren dürfen. Außerdem hatte er ein viel größeres Übel angerichtet als abgewendet und nichts, wirklich nichts konnte das rechtfertigen. Schon gar nicht, wenn er sich absolut sicher war, dass er es hätte aufhalten können. Zumindest hätte er den Schaden früher begrenzen können. Er war nicht ohnmächtig geworden, so wie es ihr jedes Mal passiert war, er war wie im Rausch gewesen, aber theoretisch im Vollbesitz seiner selbst. Die Tode waren unnötig gewesen und das machte es so grausam. »Wenigstens hab ich ansatzweise bekommen, was ich verdient hab«, murmelte er und merkte, wie Rish ihre Hand verschreckt zurückzog.

    »Nein.« Plötzlich klang sie eher bitter als mitleidig. »Seine Reaktion war absolut überzogen und unangebracht.« Ihre Stimme bebte und etwas darin wackelte. Für einen kurzen Moment dachte Gwyn, dass sie sich selbst nicht glaubte, aber dann wurde ihm bewusst, was es wirklich war. Sie fürchtete sich. Noch etwas, woran er schuld war.

    »Es gab nur eine Regel, auf die ich mich eingelassen habe, als ich mich ihm damals angeschlossen habe, anstatt zu fliehen: kein Hintergehen. Ich wusste, was passiert, wenn ich den Plan ignoriere und verändere – schon wieder – und ich habe es trotzdem getan. Das ist nicht seine Schuld. Sondern meine.« Es war wichtig, dass sie das verstand. Gwyn war sich immer absolut sicher gewesen, dass er in der Nähe des Schattens wenig zu befürchten hatte, weil er in der Lage war, sich an diese eine goldene Regel zu halten: Man durfte Machairi keinen Grund geben, wütend zu werden, und er hatte stets den Kopf geschüttelt über die dummen Idioten, die es trotzdem taten. Nun war er selbst so dumm gewesen und es war ihm unbegreiflich, wie tatsächlich irgendjemand überrascht über die Konsequenz sein konnte. Tatsächlich war er selbst nur überrascht, dass er nicht tot war. Vielleicht hatte ihre jahrelange Zusammenarbeit, die man fast als Freundschaft hätte betiteln können, ihm doch einen kleinen Gnadenbonus eingebracht … und Mico natürlich.

    Rish schwieg. Jetzt hätte Gwyn gerne ihr Gesicht gesehen, um zu wissen, was sie dachte. Dankenswerterweise war sie ein offenes Buch, aber in einem dunklen Raum half das nicht weiter. Stimmte sie ihm zu? Dachte sie noch darüber nach? Wollte sie das Offensichtliche weiterhin abstreiten? Eine ganze Weile war es still. »Du hast es nicht verdient«, flüsterte sie schließlich kaum hörbar aus der Dunkelheit. »Das hier…«, er nahm an, dass sie auf den kleinen Raum oder die braunen Kleider deutete, »hast du nicht verdient.«

    Für ihn fühlte es sich wohlverdient an. Dass sie das nicht sah, konnte man ihr allerdings nicht vorwerfen, schließlich kannten sie sich noch nicht lange genug, dass sie das Gesamtbild hätte sehen können. »Spielt keine Rolle«, antwortete er leise und senkte den Kopf.

    »Es wird bestimmt alles wieder gut«, versuchte sie nun ihn aufzuheitern, aber er musste sich nicht einmal anstrengen, um den Zweifel zu hören, der in ihrer Stimme mitschwang. Sie war sogar im Dunkeln leicht zu lesen. Wollte er wissen, was Machairi alles sah, wenn er mit ihr sprach? »Und ich mache mir trotzdem Sorgen um dich. Du bist zu hart zu dir.« Das Licht kehrte zurück und obwohl er sie nicht ansah, fühlte er ihren besorgten, mitleidigen Blick. Vielleicht war Licht tatsächlich keine schlechte Idee. Alles schien sofort ein bisschen weniger erdrückend, was nicht viel heißen wollte angesichts der Last, die auf ihn niederpresste. Seufzend schob sie die Schale mehr in seine Richtung. »Iss wenigstens etwas«, flüsterte sie dann.

    Ebenfalls seufzend gab er auf und griff nach der Schale. Um sie zufriedenzustellen nahm er sogar einen Bissen von dem Brot. Er kaute eine Ewigkeit darauf herum, während sie ihn beobachtete, als wollte sie ganz sichergehen, dass er es auch nicht wieder ausspuckte. Tatsächlich hätte er gerne genau das getan. Es schien absolut unmöglich, das Stück herunterzuwürgen, egal wie lange er darauf kaute. Als er es schließlich doch über sich brachte, würgte er, weil es sofort seinen Weg hinaussuchen wollte, aber er riss sich zusammen. »Danke«, murmelte er. Irgendwie rührte ihre Sorge ihn schließlich.

    »Jederzeit«, antwortete sie leise und dann wurde es wieder still, während sie ihm seinen Freiraum ließ und er damit beschäftigt war, einen weiteren Bissen herunterzuwürgen.

    Spielzeugschiffe

    Die Dinge hatten sich geändert. Mit Gwyns Grinsen war auch das übliche Gruppengefüge verschwunden. Leén war es, als hätten sie sich alle mit dem Feuerspucker nach der unheimlichen Nacht in Om’falo verändert. Besonders Mico schien seine Abneigung gegen alles hintenanzustellen, um das Loch zu füllen, das der einst so fröhliche Feuerspucker hinterließ. Leén war selbst kaum an der Aktion beteiligt gewesen und trotzdem hatte die Nacht sie geprägt wie keine zweite. Ihre Angst vor Machairi war zurückgekehrt, gepaart mit einem gewissen Maß von Abscheu. Sie konnte nicht begreifen, wie irgendjemand Gwyn so etwas antun konnte. Es war klar, dass der Zhaki schlechte Entscheidungen getroffen und einige Fehler gemacht hatte, aber es hatte ihr das Herz gebrochen, ihn so verzweifelt zu sehen. Sie konnte nicht verstehen, wie der Schatten die Kälte aufgebracht hatte, ausgerechnet Gwyn zu verstoßen. Dass der Gaukler es zu verstehen schien, machte es nicht besser. Von seiner stets guten Laune, seinem unvergleichlichen Grinsen, war nichts mehr übrig. Es war nicht schwer zu sehen, dass er mit sich selbst zu kämpfen hatte, und sie wünschte sich, ihm helfen zu können. Leider war er unwillig, ihre Hilfe anzunehmen, und sie war sich nicht sicher, ob es irgendjemand konnte … abgesehen von Machairi natürlich, der ihm problemlos hätte verzeihen können.

    Der Schatten hatte den Gaukler behandelt, als wäre er gar nicht da, nachdem er ihn an Mico übergeben hatte. Seit sie auf dem Schiff waren, hatte sich auch Machairi in eine Kajüte zurückgezogen und sie bekamen ihn nur selten zu Gesicht. Bisher hatte Leén nicht gewagt, zu ihm zu gehen und zu fragen, was er tat und wie es nun weitergehen sollte. Dabei interessierte es sie brennend, was für ein Plan all diesen Ärger wert sein sollte.

    Nachdem Gwyn das Essen erfolgreich in sich hineingezwungen hatte, war sie davon ausgegangen, dass es sinnvoll war, ihn vorerst wieder in Ruhe zu lassen. Offensichtlich wollte er nicht mit ihr reden und sie wollte ihm ihre Aufmerksamkeit nicht aufzwingen, obwohl sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte, bis es ihm besser ging.

    Vica saß in ihrer Koje und kümmerte sich um Spítha. Der kleine Drache rang, seit er von einem Armbrustbolzen getroffen worden war, mit dem Tod. Vica hatte ihn mit einem Greifvogel gefunden und zurückgebracht und nur Ilas Heilkünsten war es zu verdanken, dass der helle kleine Drache noch lebte. Die harte Schuppenhaut war glanzlos und der Verband um die Wunde war von Drachenblut getränkt. Reglos lag das kleine Geschöpf auf der Seite und nur an dem eindeutig gequälten Schnauben, das seine Nüstern zittern ließ, konnte man erkennen, dass das Tier noch lebte. In seiner alten Größe wäre ein Armbrustbolzen wohl nicht weiter tragisch gewesen, aber nun, da der Drache kaum so groß war wie eine Hauskatze, gab es wenig Hoffnung. Das bedeutete allerdings nicht, dass die blinde Naturistin bereit war, ihn aufzugeben. Das Mädchen und ihr wieselähnlicher Gefährte Puki verbrachten den größten Teil ihrer Zeit damit, sich um den sterbenden Drachen zu kümmern und Leén half ab und an mit den geringen Kräften, die sie entwickelt hatte, ihn im Gleichgewicht zu halten. Das Bemerkenswerte daran war, dass Vica ihre Hilfe sogar annahm – wenn auch widerwillig und mit bissigen Kommentaren. Wahrlich eine weitere unerwartete Veränderung, die sie seit Om’falo beobachten konnte.

    »Wird es besser?«, fragte sie hoffnungsvoll mit einem Blick auf den kleinen Drachen und kam vor der Koje zum Stehen.

    »Sieht es aus, als würde es besser?«, fauchte Vica, aber Leén hatte sich an ihren bissigen Tonfall gewöhnt. Manchmal glaubte sie, dass die Blinde vielleicht gar nicht in der Lage war, anders zu antworten. Vielleicht hatte Vica gar nicht immer ein Problem, sondern zu viel Angst, mit Freundlichkeit Menschen zu nah an sich heranzulassen. Es war eine gewagte Theorie, schließlich konnte sie dem sonderbaren Mädchen nicht hinter die Stirn schauen, aber es war immerhin eine Theorie, die dazu führte, dass Leén sich im Umgang mit ihr entspannen konnte.

    »Nein«, gab sie zu. »Ich hatte es trotzdem gehofft.« Unglücklich sah sie auf die leidende Kreatur hinab. Wenn sie doch nur mehr hätte helfen können. Die Dinge wären so viel einfacher gewesen, wenn sie in der Lage wäre, ihre Magie voll auszuschöpfen. Leider hatten die wenigen Tage Übung mit der alten Ila nicht ausgereicht, um ihr auch nur eine grobe Ahnung davon zu geben, wozu sie fähig war, und sie würde wohl allein mehr darüber herausfinden müssen. Ila hatte ihr noch ein paar Ratschläge mit auf den Weg gegeben und Leén versuchte, allein zu üben. Inzwischen konnte sie das Licht sicher rufen und sogar in Formen bringen, aber ihr fehlte eine Lehrerin. Nach den Vorfällen in der Stadt waren sie gezwungen gewesen, schnellstmöglich zu gehen, weil die Patrouillen schon wenige Stunden später anfingen, die Häuser nach der verschwundenen Prinzessin zu durchkämmen. Auf dem Weg zum Hafen hatten sie alle ein weiteres Mal festgestellt, wie unschlagbar Machairi in einer Stadt war. Das hatte nicht dazu geführt, dass sie es richtig fand, wie er mit Gwyn verfuhr, aber es hatte ihr auch mehr als deutlich aufgezeigt, dass sie ihn brauchten, um zu überleben. Also waren sie wieder gemeinsam auf einem Boot gelandet.

    »Wenn sich dieser bescheuerte Schlossknacker nur nicht so anstellen würde«, fauchte sie. Offenbar schien es ihr zu helfen, auf alle anderen zu schimpfen, denn das tat sie schon seit sie in See gestochen waren. Es stimmte, Mico war tatsächlich nicht übermäßig hilfsbereit gewesen. Da er Mico war, hatte das Leén nicht weiter überrascht, vor allem, da der gleiche Drache den Magier selbst fast ins Jenseits befördert hätte. Er hatte nur einen Blick auf die Wunde geworfen und verkündet, dass nichts mehr zu retten war. Damit schien die Angelegenheit für ihn erledigt. Es wäre wohl töricht gewesen zu hoffen, dass seine erstaunliche Größe, die er für Gwyn bewiesen hatte, sich hier fortgesetzt hätte.

    Da ihre Kommentare hier weder hilfreich noch erwünscht waren, entschied das Götterkind, lieber zu schweigen. Sie fuhr sich mit den Fingern über ihren Zopf und starrte die hölzernen Wände an, bis sie das Gefühl hatte, dass sie ihr entgegenkamen. Auch Vica ging dazu über zu schweigen und als Leén glaubte, Tränen in den blinden Augen schwimmen zu sehen, nahm sie an, dass die Naturistin in ihrem Kopf mit dem Drachen kommunizierte. Dabei wollte sie nicht stören und so verließ sie die Kajüte.

    Rastlos wanderte sie über das Schiff. Schon seit sie abgelegt hatten, konnte Leén nicht recht zur Ruhe kommen. Alles schien ihr plötzlich so viel bedrohlicher und es gab noch immer zu viele Dinge, die sie nicht verstand, die sie Ila gerne noch in endloseren weiteren Stunden Unterrichts gefragt hätte. Nun war sie auf sich selbst gestellt und fühlte sich ebenso unwissend wie vor ihrer Reise nach Om’falo. Sie wusste natürlich, dass das nicht stimmte. Nicht im Entferntesten. Sie hatte viele Dinge herausgefunden, die sie lieber niemals gewusst hätte, und die Fragen, die nun durch ihren Kopf geisterten, waren ganz andere als in der Wüste. Nur das Thema war das gleiche geblieben. Was hatten ihre Eltern ihr alles verheimlicht? Was konnte sie anfangen mit diesen Fähigkeiten, die so begehrt zu sein schienen? Konnte sie wirklich Gutes damit tun? Wie sollte sie lernen, damit umzugehen und was gab es noch alles zu wissen über ihren Vater, der einst ein Gott gewesen war, und ihre Mutter, die wie ein Medium zu den Göttern gewesen war? Das alles war so abstrus und unglaublich, dass sie sich manchmal an einem anderen Mysterium festzuhalten versuchte: Machairi. Sie verstand diesen Mann nicht. Nicht seine Art, nicht seine Handlungen und nicht seine Vergangenheit. Nichts, was sie über ihn wusste, ergab ein stimmiges Bild.

    Wie schon so oft landete Leén wieder auf dem Hauptdeck und wanderte gedankenverloren die Reling entlang, schaute in die weite Ferne des glitzernden Wassers, das sich in alle Richtungen um sie herum erstreckte, und hing ihren Gedanken nach. Es gab so viele Dinge, über die sie nachdenken wollte und musste, und leider führten ihre Überlegungen viel zu oft ins Nichts. Sie konnte nun einmal nichts daran ändern, dass sie nicht mehr Informationen hatte als die wenigen, die Ila ihr gegeben hatte und die sie selbst gesammelt hatte.

    Seufzend blieb Leén am Heck des Schiffes stehen und starrte auf den Horizont, hinter dem sie Hareth zurückgelassen hatten. Vorher waren sie lange Zeit entlang der Küste gesegelt und sie hatte befürchtet, entdeckt zu werden, aber nichts war geschehen. Sie waren nicht einmal kontrolliert worden. Offenbar war die Crew, die sie samt Schiff angeheuert hatten, um sie sicher ans Ziel zu bringen, bekannt in diesen Gewässern und niemand ahnte, was für gefährliche Menschen sich an Bord befanden.

    »Vermisst du es bereits? Dein Zuhause?«, fragte eine Stimme von hinten und Leén fuhr herum.

    Kurz musterte sie ihr Gegenüber, bevor sie den Kopf senkte. »Nicht direkt«, murmelte sie, wiederholt unentschlossen, wie sie sprechen und sich verhalten sollte, auch wenn sie das bei ihrer letzten kurzen Unterhaltung geklärt hatten. Eine Hose war einfach nicht sinnvoll, um zu knicksen, aber eine Verneigung wäre ihr auch seltsam vorgekommen und eine Anrede wäre ihr auch fremd gewesen. Zum Glück schien das nicht notwendig, denn die junge Dame bestand nicht darauf.

    Koryphelia Laurena Desdori Irenja Paranomo, Prinzessin von Cecilia, Tochter des Königs Thredian Détestes Echtros Paranomo von Cecilia, war ganz und gar unerwartet anders. Leén hatte ein verzogenes, arrogantes, verwöhntes Königsbalg erwartet. Viel gesprochen hatten sie bisher nicht, aber im Grunde wirkte das Mädchen, nun, nett. Sie war ein bisschen jünger als der Rest der Gruppe. Während Leén glaubte, dass sie mit ihren nicht ganz zwanzig Jahren eher eine der Jüngsten war, hatte Koryphelia den Altersschnitt gesenkt. Leén war sich nicht sicher, ob sie älter als fünfzehn war. Sie war nicht mit unendlicher Schönheit gesegnet, aber man sah ihr an, dass man sich stets nur das Beste für ihr Aussehen geleistet hatte. So war ihre Haut rein und gleichmäßig und so hell, dass sie in der Sonne augenblicklich verbrennen musste, und ihre blonden Haare glänzten wie fein gesponnenes Gold. Ihre Erziehung und ihren Status sah man ihr vor allem an der kerzengeraden Haltung an, von der sie nur selten abwich. Leén wollte gar nicht wissen, wie ermüdend kleinlich das Mädchen erzogen worden sein musste. »Es ist ein wirklich schönes Land«, sprach die Prinzessin und trat neben Leén, um ebenfalls auf die Wellen hinauszublicken.

    Die Harethi schmunzelte und musterte die Prinzessin von der Seite. »Ja, das ist es«, stimmte sie dann zu und fragte sich erneut, warum sie sie aus dem Schloss geholt hatten. Inzwischen hatte sie zumindest verstanden, dass das Mädchen hatte gehen wollen, die Frage war nur, warum Machairi ihr geholfen hatte. »Warum … warum wolltet Ihr fort?«, fragte sie deshalb vorsichtig in der Hoffnung, sich nicht in der Anrede zu vergreifen. Die Formalitäten der fremden Sprache fielen ihr noch immer schwer, aber sie glaubte, dass sie richtig lag.

    »Das wollte ich gar nicht. In erster Linie möchte ich nicht mit einem Mann verheiratet werden, den ich noch nie gesehen habe. Ganz sicher nicht, wenn ich damit nur das erste von 42 Puzzleteilen eines Harems werden würde.« Seufzend sah das Mädchen weiter auf den Horizont und hatte Leéns vollstes Verständnis. Obwohl sie aus Hareth stammte, hatte sie einen Harem nie als wünschenswert angesehen, auch nicht den des zukünftigen Sultans. Ihre Eltern hatten einander sehr geliebt und sie wollte lieber eine ähnliche Beziehung auf Augenhöhe führen als Teil einer Gruppe zu werden. »Mir war immer klar, dass ich nicht im eigenen Interesse heiraten würde«, fügte die Prinzessin hinzu und es war bemerkenswert, wie erwachsen das Mädchen schien. »Doch wenn es politische Gründe sein müssen, sollen es wenigstens positive sein.«

    »Prinzessin, warum hat er Euch geholfen?«, fragte Leén weiter und vergrub die Finger im Geflecht ihres Zopfes. Sie verstand, warum das Mädchen fortgewollt hatte, aber sie war noch immer keinen Schritt näher am Gesamtbild. War eine Hochzeit nicht ein Friedensangebot? Wie viel positiver sollten die Gründe denn werden? Andererseits wusste die Prinzessin sicherlich besser, was ihr Vater erreichen wollte, und das war ein Thema, an das Leén sich nicht heranwagte.

    Koryphelia löste den Blick von der klaren Linie des Horizonts und sah Leén aus tiefblauen Augen an. »Bitte nenn mich … Phela oder denk dir irgendeinen Namen für mich aus. Schlimmer als der echte kann es nicht werden.« Sie lächelte. »Und ich nehme an, dass er dir diese Frage sehr viel besser beantworten kann.«

    Überrascht nickte Leén und drehte das Ende des Zopfes um ihren Zeigefinger, während sie nachdachte. Machairi würde nicht mehr verraten, als sie wissen musste, außer sie erwischte ihn in wirklich guter Laune, aber das schien im Grunde ausgeschlossen. Außerdem hatte sie nicht das Bedürfnis, ihm zu nahe zu kommen. Seine kalte Wut auf Gwyn hatte ihr in Erinnerung gerufen, was für ein Mensch er war – falls er denn wirklich ein Mensch war –, und sie schämte sich für die Abende und die Nacht, die sie in seinem Zimmer verbracht hatte, und für die Verlegenheit, in die er sie gebracht hatte. Für einen Moment hatte sie tatsächlich gedacht, Ila könnte recht haben mit ihrer Beobachtung, aber jetzt war der Gedanke so absurd, dass sie sich dafür hätte ohrfeigen können, das jemals in Betracht gezogen zu haben.

    Als sie keine Antwort bekam, schien die Prinzessin sich gezwungen zu sehen, weiterzureden. »Ich habe meine Zofe in den Bienenstock geschickt mit einem Brief und der Bitte, mir zu helfen. Im Gegenzug habe ich eine Gegenleistung seiner Wahl, zum Beispiel Informationen aus dem Schloss, angeboten. Nachdem sie ohne Antwort zurückkam, ging ich davon aus, dass mein Angebot abgelehnt worden war.«

    Das war tatsächlich mehr als interessant. Es erklärte, warum Machairi so genau gewusst hatte, dass der König nach Hareth reiste. Es erklärte auch, weshalb das Mädchen so willig mitgekommen war und gar nicht an Flucht zu denken schien, obwohl sie aus ihrem Zimmer entführt worden war. Was Machairi davon hatte, wurde daraus leider nicht klar. Es war kaum vorstellbar, dass irgendetwas in Kefa vorgehen konnte, von dem Machairi nichts wusste. Wofür brauchte er die Prinzessin also so dringend, dass er für sie vom eigentlichen Ziel abwich? Ursprünglich war die Gruppe schließlich aufgebrochen – so zumindest die Information, die Machairi suggeriert hatte – um ein sehr altes Orakel zu finden. Es sollte in der Lage sein, jede Frage zu beantworten, und seit einiger Zeit folgte die ganze Welt einer Prophezeiung nach Cecilia, um dort nach dem verschollenen Orakel zu suchen. Seit Machairi aber zu Mico gesagt hatte »Ihr hört, was ihr hören wollt«, versuchte sie, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern, den er in den Katakomben unter Kefa verwendet hatte. Leider gelang es ihr nicht, genauso wenig wie an jede andere Unterhaltung mit Machairi. Nur der Sinn seiner Worte hatte sich in ihrem Kopf eingeprägt, nicht aber die genaue Ausdrucksweise und in den wenigen Fällen, in denen sie sich daran erinnerte, wurde sie nicht schlau daraus. Es machte ihr Angst. »Wir werden es ja sehen«, sagte sie schließlich, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie wirklich sehen wollte.

    So standen die beiden Mädchen schweigend beieinander und blickten auf das glitzernde Meer und die unendliche Weite des Horizonts hinaus. Ein Schiff war dort erschienen und zeichnete sich nun hübsch vom blauen Wasser ab. Sie hatten es lange Zeit nicht sehen können, aber nun war es nah genug, dass sie sogar Segel und Masten erkennen konnten und eine Weile später wurde das Rot und Gold der harethschen Flagge sichtbar, die vollkommen überproportioniert am Hauptmast wehte. Fasziniert betrachtete Leén das Schlachtschiff in der Ferne und fragte sich, ob es wohl Kurs nach Cecilia gesetzt hatte. Aber allein? Sie kniff die Augen zusammen und suchte nach weiteren Schiffen. Tatsächlich machte sie in noch viel weiterer Ferne einen zweiten kleinen Punkt aus, der ein Schiff sein konnte, aber es war definitiv keine ganze Flotte, sondern lediglich ein einzelnes Schiff. Was sie wohl vorhatten?

    Die Erkenntnis traf sie viel zu spät und als sie sich panisch zu Phela drehen wollte, bemerkte sie, dass sie allein am Heck stand. Hastig drehte sie sich um. Sie musste jemanden alarmieren, Bescheid sagen. Sie mussten sich verstecken! Aber wie versteckte man sich auf dem offenen Meer? Kaum einen Augenblick später erblickte sie Machairi. Wie üblich komplett in Schwarz bis auf einen einzelnen weißen Handschuh, der ihn als Schatten Kefas auswies, kam er mit Koryphelia auf das Achterdeck und sah ruhig wie immer auf das fremde Schiff, das hinter ihnen größer wurde. Sie fragte sich, ob er es erwartet hatte oder ob er sich nur niemals überraschen ließ. Tatsächlich nahm sie eher Ersteres an. Nicht nur, weil er so unerträglich vorausschauend war, sondern auch weil sie dieses fast selbst erwartet hatte. Nachdem sie durch das Feuer eindeutig aufgefallen waren, war es unumgänglich, dass irgendwann irgendwer die Puzzleteile zusammensetzten würde. Dass die Entführer per Schiff verschwinden würden, hätte sogar sie sich denken können und da es hier um die Sicherheit der Prinzessin ging, war es sicherlich ein unausweichlicher Schritt gewesen, die Arbeiter im Hafen am Fluss bei Om’falo zu fragen, ob eine verdächtige Truppe vorbeigekommen war. Leider hatten ihre Verfolger die Fährte schneller aufgenommen, als sie gehofft hatten. Leén hatte keine Ahnung von Schiffen, aber sie konnte sich gut vorstellen, dass, auch wenn ihr kleines Handelsschiff recht schmal und wendig war, ein Sultan und ein König gemeinsam ein schnelleres Schiff bereitstehen hatten.

    Ganz davon abgesehen wirkte es nicht, als würde der Kapitän des Handelsschiffes alle Möglichkeiten ausschöpfen. Das dreieckige Hauptsegel des kleinen Kahns blähte sich gemütlich allein im Wind und es war geradezu entspannt an Bord zugegangen. Warum hatten sie sich nicht mehr beeilt? Nicht einmal jetzt schien Machairi es besonders eilig zu haben. War es einfach zwecklos, eine Flucht zu versuchen, oder hatte er es gar beabsichtigt, gefunden zu werden? Vorstellbar war es allemal, auch wenn Leén kein guter Grund für einen solchen Wahnsinn einfiel. Denn auch wenn Machairi eine Neigung hatte, das Wahnsinnige zu tun, glaubte sie doch, dass er stets einen guten Grund hatte. Ein kontrollierter Wahnsinn, wenn man so wollte.

    Nachdenklich musterte die Harethi den Schatten von der Seite, seine schwarzen Haare, die klaren Gesichtszüge und die endlos schwarzen Augen, die auf das feindliche Schiff gerichtet waren. Wie konnte er nach all diesen Wochen ein noch größeres Rätsel sein als vor ihrer Abreise? Von all ihren Fragen über ihn hatte sich keine eindeutig beantwortet, aber es war eine ganze Reihe neuer hinzugekommen. Was hätte sie darum gegeben, den legendären Schatten zu verstehen. Sie wollte auf Gedeih und Verderb nicht wissen, was ihm alles durch den Kopf ging, aber die Dinge, in die er sie mit hineinzog, zu verstehen, wäre doch sehr nett gewesen.

    »Hast du etwas zu sagen?« Die klare Melodik seiner Stimme riss sie aus ihren Gedanken und sie fuhr zusammen. Er hatte den Blick nicht von dem Schiff genommen, das hinter ihnen immer größer wurde. Trotzdem fühlte sie sich nicht anders, als wenn er sie mit seinem unerträglich durchdringenden Blick bedachte. Es lag an dem leicht bedrohlichen Unterton und vielleicht auch daran, dass sie noch immer nicht vergessen konnte, wie er mit Gwyn umging.

    Hastig wandte sie den Blick ab und biss sich auf die Lippe. Was sollte er denn denken, wenn sie jetzt nichts sagte und sie damit eingestand, dass sie ihn hauptsächlich anstarrte, weil er so undurchschaubar war? Sie wollte nicht zugeben, dass sie die seltsame Mischung aus Furcht und Bewunderung, die sie in Kefa überall vernommen hatte, selbst noch immer – vielleicht jetzt erst recht – verspürte. »Warum … beeilen wir uns nicht?«, fragte sie schließlich zögerlich, ohne ihn nochmal anzusehen. Irgendwo befürchtete sie, dass niemand mehr sicher war, wenn er Gwyn fortschickte. Andererseits wusste sie, dass er sie noch brauchte und solange sie ihren Zweck nicht erfüllt hatte und keine große Dummheit veranstaltete, musste sie wohl vorerst nicht befürchten, über Bord geworfen oder von einem der sagenumwobenen Messer aufgespießt zu werden. Trotzdem war die Furcht in ihrem Magen sehr real und sie fragte sich, ob er das wusste.

    »Sie haben das schnellere Schiff.« Noch immer blickte er auf das Schiff und klang fast amüsiert, als fände nur er eine ganz besondere Komik in dieser Situation.

    »Und was machen wir, sobald sie uns eingeholt haben?«, wagte sie zu fragen und schielte nun doch wieder in seine Richtung. Es war so unfair, dass er neben seiner Unnahbarkeit und scheinbaren Unfehlbarkeit auch noch gut aussehen musste. Auch wenn Leén inzwischen ahnte, dass er lediglich sehr gut darin war, seine Schwächen zu verbergen, machte seine seltsame Perfektion ihn noch etwas unheimlicher. Die annähernde Freundschaft zwischen ihnen schien mit dem Rauch über Om’falo wieder verpufft … der Rauch, der von zerstörten Häusern und zahllosen verbrannten Körpern aufgestiegen war, die Gwyns Feuer gefressen hatte. Auch das war beängstigend. Wann war die Welt nichts als beängstigend geworden?

    Obwohl sie ihn noch immer nur sehr vorsichtig ansah, konnte sie das Schmunzeln beobachten, dass kurz über seine Mundwinkel zuckte. Ein gefährliches Zeichen. »Hareths Prinzen Hilfe anbieten«, antwortete er und Leén legte die Stirn in Falten. Das war eine seltsame Antwort. Lügen kamen selten von Machairis Lippen. Verbogene Formulierungen, die die falschen Schlüsse nahelegten, waren dagegen scheinbar vertretener, als sie gedacht hätte.

    Die Prinzessin, die sich zuletzt im Hintergrund gehalten hatte, machte nun einen Schritt vor und sah zwischen Leén und Machairi durch auf ihre Verfolger. »Warum glaubst du, dass der Prinz persönlich auf dem Schiff ist? Er war doch nicht einmal in Om’falo.« Eine Spur von Abfälligkeit und vielleicht sogar Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit, obwohl sie sich eindeutig um einen neutralen Tonfall bemühte. Leén fiel außerdem auf, dass auch die Prinzessin sich nicht mehr um Höflichkeiten bemühte.

    »Er wird seine Braut nicht tatenlos einer Handvoll Dieben überlassen.« Er sagte das mit solch einer Sicherheit, dass Leén vermutete, dass er schon wieder mehr wusste als alle anderen. Wieder konnte sie den Gedanken nachvollziehen und zur Abwechslung wäre er ihr vielleicht sogar selbst gekommen. Die zukünftige Braut zurückzubringen war mit Sicherheit eine Aufgabe von zu großer Wichtigkeit, um sie ganz in die Hände einiger Bediensteter zu übergeben.

    Phela antwortete nicht weiter. Sie würde wirklich einen neuen Spitznamen für das Mädchen brauchen. Phela war in der Tat nicht viel besser als Koryphelia. Vielleicht Kory? Falsche Überlegungen, Leén. Die Prinzessin sah mit einem Mal etwas verloren aus, als Machairi endlich den Blick vom Schiff des Prinzen nahm und wortlos das Achterdeck verließ. Vielleicht würde er mit dem Kapitän reden, um ihn auf royale Besucher einzustellen, während die Prinzessin dem Mann entgegensah, dem sie schon entkommen zu sein geglaubt hatte.

    Beinahe reglos standen die beiden Mädchen am Heck und sahen zu, wie die dreieckigen roten Segel hinter ihnen immer größer wurden. Leén kannte Geschichten über Hareths Prinzen, aber keine davon war eine wirklich zuverlässige Quelle. Obwohl man munkelte, dass er geradezu unziemlich viel Zeit mit dem einfachen Volk verbrachte, erschienen die meisten Erzählungen unrealistisch und aus der Luft gegriffen. Der Sultan selbst zeigte sich schon selten genug in der Öffentlichkeit, aber den Prinzen, der die Stellung im militärischen Zentrum Hareths hielt, bekam man eigentlich fast niemals auf Feierlichkeiten oder bei sonstigem Vergnügen zu Gesicht. Stattdessen kümmerte er sich ehrlich um die Belange der Bürger und widmete sich tatsächlich seiner Position an der Spitze des Militärs, die er durchaus als reinen Ehrentitel hätte handhaben können, wie es viele seiner Vorgänger getan hatten. Das einfache Volk hatte eine hohe Meinung vom zukünftigen Sultan und viele würden nicht nachvollziehen können, weshalb die Prinzessin von Cecilia lieber die Flucht mit einer Horde Dieben ergriffen hatte, als ihn zu heiraten. Leén dagegen konnte gut nachvollziehen, dass eine Heirat aus rein politischen Gründen nicht erstrebenswert klang, ganz besonders in eine fremde Kultur. Die Verwirrungen kultureller Unterschiede waren ihr selbst nur zu gut bekannt.

    Leise schlug das Meer gegen den Rumpf ihres Schiffes und der Wind umspielte das Boot in leichten Brisen. Friedlich schien die Sonne auf sie hinab und nichts schien von der Bedrohung zeugen zu wollen, die inzwischen so nah war, dass man erste Menschen an Bord erkennen konnte. Es war so beängstigend ruhig; verräterisch und tückisch schien die Stille zu sein. Ein dunkles Donnergrollen wäre fast angenehmer gewesen. Hätten sie nicht Machairi an Bord gehabt, hätte sie geglaubt, dass sie nun endgültig verloren waren, dass man sie kielholen würde, bevor sie auch nur einen weiteren Sonnenuntergang erlebten. Leider galt es auch im Hinterkopf zu behalten, dass Machairis Vorstellung von einem wünschenswerten Ergebnis nicht unbedingt mit einem guten Ergebnis gleichzusetzen war. Sie erschauderte und trat ein paar Schritte zurück. War es nicht besser unter Deck zu gehen und die ganze Angelegenheit dort auszustehen? Wenn sie versenkt wurden, würde sie von dort nicht rechtzeitig entkommen, aber dann war ihr Leben vermutlich sowieso vorbei. Unschlüssig trat sie auf die Treppe zum Achterdeck zu, wurde aber von einem rothaarigen Mädchen rabiat zur Seite gestoßen, das stürmisch hinaufgestampft kam.

    »Hör auf dich zu beschweren und freu dich mal! Endlich passiert hier mal was Interessantes!«, fauchte die Faust über die Schulter und sprang auf die Reling, um das Verfolgerschiff zu betrachten. Ihre Locken wehten leicht im Wind und gaben den Blick auf ein freudiges Grinsen frei. Sie hatte wohl zu Mico gesprochen und schien sich überhaupt keine Sorgen zu machen, über Bord zu fallen.

    Der große Cecilian hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stand auf dem Hauptdeck, altbekannte Abfälligkeit im Gesicht, die doch in den letzten Tagen immer wieder in den Hintergrund gerückt war. Langsamer stapfte er die Treppe hinauf. »Du kannst nicht einfach in meine Kajüte rennen!« Ärgerlich kam er auf dem Deck zum Stehen und sah grimmig dem Schiff entgegen.

    »Es ist auch meine Kajüte, du Ochse.« Nun mehr amüsiert als patzig sprang die Faust zurück aufs Achterdeck. Der zweite Schatten Kefas an Bord des Schiffes hatte mit Mico den einzigen verfügbaren Kajütenpartner zugewiesen bekommen. Nachdem Gwyn in der Besenkammer schlief, die Prinzessin eine Kajüte für sich bekommen hatte, Leén sich eine Kajüte mit Vica teilte und Machairi wieder mal einen Raum ohne Bett – den Kartenraum – bezogen hatte, war ihnen auch nichts anderes übriggeblieben. Für mehr Kajüten hatte das Schiff keinen Platz. Die Crew war schon in die Lagerräume ausgewichen und es war kein Geheimnis, dass die Seeleute mehr als skeptisch waren, eine so dubiose Truppe an Bord zu haben.

    »Deshalb kannst du trotzdem anklopfen!« Der Anblick des fremden Schiffes schien nicht dazu zu führen, dass sie aufhören wollten zu streiten.

    »Du könntest abschließen.« Vollkommen unbeeindruckt baute sich Gina vor Mico auf und sah ihm gerade ins Gesicht, auch wenn sie dafür hochschauen musste. Sie war dafür bekannt, dass sie streitsüchtig war, und auch dafür, dass sie es liebend gern – und üblicherweise sehr erfolgreich – mit ausgewachsenen Männern aufnahm.

    »Es war abgeschlossen.«

    »Du bist ein magischer Schlossknacker, ich bin mir sicher, dass du das besser kannst.« Sie hob bei dem Wort magisch beide Hände direkt vor Micos Gesicht und bewegte die Finger einzeln auf und ab.

    »Bei allen Göttern. Ich wollte mich umziehen, nicht den Eingang zu einer Schatzkammer verschließen.« Der Magier schlug die Hände der Faust zur Seite und kassierte dafür beinahe einen heftigen Schlag. Das Mädchen hielt nur gerade noch inne, als Machairi neben ihnen auftauchte und sie so eisig strafend ansah, dass selbst die Faust klein beigab.

    Leén hatte nicht gehört, wie er die Treppe hinaufgekommen war, und die veränderte Stimmung hatte sie bei all der ohnehin herrschenden Anspannung nicht bewusst wahrgenommen. Immerhin legten die beiden Cecilian nun ihren lächerlichen Streit bei und machten einen Schritt voneinander fort. Sie harmonierten wahrlich nicht miteinander. Mico mit seiner Überheblichkeit und seinem Griesgram und die streitsüchtige, stolze Faust waren definitiv eine unkluge Mischung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Allerdings hatte sie das gleiche auch immer über Vica und Mico gedacht und bisher hatten sie die Reise überstanden, ohne sich gegenseitig nennenswerten Schaden zuzufügen. Der Einfluss des Schattens war mal wieder bemerkenswert, selbst auf die Faust, die sich schon aus Prinzip von nichts und niemandem etwas sagen ließ. Sie alle kamen nicht um das Gefühl, das Leén schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen gespürt hatte: Das unangenehme Verlangen, ihn auf keinen Fall zu verärgern und lieber den eigenen Stolz hintenanzustellen. Obwohl es eine sehr eindeutige Beobachtung war und es nahezu erniedrigend werden konnte, wenn man wie Gwyn lieber auf Knien um Vergebung bitten wollte, als sich einer weiteren Auseinandersetzung zu stellen, war es der Harethi bisher nicht gelungen, genau zu sagen, woher dieser Effekt rührte.

    Der Schatten trat an die Reling und sah auf das nahe Schiff. Der Wind trug Stimmen, aufgeregtes Rufen, über das Wasser an ihr Ohr. Noch waren sie nicht in Reichweite, um sie unter Beschuss zu nehmen, und vermutlich würden sie erst die Herausgabe der Prinzessin verlangen, bevor sie das kleine Schiff den Fluten überantworteten. Trotzdem erwartete Leén – und sie war sich sicher, dass die meisten anderen von einer ähnlichen Angst ergriffen waren – jeden Moment eine Kanonenkugel neben sich einschlagen zu spüren. Der Steuermann, der sichtlich sein bestes gab, sich nicht ständig umzudrehen, hatte die Finger viel stärker um das Steuer geklammert als nötig gewesen wäre. Seine Knöchel traten weiß hervor und er zitterte. Auch der Rest der Crew war in verdächtige Stille verfallen, nur der Kapitän war nirgends zu sehen. Vielleicht gab es eine Absprache mit Machairi, vielleicht wusste er aber auch noch nicht einmal von dem Ärger, der ihnen bevorstand. Gerade als sie Mico danach fragen wollte, weil sie sich nicht traute, Machairi in seinem … Schauen zu unterbrechen, trat ein Mann an Deck, den sie als den Kapitän erkannte.

    Der leicht untersetzte Mann war sichtlich mehr ein Händler als ein Seebär. Sie fuhren unter Harethiflagge in den felsigen Gewässern nahe der Küste, die jeder mit einem größeren Schiff und ein wenig Verstand weitläufig umfuhr. Riffe und Felsformationen waren überall an der Küste verteilt und die Legenden erzählten sogar von Seemonstern, die sich von Zeit zu Zeit ins flachere Wasser der küstennahen Regionen verirrten. In solchen Umständen kannte der mittelalte Mann sich aus. Auf dem offenen Meer war er nicht häufig unterwegs und wenn man es genau nahm, war das Schiff nicht dafür gemacht. Ganz davon abgesehen wurde er sonst nicht von einem königlichen Schiff verfolgt und hatte keine so bedeutenden Gäste an Bord, Gäste, die ihn – sollte der Prinz sie einholen und ihrer Verbrechen überführen – mit Sicherheit mehr als nur sein Schiff kosten würden. Trotzdem hatte er sie mitgenommen. Noch ein Rätsel, das Leén nicht lösen konnte.

    Gespenstisch still war es an Bord, während der Kapitän auf das Achterdeck trat und nun ebenfalls einen Blick auf das Verfolgerschiff warf. Wenn man genau hinsah, konnte man die Angst erkennen, die den Mann ergriff. Nach außen blieb er jedoch erstaunlich ruhig. »Es gibt ein Lösung für diese Problem, ja?«, fragte er schließlich in nicht gerade akzentfreiem Cizethi.

    »Mach das Schiff bereit, schnell und leise fortzusegeln«, antwortete Machairi ruhig und durch die weißbehandschuhte Hand drehte sich ein silbernes Messer. Der Kapitän malmte mit dem Kiefer, nickte aber, als sei ihm der Gedanke, einem anderen das Kommando zu überlassen, äußerst unangenehm.

    »Wir erwarten Zeichen«, presste er hervor und entfernte sich, um mit seiner Mannschaft zu reden. Scheinbar vertraute er immerhin darauf, dass der Schatten wusste, was er tat.

    Machairi drehte sich zu der kleinen Gruppe an Deck und kurz glaubte Leén zu sehen, dass die schwarzen Augen nach etwas suchten. »Mico«, sagte er schließlich und Leén fragte sich, ob er vielleicht unwillkürlich nach Gwyn Ausschau gehalten hatte. »Bring die Prinzessin unter Deck.«

    Auch Mico schien zu merken, dass er die Aufgabe bekam, die normalerweise Gwyn zufiel. Seufzend nickte er jedoch, deutete eine kleine Verneigung in Korys Richtung an und deutete auf die Treppe zum Hauptdeck. Die Prinzessin hingegen sah nicht gewillt aus, so einfach nachzugeben. »Danke, aber ich glaube, ich fühle mich an Deck wohler«, verkündete sie verbindlich und lächelte leicht, während sie fest Machairi ansah. War das etwa Abenteuerlust, die da in ihren Augen blitzte? Reichlich unvernünftig, wenn man bedachte, dass das fremde Schiff nach ihr suchte. Der Schatten machte sich nicht die Mühe, sich zu wiederholen. Er erwiderte ihren herausfordernden Blick mit seiner Kälte, bis das jüngere Mädchen aufgab. »Andererseits ist es wohl besser, wenn ich nicht zu sehen bin. Nicht, dass er wüsste, wie ich aussehe, aber man kann ja nie vorsichtig genug sein«, fügte sie schließlich hinzu, nahm mit einem gezwungenen Lächeln die Aufforderung an und ließ sich hinab in den Schiffsbauch führen.

    »Was nun?«, fragte Grothia interessiert und zupfte ihren eigenen weißen Handschuh zurecht. Sie war für alles bereit. Das Gleiche konnte man von Leén leider nicht sagen. Sie hatte das seltsame Gefühl, dass irgendetwas an dieser Situation nicht stimmte. Nicht nur, dass sie plötzlich allein mit zwei Schatten auf dem Achterdeck stand, es schien auch eine ganz neue Form von Gefahr in der Luft zu liegen. Sie wusste, dass Machairi einen Plan hatte, aber ob dieser Plan ihr gefallen würde, war eine ganz andere Frage. Die Tatsache, dass er sie nicht weggeschickt hatte, legte doch die Vermutung nahe, dass er sie hier haben wollte, und das konnte nichts Gutes bedeuten. Sie hatte keine Lust, erneut als Werkzeug verwendet zu werden.

    Die nächsten Minuten verstrichen in nervenaufreibender Ruhe. Entspannt stand Machairi am Heck des Schiffes nahe der Reling und schien darauf zu warten, dass das Schiff des Sultans sie erreichte. Es war kaum größer als ihr eigenes, hatte aber wesentlich mehr Tuch gesetzt und war besser bewaffnet. Soweit Leén das sehen konnte, hatten sie selbst nur eine einzige kleine Kanone und das andere Schiff … nun, sie dachte lieber nicht darüber nach, wie viel Feuerkraft sich hinter dem Rumpf verbarg. Außerdem fiel ihr Blick nun erneut auf den Horizont, weil sie sich erinnerte, ein weiteres Schiff gesehen zu haben. Tatsächlich zeichneten sich nun weiße Segel sehr deutlich in der Ferne ab. Ganz offensichtlich waren jene Verfolger wesentlich langsamer, aber auch viel größer. Es hatte die klassischen viereckigen Segel, wie sie in Cecilia zumeist verwendet wurden und hielt ihnen stetig nach. Vor ihnen konnte man mit Sicherheit davonsegeln, wenn man auf einem so viel wendigeren und leichteren Schiff war, denn schließlich war das cecilianische Schiff wohl eher für die Hochzeit als für eine Verfolgungsjagd nach Hareth gekommen. Das änderte aber nichts daran, dass Hareths Verfolgerschiff sie nun erreichte.

    Leén hielt sich bewusst im Hintergrund. Sie wich ganz an die Backbordseite zurück und beobachtete, wie das rotbesegelte Boot langsamer wurde und zu ihnen aufschloss. Vorne am Bug des Schiffes stand ein junger Mann. Seine dunklen Locken kräuselten sich in seiner Stirn und er stand aufrecht, in würdevoller Pose. Obwohl seine Gesichtszüge dennoch von einer gewissen Freundlichkeit zeugten, sah er dem Handelsschiff mit ruhigem Ernst entgegen und es bestand kein Zweifel, dass dieser Mann ein zukünftiger Sultan war. Eigentlich sah er genau so aus, wie Leén ihn sich vorgestellt hatte. Er schien sich zu Recht überlegen zu fühlen und dank der Wachen links und rechts von ihm und dem Rot und Gold seiner Kleider wirkte er trotz mangelnder Bedrohlichkeit einschüchternd. Prinz Zedian war ein würdiger Kontrahent zu Machairi, der den Blick seines Verfolgers vermutlich eiskalt erwiderte. Genau konnte Leén das von ihrer Position nicht sagen, weil der Schatten mit dem Rücken zu ihr stand.

    Das Schiff des Sultans wurde langsamer und sie segelten so nebeneinander, dass die beiden Männer sich gerade ansehen konnten und möglichst wenig Abstand zwischen ihnen war. Kurz fragte sich das Harethimädchen, ob sie wohl für den Schatten übersetzen musste. Das wäre in dieser Situation sicherlich noch unangenehmer als sonst, aber sie wurde von ihren Befürchtungen erlöst, als der Prinz das kurze Schweigen durchbrach und Machairi ansprach. »Ich sehe: Die Gerüchte sind wahr. Gebt mir meine Braut zurück und niemand muss zu Schaden kommen.« Eine Spur des typischen Harethiakzents schwang in seinem Cizethi mit, aber man merkte, dass der junge Mann eine hervorragende Ausbildung genossen hatte. Nur wenig holperte er über die harten Konsonanten und die fremde Betonung und Leén hätte es selbst kaum besser gekonnt. Nach Wochen in Kefa und in der Gesellschaft vieler Cecilian war ihr Cizethi inzwischen beinahe akzentfrei, aber sie hatte schließlich schon mit ihren Eltern beide Sprachen gesprochen.

    Gina lehnte sich an das Geländer, das verhinderte, dass man allzu leicht vom Achterdeck fiel, und grinste. »Direkt zum Punkt… und da heißt es immer, die Südländer würden so gerne plaudern«, sinnierte sie und seufzte theatralisch. Erschrocken starrte Leén sie an und konnte nicht glauben, wie unverschämt dieses Mädchen war. Warum hatte scheinbar kein einziger Schatten irgendeine Grenze in seiner Respektlosigkeit? Machairi schnitt der Faust mit einer Geste das Wort ab, als sie Luft holte, um etwas sicherlich Impertinentes rüber zu dem anderen Schiff zu brüllen.

    Der Prinz hatte die Augenbrauen leicht zusammengezogen, ließ sich aber weiterhin keine vermehrte Wut anmerken. Er wandte sich nur wieder Machairi zu und wiederholte. »Meine Braut.« Fest sah er zu ihrem Schiff hinüber, während er seine Forderung aussprach. »Sie sollte keine Gefangene sein.«

    »Ich halte keine Gefangenen«, antwortete Machairi ruhig und selbst auf die Entfernung konnte man dem Prinzen einen Hauch von Überraschung ansehen. Vielleicht waren es nicht die Worte, die ihn überraschten, sondern vielmehr die Stimme des Schattens, die so unerwartet melodisch und klar war.

    Nun schmunzelte Hareths Prinz und hob die Augenbrauen. »Und ich nehme an, dass ich das einfach glauben soll. Auf Euer Wort als Dieb?«, erkundigte er sich und schüttelte den Kopf.

    »Nichts spricht dagegen, dass sich der Skeptiker umsieht«, antwortete der Schatten und Leén fragte sich, ob er sich so verdreht ausdrückte, um eine Anrede zu vermeiden, oder ob er noch etwas anderes damit aussagen wollte. Sie betrachtete das Messer, das sich schneller und schneller durch die weißen Finger drehte. Noch immer war sich das Mädchen nicht sicher, ob das vielleicht ein Ausdruck von Nervosität war. Ganz davon abgesehen fragte sie sich, ob er den Prinzen wirklich an Bord kommen lassen würde. Es wirkte doch eher wie das Letzte, was sie wollen konnten, oder nicht?

    »Ein Angebot, das ich gern annehmen würde, wären nicht ein solch berüchtigtes Messer und ein sehr schmaler Steg zwischen uns«, bemerkte der Prinz, während tatsächlich jemand eine Planke herantrug, und musterte die tanzende Klinge in dem weißen Handschuh. Leén fand, dass das nach einer berechtigten Sorge klang, aber Grothia ließ ein Schnauben hören.

    Machairi schmunzelte. »Wenn das das Problem sein soll …« Es sah aus, als verliere der Schatten die Kontrolle über die Klinge. Das Messer fiel ihm aus der Hand, schlug einmal auf der Reling auf und platschte dann leise ins Meer. Erneut war Leén überrascht. Gwyn hatte ihr einst gesagt, dass der Schatten gut auf seine Messer achtete. Der Feuerspucker war geradezu entsetzt gewesen, als Machairi ihr eine Klinge übergeben hatte, um sich besser verteidigen zu können (worin sie sich nicht besonders gut angestellt hatte). Wieso würde er eine Klinge über Bord fallen lassen? Sicher musste doch auch einem Harethiprinzen klar sein, dass der Messerdämon mehr als ein Messer trug. Vielleicht war es jedoch auch die Geste, die zählte, denn der Schatten setzte hinzu: »Die Zeiten, da ein toter Prinz eine sinnvolle Lösung wäre, sind vorüber.«

    Prüfend musterte der Prinz sein Gegenüber, während einer seiner Diener ihm mit besorgtem Blick etwas zuraunte und der Steg zu ihnen herübergelegt wurde. Leén sah, wie ihr eigener Kapitän ihnen einen alarmierten Blick zuwarf und der Steuermann umklammerte das Rad nun so fest, dass man Angst haben musste, er könnte es unter seinen Fingern zerbrechen. Mit der gleichen Ruhe wie auch sonst immer ging der Schatten mit fließenden Bewegungen die Treppe zum Hauptdeck hinab und erwartete die Gäste jenseits der Planke.

    Leén konnte nicht sagen, was Prinz Zedian veranlasste, auf diesen Vorschlag einzugehen, warum er nicht mit aller Gewalt entern ließ, um ihnen die Prinzessin zu entreißen. Doch der Prinz trat an die Reling, ohne weitere Bedenken zu äußern.

    Ein uniformierter Vartija betrat den Überweg als Erster, den Blick skeptisch auf den Schatten gerichtet und die Hand fest um ein Schwert geschlossen. Jeder Soldat auf dem anderen Schiff schien angespannt und als der Prinz selbst den Steg hinter seinem Soldaten betrat, wurde die Stille so vollkommen, dass man die Anspannung fast in der Luft surren hören konnte. So entging niemandem das erste Grollen, das aus den Tiefen des Wassers erklang. Die Schiffe erbebten und das Wasser schien zu brodeln. Die Besatzung beider Schiffe klammerte sich fest an dem erstbesten Halt, den sie fanden, und Schreck, Überraschung und Angst lösten die Anspannung ab. Ein Messer schoss aus der Tiefe hervor wie aus einem Kanonenrohr und mit einer Sicherheit, die nur jemand haben konnte, der genau das erwartet hatte, fing Machairi es aus der Luft.

    Dann geschah alles auf einmal. Die zuvor ruhige Meeresdecke brach und Machairi gab dem Kapitän ein Zeichen. Der Steg, auf dem der Prinz noch immer stand, barst, als ein gewaltiger Fangarm den Soldaten anrempelte und ihn hinabstürzte in die blaue Unendlichkeit des Wassers. Türkise Tentakel schossen aus der Tiefe hervor, wanden sich in die Luft und Leén sah den Prinzen fallen. Machairi fing den jungen Mann am Kragen auf und zerrte ihn mit nur einer Bewegung an Bord. Indes hatte der Kapitän es geschafft, seine schreckstarre

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