Irrlicht 63 – Mystikroman: Phantom in Rot
Von Kathrin Luny
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Janes Augen waren geschlossen, aber ihr Oberkörper schaukelte in einer wiegenden Bewegung hin und her. Ihre Lippen formten unhörbare Worte, bis es plötzlich mit fremder Stimme aus ihr herausbrach: »Verbrannt, man hat mich verbrannt in meinem roten Kleid… ich bin verdammt und kann nicht sterben… Ruhe… Hilfe… wer hilft mir zur ewigen Ruhe.« Bei den letzten Worten, die schrill und grausig durch den Raum hallten, wurde die Bewegung des Tisches so heftig, daß Lucinda vor Schreck die Augen aufriß und die Platte losließ. Sie sah einen Schemen an der Wand entlang gleiten, den Umriß einer weiblichen Gestalt. Ihr schien als trüge diese Gestalt ein wehendes rotes Gewand. Bittend streckte sie die Hände nach den jungen Frauen aus, ehe sie sich in Nichts auflöste… Wieder schrie das Käuzchen vor dem Fenster. »Tut mir leid, Mrs. Bell, das Medikament ist noch nicht da. Aber die Nachmittagslieferung kommt gegen vier Uhr. Vielleicht schauen Sie später noch einmal herein.« Die alte Dame murmelte etwas und kramte in ihrer Tasche. Dann reichte sie Lucinda einen Zettel. »Gut – wenn es Ihnen lieber ist, rufe ich Sie an; dann können Sie jemanden vorbeischicken. Nein, ich vergesse es bestimmt nicht, Mrs. Bell… Ja, ich weiß auch, daß wir Vollmond haben und Sie nicht schlafen können«, setzte die junge Frau geduldig hinzu. Immer noch murmelnd und schwer auf ihren Stock gestützt, wandte sich die alte Dame zum Gehen. Lucinda atmete auf. Uff, das wäre geschafft. Hoffentlich die letzte Kundin, dann könnte sie die Apotheke über Mittag schließen und drüben im Tea-room wenigstens ein Sandwich essen.
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Irrlicht - Neue Edition
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Buchvorschau
Irrlicht 63 – Mystikroman - Kathrin Luny
Irrlicht
– 63 –
Phantom in Rot
Eine Geistfrau hält ihre Nachwelt in Atem
Kathrin Luny
Janes Augen waren geschlossen, aber ihr Oberkörper schaukelte in einer wiegenden Bewegung hin und her. Ihre Lippen formten unhörbare Worte, bis es plötzlich mit fremder Stimme aus ihr herausbrach: »Verbrannt, man hat mich verbrannt in meinem roten Kleid… ich bin verdammt und kann nicht sterben… Ruhe… Hilfe… wer hilft mir zur ewigen Ruhe.« Bei den letzten Worten, die schrill und grausig durch den Raum hallten, wurde die Bewegung des Tisches so heftig, daß Lucinda vor Schreck die Augen aufriß und die Platte losließ. Sie sah einen Schemen an der Wand entlang gleiten, den Umriß einer weiblichen Gestalt. Ihr schien als trüge diese Gestalt ein wehendes rotes Gewand. Bittend streckte sie die Hände nach den jungen Frauen aus, ehe sie sich in Nichts auflöste… Wieder schrie das Käuzchen vor dem Fenster.
»Tut mir leid, Mrs. Bell, das Medikament ist noch nicht da. Aber die Nachmittagslieferung kommt gegen vier Uhr. Vielleicht schauen Sie später noch einmal herein.«
Die alte Dame murmelte etwas und kramte in ihrer Tasche. Dann reichte sie Lucinda einen Zettel.
»Gut – wenn es Ihnen lieber ist, rufe ich Sie an; dann können Sie jemanden vorbeischicken. Nein, ich vergesse es bestimmt nicht, Mrs. Bell… Ja, ich weiß auch, daß wir Vollmond haben und Sie nicht schlafen können«, setzte die junge Frau geduldig hinzu.
Immer noch murmelnd und schwer auf ihren Stock gestützt, wandte sich die alte Dame zum Gehen.
Lucinda atmete auf. Uff, das wäre geschafft. Hoffentlich die letzte Kundin, dann könnte sie die Apotheke über Mittag schließen und drüben im Tea-room wenigstens ein Sandwich essen. Zum Glück war Matthew am Nachmittag zurück. So ganz allein im Geschäft zu sein, bedeutete doch eine Menge Streß, wenn man allen Kunden und ihren Wünschen gerecht werden wollte.
Sie ging nach hinten, um den Kittel auszuziehen und ihre Tasche zu holen. Da klingelte wieder die Türglocke.
»Nein, nicht noch jemand – ich habe meine Mittagspause wirklich verdient«, seufzte Lucinda und trat in den Laden.
»Maud«, rief sie überrascht, »du bist schon zurück?«
Stürmisch umarmte sie die Freundin. »Laß dich mal anschauen – gut siehst du aus! Schickes Kostüm – neue Frisur! Wirklich topp!« Bewundernd trat sie einen Schritt zurück. »Alles aus London? Oder warst du auch in Paris oder gar in Hongkong?«
Maud Livingston lachte mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme. »Du läßt mich ja gar nicht zu Wort kommen, Darling – so viele Fragen auf einmal. Wollen wir etwas essen gehen? Dann erzähle ich dir alles.«
Fröhlich plaudernd saßen die beiden jungen Frauen einige Zeit später im bewachsenen Innenhof des kleinen Cafés.
»Das ist ja unglaublich spannend«, meinte Lucinda, »ihr habt bei diesen spiritistischen Sitzungen wirklich Kontakt zu Geistern gehabt? Und das war kein billiger Trick mit dem Gläserrücken?«
»Ganz bestimmt nicht«, versicherte Maud, »du kannst dich selbst davon überzeugen. Darum bin ich auch gekommen. Ich wollte dich nämlich für heute abend einladen. Die Zeit ist günstig. Bei Vollmond öffnen sich die Seelen der Geister besonders bereitwillig. Um Mitternacht, in dem alten Kabinett hinter dem Rittersaal, ich muß unbedingt die neue Technik ausprobieren, die ich in London gelernt habe. Hast du Zeit oder bist du mit Bastian verabredet?«
»Nein, ich habe Zeit – eigentlich wollte ich ins Kino gehen, aber das ist nicht so wichtig. Bastian arbeitet sowieso. Er sucht wieder einmal nach schlagkräftigen Beweisen für seine neue Theorie über den Steinkreis in Stonehenge – du weißt ja, wie ehrgeizig er ist. Er möchte unbedingt etwas Einmaliges finden, um der Fachwelt zu imponieren und bekannt zu werden.«
Maud lachte. »Will er seinen Urgroßvater Alan Rochester in den Schatten stellen? Das dürfte ihm schwer fallen. Schließlich sind dessen Erfolge in der Mayaforschung einmalig.«
»Ich glaube, er leidet unter diesem berühmten Vorfahr«, meinte Lucinda nachdenklich, »manchmal tut er mir fast ein bißchen leid; er arbeitet so verbissen – aber bisher leider ohne den gewünschten Erfolg.«
Sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ach du liebe Zeit – nun aber schnell… ich müßte längst wieder in der Apotheke sein.«
Lucinda stand auf und nahm ihre Sachen. »Bezahlst du für mich mit? Ich kann leider nicht so lange warten. Nächstes Mal lade ich dich ein.«
»O.k. Mach dir darüber keine Sorgen. Denk an heute abend. Gegen Mitternacht«, rief Maud der Freundin nach, die sich am Ausgang noch einmal umwandte und winkte.
Maud hatte Zeit und bestellte sich noch einen Creamtea. Es war angenehm an diesem idyllischen Ort in der warmen Spätsommersonne zu sitzen und ein bißchen zu träumen.
Wie gut, daß ich nicht zu arbeiten brauche, dachte sie und schickte ihren Eltern in Gedanken ein kleines Dankeschön. Nach ihrem viel zu frühen Tod vor fünf Jahren hatte sie den großen Besitz geerbt und zum Glück auch das nötige Kapital, um ihn zu erhalten.
So blieb ihr neben der Verwaltung ihrer Güter und Aktien genügend Zeit, um sich ausgiebig mit ihren Interessen zu beschäftigen: Die Esoterik gehörte dazu. Schon von früher Jugend an interessierte sie sich für alles, was mit dem Jenseits, paranormalen Erscheinungen und Geistern zu tun hatte.
Vielleicht nicht sehr außergewöhnlich, wenn man auf einem Schloß lebt, das noch aus normannischer Zeit stammt und allerlei Hausgeister beherbergt, dachte Maud und mußte innerlich schmunzeln.
Einige Male in der Woche veranstaltete sie aus Spaß für die zahlreichen Touristen Führungen durch die offiziellen Räume der alten Festung. Geschichten über Spukerscheinungen waren dabei besonders beliebt.
Schließlich rief sie doch die freundliche junge Kellnerin, um zu zahlen. Dann schlenderte sie gemütlich die malerische High Street des alten Städtchens Dunster hinauf und freute sich an den schmucken Häusern mit ihren historischen Fassaden und den freundlichen Grüßen alter Bekannter.
»Hallo, Miss Maud! Wieder im Lande? Schön, Sie zu sehen!« hörte die junge Frau mehr als einmal. Mit einem fröhlichen »Hi« erwiderte sie die Grüße und erkundigte sich auch ab und zu nach Wohlergehen und Familienmitgliedern der vertrauten Bewohner.
Nach der langen Abwesenheit war es schön, wieder zu Hause zu sein: Zu Hause bedeutete für Maud, dorthin zurückzukehren, wo ihre Familie schon seit Jahrhunderten wurzelte.
Als sie schließlich oben auf dem Berg durch das alte Torhaus in den geräumigen Schloßhof trat, betrachtete sie – wie immer – voller Stolz die mächtigen Mauern.
Plötzlich mußte sie wieder an Lucinda denken, die Freundin, die sie seit vielen Jahren kannte und die sich so brennend für die Geschichte von Dunster Castle interessierte.
Wie oft hatte sie im Spaß vorgeschlagen, mit Maud zu tauschen, wenn diese wieder einmal über die nie endenden Reparaturarbeiten des alten Gemäuers stöhnte.
»Schenk es mir«, lachte sie dann, »du weißt, daß ich für mein Leben gern ein Burgfräulein wäre; und mit den Geistern von Dunster Castle käme ich bestimmt zurecht.«
Maud erinnerte sich noch genau an den Tag, als Lucinda, zartgliedrig und klein, aber mit einem entschlossen hochgereckten Kinn in die Klasse trat… es mußte im vierten Schuljahr gewesen sein. Alle hatten gekichert und die Neue kritisch