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Mörderisches Glück
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eBook305 Seiten3 Stunden

Mörderisches Glück

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Über dieses E-Book

Eine rüstige Londoner Rentnerin gewinnt gegen alle Wahrscheinlichkeiten mehrfach im Lotto und nutzt die Gelegenheit, den Schwachen zu helfen. Da sie dies nicht im Stillen tut, weckt das Begehrlichkeiten. Ihr Leben wird völlig auf den Kopf gestellt und sie gerät in akute Lebensgefahr. Gleichzeitig findet sie noch einmal die Liebe ihres Lebens, ohne die vielleicht alles ganz anders gekommen wäre.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum15. Jan. 2015
ISBN9783944972107
Mörderisches Glück

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    Buchvorschau

    Mörderisches Glück - Dirk Paulsen

    Cover

    Dirk Paulsen

    Mörderisches Glück

    Roman

    Titelblatt

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    © wesText-Verlag, Hückelhoven (NRW) 2014

    Alle Rechte vorbehalten

    www.westext.de

    Paulsen, Dirk: Mörderisches Glück

    2. Auflage

    Gestaltung und Texte: Dirk Paulsen

    Cover: © UlinneDesign, 48485 Neuenkirchen

    Bildmaterial von www.morguefile.com

    ISBN 978-3-944972-10-7

    Die Buchausgabe ist erhältlich unter der ISBN 978-3-944972-09-1

    E-Book Distribution: XinXii

     www.xinxii.com

    logo_xinxii

    wesText-Verlag • Am Steinacker 38 • 41836 Hückelhoven

    Telefon: 02433 / 91 99 98 0 • Telefax: 02433 / 91 99 97 6

    Internet: www.westext.de • E-Mail: kontakt@westext.de

    Bibliografische Information

    Inhaltsverzeichnis

    1 - Mit Herz und Verstand

    2 - Spikes

    3 - Der Traum

    4 - Ehrensache

    5 - Entdeckung

    6 - Das erste Spiel

    7 - Ein neuer Freund

    8 - Tue Gutes

    9 - Das Gesetz der Serie

    10 - Gute Geschäfte

    11 - Die Mühlen des Systems

    12 - Fünf ist keine Glückszahl

    13 – Die Messer gewetzt

    14 - Gegenspiel

    15 - Rückzug

    16 - Neues Spiel - neues Glück

    17 - Süß wie Honig

    18 - Zuschlag

    19 - Aktenkundig

    20 - Alles neu

    21 - Lorbeeren

    22 - Luft

    23 - Wut

    24 - Wer Gutes tut ...

    25 - Drohung

    26 - Bitte nicht stören

    27 - Glück im Unglück

    28 - Ein Fehler

    29 - Papier ist geduldig

    30 - Manipulationen

    31 - Nur keine Schadenfreude

    32 - Befreit und doch gefangen

    33 - Geständnis

    34 - Kampfkunst

    35 - Schwarz

    36 - Blinder Hass

    37 - Digitaler Suizid

    38 - Überraschung

    39 - Storno

    40 - Lohn

    41 - Hohe Zeit

    Epilog

    1 - Mit Herz und Verstand

    Es war ein sonniger Morgen an diesem zwanzigsten Mai 2011 und die Londoner Innenstadt brummte wie ein gut gelaunter Bienenschwarm. Die Besitzerin des Ladens, Heather Warlington, stand Tag für Tag hinter dem Tresen. Sie hatte das Geschäft von ihrem Vater geerbt. Aber auch so kam in Zeiten von Shopping-Malls und Webshops nicht mehr genug in die Kasse, um den Laden für die Kunden attraktiv zu machen. Und das sah man an allen Ecken und Enden. An der Regalwand war der Putz tellergroß von der Wand gefallen, die Deckenbeleuchtung bestand aus einfachen Neonröhren mit dem Charme einer Bahnhofstoilette. Aber Heather versuchte nach besten Kräften, die Schäden zu kaschieren. Mit einem Rest der Wandfarbe hatte sie die defekte Stelle im Putz wenigstens überpinselt – man sah es zwar sofort, aber es wirkte weniger unansehnlich. Mit allen Tricks hinderte sie die Dichtung der Kühltheke daran, zu zerfallen, aber irgendwann würde das nicht mehr funktionieren. Heather war trotz solcher Schwierigkeiten immer sehr sauber. Man hätte bei ihr vom Boden essen können – wenn dieser noch überall intakt gewesen wäre. Aber die abwechselnd weißen und schwarzen Fliesen waren teilweise gebrochen und die vielen defekten Fugen machten den desolaten Eindruck perfekt. Heather versuchte, diese Unzulänglichkeiten auszugleichen, indem sie sich intensiv um jeden Kunden bemühte und immer freundlich war, was ihr auch nicht schwerfiel. Manchmal betrat ein Mitmensch, der wenig gut riechend unter einer Brücke nächtigte, ihren Laden. Dem steckte sie etwas Essbares zu oder vergaß das Kassieren bestimmter Waren. Nun stand Heather noch immer an der Kasse und schaute Maude nach, die soeben den Verkaufsraum verlassen hatte und vor dem Schaufenster stehen blieb. Mit einer zierlichen Handbewegung rückte sie den leichten Sommerhut mit Netz zurecht. Sie legte den Kopf ein wenig in den Nacken, sodass die Frühlingssonne sie an der Nase kitzeln konnte. Sie schloss die Augen und sog die Luft tief ein. So muss Frühling riechen, dachte Maude. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf ihre Züge und mit kleinen, aber festen Schritten machte sie sich auf den Nachhauseweg. Es waren ja nur etwa hundertfünfzig Meter bis zu ihrer Wohnung. Die lag im obersten Stockwerk eines Hauses, das eigentlich nicht direkt auf der Old Compton Street lag, sondern in einem den winzigen Park umschließenden Wohnkomplex. Sie hatte wegen der auf dieser Seite fehlenden Bebauung einen wunderbaren Ausblick auf die dreizehn Bäume und durch sie hindurch auf die Winnett Street. Linker Hand schaute sie auf die Rückseite des Shaftesbury Piccadilly Hotels, dessen Front auf der gleichnamigen Avenue lag. Und obwohl das Zentrum und Piccadilly Circus nur gute zehn Gehminuten entfernt waren, bezahlte Maude Shelton für ihre kleine Penthousewohnung einen ausgesprochen fairen Preis. Der Vermieter, ein immer schwitzender, dicker Mensch, hatte an ihr offenbar einen Narren gefressen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Soho, das berüchtigte Stadtviertel mit Shops und Bars der besonderen Sorte, nicht allzu weit entfernt war. Wie dem auch sei, sie konnte sich die Wohnung leisten. Überhaupt ging es ihr nicht schlecht. Sie lebte allein. Ihr Mann Reginald war vor über zehn Jahren gestorben und hatte ihr eine respektable Rente hinterlassen.

    Sie betrat den Hausflur und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Als sie die Wohnungstür aufschloss, schallte ihr schon das fröhliche Gezwitscher ihres Kanarienvogels Henry entgegen, der eigentlich „Henry II." hieß. Maude hängte Mantel und Hut an die Garderobe und brachte ihre Einkäufe in die Küche. Sie trug einen hellen Hosenanzug, der elegant aussah, aber fast sportlich geschnitten war. Sie liebte solche Kleidung, weil sie ihr die nötige Bewegungsfreiheit gab. Und obwohl sie schon stramm auf die siebzig zuging, bewegte sie sich noch immer fast wie eines dieser jungen Dinger, die mit ihren kurzen Röcken und den frei zur Schau gestellten Bäuchen jedes Frühjahr aufs Neue ihre Nieren gefährdeten. Maude hatte einige Male versucht, die Mädchen davon zu überzeugen, dass es gesünder sei, sich anders zu kleiden. Ein undankbarer Job, wie sie feststellen musste. Von verständnisloser Ignoranz bis hin zu persönlichen Beleidigungen erfuhr sie alle Nuancen möglicher Antworten. Nur selten gab einmal eine der jungen Frauen zu, dass Maude recht hatte. Aber ändern wollten sie es trotzdem nicht. Nun, das war das Vorrecht der Jugend.

    Wir alle haben das Recht auf Fehler ausgenutzt, als wir in diesem Alter waren, dachte Maude. Leider, so befand sie, wurden die Eskapaden aber zunehmend extremer. Die daraus resultierenden Schäden folglich auch. Es ist schon eine merkwürdige Welt, stellte Maude ein ums andere Mal fest.

    Sie goss eine Tasse Tee auf und setzte sich an den kleinen, runden Wohnzimmertisch. Die Fenster des Wohnzimmers reichten bis zum Boden. Von ihrem gemütlichen Sessel aus konnte sie über ihren Tisch hinweg nach draußen auf die Bäume schauen. Die anderen drei Sesselchen waren so gruppiert, dass sie ihr nicht die Aussicht versperrten. Maude nahm die ungelesene Tageszeitung zur Hand.

    2 - Spikes

    Rodney Spikes war trotz seiner erst sechzehn Jahre auffallend kräftig gebaut. Allerdings ließ seine Kleidung mehr als zu wünschen übrig – wohlwollend ausgedrückt. Seine Wurzeln lagen in Schottland, woher sein Erzeuger stam­mte. Er lebte in Brixton, einer Vorstadt Londons, die als sozialer Brennpunkt der Multikulti-Metropole galt. Im Zuge der Eurozone verzichtete die britische Regierung darauf, die Einwanderung zu regulieren. Über zwei Millionen Immigranten kamen Schätzungen zufolge ins Land, davon mindestens 650.000 nach London. In diesem multikulturellen Schmelztiegel lebten mehr als zweihundert verschiedene Nationalitäten zusammen. Fast jede Rasse und Hautfarbe mit mehr als hundert Sprachen und Dialekten waren vertreten.

    Spikes war von seiner Mutter allein großgezogen worden. Sie war eine verhärmte, kleine Frau, die es aufgegeben hatte, für ihren Sohn nur das Beste zu wollen – weil Spikes es auch nicht wollte. Irgendwann hatte sie resigniert erkennen müssen, dass er seinen irischen Dickschädel durchsetzen würde – notfalls auch mit Gewalt. Sie hatte Angst vor ihm und bemühte sich nicht mehr darum, einen guten Menschen aus ihm zu machen.

    Seine störrischen, roten Haare vermochte Spikes nur teilweise unter einer Baseballkappe zu verbergen, die er wie ein Stimmungsbarometer benutzte. Sonnenblende nach vorne – Unsicherheit, Blende zur Seite – alles easy, Blende nach hinten – Gott steh´ uns bei. Gerade machte er sich lässig und wenig erfolgreich mit seinem Springmesser die unsäglich schwarzen Fingernägel sauber. Er und seine Gang hockten auf der Begrenzungsmauer eines heruntergekommenen Kinderspielplatzes. Eine Mutter, die ihren Kinderwagen eilig an der Gruppe vorbeischieben wollte, starrte panikerfüllt auf das Messer. Schlange-Maus-Effekt – sie wurde immer langsamer und blieb fast stehen, ohne den Blick von der Klinge nehmen zu können. Spikes, der momentan gute Laune hatte, drehte mit einem verschmitzten Seitenblick die Blende seiner Kappe nach rechts. Er zwinkerte Daddles zu und entblößte seine ungepflegten Zähne. Dann änderte er den Gesichtsausdruck – den Mund verkniffen zog er die Augenbrauen drohend zusammen, bevor er den Kopf wieder in Richtung der Frau drehte.

    „He, sagte er. Ihre Augen wanderten hoch und ihre Blicke trafen sich. „Buuh!, bellte Spikes. Mit einem spitzen Schrei zuckte die junge Mutter zusammen. Tränen schossen ihr in die Augen und sie nahm Reißaus. Die Mitglieder der Gang brachen in schallendes Gelächter aus. Daddles ahmte Spikes nach, wobei er die nun hastig flüchtende Frau „Buuh!-rufend verfolgte. Gebückt und wie ein Gorilla laufend, torkelte er hinter ihr her. Dabei stolperte er tollpatschig über die eigenen Füße. Er verlor das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin. Geräuschvoll prallte sein Kopf gegen eine der am Straßenrand stehenden Mülltonnen. Daddles setzte sich auf, kniff ein Auge zu, massierte seinen Hinterkopf und sagte: „Autsch! Seine Kumpels Joey und Pinkey krümmten sich vor Lachen. Sally, die aussah wie eine Punkbarbie, kicherte meckernd. Nur Rocko, wie üblich ganz in Schwarz mit einer schweren Lederjacke, verzog keine Miene. Er gehörte nicht wirklich zur Straßengang, war eher ein Einzelgänger, der ab und zu einfach auftauchte. Mangels Humor fragte er sich immer öfter, was er in Spikes’ Kindergarten eigentlich verloren hatte. Aber er war erst kurze Zeit in London und suchte Anschluss. Rocko war nicht sein richtiger Name, denn er stammte aus Italien. Aber ihm war es lieber, dass ihn alle nur unter seinem Pseudonym kannten. Solange er mit Sprache und Umgebung noch nicht so vertraut war, hängte er sich eben an Spikes und seine Leute. Ab und zu ein Bruch, keine Arbeit oder Stress. Aber immer häufiger überkam ihn die Wut.

    „Kinderkacke", zischte er leise zwischen den Zähnen hervor. Spikes ließ sich nicht anmerken, dass er Rocko gehört hatte. Sein Instinkt sagte ihm, dass er vor dem Schwarzen auf der Hut sein musste. Aber auch er selbst redete nicht lange um den heißen Brei herum. Ein gefährliches Glitzern erschien in seinen Augen.

    „He Rod, woll´n wir ihr den Kinderwagen klauen?", gackerte Joey. Im gleichen Moment sah er, wie sein Boss die Blende seiner Kappe nach hinten drehte. Schlagartig erstarb jedes Gelächter. Spikes’ Handrücken traf Joey völlig unvorbereitet mitten ins Gesicht. Dessen Oberlippe platzte auf und Blut tropfte auf seine Brust.

    „Quatsch nich so´n Scheiß!, fuhr Spikes den Jungen an, „was glaubste machen wir hier?

    Joey hielt sich die Hand vor den Mund und kramte mit der anderen in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch. Spikes wandte sich eiskalt ab.

    „Wir gehen einkaufen!", sagte er – und seine Gang folgte ihm kommentarlos zur Bushaltestelle.

    3 - Der Traum

    Maude genoss den Tee, während sie die Tageszeitung las. Anstatt des in England zumeist konsumierten schwarzen Tees, den man stark aufgegossen mit Milch zu zähmen suchte, liebte sie Bairam-Tee. Sie hatte ihn in einem der vielen kleinen, exotischen Geschäfte entdeckt, die Londons Bürger mit ausgesuchten Heimatprodukten der Inhaber versorgten. Dieser türkische Apfeltee entsprach mit dem fruchtig-süßen Aroma von Datteln und Feigen genau ihrem Geschmack. Sie musste immer lächeln, wenn sie in den einschlägigen Läden das Schild mit der Aufschrift „New Products, sorry, no English information" sah, das eingeborene Londoner vor ausländischen Produkten warnen sollte.

    Maude war eine weltoffene Frau. Sie hatte viel gesehen, als sie mit ihrem Mann die meisten Länder der Erde bereiste. Er war so etwas wie ein Attaché gewesen. Wenn irgendwo in einem Land eine neue Botschaft des Königreiches eröffnet oder neues Personal eingewiesen werden musste, wurde ihr Reginald dort hingeschickt, um alles Nötige zu veranlassen. Und da er gut verdiente, nahm er seine Frau nicht selten mit auf seine Reisen. Die Kosten für sie übernahm er persönlich.

    „Auch die Kleinen sollen was von der Welt haben", hatte er mit seinem etwas verschrobenen englischen Humor immer gesagt. Das war eine liebenswerte Anspielung auf Maudes Körpergröße von stolzen einhundertachtundsechzig Zentimetern. Maude hatte sich diese Gelegenheiten jedenfalls nicht entgehen lassen und war in Ländern gewesen, von denen der Normalsterbliche nur träumte.

    Auf ihren Reisen hatte sie so manche Vorliebe für regionale Spezialitäten entwickelt. Sie liebte Tees aus Ceylon und der Türkei, Kuchen und Brot aus Deutschland, Suppen aus Frankreich oder Fisch von den Kanaren. Überhaupt katalogisierte sie die von ihr besuchten Länder zumeist nach dem, was ihr besonders gut schmeckte. Glücklicherweise waren das immer die gesündesten Gerichte auf der Speisekarte, was nicht nur der Lebenserwartung, sondern auch ihrer Figur zugutekam.

    Maude hatte lässig ein Bein über das andere geschlagen. Ihre Augen huschten über die Anzeige eines Feinkostgeschäftes, das dreiunddreißig Austern für zehn Pfund anbot. Sie blieb an der „33" hängen, runzelte die Augenbrauen – und erinnerte sich. Sie war in der Nacht aufgewacht, weil sie schon wieder etwas mit Zahlen geträumt und die Nachttischlampe eingeschaltet hatte. Auf den Ellenbogen gestützt hatte sie sich ernsthaft gefragt, ob sie ihre geistige Gesundheit infrage stellen sollte. Dann, ohne nachzudenken, hatte sie eine Reihe von sieben Ziffern auf einem kleinen Block notiert, der immer griffbereit auf dem Nachttisch lag, und war wieder eingeschlafen. Am nächsten Morgen war das Ganze schon fast vergessen gewesen und der Tag hatte seinen gewohnten Lauf genommen. Doch nun tauchte diese Erinnerung klar und deutlich vor ihrem geistigen Auge auf. Die 33 war auch dabei gewesen.

    Merkwürdig, dachte sie. Ihr waren bereits des Öfteren Zahlenreihen durch den Kopf gegangen, auch geträumt hatte sie davon. Allerdings hatte sie sich bis heute keine Gedanken darüber gemacht – es war ihr einfach zu belanglos erschie­nen. Im Nachhinein war es auch unmöglich, alles genau zu überprüfen, aber sie hätte schwören können, dass die Zahlenreihen immer aus sieben Zahlen bestanden. Wieso ausgerechnet sieben? Maude hatte das unbestimmte Gefühl, dass hier etwas Besonderes, etwas Aufregendes im Gange war. Aber sie konnte es nicht beim Namen nennen.

    4 - Ehrensache

    Sie amüsierten sich köstlich, als sie mit dem Bus von Brixton in die City fuhren. Doch plötzlich tauchte ein Busbegleiter auf und wollte die Fahrkarten kontrollieren. Als er auf Spikes‘ Gruppe traf, die ganz hinten im Bus saß, ahnte der Mann schon, was auf ihn zukam. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, bezog er breitbeinig Position vor den Jungen und sein dienstliches „Die Fahrtausweise bitte" ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich nicht einschüchtern lassen würde. Im gleichen Moment hörte er das schnappend-sirrende Geräusch, das ein Sprungmesser macht, wenn die Klinge herausschnellt. Spikes saß neben ihm in der vorlet­zten Reihe und schaute ihn von unten herauf an.

    „Hier ..., sagte er und zeigte dem Busbegleiter das Messer, sodass die anderen Fahrgäste es nicht sehen konnten, „... ist unsere Gruppenreisekarte. Willst Du sie mal von ganz Nahem sehen, Mister?

    Der Busbegleiter war nicht das erste Mal in einer solchen Situation. Bei seinen Antiaggressionstrainings hatte er gelernt, vergleichbaren Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen. Im Zuge der Antiterrorkampagnen waren auch die Busse der City in ein lückenloses Kameraüberwachungssystem eingebunden. Der Mann schaute in die Gesichter der Jungen, damit er sie später identifizieren konnte. Dann – und das fiel ihm wirklich nicht leicht – sagte er: „Gute Fahrt", drehte sich um und verschwand.

    „Dankeschöööön", höhnte Spikes ihm nach und die Gangmitglieder brachen in Gelächter aus. Bald darauf verließen sie den Bus. Der würde jetzt bis zum nächsten Häuserblock fahren, dort eine 180-Grad-Wendung machen und sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite wieder in Richtung Brixton bewegen. Die Gang hatte das genau ausgetüftelt. Der Kiosk, der ihr Ziel war, lag keine fünfzig Meter von der Bushaltestelle entfernt. Und die Strecke bis auf die andere Seite des Blocks war auch nicht länger als fünf- oder sechshundert Meter. Eine Kleinigkeit.

    „Also!, sagte Spikes, als sie sich etwas abseits des belebten Bürgersteiges in einer Hauseinfahrt aufgestellt hatten. „Wie besprochen gehe ich mit Pinkey voran. Während wir den Typen im Kiosk vorne beschäftigen, macht ihr – Daddles und Joey – die Hintertür klar. Rocko, Du hältst uns in jedem Fall den Rücken frei, bis alle wieder draußen sind. Klar?

    Aus allen vier Jungenkehlen tönte das „Klar" zurück. Alle legten ihre rechte Hand auf die des anderen und intonierten ihren Bandenspruch:

    „Füreinander bis in den Tod. Ehrensache!"

    Das klang theatralisch und stammte noch aus der Zeit, als sie Cowboy und Indianer gespielt hatten. Für den einen waren diese Worte ungeschriebenes Gesetz, andere sprachen sie nur mit.

    „Dann los!", sagte Spikes und in zwei Gruppen machten sie sich auf den Weg. Spikes steuerte auf den Kioskbetreiber zu, der auf Kundschaft wartete.

    „Tach Meister, kauderwelschte er, „´n Päckchen Tabak und Papierchen.

    Er warf eine Fünf-Pfundnote auf den Tresen und lehnte sich seitlich dagegen. Der Kioskbesitzer, ein etwas untersetzter Mann Mitte fünfzig, drehte sich um und griff in ein Regal, um die gewünschten Dinge zu besorgen. Spikes hatte sein Klappmesser im Ärmel und ließ es langsam in seine Hand rutschen. Dann lagen die Sachen vor ihm.

    „Ich will die ..., Pinkey reckte den Hals und schielte an dem Verkäufer vorbei. „Time-out!, sagte er.

    Der Kioskbetreiber schaute den Halbstarken verwundert an. Er fand es merkwürdig, dass so einer von der Straße die „Time-out  las. Aber ihm konnte es ja egal sein. Er drehte sich um, nahm eine der Zeitschriften aus dem Ständer und legte sie auf den Tresen. Doch während er den Jungen den Rücken zuwandte, schnitt Spikes mit seinem Messer schnell seitlich die Verpackung des Tabaks auf und ließ eine Handvoll davon zusammen mit den Papierchen in seiner Hosentasche verschwinden. In dem Moment, als der Verkäufer sich mit der Zeitung wieder zu ihnen umdrehte, schnauzte Spikes ihn an: „He, willste mich verarschen, Mann?

    Er warf das beschädigte Päckchen auf den Tresen. Tabak rieselte heraus. Der Kioskbetreiber schaute verdutzt auf die ansonsten völlig unversehrt aussehende Verpackung. Spikes packte ihn am Kragen und schlug mit der flachen Hand auf die Theke. Das war das verabredete Zeichen. Daddles und Joey öffneten leise die an der Rückseite befindliche Tür zum Inneren des Kiosks.

    „Du glaubst wohl, Du könntest mit uns machen, was Du willst, hä? Aber da biste bei uns an der falschen Adresse. Wir lassen uns nich bescheißen, Alter, und wenn ..." Spikes redete sich in Rage und sein Gesicht lief vor Wut rot an.

    „Aber ... ich ... was soll das ... he, lass doch mal los ..." Der Kioskbesitzer kam nicht dazu, auch nur einen vollständigen Satz herauszubringen. Hinter ihm stopften sich Daddles und Joey die Jacken voll.

    Chief Inspector Wilbur Dillinger zündete sich die letzte Zi­garette an. Er knüllte die leere Packung zusammen und warf sie in einen Mülleimer. Er blieb stehen und hielt die Hand schützend vor das Feuerzeug. Es war eine Gewohnheit, die er aus seinem Berufsleben übernommen hatte, denn er schaute auch jetzt über die Handkante hinweg nach vorne. Etwa fünfzig Meter vor sich sah er den Kiosk, an dem er sich neue Zigaretten kaufen wollte, bevor er auf die Wache fuhr. Er stand im exakt richtigen Winkel und genau an der Stelle, von der aus man die gesamte Szenerie von der Rückseite des Kiosks bis hinüber auf die andere Straßenseite überblicken konnte. Ein Schritt vor oder zurück, und schon hätten Werbeplakate oder Häuserecken den Blick versperrt. Doch so sah Dillinger genau, wie zwei Jugendliche Fred Jablonski, den Kioskbetreiber, bedrängten und so ablenkten, dass ihre Spießgesellen hinten einbrechen konnten und ihn nach Strich und Faden ausraubten. Der Chief wusste, dass mindestens noch ein Krimineller Schmiere stehen würde. Er taxierte die Leute in der Umgebung des Kiosks und sein Blick blieb an einem ganz in Schwarz gekleideten Jugendlichen hängen, der abwechselnd das dortige Geschehen und das Umfeld beäugte. Schnell dachte der Polizist nach: Wenn ich jetzt Verstärkung pfeife, hauen die Jungs ab. Wenn ich allein die Kerle am Kiosk angreife, steht es vier zu eins – ungünstig. Also schnappe ich mir zuerst das schwächste Glied in der Kette.

    Er zog die Trillerpfeife aus der Tasche, die er immer dabei hatte, und hängte sie sich um den Hals. Dann ging er ohne Hast los, betrachtete die Auslagen der Geschäfte und tat so, als wollte er an Rocko vorbei auf die andere Straßenseite wechseln. Als er zwei Schritte hinter dem Jungen war, schob er die Trillerpfeife in den Mund, drehte sich um und blies aus Leibeskräften. Der Pfeifton war so schrill, dass er das Trommelfell

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