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DER SCHWARZE PFAD
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eBook309 Seiten4 Stunden

DER SCHWARZE PFAD

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Über dieses E-Book

Seit Jahren widmet sich der Satanist Copely-Syle dem Studium der Schwarzen Magie. Für seine Arbeit jedoch benötigt er die Seele einer Jungfrau. Aus diesem Grund lockt der das Mädchen Christina auf den Schwarzen Pfad der okkulten Lehren – den schrecklichen Pfad zur Linken, der direkt in die Finsternis führt...

Dennis Wheatleys Okkult-Thriller Der schwarze Pfad (1953) wurde im Jahre 1976 von Peter Skyes (The Avengers) unter dem Titel Die Braut des Satans (To The Devil – A Daughter) für das legendäre Hammer-Studio verfilmt – in den Hauptrollen: Richard Widmark, Christopher Lee, Honor Blackman, Nastassja Kinski und Denholm Elliott.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Klassiker des Okkult-Horrors als durchgesehene Neuausgabe.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum14. Jan. 2019
ISBN9783743870437
DER SCHWARZE PFAD

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    Buchvorschau

    DER SCHWARZE PFAD - Dennis Wheatley

    Das Buch

    Seit Jahren widmet sich der Satanist Copely-Syle dem Studium der Schwarzen Magie. Für seine Arbeit jedoch benötigt er die Seele einer Jungfrau. Aus diesem Grund lockt der das Mädchen Christina auf den Schwarzen Pfad der okkulten Lehren – den schrecklichen Pfad zur Linken, der direkt in die Finsternis führt...

    Dennis Wheatleys Okkult-Thriller Der schwarze Pfad (1953) wurde im Jahre 1976 von Peter Skyes (The Avengers) unter dem Titel Die Braut des Satans (To The Devil – A Daughter) für das legendäre Hammer-Studio verfilmt – in den Hauptrollen: Richard Widmark, Christopher Lee, Honor Blackman, Nastassja Kinski und Denholm Elliott.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Klassiker des Okkult-Horrors als durchgesehene Neuausgabe.

    DER SCHWARZE PFAD

    Unseren guten Freunden

    DIANE UND PIERRE HAMMEREL gewidmet.

    Mit großer Dankbarkeit für ihre grenzenlose Gastfreundschaft,

    welche sie Joan und mir während unseres Besuches

    in Nizza entgegenbrachten; zu unseren lebhaftesten Erinnerungen daran

    gehört unsere ebenso anstrengende wie faszinierende Expedition

    (bei Tageslicht) in die Höhle der Fledermäuse.

      1.

    In Molly Fountain wuchs allmählich die Überzeugung, dass das Geheimnis, von dem die einsame Bewohnerin der Villa nebenan umgeben war, mehr Spannung barg als der Roman, an dem sie gerade arbeitete.

    Mollys Bücher, die sie in ihrem Häuschen an der Comiche d'Or hoch über dem blauen Mittelmeer schrieb, spielten im Agenten-Milieu. Sie selbst war zwar keine Spionin gewesen, wie ihr Sohn John vermutete, hatte aber während des Krieges als Sekretärin des Secret Service das Milieu genau studieren können. Ihr Mann war in Afrika gefallen, und sie hatte nur zu schreiben begonnen, weil sie von der Witwenpension allein nicht hätte leben können.

    Vor vier Tagen war ihre neue Nachbarin eingetroffen. Molly hatte gerade auf ihrer kleinen Terrasse den Tee getrunken, als ein Taxi vorfuhr und das junge Mädchen ausstieg. Zu dieser Zeit konnte sie nicht mit dem Train Bleu, sondern nur vom Flughafen Nizza gekommen sein. Ein Mann mittleren Alters, der trotz seiner stämmigen und aggressiven Erscheinung etwas Verstohlenes an sich hatte, begleitete sie. Seine Kleidung kam Molly merkwürdig vor. Das heißt, sie war nicht an sich merkwürdig, aber sie passte zu einem Geschäftsmann der Londoner City und nicht zu einem Urlauber an der Riviera. Der Mann half dem Fahrer, das Gepäck ins Haus zu tragen. Nach etwa zehn Minuten kehrte er zu dem wartenden Taxi zurück, fuhr davon und hatte sich seitdem nicht wieder blicken lassen.

    Seltsam war, dass auch sonst kein Mensch die Villa nebenan besucht hatte und dass das Mädchen, soviel Molly wusste, niemals ausging, wenigstens tagsüber nicht.

    In der letzten Nacht hatte sich das Geheimnis noch vertieft. Molly war kurz nach ein Uhr wach geworden, als ein loser Stein einen steilen Gartenweg hinunterkollerte. Sie stand auf und trat ans Fenster. Das Mondlicht fiel silbern auf die Kakteen zwischen den Pinien, und ihre Nachbarin stieg gerade die Stufen hinab, die von der Terrasse zur Straße führten.

    Molly hatte sich ein Buch genommen und mit gespitzten Ohren auf die Rückkehr des Mädchens gewartet. Es dauerte anderthalb Stunden, bis sie das Gartentor klicken hörte. Sie stand wieder auf und sah die Unbekannte ins Haus zurückkehren.

    Warum ging das junge Mädchen nachts spazieren, wenn es am Tag nie einen Fuß vor die Tür setzte?

    Zum zwanzigsten Mal an diesem Vormittag wandelten Mollys graugrüne Augen von der Schreibmaschine zum offenen Fenster.

    Die neue Nachbarin war die unschuldige Ursache, dass sie mit ihrer Arbeit nicht weiterkam, und, was wichtiger war, sie würde nicht eher wieder Ruhe finden, bis sie nicht wenigstens versucht hatte, dem Mädchen zu helfen, falls es in Schwierigkeiten steckte.

    Da gab es nur eins zu tun. An der Riviera war es nicht üblich, zeitweiligen Nachbarn Besuche abzustatten. Aber Molly hatte von ihrer Köchin erfahren, dass die Unbekannte Engländerin war. Das mochte als Vorwand ausreichen.

    Kurz entschlossen schob Molly ihren Stuhl zurück und stand auf. Vor ihrer Nase lag ein echtes Geheimnis, und sie würde es aufklären.

      2.

    Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer zog Molly Fountain sich den leinenen Arbeitskittel über den Kopf. Niemand, der sie in diesem Augenblick gesehen hätte, würde sie auf fünfundvierzig geschätzt haben. Ihre Figur war ausgezeichnet, und nur ihr graues Haar verriet ihr Alter.

    Sie nahm eine weiße, handgestickte Bluse und einen grauen Mantel mit passendem Rock aus dem Schrank, zog sich schnell an und ging zur Nachbarvilla hinüber. Als sie die steilen Stufen erklommen hatte, bog sie zur Terrasse ein. Das Mädchen hatte ihre Schritte gehört und erhob sich von einem Liegestuhl, machte aber keine Anstalten, Molly entgegenzugehen und zu begrüßen. Ihr Gesichtsausdruck war wachsam, und Molly meinte, in den dunklen Augen eine Spur von Furcht zu entdecken.

    Fröhlich begann sie: »Ich bin Molly Fountain, Ihre Nachbarin. Da wir beide Engländerinnen sind, dachte ich...«

    Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Doch nicht die Molly Fountain?«, rief sie lebhaft aus.

    Molly lächelte. Ihr Name war durchaus nicht allgemein bekannt, aber diese Frage war ihr in den letzten zwei Jahren doch schon öfter gestellt worden.

    »Falls Sie an die Autorin von Secret-Service-Storys denken, dann werde ich es wohl sein.«

    »Ich finde Ihre Bücher unheimlich spannend«, versicherte das Mädchen.

    Molly nutzte den ihr so unerwartet zugefallenen Vorteil schnell aus. »Wenn Sie einige meiner Bücher gelesen haben, werden Sie mich hoffentlich nicht ganz als eine völlig Fremde betrachten. Bitte, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen meinen ersten Besuch am Vormittag mache, aber die gesellschaftlichen Formen werden hier weniger beachtet als zu Hause, und ich dachte, es wäre Ihnen vielleicht lieber so, als wenn ich am Nachmittag meine Karte abgegeben hätte.«

    Zum ersten Mal sah Molly das Mädchen von Angesicht zu Angesicht, und während sie sprach, betrachtete sie sie genau. Sie war überdurchschnittlich groß und sehr dünn. Die Gehemmtheit, die sich in ihren Bewegungen ausdrückte, gab ihr das Aussehen eines zu lang geratenen Schulmädchens. Molly schätzte sie auf neunzehn. Über der breiten Stirn war das dicke, wellige dunkelbraune Haar in der Mitte gescheitelt. Der Mund war voll und großzügig geschnitten. Eine Stupsnase raubte ihr jeden Anspruch auf klassische Schönheit, und ihr Teint wirkte ein bisschen kränklich. Am schönsten an ihr waren ihre Zähne, die, wenn sie lächelte, blendendweiß aufblitzten, und ihre großen, außergewöhnlich leuchtenden braunen Augen.

    Mollys Erwähnung der gesellschaftlichen Formen erinnerte das Mädchen an die Pflichten der Gastfreundschaft. Nah einem Augenblick des Zögerns forderte sie Molly auf: »Möchten Sie nicht eintreten?«

    »Danke, gern«, antwortete Molly prompt. »Aber, wissen Sie, Sie haben mir Ihren Namen noch gar nicht genannt.«

    »Oh!« Wieder gab es eine kurze Pause. »Ich heiße Christina Mordant.«

    Ȇbereinen steilen Gartenweg erreichten sie den Rasenplatz vor dem Haus.

    »Sind Sie zum ersten Mal an der Riviera?«, fragte Molly.

    »Ja«, sagte Christina und führte ihren Gast durch eine Terrassentür ins Wohnzimmer. »Aber in Frankreich lebe ich schon seit einiger Zeit. Bis kurz vor Weihnachten war ich in einem Pensionat in Paris.«

    »Ich bin gern bereit, Ihnen etwas von dieser wunderschönen Küste zu zeigen«, bot Molly an.

    Jetzt war Christinas Zögern deutlicher zu merken. »Danke«, stotterte sie, »zu nett von... aber... ich mache mir nicht viel daraus, auszugehen.« Voller Verlegenheit setzte sie hastig hinzu: »Nehmen Sie doch Platz. Ich werde Ihnen etwas zu trinken holen. Leider kann ich Ihnen keinen Cocktail anbieten, aber Maria könnte schnell Kaffee kochen. Wir haben auch einen köstlichen Orangensaft.«

    Molly hatte gar keinen Durst, doch sie nahm die Gelegenheit wahr, ihren Besuch zu verlängern.

    »Organgensaft wäre fein, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht.«

    Sobald Christina das Zimmer verlassen hatte, sah sich Molly unter den Scheußlichkeiten aus billigem Holz und Chrom der möbliert vermieteten Villa um. Sie hoffte, irgendeinen Hinweis auf Christinas Persönlichkeit zu finden, und tatsächlich entdeckte sie auf einem Tischchen ein Manikür-Etui, das die Initialen E. B. trug.

    Christina kam mit einem Tablett zurück. »Und Sie leben das ganze Jahr über hier, Mrs. Fountain?«, fragte sie und goss zwei Gläser voll.

    »Fast das ganze Jahr über. Den Juni verbringe ich meistens in London, und dann gönne ich mir im Herbst noch vierzehn Tage Paris, aber ich kann es mir nicht leisten, mehr als sechs Wochen in einem Hotel zu wohnen.«

    Christina hob ihre dunklen Augenbrauen. »Ich hätte gedacht, Sie seien schrecklich reich. Ihre Bücher müssen Ihnen doch Tausende einbringen.«

    »Das ist ein weitverbreiteter Irrglauben«, lächelte Molly.

    »Sicher, ich habe ein paar Bestseller geschrieben. Aber das meiste Geld schluckt die Steuer.«

    Weitere zehn Minuten gingen im Gespräch über Bücher und Autoren hin. Offenbar interessierte Christina sich sehr für Literatur. Als sie erwähnte, sie habe eine Vorliebe für historische Romane, bemerkte Molly:

    »Da überrascht es mich aber, dass Sie so gar keine Ausflüge machen. Diese Küste ist voller geschichtlicher Sehenswürdigkeiten, die bis auf die Zeiten der Phönizier zurückgehen. Als ich in

    Ihrem Alter war, hätte ich alles darum gegeben, diese Stätten besuchen zu dürfen.«

    Christina sah sie verlegen an, wendete dann die Augen ab und murmelte: »Mir macht es eben Spaß, im Garten zu faulenzen.«

    »Wie lange werden Sie hierbleiben?«

    »Noch drei Wochen. Die Villa ist für einen Monat gemietet.«

    »Fühlen Sie sich nicht sehr einsam? Haben Sie gar keine Bekannten, die Sie besuchen könnten oder die einmal zu Ihnen kommen?«

    »Nein. Ich kenne hier unten niemanden. Aber... aber ich bin gern allein.«

    »Es ist ein großes Glück, wenn man mit der eigenen Gesellschaft zufrieden ist und nicht ständig nach neuen Zerstreuungen jagen muss«, meinte Molly. »Aber trotzdem finde ich, Sie müssten ab und zu ein wenig Abwechslung haben. Gehen Sie wirklich nie aus?«

    Christina schüttelte den Kopf.

    »Heute Nacht hielt mich ein spannendes Buch lange wach, und als ich dann aufstand, um mir Schlaftabletten zu holen, glaubte ich, Sie gerade durch den Garten nach Hause kommen zu sehen.«

    Christinas Gesicht blieb verschlossen. »Ja, ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht. Nachmittags schlafe ich meistens. Aber wenn es dunkel wird, überkommt mich eine seltsame Unruhe. Ich weiß auch nicht warum.«

    »So geht es manchen Menschen. Die Astrologen behaupten, unser ganzes Leben werde durch die Stunde unserer Geburt bestimmt, und wer am Abend geboren ist, werde immer abends munter.«

    »Tatsächlich? Das scheint auf mich zu passen. Ich wurde abends um halb zehn geboren.« Nah einer Sekunde fügte Christina freiwillig die Information hinzu: »Ich habe am sechsten März Geburtstag. Nächsten Monat werde ich einundzwanzig.«

    »Dann werden Sie an Ihrem Geburtstag noch hier sein. Das ist ja eine nette Gelegenheit, mit Verwandten oder Freunden mal richtig zu feiern.«

    »Ich nehme an, ich werde ganz allein sein.«

    Molly dachte darüber nach, wie seltsam es doch war, dass dieses junge Mädchen keinen Menschen in der Welt hatte, der den Wunsch hegte, ihren 21. Geburtstag zu einem unvergesslichen Tag für sie zu machen.

    Aber damit war sie der Lösung des Geheimnisses noch keinen Schritt nähergekommen.

    Wie würde sich Colonel Crackenthorp, der Held ihrer Romane, in einer solchen Situation verhalten? Natürlich würde er es mit einer Schocktaktik versuchen. Also wollte Molly das auch tun. Sie sah dem Mädchen gerade in die Augen und fragte plötzlich:

    »Christina Mordant ist nicht Ihr richtiger Name, nicht wahr?«

    Das Mädchen zuckte zusammen und keuchte: »Woher... woher wissen Sie das?«

    Gleich darauf erholte sie sich wieder von ihrem Schreck. Ihr Gesicht war weiß geworden, aber sie stand langsam auf. Ihre großen braunen Augen verengten sich und funkelten zornig. Sie zitterte am ganzen Körper.

    »Was geht das Sie an?« fauchte sie. »Sie haben kein Recht, in meinen Privatangelegenheiten herumzuspionieren! Was nehmen Sie sich eigentlich heraus? Auf der Stelle gehen Sie!«

    Colonel Crackenthorps Schocktaktik hatte in Mollys Büchern immer einen ganz anderen Erfolg. Das Mädchen wäre zusammengebrochen, hätte an seiner breiten Schulter geweint und alles gestanden. Aber sie war auch kein gutaussehender Bursche wie »Crack« sondern nur eine Romanschreiberin mittleren Alters.

    Sie erhob sich. »Bitte, entschuldigen Sie. Ich habe in der Tat kein Recht, Sie so auszufragen. Das war unhöflich von mir. Ich kann Ihnen versichern, das ist sonst gar nicht meine Art. Aber ich habe mir Sorgen um Sie gemacht. Ich hoffte, Sie würden mir anvertrauen, wenn Sie in Schwierigkeiten stecken. Sie sind noch so sehr jung und scheinen niemanden zu haben, an den Sie sich wenden können. Immer wenn ich Sie auf Ihrer Terrasse sah, machten Sie einen so unglücklichen Eindruck. Jetzt kann ich Sie nur noch bitten, mir meine Einmischung zu verzeihen.«

    Mit dem Rest ihrer Würde neigte Molly kurz den Kopf und schritt durch die Terrassentür hinaus. Sie hatte den Rasen zur Hälfte überquert, als sie hinter sich einen verzweifelten Aufschrei hörte.

    »Oh, Mrs. Fountain! Kommen Sie zurück! Ich habe das nicht so gemeint. Sie sind so freundlich. Ich bin überzeugt, dass ich Ihnen vertrauen kann. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich hier bin, denn das weiß ich selbst nicht. Aber ich werde wahnsinnig vor Angst. Bitte, hören Sie mich an!«

    Molly kehrte um, und im nächsten Augenblick weinte das Mädchen in ihren Armen. Ohne Überheblichkeit, jedoch mit einiger Überraschung stellte sie fest, dass die Technik des guten alten Crack nun doch funktioniert hatte.

    3.

    Gut zehn Minuten vergingen, bis Christina wieder fähig war, zusammenhängend zu sprechen. Molly erfuhr nur, dass ihr Vater der Mann war, der vor vier Tagen mit dem Taxi gekommen und gleich darauf weggefahren war.

    Jetzt saßen sie im Wohnzimmer auf dem billigen Plüschsofa. Molly hatte dem Mädchen einen Arm um die Schultern gelegt und wischte ihr mit einem kleinen Taschentuch die Tränen ab.

    »Mein Liebes«, sagte Molly, »hat Ihr Vater Ihnen wirklich gar keinen Grund genannt, warum er Sie allein hier zurückgelassen hat?«

    »Nur... nur dass ich... Feinde hätte, die mich verfolgten.«

    »Was für Feinde?«

    Christina fischte ihr eigenes Taschentuch hervor und putzte sich energisch die Stupsnase. Mit festerer Stimme antwortete sie: »Ich habe keine Ahnung. Ich zerbreche mir ständig den Kopf darüber.« Sie trank einen Schluck Orangensaft und fuhr fort: »Er sagte, ich wäre in großer Gefahr, aber es könnte mir nichts passieren, wenn ich seinen Anweisungen aufs Wort folgte. Als ich ihn drängte, mir mehr zu verraten, meinte er, es wäre besser für mich, wenn ich nichts davon wüsste.«

    »Armes Kind! Und Sie haben gar keinen Anhaltspunkt, worin die Gefahr besteht?«

    »Nein. Ich habe nie jemandem etwas zuleide getan, ehrlich nicht.«

    Molly dachte nach. »Sind Sie zufällig eine Erbin? Ist Ihr Vater sehr wohlhabend? Dann könnte es nämlich um eine Entführung gehen.«

    »Ich glaube schon, dass er mit seiner Maschinenfabrik viel Geld verdient, aber auch nicht mehr als eine große Zahl anderer britischer Industrieller. Ich wüsste nicht, warum Kidnapper gerade auf ihn kommen sollten.«

    »Maschinenfabrik?«, nahm Molly den Faden auf. »Vielleicht ist Ihr Vater eine Schlüsselfigur in der Aufrüstung! Möglich, dass die Russen Sie entführen wollen, um von ihm Informationen über geheime neue Entwicklungen zu erpressen.«

    Mit einem schnellen Kopfschütteln dämpfte Christina Mollys Eifer. »Das kann nicht sein, Mrs. Fountain. Mein Vater stellt nur langweilige Landmaschinen her.«

    Von neuem überdachte Molly das Problem. »Sind Sie, ehe Sie England verließen, wegen einer kleinen Operation in einem Privatkrankenhaus gewesen?«

    »Ja.« Die braunen Augen wurden rund vor Überraschung. »Woher wissen Sie das?«

    »Es war nichts als eine Vermutung. Aber es könnte eine Erklärung sein. Ihr Vater mag Sie hergebracht haben, um Sie vor der Polizei zu verstecken.«

    »Das verstehe ich nicht. Es ist doch kein Verbrechen, sich operieren zu lassen.«

    »So ungefähr habe ich es mir vorgestellt«, fuhr Molly unbeirrt fort. »Auch heutzutage kommt es noch vor, dass ein Mädchen neunzehn oder zwanzig wird, ohne genug vom Leben zu wissen, um auf sich aufpassen zu können. Als Sie feststellten, dass sie ein Kind bekamen, hat Ihr Vater Sie in ein Privatkrankenhaus gebracht, um es entfernen zu lassen. Er mag sich gedacht haben, dass es für Sie in Ihrem Kummer besser wäre, gar nicht erst zu erfahren, dass so etwas illegal ist. Aber das ist es, und alle Beteiligten können dafür ins Gefängnis kommen. Kein Wunder, dass Ihr Vater Sie für einige Zeit versteckt halten möchte, bis die Gefahr einer Entdeckung vorüber ist.«

    Christina hatte schweigend zugehört, aber nun begann sie zu kichern, und dann lachte sie mit strahlend weißen Zähnen laut heraus. Mollys mitfühlender Gesichtsausdruck veranlasste sie, sich schnell wieder zu beherrschen.

    »Entschuldigen Sie, Mrs. Fountain. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir helfen wollen, aber auch Sie würden die komische Seite Ihrer letzten Theorie erkennen, wenn Sie wüssten, wie ich erzogen worden bin. Ich bin schon vor Jahren von anderen Mädchen aufgeklärt worden,, doch ich habe bis zum Dezember vorigen Jahres fast mein ganzes Leben in Schulen verbracht - auch die Ferien. Und in sämtlichen Schulen wurde ich vor allem, was Hosen trägt, so sorgfältig behütet wie in einem Kloster. Bis heute habe ich noch nie einen Freund gehabt, ganz zu schweigen von einem Verhältnis.«

    Molly kam sich ziemlich dumm vor. Sie versteckte ihre Verlegenheit unter einem Lächeln. »Um welche Operation handelte es sich denn?«

    »Mir wurden die Mandeln herausgenommen. Der Arzt meinte, es wäre nicht nötig, aber Vater bestand darauf. Er sorgte dafür, dass ich hinterher noch drei Wochen in dem Krankenhaus blieb, dann brachte er mich geradenwegs hierher.«

    »Das sieht so aus, als versuchte er schon seit Ende Januar, Sie zu verstecken.«

    »Kann sein. Anfangs war ich ganz gerührt, dass er sich so um mich kümmerte. Er scheint sich um mich früher nie viel Gedanken gemacht zu haben. Sicher haben Sie recht damit, dass er mich verstecken will, aber ich verstehe das Ganze nicht.«

    Mollys Herz öffnete sich immer mehr diesem mutterlosen, verlassenen Mädchen. »Wir werden der Sache schon irgendwie auf den Grund kommen, mein Liebes. Allerdings muss ich dazu mehr über Sie erfahren. Wollen Sie nicht damit anfangen, mir Ihren richtigen Namen zu nennen?«

    »Es tut mir leid. Ich werde Ihnen gern alles erzählen, was Sie wissen möchten, aber meinen Namen kann ich Ihnen nicht sagen. Vater ließ mich schwören, ihn niemandem zu verraten. Macht es Ihnen etwas aus, mich weiterhin Christina zu nennen?«

    »Natürlich nicht, Liebes. Dann berichten Sie mir zuerst über Ihren Vater. Welche Gründe hatte er, Sie ständig in Internate zu schicken? Die Vergangenheit mag uns einen Anhaltspunkt für sein jetziges Verhalten geben.«

    Christina nahm eine Zigarettenschachtel, bot Molly an und nahm sich selbst auch eine Zigarette.

    »Ich weiß es nicht genau«, begann sie, »aber ich nehme an, Vater hat mir nie besondere Zuneigung gezeigt, weil ich ein unerwünschtes Kind war. Damals gehörte er der arbeitenden Klasse an. Er war ein Chauffeur, der das Hausmädchen geheiratet hatte. Aber er war von Jugend an sehr ehrgeizig, und ich muss für ihn eine zusätzliche Last gewesen sein, die ihn am Vorankommen hinderte.«

    Sie lächelte verlegen.

    »Ich bin in Essex geboren, in der Chauffeurs-Wohnung über der Garage, die zum Haus einer reichen alten Dame gehörte. Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen den Namen des Hauses und des Dorfes nicht nenne. Wir wohnen jetzt nämlich selbst in diesem Haus, und ich würde damit praktisch mein Versprechen brechen. Als ich ein paar Wochen alt war, gab mein Vater seine Stellung auf und kaufte sich in einem kleinen Geschäft in der nahe gelegenen Stadt ein.«

    Wie gebannt hörte Molly zu.

    »Wir lebten in einer kleinen Wohnung. Wir waren keine glückliche Familie. Für Mutter muss es schrecklich gewesen sein. Vater war nicht direkt unfreundlich zu ihr, das heißt, er war es erst zum Schluss, aber er interessierte sich für nichts anderes als für seine Arbeit. Von seinen beiden Partnern starb der eine nach ein oder zwei Jahren, und den anderen kaufte er aus. Aber damit war er nicht zufrieden. Er gründete eine kleine Fabrik, in der er Motoren herstellte, die er größtenteils selbst erfunden hatte, und sie verkauften sich wie warme Semmeln. Als ich fünf war, zogen wir in ein größeres Haus. Vater hatte noch weniger Zeit als früher, und für Mutter hatte er keinen Pfennig mehr übrig, weil er alles ins Geschäft steckte.« Die Erinnerung ließ ihre Augen matt glänzen.

    »Da Mutter gar kein Vergnügen und keine Bekannten hatte, suchte sie Anschluss in einer Freikirche. Aus irgendeinem Grund war Vater außerordentlich verärgert darüber. Sie stritten sich oft. Da er selbst Agnostiker ist und die christliche Lehre ablehnt, musste ihn das natürlich in Wut bringen.

    Schließlich verbot er ihr, in die Kirche zu gehen. Aber sie tat es doch, und an meinem sechsten Geburtstag nahm sie mich mit. Es wurde für uns beide ein unangenehmes Erlebnis. Ich musste mich übergeben, noch ehe ich die Kirche betreten hatte, und Mutter brachte mich wieder nach Hause. Dieses peinliche Geschehen wiederholte sich noch zweimal. Warum Kirchen und Kapellen eine solche Wirkung auf mich haben, weiß ich nicht. Kein Arzt konnte eine Erklärung finden. Deshalb wurde ich immer vom Gottesdienst befreit. Noch heute kann ich keinen Blick in eine Kirche werfen, ohne Brechreiz zu bekommen.«

    Sie lächelte verwirrt.

    »In meiner Kinderzeit war Schluss mit den Kirchgängen, weil ich mich Vater gegenüber verplapperte. Er reagierte wie ein Wahnsinniger, warf seinen Teller nach Mutter, sprang auf und jagte sie um den Tisch. Ich rannte schreiend nach oben in mein Zimmer. Eine Zeitlang, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, hörte ich, wie er sie schlug und verfluchte. Sie musste eine Woche im Bett liegen, und danach war sie nie mehr dieselbe Frau wie früher. Immer klagte sie über Schmerzen, und die Hausarbeit fiel ihr ständig schwerer. Ihre Bekannten aus der Gemeinde machten sich Sorgen um sie und besuchten sie, und auch der Pastor kam ein- oder zweimal in der Woche, wenn Vater nicht da war, und las mit ihr in der Bibel.

    Einer dieser Besuche war eine Ursache, dass sie im Alter von achtundzwanzig

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