Warten auf Rebecca: Irrlicht - Neue Edition 14 – Mystikroman
Von Tina Lyr
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert.
Kaum lag ich im Bett, da fielen meine Augen wie von selbst zu. Schlaftrunken griff ich nach dem Lichtschalter, um meine Lampe auszuknipsen, als meine Finger ein kleines viereckiges Objekt aus Metall berührten. Verblüfft richtete ich mich auf und hob es auf. Mit einem Schlag war meine Müdigkeit wie fortgeblasen. Ich begann zu zittern. Mit fahrigen Handbewegungen rieb ich mir über die Augen. Dann ließ ich den Gegenstand auf meine Zudecke fallen. Nie wird Mama das private Sanatorium verlassen und in die Welt draußen zurückkehren. Nie wird sie das Jauchzen meiner Kinder hören oder geliebte Menschen erkennen. Serena St. Alban, die hochbegabte Malerin, Gastdozentin an den berühmtesten Kunstakademien der Welt, weiß nicht mehr, wer sie ist, wer sie war. Vielleicht ist es eine Gnade, daß sie, die keine Zukunft hat und in einer Region von Schatten dahindämmert, sich nicht an die Vergangenheit erinnert. Mir, ihrer einzigen Tochter, fällt es schwer, das Unabänderliche hinzunehmen. Wieviel Schönheit, wieviel Charme, wieviel künstlerisches Talent wurde mit Mama ausgelöscht. Aussicht auf Heilung besteht nicht. Serenas Gehirn ist unwiderruflich zerstört, ihr sprühender Geist tot. Seit über drei Jahren lebt Serena St. Alban hinter dicken Anstaltsmauern und Gitterfenstern, erst der Tod wird sie von ihrer trostlosen Existenz erlösen. Für mich, für meine gesamte Familie, wird sie stets eine große Persönlichkeit bleiben. Auch ihr Werk wird fortbestehen.
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Warten auf Rebecca - Tina Lyr
Irrlicht - Neue Edition
– 14 –
Warten auf Rebecca
Treffpunkt Rom – Wo bleibt die rätselhafte Freundin?
Tina Lyr
Kaum lag ich im Bett, da fielen meine Augen wie von selbst zu. Schlaftrunken griff ich nach dem Lichtschalter, um meine Lampe auszuknipsen, als meine Finger ein kleines viereckiges Objekt aus Metall berührten. Verblüfft richtete ich mich auf und hob es auf. Mit einem Schlag war meine Müdigkeit wie fortgeblasen. Ich begann zu zittern. Mit fahrigen Handbewegungen rieb ich mir über die Augen. Dann ließ ich den Gegenstand auf meine Zudecke fallen. Hätte ich in meinem Bett eine scharfe Handgranate gefunden, meine Entsetzen wäre nicht größer gewesen …
Nie wird Mama das private Sanatorium verlassen und in die Welt draußen zurückkehren. Nie wird sie das Jauchzen meiner Kinder hören oder geliebte Menschen erkennen. Serena St. Alban, die hochbegabte Malerin, Gastdozentin an den berühmtesten Kunstakademien der Welt, weiß nicht mehr, wer sie ist, wer sie war. Vielleicht ist es eine Gnade, daß sie, die keine Zukunft hat und in einer Region von Schatten dahindämmert, sich nicht an die Vergangenheit erinnert. Mir, ihrer einzigen Tochter, fällt es schwer, das Unabänderliche hinzunehmen. Wieviel Schönheit, wieviel Charme, wieviel künstlerisches Talent wurde mit Mama ausgelöscht. Aussicht auf Heilung besteht nicht. Serenas Gehirn ist unwiderruflich zerstört, ihr sprühender Geist tot.
Seit über drei Jahren lebt Serena St. Alban hinter dicken Anstaltsmauern und Gitterfenstern, erst der Tod wird sie von ihrer trostlosen Existenz erlösen. Für mich, für meine gesamte Familie, wird sie stets eine große Persönlichkeit bleiben. Auch ihr Werk wird fortbestehen. Die Ausdruckskraft ihrer Bilder ist unvergänglich.
Ich schreibe diese Geschichte nieder, um Mama und ihre Nachfahren vom Stigma des erblichen Wahnsinns zu befreien. Und um aufzuzeigen, zu wieviel Heimtücke manche Menschen aus Habgier fähig sind.
Fast hätte ich das bittere Schicksal meiner Mutter geteilt. Wäre ein niederträchtiger Plan nicht vereitelt worden, hätte auch ich den Rest meines Lebens in geistiger Umnachtung und räumlicher Isolation zugebracht. Ein menschliches Wrack, aller natürlichen Fähigkeiten beraubt. Daß es nicht dazu kam, ist nicht mein Verdienst.
Damals, in jenem schicksalhaften Sommer, bin ich nichtsahnend in mein Verderben gerannt. Mehr und mehr verirrte ich mich in einem fein gesponnenen Netz mysteriöser Ereignisse, bis selbst wohlmeinende Leute an mir und meiner Zurechnungsfähigkeit zweifelten. Ich selbst nicht ausgenommen. Ich durchlebte eine schwere Persönlichkeitskrise, die mich bis an den Rand der Selbstaufgabe trieb.
Genau das war es, was meine Peiniger beabsichtigten. Heute, vier Jahre danach, ist mir bewußt, wie grenzenlos naiv und weltfremd ich gewesen war. Wer über einen gesunden Selbsterhaltungstrieb verfügt, vertraut seinen Mitmenschen nur bedingt. Ich hingegen setzte blindes Vertrauen in jeden, der vorgab, es gut mit mir zu meinen. Das machte mich wehrlos, als ich unversehens zum Opfer infamer Manipulationen wurde.
Es waren bittere Erfahrungen, die ich damals sammeln mußte. Ich bin gereift daraus hervorgegangen. Aber beinahe wäre ich daran zerbrochen.
In dieser schlimmen Phase begegnete ich einem Menschen, der unerschütterlich an mich glaubte. Ihm und seinem tatkräftigen Beistand verdanke ich meine Gesundheit, wenn nicht gar mein Leben. Und das tiefe, erfüllte Glück, das ich an seiner Seite gefunden habe. Schon wenige Wochen nach den unheilvollen Ereignissen haben wir geheiratet. Nach einigem Zögern hat uns Großmama, um wertvolle Erfahrungen reicher, ihren Segen gegeben. Sie hat aus ihren Fehlern gelernt und eingesehen, daß sie nicht allmächtig ist.
Die alte Dame hat sich überhaupt sehr verändert. Sie ist nachsichtiger geworden, verständnisvoller und duldsamer. Sie hat es aufgegeben, ihre Umgebung beherrschen zu wollen, und verwöhnt statt dessen ihre zwei Urenkel, an denen sie mit größter Liebe hängt. Mein Sohn Philip, genannt Fips, hat vorige Woche seinen zweiten Geburtstag gefeiert. Er ist ein strammer kleiner Bursche und für sein Alter recht pfiffig. Sein Schwesterchen Catherine ist gerade sechs Monate alt. Großmama strahlt vor Stolz, wenn sie – was sie fast unentwegt tut – mit unseren quecksilbrigen Rangen prahlt. Die staunenden Zuhörer erfahren, daß Fips und Cathy angehende Genies sind, und wehe dem, der es wagen sollte, Malvinia St. Albans urgroßmütterliches Urteil in Zweifel zu ziehen. Mein Mann und ich tun’s jedenfalls nicht. Die Vorstellung, daß unsere Lieblinge sich dereinst mit Ruhm bekleckern werden, gefällt uns sehr. Um der Ehrlichkeit willen sei erwähnt, daß sie sich vorläufig mit ganz anderen Dingen bekleckern.
Großmamas erbitterter Groll gegen meine Mutter ist in tiefe Anteilnahme umgeschlagen. Ich glaube, sie fühlt sich an Mamas traurigem Schicksal mitschuldig. Sie setzt alles daran, um wenigstens ein bißchen Sonne in das Elend ihrer Schwiegertochter zu bringen. Leider gibt es nicht viel, das wir für Serena tun können. Sie muß ihren Leidensweg bis zum Ende gehen. Vor einer Woche allerdings, als ich ihr meine Gemälde vorführte, erschien es mir, als träte ein schwaches Leuchten in ihre leeren Augen.
Mag sein, daß es sich dabei um eine Lichtbrechung handelte, doch ich stelle mir lieber vor, daß sie ihren Sinn für Konturen und Farben nicht völlig verloren hat. Bevor ich meine Bilder zu meiner ersten Vernissage gebe, werde ich sie zu Mama bringen. Ermutigt von meinem Mann, habe ich mir vorgenommen, beruflich in ihre Fußstapfen zu treten. Selbst wenn ich ihre künstlerische Brillanz nie erreichen werde.
Aber ich greife vor. Meine Geschichte begann Jahre vorher. Eigentlich hat sie noch vor Vaters Tod angefangen. Aber das stellte sich erst heraus, als alles vorüber war.
Als ich an jenem nebligen Junitag frohgemut das Flugzeug nach Rom bestieg, steuerte eine willkürlich herbeigeführte Tragödie ihrem Ende entgegen. Ich wußte es bloß nicht. Ebensowenig wie ich wußte, daß mir in dem Drama eine Hauptrolle zugedacht war.
Meine Gedanken wandern zurück ins Jahr 1973.
Wie verheißungsvoll hatte dieser Sommer begonnen…
*
Immer schneller rollte die Maschine über die Startbahn, hob vom Boden ab und gewann rasch an Höhe. Das ungewohnte Gefühl der Freiheit überwältigte mich. So wie mir mußte es einem Vogel zumute sein, der nach einem zermürbend langen Käfigaufenthalt ungehindert umherfliegen darf.
Ich kuschelte mich tief in meinen Sitz und schloß zufrieden die Augen. Noch konnte ich es kaum glauben, daß ich London für eine Weile hinter mir gelassen hatte. Das soll nicht heißen, daß ich meine Heimatstadt nicht mochte. Ich lebte sehr gern dort. Ich liebte auch Ivory Hall, unseren traditionsreichen, aus der späten Tudorzeit stammenden Familiensitz. Dennoch hatte ich bisweilen das Empfinden, ersticken zu müssen. Ich benötigte dringend eine Luftveränderung, einen Tapetenwechsel, bevor mir die Decke tatsächlich auf den Kopf fiel.
Ich hatte meinen Auslandsurlaub nicht ohne heftige Kämpfe durchgesetzt. Großmamas verkniffenes Gesicht stand noch deutlich vor mir, als sie sagte: »Schlage dir diese Reise aus dem Kopf, Frederica. Bildest du dir allen Ernstes ein, ich ließe dich allein nach Rom reisen, noch dazu zu einer wildfremden Person?«
»Rebecca ist keine Fremde für mich«, hatte ich aufbegehrt. »Sie ist meine Freundin.«
»So?« Wenn Großmama etwas nicht vertrug, dann war es Widerspruch. »Wieso kenne ich sie nicht? Wieso hast du sie mir nie vorgestellt?«
Weil du kein gutes Haar an ihr gelassen hättest, war es mir durch den Kopf gegangen. Natürlich war meine Antwort viel diplomatischer ausgefallen.
»Es hat sich noch keine Gelegenheit dazu ergeben, Großmama.«
Das war natürlich eine Ausflucht gewesen. Eine gemeinsame Teestunde hätte sich durchaus organisieren lassen. Aber eine Begegnung von Malvinia St. Alban und Rebecca Merrit war so ziemlich das letze, das ich mir wünschte. Ich brauchte nicht viel Phantasie, um mir auszumalen, was bei einem Zusammentreffen derart unvereinbarer Charaktere herauskommen würde. Ebensogut hätte ich Öl in offenes Feuer gießen können. Einige wesentliche Merkmale hatten Großmama und meine Freundin nämlich gemeinsam: ein hitziges Temperament und die Neigung, ihre Meinung ungeschminkt zu äußern. Nie kümmerten sie sich darum, ob sie andere mit ihrer Direktheit vor den Kopf stießen. Lieber unhöflich sein als heucheln, hieß ihre