Sonnenmensch – oder Vampir?: Irrlicht - Neue Edition 17 – Mystikroman
Von Georgia Wingade
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Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert.
Lilija hatte sich für den Mann entschieden, der sie die Herzogin von Kurland werden ließ – Herrin über die legendären, angeblich verschollenen oder ausgerotteten Sonnenanbeter. Sie wusste, dass es sie noch gab. Sie hatte Träume, die es ihr verrieten. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, hatte sie jene unerklärliche Sehnsucht … Sie hatte sich ertappt, dass sie unerklärliche Bissbewegungen gemacht hatte, doch in was oder wen wollte sie beißen? Sie wollte beißen – und küssen. Und dann dieses Sehnen. Manchmal dachte sie, dass sie erlöst werden wollte. Doch wovon? Und warum erinnerte sie sich nicht an ihre Vergangenheit? So richtig begann alles erst am siebten Tag, als die »Latvia Queen« im Hafen von Sankt Petersburg einlief. Karla Neumann bestaunte bereits von weitem das imposante Panorama, das sich den Passagieren des Kreuzfahrtschiffes bot. Es war später Vormittag und nach einem vorgezogenen Mittagessen würden die ersten Ausflüge starten. Das alles ging vorbereitet und ohne allzu unnötige Hast vonstatten. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren war Karla »Charlie« Neumann durchaus sportlich zu nennen, doch was sie nicht leiden konnte, war Hetze, zeitliches Gedränge; das konnte sie arg in Not bringen. Manchmal äußerte sich dies in einem Wutausbruch, zunehmend aber auch in purer Resignation, was ihr noch viel weniger passte. Hier auf der »Latvia Queen« hatte sie ein wohl dosiertes Zeitmanagement festgestellt, das ihr behagte. Karla, die sich von ihren Freunden und Freundinnen »Charlie«
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Irrlicht - Neue Edition
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Sonnenmensch – oder Vampir? - Georgia Wingade
Irrlicht - Neue Edition
– 17 –
Sonnenmensch – oder Vampir?
Im Kurland passiert das Unfassbare
Georgia Wingade
Lilija hatte sich für den Mann entschieden, der sie die Herzogin von Kurland werden ließ – Herrin über die legendären, angeblich verschollenen oder ausgerotteten Sonnenanbeter. Sie wusste, dass es sie noch gab. Sie hatte Träume, die es ihr verrieten. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, hatte sie jene unerklärliche Sehnsucht … Sie hatte sich ertappt, dass sie unerklärliche Bissbewegungen gemacht hatte, doch in was oder wen wollte sie beißen? Sie wollte beißen – und küssen. Und dann dieses Sehnen. Manchmal dachte sie, dass sie erlöst werden wollte. Doch wovon? Und warum erinnerte sie sich nicht an ihre Vergangenheit?
So richtig begann alles erst am siebten Tag, als die »Latvia Queen« im Hafen von Sankt Petersburg einlief. Karla Neumann bestaunte bereits von weitem das imposante Panorama, das sich den Passagieren des Kreuzfahrtschiffes bot. Es war später Vormittag und nach einem vorgezogenen Mittagessen würden die ersten Ausflüge starten. Das alles ging vorbereitet und ohne allzu unnötige Hast vonstatten.
Mit ihren fünfundzwanzig Jahren war Karla »Charlie« Neumann durchaus sportlich zu nennen, doch was sie nicht leiden konnte, war Hetze, zeitliches Gedränge; das konnte sie arg in Not bringen. Manchmal äußerte sich dies in einem Wutausbruch, zunehmend aber auch in purer Resignation, was ihr noch viel weniger passte. Hier auf der »Latvia Queen« hatte sie ein wohl dosiertes Zeitmanagement festgestellt, das ihr behagte.
Karla, die sich von ihren Freunden und Freundinnen »Charlie« nennen ließ, war von zierlicher Gestalt und maß nicht viel mehr als einen Meter fünfundsechzig. Boris, ihr langjähriger Freund aus der Bankenbranche hatte sie immer als eine »liebevolle Handvoll« bezeichnet. Nun war es aus zwischen ihnen und sie musste sich diese, in ihren Augen eher leicht abqualifizierende Bezeichnung, nicht länger gefallen lassen.
Die Kabine, in der sie die Nächte seit Abfahrt von Bremerhaven verbracht hatte, lag auf Deck 6 »Neptun« des Kreuzfahrtschiffes und war für ihre Verhältnisse geradezu luxuriös, dabei aber angenehm und gefällig ausgestattet. Die vierzehntägige Reise war ein Geschenk ihrer Erbtante Christa, der sie zu ihrem 75. Geburtstag einen gemischten Strauß aus rot getüpfelten weißen Tulpen und dunkelroten Rosen geschenkt hatte. Zum Dank war sie als einzige Gratulantin, die persönlich vorbei gekommen war, zum Abendessen in einem gewiss nicht billigen Restaurant eingeladen worden.
Charlie, die sich viel auf ihre indivíduelle Freiheit zugutehielt, hatte sich zu dem Besuch überwinden müssen, denn Christa Verhusch, geborene von Frideck, galt als verschroben und eigenbrötlerisch, die an allem und jedem herumzumeckern hatte. Grund genug, sie möglichst zu meiden und selbst telefonisch Zurückhaltung zu üben.
Allerdings, Erbtante Christa war eigentlich die Stiefschwester von Karlas Mutter, genauer gesagt: sie war eine Art Großtante von Charlie. Und was noch viel wichtiger und interessanter war: Sie war dem Vernehmen nach im Besitz enormer Reichtümer wie Aktien und Immobilien. Und das in einem Gesamtumfang, der – so munkelte man – mehrere Millionen Euro erreichte.
Da Charlie durch den verhängnisvollen Autounfall ihrer Eltern vor fünf Jahren zur Waise geworden war und keine Geschwister hatte, war die 25-Jährige nun die einzige Anverwandte der griesgrämigen Großtante. Und daher hatte sie sich bemüßigt gefühlt, zu deren Jubiläumsgeburtstag nach Kronberg im Taunus zu fahren, wo die aus hellem Sandstein erbaute Gründerzeit-Villa in einem weitläufigen Park hinter hohen Hecken versteckt war.
Das Essen im »Gutsherrenhof« verlief in angenehm ruhiger Atmosphäre. Tante Christa, sonst wegen ihres sarkastischen Humors gefürchtet, zeigte sich von einer ungewohnten, weil sehr umgänglichen Seite, interessierte sich für Charlies beruflichem Alltag, als wollte sie sich selbst auf eine solche Stelle bewerben.
Allerdings war Karla Neumann nicht der Meinung, dass das Sekretärinnen-Dasein in Frankfurt am Main besonders interessant oder gar spannend war, dem entsprechend fiel ihre Schilderung eher dürftig aus.
Als Dessert hatte Tante Christa eine Mousse au chocolat für beide bestellt, nicht ohne ihre zukünftige Erbin zuvor mit einem raschen Blick um Zustimmung zu fragen. Während sie die traumhaft cremige Schoko-Masse genossen, eröffnete die 75-Jährige ihrem Gast, dass sie im Testament als Alleinerbin eingesetzt war, was sie ziemlich überraschte. Denn sie war immer davon ausgegangen, dass ihre Tante eine Menge Geld für besondere, beziehungsweise mildtätige Zwecke vererben würde.
»Ich weiß nicht, wie viele Jahr mir noch bleiben«, führte Tante Christa aus und ihr Blick wurde mit einem mal sehr sanft, fast melancholisch. »Soll der Staat alles einsacken, was nach meinem Tode bleibt? Außer dir habe ich keinen Angehörigen, also sollst du dieses Haus und meine restlichen Reserven bekommen. Und für andere Dinge oder Organisationen bin ich nicht zuständig.«
Sie hielt kurz inne, um einen Schluck Champagner zu trinken, den sie zur Mousse geordert hatte, dann griff sie über den Tisch und fasste Charlies rechte Hand. Diese wurde durch die für ihre Tante fast intime Geste total überrascht, wollte ihre Hand instinktiv zurückziehen, beließ es aber dann dabei. Denn sie merkte sofort, wie ernst es ihrer Tante war. Hier ging es – auch – um ihre eigene Zukunft.
Während Karla noch nach Worten rang, um sich für die verheißungsvolle Ankündigung zu bedanken, drückte Tante Christa fest ihre Rechte und fuhr fort: »Beim Notar war ich schon, die Papiere sind unterschrieben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass du meinen Geburtstag nicht vergessen hast. Es war ein unglaublich schönes Gefühl, auf diese Weise beschenkt zu werden. Daher will ich mich mit einem Geschenk meinerseits an dich bedanken. Hier!«
Sie hatte ihre andere Hand in die Handtasche gesenkt, die neben ihr auf dem Fensterbord stand, und einen Umschlag im DIN-A 5-Format hervorgezogen.
»Nimm! Es soll ein Vorgeschmack sein auf das, was du dir nach meinem Tod wirst leisten können. Mach es auf!«
Und gehorsam öffnete Karla den Umschlag, der nicht zugeklebt, sondern von dem nur die Lasche eingesteckt war.
»Wie du siehst«, fuhr die Tante fort, ohne auf Charlies Reaktion zu warten. »Du gehst auf Kreuzfahrt, sollst ein wenig mehr von dieser Welt kennenlernen, von deren schönen Ecken ich im Laufe der Jahre eine ganze Anzahl sehen und bewundern durfte.«
Karla Neumann war überrascht. Damit hatte sie nun so gar nicht gerechnet, dass sie bei Gelegenheit des Geburtstages ihrer Tante auch selbst beschenkt werden würde!
»Ostsee!«, sagte sie und: »Danke, wie soll ich dir bloß danken. So ein tolles Geschenk. Das Meer wollte ich schon immer einmal befahren. Und dann gleich eine so große Reise. Vierzehn Tage, steht hier, soll es dauern. Und Sankt Petersburg ist auch dabei mit der legendären Eremitage! Ich freue mich.«
Sie stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte ihre Tante, die angesichts ihrer, sie seit Jahren plagenden Arthritis dabei sitzen blieb.
Als sich Karla wieder gesetzt hatte, griff Tante Christa noch einmal in ihre voluminöse Tasche und reichte ihrer Nichte ein Päckchen.
»Du findest darin ein Smartphone!«, erläuterte sie. »Alles eingerichtet und bezahlt. Damit du mich jeden Tag auf dem Laufenden halten kannst, falls du das für notwendig hältst. Aber natürlich nur«, fügte sie hinzu, als sie Karlas fragenden Blick auf sich gerichtet sah, »falls du das willst. Da hast du natürlich freie Hand, denn es geht mir keinesfalls darum, dich zu überwachen.«
Sie lächelte, als Karla zustimmend nickte, und diese merkte erst jetzt, dass ihr Gegenüber in Erwartung von Karlas Reaktion die Luft angehalten hatte.
*
Und jetzt war Karla bereits den siebenten Tag auf diesem eleganten, fast luxuriösen Kreuzfahrtschiff, das gerade in den Hafen von St. Petersburg einlief. Von der Reling, an die sie sich auf Deck sieben »Nereus« lehnte, hatte sie einen umfassenden Überblick auf das Panorama dieser weltberühmten Stadt mit seinen unglaublich vielfältigen Museen und Palästen; eigentlich erstaunlich, dass die Zeit des strammen sowjetischen Kommunismus so zahlreiche Beweise adeliger und großbürgerlicher Vergangenheit hatte stehen lassen, dachte sie und horchte auf. Im Lautsprecher, von denen es zur Information der Passagiere und der Besatzungsmitglieder sehr viele überall auf dem Schiff gab, war ein Knacken zu hören. Und dann: »Passagiere, die den Ausflug SP 3 Eremitage gebucht haben, sammeln sich ab sofort im Theatersaal! Ich wiederhole: Ausflug SP 3 Eremitage; Kartenausgabe für den Bus im Theatersaal.«
Sie musste los.
*
Wie sie da, an der Reling gelehnt, die nahe Stadt bestaunt hatte, während der leichte Wind mit ihrem Kurzhaar spielte, hatte ihn das total angemacht. Eine bildhübsche Frau, noch dazu anscheinend ungebunden, zumindest hatte ein Blick auf ihre Hände keinen Ring erkennen lassen. Wenn er mit einer solchen Frau bei seiner Familie auftauchen würde, wäre sein Status innerhalb des