Die Nebelwand von Stafford-Manor: Irrlicht - Neue Edition 1 – Mystikroman
Von Melissa Anderson
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert.
Ich nahm den Stapel Bücher vom Tisch und ordnete sie wieder in die Regale ein. Ausgerechnet heute, wo ich etwas früher gehen wollte, herrschte in der Stadtbücherei von Brest, in der ich als Bibliothekarin arbeitete, reger Betrieb. Ungeduldig blickte ich auf meine Armbanduhr. Schon Viertel vor fünf! In etwas mehr als einer Stunde würde mich mein Verlobter, Henri de Cavagnac, von zu Hause abholen, um mit mir zum Schloß seiner Eltern zu fahren. Schloß Morgat lag an einem besonders wilden und zerklüfteten Teil der bretonischen Küste. Es war ein romanisches Schloß aus dem 12. Jahrhundert. Ich war noch niemals dort gewesen, aber Henri hatte mir immer wieder verschiedene Fotografien gezeigt, so daß ich es nun schon ganz gut kannte. Stolz und unnahbar stand es auf einer Anhöhe, von der aus die Klippen steil ins Meer abfielen. Das Meer war fast ständig in Aufruhr, so erzählte mir Henri, und in den Sagen und Legenden, die man sich von diesem ungewöhnlichen Landstrich erzählte, hieß es, zu bestimmten Zeiten kann man die Stimmen der Ertrunkenen hören, die um Bestattung bitten. Ein unheimlicher Ort! Auf der einen Seite faszinierten mich das Schloß und seine Umgebung, und ich wollte auch gern endlich meine zukünftigen Schwiegereltern kennenlernen, aber andererseits verspürte ich doch ein unbestimmtes Angstgefühl, wenn ich mir vorstellte, meinen dreiwöchigen Urlaub ausschließlich an diesem düsteren Ort verbringen zu müssen. Sicher, ich liebte Henri von ganzem Herzen, und wir wollten bald heiraten, aber ein gemeinsamer Urlaub an der Côte d'Azur oder auf Korsika hätte mir jetzt im Moment besser gefallen. Doch ich wollte ihn nicht enttäuschen und mir meine düsteren Gedanken, die sich um Schloß Morgat rankten, nicht anmerken lassen. Und ich würde ihn schon gar nicht wissen lassen, daß ich etliche Bücher über die Bretagne, speziell über die Gegend um den Pointe du Raz, gelesen hatte. Schaurige Geschichten erzählte man sich da, und obwohl ich ein modernes, aufgeschlossenes Mädchen war, das mit beiden Beinen auf der Erde stand, mußte ich doch zugeben, daß sie mich nicht unbeeindruckt ließen. Obwohl ich im elsässischen Colmar geboren und aufgewachsen war und erst seit ein paar Jahren mit meinem Vater in der Bretagne lebte, liebte ich dieses Land von Tristan und Isolde, das Reich der Feen und Gnome und der Gralslegende, sehr. Allerdings riefen Gedanken an Geisterburgen, die oft Schauplatz grauenhafter Szenen waren, an Teufelsbeschwörer, Sonnenanbeter und heidnische Opferstätten in mir stets ein leises Unbehagen hervor und jagten mir mehr als einmal kalte Schauer über den Rücken. Und nun sollte ich also mehrere Wochen in einem dieser geheimnisumwitterten Schlösser leben!
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Die Nebelwand von Stafford-Manor - Melissa Anderson
Irrlicht - Neue Edition
– 1 –
Die Nebelwand von Stafford-Manor
Melissa Anderson
Ich nahm den Stapel Bücher vom Tisch und ordnete sie wieder in die Regale ein. Ausgerechnet heute, wo ich etwas früher gehen wollte, herrschte in der Stadtbücherei von Brest, in der ich als Bibliothekarin arbeitete, reger Betrieb.
Ungeduldig blickte ich auf meine Armbanduhr. Schon Viertel vor fünf! In etwas mehr als einer Stunde würde mich mein Verlobter, Henri de Cavagnac, von zu Hause abholen, um mit mir zum Schloß seiner Eltern zu fahren.
Schloß Morgat lag an einem besonders wilden und zerklüfteten Teil der bretonischen Küste. Es war ein romanisches Schloß aus dem 12. Jahrhundert. Ich war noch niemals dort gewesen, aber Henri hatte mir immer wieder verschiedene Fotografien gezeigt, so daß ich es nun schon ganz gut kannte.
Stolz und unnahbar stand es auf einer Anhöhe, von der aus die Klippen steil ins Meer abfielen. Das Meer war fast ständig in Aufruhr, so erzählte mir Henri, und in den Sagen und Legenden, die man sich von diesem ungewöhnlichen Landstrich erzählte, hieß es, zu bestimmten Zeiten kann man die Stimmen der Ertrunkenen hören, die um Bestattung bitten.
Ein unheimlicher Ort!
Auf der einen Seite faszinierten mich das Schloß und seine Umgebung, und ich wollte auch gern endlich meine zukünftigen Schwiegereltern kennenlernen, aber andererseits verspürte ich doch ein unbestimmtes Angstgefühl, wenn ich mir vorstellte, meinen dreiwöchigen Urlaub ausschließlich an diesem düsteren Ort verbringen zu müssen.
Sicher, ich liebte Henri von ganzem Herzen, und wir wollten bald heiraten, aber ein gemeinsamer Urlaub an der Côte d’Azur oder auf Korsika hätte mir jetzt im Moment besser gefallen.
Doch ich wollte ihn nicht enttäuschen und mir meine düsteren Gedanken, die sich um Schloß Morgat rankten, nicht anmerken lassen. Und ich würde ihn schon gar nicht wissen lassen, daß ich etliche Bücher über die Bretagne, speziell über die Gegend um den Pointe du Raz, gelesen hatte.
Schaurige Geschichten erzählte man sich da, und obwohl ich ein modernes, aufgeschlossenes Mädchen war, das mit beiden Beinen auf der Erde stand, mußte ich doch zugeben, daß sie mich nicht unbeeindruckt ließen.
Obwohl ich im elsässischen Colmar geboren und aufgewachsen war und erst seit ein paar Jahren mit meinem Vater in der Bretagne lebte, liebte ich dieses Land von Tristan und Isolde, das Reich der Feen und Gnome und der Gralslegende, sehr.
Allerdings riefen Gedanken an Geisterburgen, die oft Schauplatz grauenhafter Szenen waren, an Teufelsbeschwörer, Sonnenanbeter und heidnische Opferstätten in mir stets ein leises Unbehagen hervor und jagten mir mehr als einmal kalte Schauer über den Rücken.
Und nun sollte ich also mehrere Wochen in einem dieser geheimnisumwitterten Schlösser leben!
Fast hatte ich etwas Angst vor dem, was ich in diesen Wochen erleben würde. Denn daß ich manche aufregende Dinge erleben würde, das hatte ich irgendwie schon im Gefühl. Und wider meine Vernunft begann mein Herz in wilder Vorfreude zu klopfen.
Ich war noch nicht ganz mit Packen fertig, als es klingelte. Nach einer Weile führte Betty, die Papa und mir den Haushalt besorgte, Henri herein.
Henri war groß, schlank, ein sportlicher Typ. Er trug einen hellen Cordanzug, der fast die Farbe seines Haares hatte. Sein von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht mit den seltsamen wasserblauen Augen stand in einem interessanten Kontrast dazu. Er war ein sehr gut aussehender Mann, und ich war stolz darauf, daß er mich zur Frau begehrte.
Er begrüßte mich mit einem flüchtigen Kuß, der mich etwas enttäuschte.
»Brauchst du noch länger, Suzanne?« fragte er ungeduldig und zündete sich eine Zigarette an.
»Nein«, erwiderte ich, »ich bin gleich soweit. Es tut mir leid, aber es war einfach unmöglich, heute früher zu gehen. In der Bücherei war der Teufel los.«
»Schon gut«, brummte Henri und nahm die beiden Koffer, die ich schon fertig gepackt hatte, um sie zum Wagen zu tragen.
Hastig stopfte ich noch ein paar Sachen in meine Reisetasche und verabschiedete mich dann von Papa und Betty. Dann stieg ich in Henris Sportwagen.
Die Fahrt war herrlich. Wir fuhren eine schmale Küstenstraße entlang. Henri hatte das Verdeck seines Wagens heruntergeklappt. Vom Meer her wehte eine würzige Brise, und der kühle Abendwind spielte mit meinem langen dunklen Haar.
Wie ein goldener leuchtender Ball versank die Sonne schließlich im Meer und überglänzte mit ihrem letzten Schein das dunkle Wasser und die bizarren Felsen am Strand.
Nach einiger Zeit verspürte ich Hunger, und ich bedauerte, daß ich nichts zum Essen mitgenommen hatte. Selbst Betty hatte nicht daran gedacht. Oder glaubte sie, wir würden unterwegs einkehren?
»Im nächsten Ort gibt es einen gemütlichen ländlichen Gasthof mit ausgezeichneter Küche. Was hältst du von einem guten Essen?« fragte mich Henri in diesem Augenblick und wie schon so oft dachte ich mir, daß er wohl die Fähigkeit hatte, meine Gedanken zu lesen.
»Oh«, lächelte ich erfreut, »ich halte sehr viel davon.«
Wenig später saßen wir in der gemütlichen Gaststube und aßen gefüllte Hammelfüße, geschmorten Auerhahn und als Nachspeise ein Omelette surprise.
Es war schon dunkel, als wir wieder weiterfuhren. Henri hatte das Verdeck des Wagens wieder geschlossen, denn der Wind war heftiger und kühler geworden. Die Straße führte ein Stück ins Landesinnere und dann wieder an der Küste entlang.
Mir wurde ganz seltsam zumute, und mein Herz begann heftig zu klopfen, als ich tief unter mir das dunkle rauschende Meer liegen sah.
Der Mond warf ein kaltes, unwirkliches Licht auf die aufgewühlte Wasseroberfläche und ließ die zerklüfteten Felsen gespenstisch und drohend erscheinen. Ich schauerte zusammen, als ich mir vorstellte, daß Schloß Morgat ebenfalls in solch einer geheimnisvollen, verlassenen Gegend stand.
Ich wandte mein Gesicht vom Fenster ab und kuschelte mich tiefer in die Wagenpolster. Dabei bemerkte ich, wie Henri mir einen amüsierten Blick zuwarf.
»Ich habe fast den Eindruck, daß du dich fürchtest?« bemerkte er mit leisem Spott in der Stimme.
»Ich... nein... wieso kommst du darauf?« stotterte ich verwirrt. Ich wollte mir auf keinen Fall anmerken lassen, wie recht er hatte. »Nein, es ist nichts. Mir wird nur schwindlig, wenn ich so tief hinunterschauen muß.«
Das war keine Lüge. Ich war wirklich nicht schwindelfrei. Daß meine Angst allerdings einem ganz anderen Gefühl entsprang, brauchte er ja nicht zu wissen.
»Jetzt ist es nicht mehr weit. Gleich sind wir da«, tröstete mich Henri und legte seine Hand auf meine Schulter.
Doch seltsamerweise hatte diese Hand in diesem Augenblick gar nichts Tröstliches an sich und konnte mir diese unerklärliche Angst nicht nehmen.
Nach einer langgezogenen Kurve tauchte Schloß Morgat im diffusen Mondlicht auf. Ich konnte zwar keine Einzelheiten erkennen, aber es mußte sich um ein riesiges Gebäude handeln, wie ich aus den Umrissen erkennen konnte. Auf mich machte es den Eindruck einer Festung. An der Seite, wo die Felsen steil ins Meer abfielen, stand ein gewaltiger Turm.
Nun fing es auch noch an zu regnen. Der Sturm rüttelte an dem Auto, als es die steinige Auffahrt hinaufholperte, und mir wurde wieder übel, als ich wie unter einem Zwang den Abgrund hinabblickte.
»Bei Nacht und vor allem bei diesem Wetter sieht Schloß Morgat nicht sehr einladend aus. Aber morgen, bei Tageslicht wird es dir bestimmt gut gefallen«, meinte Henri leichthin.
Wir fuhren jetzt durch einen Torbogen in einen Innenhof. Henri lenkte den Wagen direkt in die Garage, deren Türen weit offenstanden. Als Henri die Scheinwerfer löschte, standen wir im Dunkeln.
»Nanu«, wunderte sich Henri, »was ist denn hier passiert? Warum brennt denn nirgends Licht?«
Meine Beklommenheit wuchs. Ich huschte hinter Henri über den Innenhof auf eine große Tür. Zu meiner Erleichterung war sie offen, und Henri und ich traten in einen großen Raum, der schwach vom Mondlicht erhellt wurde.
Es war eine Art Empfangshalle, wie ich vermutete. Henri probierte sämtliche Lampen, doch es blieb alles finster. Dann rief er ungeduldig nach Louis, dem Diener und Chauffeur des Hauses, den ich bereits aus seinen Erzählungen kannte.
Doch nichts rührte sich. Henri stieß einen unterdrückten Fluch aus, drückte mich in einen Sessel und bat mich, hier zu warten, bis er wieder käme. Dann entfernte er sich mit unsicheren Schritten durch eine zweite Tür.
Ich saß wie erstarrt. Was sollte das bedeuten? Warum gab es hier kein Licht? Henris Eltern wußten doch, daß ich heute kommen würde. Warum waren sie denn nicht hier, um mich zu begrüßen? Warum mußte ich hier allein im Finstern sitzen?
Obwohl es in dem Raum nicht kalt war, begann ich zu frieren. Ich lauschte angestrengt in die Dunkelheit, doch außer dem geisterhaften Heulen des Windes drang kein Laut an mein Ohr. Als ich mich aus dem Sessel erhob, um ans Fenster zu treten, merkte ich, daß ich leicht zitterte.
Wieder verspürte ich dieses Kribbeln in der Magengegend, als ich durch die hohen Fenster direkt in den Abgrund hinunterblickte. Schaudernd trat ich etwas zurück.
Tief unter mir rauschte der Ozean, und ich konnte hören, wie sich die Wellen an den Klippen brachen. Jetzt verdunkelten schwarze Wolkenfetzen das Mondlicht. Der Sturm wurde heftiger und pfiff schauerlich um das alte Gemäuer.
Ich flüchtete mich zitternd in den riesigen Ohrensessel und barg das Gesicht in den Händen. Die Vorahnung einer tödlichen Gefahr überkam mich plötzlich, und ich sehnte mich zurück nach der Geborgenheit meines gemütlichen Zuhauses.
*
Plötzlich ging das Licht wieder an. Erleichtert atmete ich auf und drehte mich um. Ich hörte Stimmen, und gleich darauf öffnete sich eine Tür. Eine reizende ältere Dame trippelte auf hohen Absätzen auf mich zu und reichte mir ihre ringgeschmückte Hand.
»Guten Abend und herzlich willkommen auf Schloß Morgat, liebe Suzanne. Ich bin Madame de Cavagnac, Henris Mutter.«
Mein Herz flog dieser Frau zu.