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Das Haus über dem Meer: Kriminalroman Reihe Dupont 4
Das Haus über dem Meer: Kriminalroman Reihe Dupont 4
Das Haus über dem Meer: Kriminalroman Reihe Dupont 4
eBook356 Seiten5 Stunden

Das Haus über dem Meer: Kriminalroman Reihe Dupont 4

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Über dieses E-Book

Martens, ein deutscher Geschäftsmann, macht mit seiner Frau und zwei halbwüchsigen Kindern Urlaub in La Ciotat an der französischen Riviera. Dort erwirbt er ein verlassene Villa samt einem riesigen Grundstück auf einer Klippe über dem Meer. Als er dort einzieht, sitzt ein Nachbar mit einem Laken bedeckt tot am Tisch des Speisezimmers. Die Polizei verdächtigt Martens, aber dieser scheint entlastet, als zwei Mordanschläge auf ihn verübt werden. Gleichzeitig wird die Tochter des Besitzer des Hotels, in dem sie wohnen, entführt: sie ist eine berühmte Pop-Sängerin, für deren Freilassung die Entführer von ihrem Vater Diamanten in Millionenwert verlangen. Der Hotelier zahlt, aber er hätte es nicht tun sollen, denn am gleichen Abend kann Lukas, der 17-jährige Sohn von Martens, die Sängerin befreien. Später wird unter der Terrasse des Hauses über dem Meer das Skelett eines Mannes entdeckt, der vor 20 Jahren, als Martens schon einmal in La Ciotat weilte, einen Goldtransport überfiel. Die Beute wurde nie gefunden. Als die Polizei erneut ihren Verdacht auf Martens als am Überfall Beteiligtem richtet, verschwindet dieser heimlich und taucht erst wieder auf, als Dupont und seine Mitarbeiter die wahre Entführerbande entlarvt haben. Und Martens ist noch für eine weitere Überraschung gut.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Sept. 2013
ISBN9783847654995
Das Haus über dem Meer: Kriminalroman Reihe Dupont 4

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    Buchvorschau

    Das Haus über dem Meer - Hans W. Schumacher

    Die Hauptpersonen

    Henri Dupont, Chef des Detektivbüros Dupont und Co.

    Alida Celentano, seine Lebensgefährtin und Partnerin

    Bernard Grandville, sein Partner

    Lanfranc, Kriminalkommissar und Chef der Sonderkommisssion

    Thierry, sein Assistent

    Brumard, Mitglied der Sonderkommission

    Dubonnet, Mitglied der Sonderkommission

    Marchand, Brigadier

    Pasquale, Direktor des Polizeireviers

    Lanvin, Kriminalkommissar

    Mallory, Kriminalkommissar in Cannes

    Heurtebise, Staatsanwalt und Untersuchungsrichter

    Rolf Martens, Geschäftsmann

    Renate Martens, Geschäftsfrau, seine Frau

    Lukas Martens, sein Sohn

    Nina Martens, seine Tochter

    Petit, Anwalt in Avignon

    Taillac, Juwelier

    Klima, Faktotum von Taillac

    Al Sharif, Gärtner und Chauffeur von Taillac

    Jeanne Leroy, seine Lebensgefährtin

    Olivier, Geschäftsführer von Taillac

    Clamart, Schauspieler

    Christine Clamart, seine Tochter

    Larbaud, Industrieller

    Christian Ferrand, Hotelier des Hotels Au beau midi

    Claude Ferrand, sein Bruder

    Mireille Ferrand, Künstlername Marlene, Tochter des Hoteliers, Popsängerin

    Roberto Manolo, Manager der Popgruppe Les trois mousquetaires

    Philippe Lamaison, gen. Philippe-le-filou, Hotelgast

    Lepic, Hotelgast

    Frau Leroux, Hotelgast

    Marius Barre, Redakteur der Zeitung La voix du sud

    Jules Brossard, verstorben, Lebemann

    Fenouille, verstorben, Lebemann

    Mercier, verstorben, Lebemann

    Giuseppe Paretti, italienischer Anwalt

    Das Cover wurde vn Hans H. Schumacher unter Verwendung einer Federzeichnung des Autors (Das Dorf Ceyreste bei La Ciotat, Provence) gestaltet.

    Das Haus über dem Meer - Teil 1

    Papi, was ist ein Leitfossil? fragte Lukas und hob den Blick vom Kreuzworträtsel, an dem er mit einem Bleistiftstummel in der Rechten arbeitete, während er mit der Linken zum Croissant griff und es in den Milchkaffee tunkte.

    Ein alter Colonel, antwortete sein Erzeuger in einem Anflug von Übermut. Seit dem Vortag beseelte ihn unaufhörliches Hochgefühl. Er zwinkerte seiner besseren Hälfte zu, die ihn mit verschwörerischem Lächeln anblickte und den Kopf leise dem elefantenförmigen Vorgebirge zuneigte, das die Meeresbucht von Westen her begrenzte. Er nickte zurück und hätte vor Vergnügen am liebsten laut herausgelacht.

    Alter Colonel ist zu lang, wandte sein Sohn ein und lugte heimlich zu dem Greis hinüber, den die Familie unter sich Colonel Hutty nannte, ein Engländer mit militärisch gestutztem weißem Schnurrbart. Offenbar war er der Vater der Ente, einer kleinen Dicken mit vier Kindern, die wie die Orgelpfeifen nebeneinander saßen und unter dem strengen Blick des ehemaligen Soldaten schweigend ihren gewohnten Porridge löffelten, den der Küchenmeister widerwillig auf den besonderen Wunsch und unter Aufsicht der Mutter hergestellt hatte.

    Graf Drakula, ein Franzose mit Adlernase, dunklem Haar und leicht hervorstehenden Eckzähnen in einem schiefen Gebiß vertiefte sich neben ihnen in die Zeitung La Voix du sud. Das Eichhörnchen, eine wie Drakula allein an ihrem Tischchen sitzende junge Frau, fummelte wieder an ihrer Handtasche, ohne die sie nicht auszukommen schien und aus der sie ständig etwas herauszusuchen und in den Mund zu stecken pflegte.

    Dann nimm Ammonit, riet die Mutter, beugte sich über die Zeitschrift ihres Sohnes und begann die Silben zu zählen.

    Paßt, rief sie, nahm dem zögernden Sprößling den Stift aus der Hand und begann die Buchstaben in die Quadrate einzutragen. Lukas ließ es sich gefallen, er starrte zur weit geöffneten Tür des Restaurants hinüber und flüsterte seiner Schwester etwas ins Ohr. Nina blickte von ihrer Bravo auf und schrie: Ja, das sind sie!

    Wer? Papi, der sich wieder seinen Träumen zugewandt hatte, schreckte auf. In der Türöffnung standen vier blutjunge Mädchen, die Rüschenblusen, Pluderhosen und auf den blonden Köpfen breitkrempige Federhüte im Stil des 17. Jahrhunderts trugen. Die französischen Teenager unter den Gästen kreischten: Les trois mousquetaires und stürzten los, um Autogramme zu ergattern.

    Wieso drei, fragte sich Papi laut, ich sehe vier.

    Das verstehst du nicht, ‚les trois mousquetaires étaient quatre’, erklärte sein Sohn, der kaum jünger war als die Musketiere, die Papi auf siebzehn Lenze schätzte. In seinem Bücherschrank hatte er Alexandre Dumas stehen, aber nie gelesen, während der Sohn ihn zum Kultautor erklärt hatte.

    Da lies! Lukas riß seiner Mutter die Zeitschrift aus der Hand, blätterte nach einem Artikel und hielt ihn ihr hin.

    Sweet seventeen, murmelte Mami gerührt, und Papi nahm zur Kenntnis, es handele sich um die zur Zeit berühmteste weibliche Popgruppe Frankreichs. Auf dem herausfaltbaren Glanzfoto waren sie gut wiederzuerkennen. Vater Martens verglich mit den Originalen und fragte seine Kinder: Wollt ihr euch denn kein Autogramm geben lassen?

    Zu seinem Erstaunen schüttelte man den Kopf: Ich steh' auf die Spice-Girls, bekannte das Mädchen.

    Bleib mir weg mit den Spice-Girls, schrie Lukas, diese dummen Zicken.

    Nina wollte lautstark antworten, aber Papa hielt ihr die Hand vor den Mund: Ihr seid hier doch nicht allein.

    Der Widerwille ließ jedoch nach, als offenbar wurde, daß von den Mädchen und einigen hinter ihnen auftauchenden jungen Männern Freikarten verteilt wurden. Lukas und Nina nickten sich einverständig zu und drängten sich unter die Fans. Der Junge stand plötzlich einer der Sängerinnen gegenüber, die ihm mit freundlichem Lächeln zwei Karten in die Hand drückte. Lukas lächelte dankend zurück, und als er ihr in die braunen Augen sah, errötete er, sein Herz schlug heftig. Er stand da, wie vom Donner gerührt, spürte nicht, wie man ihn knuffte und wegzuschieben suchte, er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Marlene, die ihm den Blitzschlag versetzt hatte, drehte ihm den Rücken zu und nachdem die jungen Männer für Ruhe gesorgt hatten, nahm die ganze Gruppe, Musketiere, Musiker und Organisatoren an den für sie reservierten Tischen auf der Terrasse Platz, um das Frühstück einzunehmen.

    Lukas kehrte mit brennenden Wangen zu den Eltern zurück. Er hielt die Beute in der Faust, als wollte er sie nie mehr loslassen, sank geistesabwesend auf seinen Stuhl und horchte auf den Aufruhr in seinem Innern. Der Vater zupfte ihm vorsichtig die Karten aus der geschlossenen Hand und las laut vor: Trois Mousquetaires, Open air concert. Stade municipal de La Ciotat, Ave. de Clavel 12, Dienstag, 9. Juni 1999, 20, 30 Uhr. - Das ist heute abend. Ihr geht doch hin?

    Natürlich, brummte der Jüngling und errötete wieder vor Schreck über das Bekenntnis. Geschenkter Gaul. Das muß man ausnutzen, hier ist doch sonst nichts los.

    Seine Eltern machten eine Miene, als müßten sie einen Heiterkeitsausbruch bekämpfen.

    Der junge Mann versuchte durch eine Lücke zwischen den Gästen einen Blick auf das Mädchen zu werfen, das ihn so gründlich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte: sie hatte sich den Federhut vom Kopf genommen, ihr hellblondes Haar geschüttelt und schenkte sich Kaffee ein. Lukas glaubte, daß noch nie jemand so anmutig die Tasse in der Hand gehalten hatte, daß noch nie ein Stück Brot in einen schöneren Mund gesteckt wurde. Er schlug die Zeitschrift auf, und als er ihr Bild fand, wußte er, daß er schon immer in sie verknallt gewesen war. Wie ging das zu? Es lag an den anderen, sie hatten hübsche, aber nichtssagende Gesichter, das hatte ihn abgelenkt. Ja, es schien, als habe der Manager, nachdem er Marlene entdeckt hatte, die übrigen drei nur nach einer oberflächlichen Ähnlichkeit mit ihr ausgewählt. Das Foto zeigte die weiblichen Musketiere, wie sie, alle zugleich einen Fuß vorsetzend, ihre Degen zückten. Sie versuchten herausfordernd und verwegen auszusehen, aber ihre jugendliche Unschuld stand dem entgegen.

    Nina hatte sich mit dem Erfolg ihres Bruders zufriedengegeben und war an den Frühstückstisch zurückgekehrt, als sie den großen Blonden mit dem schwarzen Schuh, begleitet von la belle au bois dormant, erblickte, die auf die Terrasse traten. Ninas Schwarm war der große Blonde, allerdings trug er nicht nur einen, sondern zwei schwarze Schuhe. Nina ignorierte die Frau an seiner Seite. War sie auch schön wie Dornröschen, dieser Mann gehörte in den Träumen Nina. Allerdings war ihr nicht ganz klar, ob sie nicht Jean Marais, an dessen Tisch die beiden Platz nahmen, noch mehr schätzte. Jean Marais sah Jean Marais nicht einmal sonderlich ähnlich, aber er flößte die gleichen Gefühle ein. Kürzlich hatte sie im Fernsehen Cocteaus Film Die Schöne und das Biest angeschaut, und seitdem dachte sie mit einem gewissen Schauder an Jean Marais, der einen so beunruhigenden Blick besaß, als würde er sich unversehens in einen Löwen verwandeln. Dann flüchtete sie sich im Geiste wieder in den Schutz des großen Blonden, der Sicherheit versprach.

    Inzwischen erschien auch der schwarze Panther Arm in Arm mit dem Kamel in der Morgensonne, schützte die Augen mit der Hand, blickte über die blendende Meeresfläche, in der die Grüne Insel wie ein vor Anker liegendes Schiff ruhte, und ließ sich neben der schwatzenden Horde der Pop-Musiker nieder. Das Kamel überragte ihren Begleiter um Haupteslänge, besaß die gelangweilt hochmütige Unterlippe des Wüstenschiffes und wiegte sich wie ein solches auf langen Beinen in den Hüften. Der Schwarze Panther bemühte sich vorbildlich um sie, rückte ihr den Stuhl zurecht und streifte ihre Wange mit einem Kuß, den sie gleichmütig hinnahm. Er war ein guter Ehemann, dabei hätte man Angst bekommen müssen vor seinen wütenden Augen, den buschigen Brauen, die wie zwei Schuhbürsten wirkten, und den glatt angeklebten rabenschwarzen Haaren.

    -

    Rolf Martens ließ nach einer Geheimkonferenz mit seiner Frau die Familie am Strand zurück, stieg in seinen Wagen und strebte dem westlich vom Hafenbecken gelegenen Stadtteil La Ciotats zu, der zu Füßen des gut dreihundert Meter über die Stadt aufragenden Leuchtturmberges lag. Nachdem er die Siedlungen der Werftarbeiter durchquert hatte, passierte er ein Viertel mit einzelstehenden Häusern. Links von sich sah er die buckligen Felsrücken, in deren Einschnitten kleine, tief in die Felsen eingeschnittene Meeresbuchten lagen. Trampelpfade führten durch die Pinienwäldchen in die Tiefe. Zwischen den Buckeln stand ein bizarr geformter Fels, den die Einheimischen seiner Form wegen Adlerschnabel oder auch den Mönch nannten. Er war schwer zu erklettern, während die übrigen Felsen so glatt waren wie Elefantenrücken, Martens hatte einen von ihnen mit Turnschuhen bestiegen. Am äußersten Ende stand man vor dem Abgrund: senkrecht fielen die roten Felswände zur See hinab. Martens, der sich vorsichtig vorbeugte, konnte tief, tief unter sich die Brandung sehen, die gegen den Fuß des Massivs ankämpfte.

    Die Straße stieg an, dann kam ein Park, an ihn schlossen sich zwei Villengrundstücke an, die durch hohe Gitterzäune geschützt waren. Rolf Martens hatte die Buchten, die er von der Meerseite her kannte, gezählt und fand nun das Terrain, auf das er es abgesehen hatte. Am Nachmittag davor war er von unten hinaufgestiegen. Er hatte an einem Bootssteg mit dem Schild Privatgelände. Betreten verboten angelegt und war dem Pfad gefolgt, der steil auf zuweilen in den Stein eingeschlagenen Stufen nach oben führte, und hatte von weitem einen Blick auf die Villa geworfen, die hoch oben auf dem Felsplateau lag. Von der Straße aus war sie nicht zu sehen, die Zypressenallee, die in einer S-Kurve auf sie zuführte, verdeckte sie vollständig. Er hielt vor dem verschlossenen Tor, und die Sträucher und Pflanzen, die in der Einfahrt wuchsen und es unmöglich machten, das Gitter zu öffnen, bestätigten ihm seine Schlußfolgerung vom Tag zuvor. Dieses Anwesen mußte schon seit Jahren verlassen sein.

    War es zu kaufen, und was mochte es kosten? Allein die Größe des Terrains war erschreckend; mit den Felspartien zusammen betrug es vielleicht einen halben Quadratkilometer, der Preis mußte enorm sein! Gestern hatte er das Haus nur von weitem gesehen, aber er hatte bemerkt, daß Gras auf den Fenstersimsen wuchs. Auch auf der großen, das ganze Haus umgebenden Terrasse bewegte sich hohes Unkraut in der leichten Brise, die auch die Blätter der zwei verirrten Bäumchen in der Dachkalle flirren ließ.

    Er war einsam hier, außer dem Wind, dem Kreischen einer Möwe, die vom Meer aus hinaufsegelte und dem zögernden Krächzen einer einzelnen Zikade war nichts zu hören. Die Straße endete nicht weit von der Villa vor den geschlossenen Brettertoren eines stillgelegten Steinbruchs, auf der dem Anwesen gegenüberliegenden anderen Seite der Straße war unwegsames Gelände voller Steinbrocken, Heidekraut, Krüppelkiefern, einzelnen Pinien und Steineichen. Kein Mensch war zu sehen, der ihm hätte Auskunft geben können. Er setzte den Wagen wieder in Gang, wendete auf dem staubigen Platz vor dem Steinbruch und fuhr an dem endlosen Gitterzaun mit seinen gefährlichen Lanzenspitzen entlang. Auf der Ostseite trennte eine hohe Hecke das Grundstück vom Nachbargarten. Von einer offenstehenden Pforte in der Mitte der Hecke aus ging ein Weg auf das verlassene Haus zu, ein Pfad zweigte zur Calanque ab und traf irgendwo tief unten auf den, welchen er am Vortag benutzt hatte. Anscheinend teilten sich die beiden Hausbesitzer die Badebucht.

    Das Meer lag glitzernd im Morgenlicht, in der Ferne zog ein einsames Boot mit geblähten Segeln daher und darüber wölbte sich der azurene Himmel. Das wunderbare Schauspiel erzeugte in ihm eine Art von feierlicher Glückserwartung. Er stieg aus dem Wagen und schritt durch die offene Toreinfahrt der benachbarten Villa. Eine mit Kies bestreute Zypressenallee führte zu einem großen Gebäude in einiger Entfernung, rechts und links davon war ein durch Taxushecken gegliederter Park, in dem in großen Bottichen Zitronen- und Orangenbäumchen gehalten wurden. Rechts neben der Einfahrt lag ein einstöckiges Pförtnerhäuschen mit einer dreitürigen Garage, einem Geräteschuppen und einem freistehenden Gewächshaus. Niemand war zu sehen. Martens drückte auf einen Klingelknopf aus Messing unter dem Namensschild Taillac am rechten Pfeiler des Eingangs, wartete vergeblich, versuchte es noch einmal erfolglos, ging dann zur Haustür des Pförtners und pochte. Nichts rührte sich. Als er versuchte, durch die Fensterscheibe ins Innere zu lugen, hörte er das Knirschen von Kies hinter sich und jemand klopfte ihm auf die Schulter.

    Hä! krächzte eine Stimme zur Begrüßung. Martens sah den Sprecher an. Er war mittelgroß, Anfang dreißig, hatte eine Halbglatze und einen Dreitagebart. Er steckte in einem blauen Overall und hielt einen Schraubenschlüssel in ölverschmierten Händen. Seiner Hautfarbe nach hielt ihn Martens für einen Nordafrikaner. Mit seinem besten Französisch fragte er ihn nach dem Namen des Nachbarn.

    , sagte der Mann, hielt die Hand ans Ohr und schüttelte den Kopf.

    Savez-vous ou je peux trouver le propriétaire de cette maison-là, insistierte Martens, wies mit dem Finger nach Westen und um noch deutlicher zu machen, worum es sich handelte, schritt er auf dem Kiesweg, der rechts um das Pförtnerhaus herumführte, auf die Hecke zu.

    Das hätte er nicht tun sollen, denn nun versperrte ihm der Mann mit zwei Schritten den Weg, krächzte noch einmal und hob den Schraubenschlüssel in Schulterhöhe. Das war deutlich genug, Martens seufzte, machte eine resignierte Handbewegung und trat den Rückzug an. Auf der Straße angelangt, wandte er den Blick nach hinten. Der einsilbige Zerberus stand in der Toreinfahrt, wiegte das Werkzeug in der Rechten und sah ihm grimmig nach.

    Eine knappe Stunde später saß Martens in einem kahlen Zimmer des Katasteramts von La Ciotat an einem ebenso kahlen Tisch und studierte den 21. Band des Grundbuchs, den ihm eine Angestellte gebracht hatte. Das Buch war dick, alt und stockfleckig: auf den linierten Seiten war in einer gestochenen Handschrift mit schwarzer Tinte eingetragen: Besitzerin Marie-Anne Tussot, Avignon, 7, rue Malherbes. Er fragte den Beamten, der hinter der Theke stand, warum und wie lange das Haus leer stünde. Der aber wußte nichts. Er war erst seit zwei Jahren im Dienst, außerdem stammte er aus Marseille.

    -

    Um das Geld zu bekommen, das er für sein Unternehmen brauchen würde, führte Martens mit dem Direktor seiner deutschen Hausbank ein gut dreiviertelstündiges Telefongespräch.

    Ja, glauben Sie denn, daß es das wert ist, daß es sich rechnet? fragte der Direktor immer wieder. Martens kam die Rede vor wie eine Gummiwand, von der jedes Argument abprallte.

    Kennen Sie denn die entsprechenden Gesetze?

    Ja, ich kenne sie, log Martens geduldig, und die stehen dem nicht entgegen.

    Und Sie setzen Ihr Eigenkapital von 1,2 Millionen ein? fragte der Banker zum dritten Mal. Martens bestätigte es.

    Also gut, Martens vermeinte eine Art sandiges Knirschen zu hören, als öffne sich eine Tresortür, die seit hundert Jahren nicht bewegt worden war. Sie können mit 1,5 Millionen rechnen, aber keinen Pfennig mehr, zu den üblichen Konditionen. Laufzeit drei Jahre.

    Martens ließ den Atem pfeifend den Lungen entströmen und stotterte seinen Dank.

    Und Sie schicken mir diese Fotos! befahl ihm der Direktor zum Abschied.

    Martens versprach es ihm mit einem Seufzer. Er verließ die Mairie, ging am Hafenkai entlang bis zur Freßgasse, wie sie seine Kinder nannten, und betrat ein Fotostudio, das zwischen einer Weinhandlung und einem Delikatessengeschäft lag, dem appetitanregende Düfte entströmten.

    Schöne Bilder, sagte der Händler, als er sie zur Ansicht vor Martens ausbreitete, wo haben Sie die gemacht?

    In Spanien, antwortete dieser kurz angebunden, raffte die Bilder zusammen, ehe sonst jemand sie zu sehen bekommen konnte, zahlte eilends und suchte das Weite. Er glaubte, den prüfenden Blick des Fotohändlers im Rücken zu spüren, wandte sich aber nicht um.

    Er fuhr zurück und suchte einen Parkplatz auf dem Platz vor dem Hotel. Wie fast überall in der Provence war er mit Platanen bestanden, in deren Schatten die Einheimischen Boule spielten. Das Ziel des Spiels war, die Eisenkugel der eigenen Partei von einer in den Boden gekratzten Linie aus möglichst nahe an das Cochonet, zu deutsch Schweinchen, ein vorausgeworfenes Holzkügelchen, heranzubringen. Der Abstand zwischen der Abwurflinie und dem Schweinchen war zuweilen sehr groß. Um so schwieriger schien es zu sein, die Kugel über den unebenen Boden an das Ziel heranzuwerfen.

    Die Kugeln rollten knirschend über den Sand oder knallten aufeinander, wobei von Gelächter begleitete Reden über die Fähigkeit oder besser Unfähigkeit des Spielers, der gerade an der Reihe war, geführt wurden, was, wie Martens gehört hatte, faire la musique genannt wurde. Sie war hauptsächlich dazu bestimmt, den Werfer aus dem Konzept zu bringen. Für die Aktion, die pointer hieß, brauchte man mehr Feingefühl, dazu waren auch Frauen geeignet, während das frapper meistens eine Angelegenheit des starken Geschlechts darstellte: war die Kugel der gegnerischen Partei gefährlich nahe an das Schweinchen pointiert worden, warf der nächste Spieler seine so zielgenau durch die Luft, daß sie mit einem Knall auf die gegnerische Kugel prallte, welche dadurch veranlaßt wurde, sich schleunigst davonzumachen, während die geworfene Kugel reglos an der Stelle liegen blieb, die die andere eingenommen hatte. Das war ein zauberhaftes physikalisches Phänomen.

    Nachdem Martens sich einige Zeit mit Zuschauen vergnügt hatte, betrat er das Hotel, nickte dem Portier zu, der gerade damit beschäftigt war, neue Gäste zu empfangen, und strebte durch einen Gang, der den Frühstücks- vom Speisesaal trennte, der Terrasse zu. Vor dieser lag ein von Pinien beschatteter Garten, links am Zaun zum Nachbargrundstück war das Boulodrome für die Hotelgäste eingerichtet, eine gut gepflegte, glatte Sandbahn zwischen dicken Holzbohlen. Martens sah, daß dort der große Blonde, Jean Marais, la belle au bois dormant und ein unbekannter älterer Mann sich dem Kugelspiel widmeten.

    Martens sah auf seine Uhr, es war kurz nach eins. Es würde bald Essen geben, Zeit, seine Familie aufzustöbern. Er ging durch den Garten auf den Sandstrand zu, passierte das Süßwasserschwimmbad und den kleinen Hafen, in dem sein Motorboot festgemacht war, und ließ den Blick über die im Sand hingelagerten Badegäste schweifen, deren Urlaubsdauer man an der mehr oder minder gebräunten Haut erkennen konnte.

    -

    Nina hatte allen Grund, mit dem großen Blonden unzufrieden zu sein. Statt sich auch nur einziges Mal nach ihr umzusehen, wenn sie sich neben den dreien vom Tisch siebzehn einölte, in der Sonne aalte oder mit gekonntem Schwung ins Wasser warf, er ließ kein Auge von seiner Angebeteten, umsorgte sie, schäkerte mit ihr, küßte sie ungeniert in aller Öffentlichkeit. Gewiß tat er es, um Neid zu erregen, argwöhnte die Kleine. Denn auch sie konnte die Vorzüge von Dornröschen nicht leugnen, es war ein echter Dorn in Ninas Augen. Also war zu prüfen, ob nicht wenigstens Jean Marais zugänglicher war, der schien unbeweibt und unabgelenkt. Nun zermarterte sie sich das Gehirn, wie sie es anstellen konnte, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ihr langweiliger Bruder lag schon seit einer Stunde schweigend neben ihr im Sand und starrte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in den blauen Himmel.

    Kommst du mit ins Wasser? fragte sie. Sie hatte sich eine Taktik ausgedacht, wie sie auf dem Rücken schwimmend par hasard mit ihrem Schwarm zusammenstoßen, pardon, monsieur sagen und entamer une conversation könnte. Nun fiel ihr ein, daß sie vor Aufregung ihr bißchen Französisch im Stich lassen könnte und sah sich nach Hilfe um.

    Laß mich in Ruhe! zischte ihr Bruder leise. Seit dem Vorabend träumte er von Marlene, die sich durch den Rausch der fetzigen Musik in seinem Geist vervierfacht hatte, so wie ein Betrunkener alles mehrfach sieht. Schon nach dem ersten Song der Musketiere hatte er alle anderen Rock-Gruppen vergessen, fand die hellen, grellen Stimmen der französischen Sängerinnen mitreißend, die Lautstärke des Orchesters angemessen und die des Beifalls verständlich. Uberhaupt war die ganze Atmosphäre genau so klasse wie die Inszenierung der Auftritte auf der vom bunten Scheinwerferlicht erhellten Bühne mitten auf dem Fußballfeld. Uber den schwarzblauen Nachthimmel zuckten Laserstrahlen im Rhythmus der Musik, verschränkten und trennten sich, bündelten sich erneut, wechselten die Farbe, bildeten sich öffnende und schließende Fächer. Die schlanken Mädchenleiber, welche in sehr sparsame Kostüme gehüllt waren, wirbelten, drehten und wanden sich wie Flammen eines lodernden Feuers, doch war daran nichts Dämonisches, es war pure jugendliche Lebensfreude, voller Witz und Sex.

    Einem verteilten Faltblatt hatte er entnommen, daß Marlene eigentlich Mireille hieß, sich aber den Künstlernamen Marlene aus Verehrung von Marlene Dietrich gegeben hatte. Diese völkerverbindende Tat machte sie ihm erst recht sympathisch, denn im übrigen war ihm trotz seiner guten, in der Schule erworbenen Sprachkenntnisse die französische Kultur noch sehr fremd; von den Personen, deren Namen auf den bunten Plakaten standen, die die Häuserwände zierten und Konzerte, Theater- oder Varietéveranstaltungen ankündigten, hatte er nicht den geringsten Schimmer.

    Nina hatte angesichts der voraussichtlichen Schwierigkeiten der Mut verlassen, sie ließ sich wieder in den Liegestuhl unter dem Sonnenschirm gleiten, den ihnen der Bademeister des Hotels aufgestellt hatte. Sie fragte ihren Bruder:

    Hast du eine Ahnung, was Papi in den letzten Tagen treibt, er wirkt so aufgedreht und ist nie da.

    Lukas blieb mit hinter dem Kopf verschränkten Armen liegen und antwortete: Ich glaube, er will sich ein Haus kaufen.

    Geil, schrie sie, und wo?

    Weiß nicht, sagte er gleichmütig, zog ein beim Konzert verteiltes Informationsblatt unter dem Badetuch hervor und versuchte es zu übersetzen.

    He, sagte er zu Nina, die ihm von oben her zusah, Marlene ist aus La Ciotat, jetzt kapiere ich auch, warum die alle so aus dem Häuschen waren. Nina interessierte das ihrerseits nur mäßig: A propos Häuschen, fragte sie, woher weißt du das mit dem Haus?

    Papi telefonierte heute früh mit jemand auf Französisch, da habe ich etwas davon mitgekriegt.

    Ja, findste das nicht aufregend, empörte sie sich, du liegst da rum, als sei dir das alles schnuppe.

    Ganz recht, mir liegt nichts an einem Haus. Lieber wär mir, wenn Papi mich endlich mal das Motorboot fahren ließe.

    Aber dazu braucht man doch einen Führerschein!

    Denkst du, die fragen hier danach? Ich hab schon Zehnjährige am Steuer gesehen.

    Du kannst dich auf den Kopf stellen, Papi läßt dich nicht ran, sagte sie, um ihn zu ärgern.

    Ja, ja, er ist der große Zampano, nur er weiß alles, nur er kann alles, nur er zahlt für alles, giftete der Heranwachsende. Wenn er zum Beispiel, an die Reling des Kajütkreuzers gelehnt, den staunenden Girls zurufen könnte: Mademoiselles, wie wäre es mit einer Spritztour..., wenn sie dann kichernd und sich in die Rippen stoßend an Bord kommen würden, während er ihnen galant um die Hüften griff ... ja, das waren schöne, aber unerfüllbare Träume, so lange er einen solchen Alten hatte.

    Als er sich anschickte, wieder ins Eldorado abzuschwirren, sah er ihn durch den Sand heranstapfen.

    Wo ist eure Mutter? fragte sein Erzeuger, wischte sich den Schweiß von der Stirn und zog die unbequeme Jacke aus.

    Irgendwo da draußen, meinte Lukas, nicht sehr erbaut über sein plötzliches Erscheinen. Er wies mit der Hand über das unter der Sonne glitzernde Meer, wo sich die kreischenden Kinder der Ente im flachen Wasser bespritzten, die größeren Ball spielten und die Köpfe der Schwimmer langsam davonbewegten, bis sie sich unter dem Blitzen und Flimmern der Sonne in den Wellen verloren.

    -

    Bernard, rief der große Blonde Jean Marais zu, der die Stahlkugel in der Hand wog, das schaffst du nie.

    Die geht auf jeden Fall daneben, setzte „Dornröschen die Musik fort, das kann überhaupt nicht gut gehen."

    Bernard schüttelte den Kopf wie ein Pferd, das Fliegen vertreibt, fixierte die weit entfernte Kugel und versuchte, sich zu konzentrieren.

    Er glaubt, er schafft's trotzdem, sagte der große Blonde und kicherte, er traut sich viel zu.

    Bernard hielt inne und sah sich herausfordernd nach ihm um: Wetten, daß wir gewinnen.

    Nur wenn Gründonnerstag auf Karfreitag fällt! meinte Dornröschen.

    Bernard grinste, betrachtete noch einmal die Anordnung der Kugeln und begann die Ausholbewegung.

    Da geht sie hin, sagte der große Blonde, adieu auf immer.

    Kommissar, sagte Jean Marais zu seinem älteren Partner und ließ den Arm sinken, führen Sie diese Leute hinters Haus und erschießen Sie sie.

    Er zeigt Wirkung, freute sich der Blonde, Alida, gib ihm den Rest!

    Aber ehe sie der Anweisung gehorchen konnte, hatte Bernard die Kugel geworfen, sie beschrieb einen schönen Bogen und traf ihr Ziel. Die feindliche Kugel schoß davon und landete am Ende der Bahn.

    Die Spieler gingen hinüber und betrachteten das Ergebnis.

    Na, meinte Bernard zufrieden, das hättet ihr nicht gedacht, was? Zwei für uns.

    Das macht, zählte der Kommissar zusammen, neunzehn zu siebzehn. Wir siegen.

    Noch ist nicht aller Tage Abend, sagte der große Blonde und hob für Alida die Kugeln auf, unsere Stunde kommt noch. Er legte der jungen Frau den Arm um die Schulter und sah zu, wie Bernard das Schweinchen vorauswarf.

    Uh, seufzte Alida, das ist weit.

    Nicht wahr? Bernard sah sich um und grinste, und das ist gut für uns.

    Irgendwie ist dies Spiel wie das richtige Leben, stellte der Kommissar fest. Der eine fliegt mit einem großen Knall raus, und der andere nimmt seinen Platz ein.

    Verdrängungswettbewerb, ergänzte der große Blonde, total unsozial! Und wir haben auch noch Spaß daran.

    Es lebe der Kapitalismus! rief Bernard und

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