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Tödliche Begierden: Ein Eifel-Krimi
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Tödliche Begierden: Ein Eifel-Krimi
eBook380 Seiten4 Stunden

Tödliche Begierden: Ein Eifel-Krimi

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Über dieses E-Book

»Zustände wie im alten Rom«, kommentierte Kommissar Fröhlich, »was ist die Eifel doch für ein verderbter Landstrich.«

Fünf »Wilde Schwestern« machen ein Ahrweiler Internat unsicher. Als zwanzig Jahre später eine von ihnen auf bizarre Weise ermordet wird, geraten die übrigen vier unter Verdacht. Der Schock für Mülenberk: Die Beweise gegen seine Tochter Marie sind erdrückend. Als wäre das alles noch nicht genug, wird Mülenberk in mehrere Ritualmorde hineingezogen, die die Menschen in der Eifel zutiefst verstören. Hass, Gier und ein zu hohes Wagnis münden in einem Drahtseilakt, der nicht nur für Mülenberk bei jedem falschen Schritt tödlich enden kann.

Der Autor zieht uns in ein unergründliches Geflecht aus Lügen, Manipulation und menschlichen Abgründen hinein, das uns bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt.

Das Video zum Krimi unter: www.blutundwurst.de
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Aug. 2020
ISBN9783347135499
Tödliche Begierden: Ein Eifel-Krimi

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    Buchvorschau

    Tödliche Begierden - Rolf Eversheim

    1. Kapitel

    Zum dritten Mal nahm sie die zerknüllte Einladung aus dem Papierkorb, gerade so, als hätte sie nicht bereits beim ersten Lesen gewusst, dass Monique Doerffel besser aus ihrem Leben verschwunden blieb. Monique Doerffel, ihre beste Freundin. Bis sie ihr Alexander ausgespannt hatte. Nicht, dass der Abgang ihres entbehrbaren Freundes sie mit ihren 17 Jahren tief getroffen hätte. Nein, die Art und Weise, wie Monique Doerffel sich Alexander angeeignet hatte, hatte dafür gesorgt, dass sie die Freundschaft für beendet erklärt und Monique nach dem Ende der Schulzeit 20 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Was sie gelegentlich über sie gehört hatte, war alles andere als nett und viel mehr, als sie wissen wollte. Monique Doerffel, die Rättin.

    »Liebe Marie, wir hatten schon in der Schule unsere kleinen Geheimnisse und ich bin sicher, dass du sie in deinem eigenen Interesse niemals verraten hast! Dies ist jetzt zwanzig Jahre her und es ist an der Zeit, mit einem kleinen süßen Geheimnis wieder an unsere verschworene gemeinsame Zeit anzuknüpfen!«

    Marie konnte es nicht fassen, mit welcher Chuzpe sich Monique nach zwei Jahrzehnten Funkstille bei ihr meldete.

    »Ich lade alle Wilden Schwestern‹ zu mir nach Bonn ein. Es erwartet euch ein phantasieanregender Abend mit einer bezaubernden Fee, die unsere erotischen Welten erweitern wird.«

    Marie nahm die Einladung, die der Postbote ihr nichtsahnend in den Briefkasten des Düsseldorfer Anwesens geworfen hatte und zerriss sie in viele kleine Schnipsel. Keiner davon war größer als eine Briefmarke. Erotische Phantasien. So eine Unverfrorenheit! Dabei dachte sie an Alexander. Sicher hatte Monique ihn nach kurzer Zeit aus ihren Klauen entlassen, um sich den nächsten damit zu greifen.

    Sie öffnete das Fenster und übergab die Fetzen der Einladung dem frischen Frühlingswind. Sie schenkte sich ein Glas Spätburgunder von der Ahr ein, legte eine CD von den Scorpions auf und ließ sich mit einem tiefen Seufzer aufs Sofa fallen.

    Bei ›Wind of Change‹ wurden Erinnerungen an ihre Schulzeit wach. Mit 16 Jahren war sie auf das private Eliteinternat in der Eifel gekommen. Die Entscheidung ihrer Eltern zu akzeptieren, war ihr nicht leichtgefallen, aber rückblickend musste sie sich eingestehen, dass es eine richtige Entscheidung war. An ihrem Düsseldorfer Gymnasium war sie in eine Clique geraten, deren Einfluss auf sie, höflich gesprochen, ungünstig war. Ihre viel zu früh verstorbene Mutter hatte es drastischer ausgedrückt. »Kind, so gibt das nix mit dir. Diese Clique zerstört deine Zukunft. Und das werden dein Vater und ich nicht zulassen.«

    Voller Frust und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch hatte sie sich schließlich gefügt. Im Internat fand sie überraschend schnell Anschluss. Nicht wenige Neuzugänge ihrer Klasse waren aus ähnlichen Gründen wie sie hier. Ihre neue Clique nannte sich die ›Wilden Schwestern‹ und das waren sie auch. Marie lächelte, als sie die Bilder der Klassenkameradinnen vor ihrem geistigen Auge sah. Ein Wiedersehen in alter Besetzung wäre bestimmt toll, aber nein, auf gar keinen Fall im Reich der Rättin.

    Nach dem dritten Glas Wein war Marie eingedöst und wurde vom Klingeln des Telefons geweckt. Sie schaute auf die Uhr. Wer um alles in der Welt rief sie um zehn Uhr abends noch an? Sie hob ab und bereute es im nächsten Augenblick.

    »Hallo Marie, hier ist Monique. Monique Doerffel. Wie schön, dass ich dich direkt an der Strippe habe!«

    Monique sprach ganz einfach so, als hätten sie sich erst gestern gesehen. Keine Unsicherheit, keine Verlegenheit, keine Spur von einem schlechten Gewissen. Marie war überrumpelt. Monique hatte sie in ihre Spinnennetze gewickelt und Marie hörte sich zum Ende des Telefonates nur noch sagen: »Natürlich nehme ich deine Einladung gerne an, Monique. Ich freue mich ja so.«

    Marie schenkte sich den Rest der Weinflasche ein und trank das Glas in einem Zug leer. Wie hatte Monique es in nur fünf Minuten fertiggebracht, derart ihre Meinung zu ändern? Waren es Sätze wie »Du warst doch immer schon meine Lieblings-Wilde-Schwester« oder »Komm, das ist doch schon ewig her, dass du dich überhaupt noch daran erinnerst« oder »Was meinst du, was wir alles aus den Gesichtern der Schwestern lesen werden?« Oder hatte sie schlicht und einfach dem Drängen von Monique nichts entgegenzusetzen, die sie schon immer mitgerissen hatte wie ein ICE, dem man bei voller Fahrt zu nahe gekommen war. Den Versuch, ihre Zusage mit ihrer Verschlafenheit und dem Wein zu rechtfertigen, gab sie bald auf. Monique hatte es wieder mal geschafft. Marie war sicher, dass ausnahmslos alle ›Wilden Schwestern‹ da sein würden. Keine war der Manipulationskraft von Monique gewachsen.

    2. Kapitel

    Nur wenige Geräte wurden vormittags genutzt. Das Fitnessstudio in Bad Neuenahr erwartete die Mehrzahl seiner Besucher erst am späten Nachmittag oder in den Abendstunden. Das ›Body & Soul‹ war auf gehobene Ansprüche ausgelegt und entsprechend gestalteten sich die Mitgliedsbeiträge. Um diese Uhrzeit trainierten in der Regel Frauen, die Mann und Kinder aus dem Haus in die Schule und die Firma befördert hatten und bis zum Mittag ihre happy hour zwischen den familiären Verpflichtungen genossen.

    Umso erfreuter waren die beiden Stammkundinnen, dass sie um diese Uhrzeit aus den Augenwinkeln einen durchtrainierten Best Ager beobachten konnten, der seinen Trainingsparcours mit der Leichtigkeit, Eleganz und Konzentration einer Raubkatze zu absolvieren schien.

    Irina Kauffmann konnte gar nicht genau festmachen, wieso er sie an einen Jaguar erinnerte, vielleicht weil sie am Vorabend im Fernsehen eine Sendung über die Raubkatzen Mittel- und Südamerikas angeschaut hatte. Jaguare sind Einzelgänger und setzen alles daran, Kontakt mit Artgenossen zu vermeiden. Dieser Satz brachte sich in Erinnerung, als sie den durchtrainierten Mann mit dem markanten Gesicht beim Training beobachtete. Sie schüttelte den Kopf über ihre eigenen Gedankengänge.

    Mit gemischten Gefühlen sah Irina Kauffmann ihren vierzigsten Geburtstag auf sich zukommen. Sie trat in den Crosstrainer, als wäre dieser dafür verantwortlich, dass der Glanz der Jugend verblasste, um irgendwann ganz zu verschwinden. In dem Eliteinternat, in das ihre Eltern sie geschickt hatten, als die pubertierende Tochter ihnen längst über den Kopf gewachsen war, hatten sie einen Deutschlehrer. Er musste damals Mitte fünfzig gewesen sein. Sie hatten ihn immer für einen uralten Kauz gehalten, was wohl auch an seinen langen weißen Haaren lag, mit denen er seiner Abneigung gegen das spießige Lehrerkollegium und seine Sympathie für die Heranwachsenden Ausdruck verlieh. Seinen richtigen Namen hatte sie vergessen, er hieß überall nur ›Der Graue‹. ›Der Graue‹ hatte eine Vorliebe für antike Dichter und mindestens einmal im Monat, wenn sie ihn mal wieder all zu deutlich hatten spüren lassen, dass die Zukunft ihnen gehörte, zitierte er den Griechen Aesop, um sie mit der Vergänglichkeit der Jugend vertraut zu machen. Sie sah das Bild vor sich, wie ›Der Graue‹ ganz ruhig wurde, sich erstaunlich geschmeidig auf das Lehrerpult setzte, seine Brille zurechtrückte und sie voller Güte anschaute. »Kinder«, sagte er, auch wenn sie längst von allen anderen Lehrern gesiezt wurden, »Kinder, wisst ihr, was der große Grieche Aesop mal gesagt hat?«

    Und obgleich er wusste, dass sie es ganz genau wussten, freute er sich jedes Mal darüber, wenn sie laut ›nein‹ riefen. »Dann hört jetzt mal ganz genau zu und merkt es euch gut. In zwanzig Jahren werdet ihr es verstehen. Also: Ursprünglich wurden dem Menschen 30 Lebensjahre zugestanden. Mit dieser kurzen Spanne war der Mensch aber unzufrieden, und so nahmen die Götter dem Esel, dem Hund und dem Affen einige Jahre ab und gaben sie dem Menschen. Der Mensch hat nun die ersten 30 Jahre seines Lebens zu eigen, die nächsten 18 Jahre muss er sich plagen wie ein Esel. Zwischen dem 48. und 60. Lebensjahr liegt er dann in der Ecke, knurrend wie ein alter Hund, und wenn es hoch kommt, sind ihm noch weitere 10 Jahre beschieden, in denen er närrisch ist wie ein Affe.«

    Das Lachen darüber war Irina Kauffmann längst vergangen. Sie hatte Aesop verstanden. Mit seinen graumelierten Haaren erinnerte sie der Jaguar ein wenig an ihren alten Lehrer. Sie wandte sich ihrer Freundin zu, die sich mit einem Handtuch den Schweiß aus der Stirn wischte, ohne die Augen von der Katze zu lassen.

    »Weißt du, an wen der mich ein wenig erinnert, Marie Theres?« Marie Theres Förster erschrak. Sie war mit ihren Gedanken ganz weit weg gewesen. »Wen meinst du?« »Genau den, den du die ganze Zeit so anstarrst«, lachte Irina Kauffmann.

    Marie Theres war eingeschnappt. »Ich starre niemanden an! Ich war nur in Gedanken. Was du immer denkst!«

    »Ich denke nicht. Ich sehe!«

    »Ist mir zu blöd«, schmollte Marie Theres während sie vom Crosstrainer stieg, als wäre es ein ungezähmtes Pferd, das jeden Moment aufbäumen könnte.

    »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« So kannte Irina Kauffmann ihre Freundin nicht.

    »Wenn es eine Laus wäre, dann wäre ja alles gut. Es ist eine ausgewachsene Rättin!« Marie Theres begann vor Wut zu zittern. »Zuerst macht sie sich in aller Öffentlichkeit an meinen Mann ran und dann lädt sie uns ›Wilde Schwestern‹ zu einer Party mit erotischem Hintergrund ein, gerade so, als wäre nie etwas gewesen. Du hast doch sicher auch eine Einladung bekommen?«

    »Ja, habe ich. Und hatte sie schon in den Mülleimer geschmissen, als Monique mich abends spät anrief und mich so lange bequatscht hat, bis ich zugesagt habe.«

    »Genau so war es bei mir. Die macht seit zwanzig Jahren mit uns, was sie will! Irina, so darf das nicht weitergehen. Die Rättin muss weg! Sie wird uns alle noch ins Verderben stürzen.«

    »Wie stellst du dir das vor? Wir können sie doch nicht so einfach verschwinden lassen!«

    »Vielleicht doch. Man muss es nur richtig einfädeln. Lass’ uns doch heute Abend gemeinsam was essen gehen. Im ›Alten Weinhaus‹ können wir ungestört reden.«

    »Gute Idee«, bestätigte Irina Kauffmann. »Mein Mann ist sowieso beim Kegeln. Sagt er.«

    »Sagt er«, wiederholte Marie Theres und dachte an ihren Mann und an Monique.

    Auf ihrem Weg zu den Duschen sahen sie den Jaguar, wie er sich Eisenscheibe um Eisenscheibe auf die Hantelbank aufpackte, gerade so als gälte es, einen Baukran mit Gewichten zu bestücken. Er legte sich mit dem Rücken auf die Bank, konzentrierte sich und drückte die Stange nach oben, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Die beiden Frauen sahen sich wissend an. Ihre Männer waren Bürotiger, ihre Trainingsgeräte Handys und Tastaturmäuse. Die einzigen Gewichte, die sie stemmten, waren die Biergläser am Stammtisch.

    Ein abgewürgter Schrei und ein Unheil ahnen lassendes metallisches Geräusch drang von der Hantelbank zu ihnen herüber. Sie drehten sich um und der Atem stockte ihnen. Die Stange mit den Gewichten lag auf dem Hals des durchtrainierten Mannes, der sich offensichtlich aus eigener Kraft nicht von der ihn erstickenden Last befreien konnte. Der Hals war eingeklemmt und der Winkel, in dem er seine Arme bewegen konnte, war viel zu ungünstig, um seine Kraft auf die Stange mit den Gewichten zu bringen. Die Stange drückte ihm die Kehle zu.

    Sie rannten zu ihm rüber und packten jede ein Ende der Stange. Während sein Kopf schon blau anlief, mussten sie feststellen, dass die Stange mit den Gewichten, die der Mann mit Leichtigkeit bewegt hatte, ihnen beiden zu schwer war.

    »Auf drei!«, brüllte Marie Theres. Den beiden Frauen war klar, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten, wenn sie den Erstickenden retten wollten.

    Zusammen riefen sie »Eins! Zwei! Drei!« Auf drei zogen sie mit aller Kraft, die sie in ihren Körpern mobilisieren konnten, die Stange ein Stück hoch. Ihre Arme zitterten unter dem Gewicht. Aber die wenigen Sekunden, die sie die Stange ein paar Zentimeter anzuheben vermochten, reichten dem Mann, seinen Kopf unter der Stange herauszuziehen. Die herunterfallende Stange glitt den Frauen aus den Händen und krachte herunter, wobei sie noch die Haare des Mannes touchierten. Um Haaresbreite war der Mann seinem Schicksal entronnen.

    Sie ließen sich alle drei zu Boden fallen und atmeten tief durch. Ihnen war klar, wie nah der Tod ihnen auf den Leib gerückt war.

    »Ich habe Ihnen mein Leben zu verdanken.« Der Jaguar hatte sich als Erster gefangen. »Darf ich mich vorstellen? Roman Mülenberk.«

    »Irina Kauffmann. Angenehm.«

    »Marie Theres Förster.«

    »Komm, lass uns ›Du‹ sagen. Erstens sind wir im Fitnessstudio und zweitens habt ihr mir das Leben gerettet.« Während Mülenberk es aussprach, wunderte er sich selber über die Reihenfolge der Begründungen.

    Sie zogen sich gegenseitig an den Händen hoch, die Anspannung lockerte sich und Mülenberk drückte beide freundschaftlich, um sich bei ihnen zu bedanken. Seine Einladung zu einem Kaffee an der kleinen Studio-Bar hatten sie gerne angenommen.

    Jennifer, die neunzehnjährige Mitarbeiterin des ›Body & Soul‹, steckte in einem gelben Fitnessdress, bei dem man keine Phantasie entwickeln musste, um zu erfassen, was der dünne Stoff verbarg. Aber sie war immer freundlich und mit ihrem stets deutlich vernehmbaren Eifeler Dialekt durchbrach sie das Klischee von der Fitnessstudio-Blondine. Jennifer war stets gut drauf und happy, weil sie der Tristesse des Siebzigseelendorfs, in dem sie aufgewachsen war, entkommen war. Sie war sich sicher, dass niemand dieses Kaff vermissen würde, sollte es morgen ausgelöscht werden. Wahrscheinlich würde es noch nicht einmal bemerkt werden.

    Wenn ein neues Mitglied Jennifer auf ihren Dialekt ansprach, lachte sie jedes Mal und kokettierte damit, dass Hochdeutsch ihre erste Fremdsprache war. Mülenberk konnte sich schwer vorstellen, dass weitere Sprachen hinzukommen würden. Sie war, was man bei ihrer Aufmachung nicht ahnen konnte, eine Vertreterin der jungen Eifelerinnen, die hier geboren waren, hier leben und hier begraben sein wollten. Nur nicht in einem Siebzigseelendorf. Jennifer las in den Gesichtern der drei Gäste sofort, dass etwas vorgefallen sein musste. Gehört haben konnte sie nichts, da sie die Bar so laut mit SWR3 beschallt hatte, als müsse sie einen Presslufthammer übertönen.

    Mülenberk steckte sich die Finger in die Ohren und sofort drehte sie die Lautstärke herunter. »Guten Morgen Jennifer!«, rief er ihr zu, während er mit dem Daumen nach oben zeigte, um sich für die Herabsenkung der Lautstärke zu bedanken.

    »Guten Morgen Herr Dr. Mülenberk!« Jennifer blieb hartnäckig dabei, auch wenn Mülenberk ihr schon mehrfach vorgeschlagen hatten, ihn zu duzen oder zumindest den Doktortitel wegzulassen. Die Chefin hatte ihr beigebracht, dass es gut für das Image des ›Body & Soul‹ sei, wenn Doktoren und andere Titelträger im Fitnessstudio wahrgenommen würden. Jennifer erschien das sehr einleuchtend und so hatte sie sich von jedem Gast alle irgendwie aufwertenden Namensbestandteile eingeprägt. Nur bei Frau Professor Dr. Stefania-Bernadette Greingroth von Oehningen fühlte sie sich regelmäßig überfordert und sprach sie mit gnädige Frau an, was diese stets mit hochgehobenem Kinn quittierte.

    »Jennifer, mach uns bitte drei starke Kaffee und sicher hast du auch drei große Cognac dazu!« Mülenberk steckte der Schreck noch tief in den Knochen. Wie hatte das nur passieren können?

    »Ja klar, kein Problem. Aber was ist denn passiert?«, wollte Jennifer wissen.

    »Den Herrn Doktor hättet ihr beinahe umgebracht! Das ist passiert!« Irina Kauffmann stand die Wut im Gesicht geschrieben. »Eure Geräte sind nicht vorschriftsmäßig gesichert.«

    Jennifer verstand nur Bahnhof. »Ich weiß ja gar nicht, was passiert ist. Kann mich bitte jemand aufklären.«

    Mülenberk wollte nicht, dass die Situation eskalierte. »Die Hantelstange hinten am Gerät Nummer 19 ist auf mich runter gekracht und hat mir die Kehle zugedrückt. Ohne die zupackende Hilfe der beiden Damen läge ich jetzt erstickt im Gerät.«

    Jennifer fiel alle Farbe aus dem Gesicht. »Um Himmels Willen, Dr. Mülenberk! Das ist ja furchtbar. Aber wieso sind Sie denn überhaupt an das Gerät Nummer 19 gegangen?«

    »Wieso sollte ich nicht?«

    »Weil da ein großes Schild dranhängt: ›Achtung. Gerät defekt. Nicht benutzen! Lebensgefahr.‹ Das Sicherungssystem ist anscheinend kaputt. Jeden Augenblick erwarten wir einen Techniker des Herstellers hier. Das sei noch nie vorgekommen, haben die am Telefon gesagt. Und dass wir sofort ein Warnschild dran hängen sollen.«

    »Da hing kein Schild«, war Mülenberk sicher.

    Irina Kauffmann und Marie Theres Förster sahen sich verunsichert an. »Als wir vor einer guten Stunde vorbeigingen, hing da so ein Schild. Wir haben noch darüber gerätselt, wie ein neues Gerät schon defekt sein kann. Vielleicht ein Billigimport aus China.« Marie Theres ergänzte: »Mein Mann sagt immer, der Chinese macht noch den ganzen Mittelstand in der Eifel kaputt.«

    »Also, da war kein Schild, als ich zum Gerät kam. Ich gehe jetzt rüber und schaue nach. Ich bin doch nicht blöd!« Gereizt eilte Mülenberk zur Hantelbank. Er traute seinen Augen nicht. Die Bank, die eben noch auf dem Boden stand, war nun wieder hochkant an die Säule des Gerätes gestellt und mit zwei Splinten ordnungsgemäß gesichert worden. Daran hing unübersehbar ein großes Schild mit den deutlichen Warnhinweisen. Das hätte er nie und nimmer übersehen. Wer hatte das Schild entfernt, bevor er zur Hantelbank gegangen war? Und wer hatte in der Zwischenzeit die Bank wieder hochgestellt und das Schild daran befestigt? Den fürchterlichen Verdacht, der in ihm aufkeimte, würde er auf jeden Fall vorerst für sich behalten.

    »Und, hing da ein Schild?« Jennifer war sich ihrer Sache sicher.

    »Ja, da hing tatsächlich ein Schild. Wie hatte ich das nur übersehen können«, heuchelte Mülenberk. »Ich war wohl noch nicht richtig wach.«

    »Um das Schild zu übersehen, hätte man doch blind sein müssen.« Irina Kauffmann konnte nicht glauben, dass irgendeiner, geschweige denn ein Mann wie der Jaguar, den Hinweis übersehen konnte.

    »Ich war wohl doch noch im Schlafmodus«, wiegelte Mülenberk ab und an Jennifer gewandt fragte er: »Wer war denn außer uns vieren hier am Tresen eben noch im Studio?«

    Jennifer dachte lange nach und sah in den Computer, der das Ein- und Ausloggen der Trainierenden registrierte. »Niemand sonst war hier. Er hätte ja an mir vorbei gemusst und ich war die ganze Zeit am Empfang.«

    »Merkwürdig, sehr merkwürdig«, dachte Mülenberk, während er den Cognac in den Kaffee schüttete und unter Zugabe von reichlich Zucker das Gemisch langsam mit dem Löffel verrührte.

    »Moment!«, rief Jessica. »Natürlich war – wie jeden Morgen – die Chefin noch hier. Sie schließt ja die Tür auf und macht einen Kontrollgang, bevor sie mich alleine lässt.«

    »Weißt du, wann sie gegangen ist?« Nur ein kurzes Zucken seines linken Augenlids verriet Mülenberks Anspannung.

    »Nein, das weiß ich nicht. Frau Doerffel ist heute offensichtlich gegangen, ohne sich von mir zu verabschieden. Normalerweise sagt sie mir jeden Tag, bevor sie geht, was ich noch zu tun habe.« Jennifer schaute aus dem Fenster auf den Parkplatz. »Ihr Wagen ist jedenfalls nicht mehr da.« Die drei Frauen bemerkten nicht, dass Mülenberks linkes Augenlid zuckte.

    3. Kapitel

    Mülenberk rempelte mit einem Mann zusammen, gerade als er frisch geduscht aus dem Umkleideraum des ›Body & Soul‹ trat. Er entschuldigte sich bei dem rundlichen Mann mit gepflegtem Dreitagebart, der in einem etwas zu engen Monteuranzug mit dem Logo einer bekannten Sportgeräteherstellerfirma steckte. »Sie haben aber ein umwerfendes Wesen«, lachte der Rundliche freundlich, »ein Glück, dass ich genügend Gegengewicht habe.«

    »Tut mir leid, ich bin etwas neben der Spur heute früh. Sind Sie wegen der defekten Hantelbank hier?«

    »Und hellsehen können Sie auch!« Der fröhliche Rundliche schien einen Clown gefrühstückt zu haben.

    »Könnte ich hellsehen, wäre ich nicht an das Gerät Nummer 19 gegangen«, dachte Mülenberk ohne weiter darauf einzugehen. »Aber sagen Sie mal, wie können die Sicherheitssysteme bei so einem neuen Trainingsgerät denn kaputt sein?«

    »Tja, das ist eine interessante Frage, die uns auch firmenintern beschäftigt. So einen Fall hatten wir noch nie. Wir verarbeiten im Gegensatz zu einigen Mitbewerbern ausschließlich hochwertige Materialien. Zudem verpflichtete sich der Betreiber des Fitnessstudios zu einer halbjährlichen Inspektion aller Geräte durch einen Mitarbeiter unserer Firma.«

    Mülenberk schaute den Rundlichen an. »Und das wurde im ›Body & Soul‹ auch so eingehalten?«

    »Zu 100 Prozent. Frau Doerffel legt größten Wert auf die Einhaltung unserer Wartungsintervalle. Ich würde sagen, dass sie zumindest da unsere penibelste Kundin ist.«

    »Zumindest da?«

    »Bei den Ratenzahlungen klemmt es wohl häufiger, habe ich gehört.« Und noch während er sprach ärgerte er sich, dass ihm diese interne Information herausgerutscht war. »Aber wissen Sie, es wird viel erzählt und selten ist was Wahres dran«, bemühte er sich um Korrektur.

    Mülenberk tat so, als ginge es ihn nichts an. »Da haben Sie Recht. Mich interessiert es nicht. Was mich interessiert, ist der Fehler am Gerät.«

    »Warum denn das? Sind Sie von der Berufsgenossenschaft?«, fragte der Monteur plötzlich sehr misstrauisch. Fitnessgeräte waren Arbeitsmittel im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung und bei Kontrollen stand immer Ärger ins Haus.

    »Nein, ganz und gar nicht. Ich trainiere hier und dummerweise wäre ich heute früh beinahe unter der Hantelstange erstickt.«

    »Wie kann das denn sein? Frau Doerffel hat doch ein riesiges Warnschild angebracht? Das haben wir ihr jedenfalls sofort empfohlen, als sie uns anrief.«

    »Das habe ich anscheinend übersehen.«

    »Na, junger Mann, das scheint ja heute nicht ihr Glückstag zu sein«, lachte der Monteur. »Dann wollen wir uns den Patienten einmal anschauen!«

    Der Rundliche schien sich zu freuen, dass sich einer für seine Arbeit interessierte. Mit einem Spezialwerkzeug entfernte er die Verkleidung an Gerät Nummer 19, das nun sein Innenleben preisgab.

    »Sehen Sie hier, das sind die beiden Sicherungszüge aus hochwertigem Stahlseil. Die sind völlig unbeschädigt. Hier fühlen Sie, glatt wie ein Babypopo.«

    Mülenberk ließ seine Finger über das Seil gleiten. Keine Faser war gerissen. Er schaute den Monteur fragend an. Der zuckte nur kurz mit den Schultern und wandte sich wieder der Technik zu. Mülenberk wunderte sich, wie viel sich davon in einem scheinbar so einfachen Gerät wie einem Hantelturm verbarg.

    »Die Mechanik ist völlig in Ordnung. Jetzt schauen wir mal nach der Elektronik.«

    »Elektronik? Und ich dachte immer, Fitnessgeräte kämen ohne Strom aus«, wunderte sich Mülenberk.

    »Sehen Sie, dieses Gerät hier ist ein Testgerät. Deshalb haben wir es Frau Doerffel kostenlos hierhin gestellt. Die meisten Amateure trainieren gerade an der Hantelbank über ihren körperlichen Möglichkeiten, was immer wieder zu Verletzungen führt. Wir haben ein System entwickelt, bei dem das praktisch nicht mehr vorkommt, weil die Kräfte der Hantelstange elektronisch kontrolliert und nötigenfalls abgebremst werden. Mehr darf ich Ihnen nicht dazu sagen. Industriespionage ist der größte Feind der heimischen Wirtschaft.«

    Er entfernte einige farbige Kabel von der Steuereinheit und schraubte das sie schützende Aluminiumgehäuse von der Größe einer Zigarrenkiste ab. Mülenberk sah ihm zu, wie er das Gehäuse mit äußerster Sorgfalt betrachtete.

    »Jetzt wird es ernst«, sagte er mehr zu sich selbst und schraubte das Gehäuse auf. »Junger Mann, ich muss Sie bitten, mich jetzt alleine zu lassen. Vorschrift ist Vorschrift.«

    Mülenberk kam der Aufforderung scheinbar gerne nach. »Ich muss eh zu einem Termin. Danke für das nette Gespräch!«

    »Passt schon«, brummelte der Rundliche, der so in seine Arbeit vertieft war, dass er nicht mitbekam, dass Mülenberk nur ein paar Schritte weiter hinter einem großen Geräteturm in Deckung gegangen war, sodass er die Arbeiten heimlich beobachten konnte.

    Der Monteur verstand ganz offensichtlich sein Geschäft, auch wenn Mülenberk nicht im Detail erkennen konnte, was die Steuereinheit dem Hersteller verriet. Das brauchte er auch nicht, denn der Rundliche war so nett, unverzüglich seinem Vorgesetzten telefonisch Bericht zu erstatten.

    »Chef, hier ist Riedemann!«, rief er aufgeregt in sein Handy. »Ich habe gerade den Turm im ›Body & Soul‹ untersucht. Halten Sie sich fest! Jemand hat das Gehäuse geöffnet und sich an der Elektronik zu schaffen gemacht. Und halten Sie sich fest! Was ist Chef? Ach so, sie halten sich schon fest. Ja, ich komme ja schon zur Sache. Also. Es hat sich ganz offenkundig jemand an der Steuerung zu schaffen gemacht. Die Jungs in der Firma müssen das nochmal ganz genau checken. Irgendjemand hat versucht, die Software zu kopieren. Dadurch ist unser Sicherheitssystem aktiviert worden und die Software hat sich von alleine gelöscht. Ja, sicher war das gut, Chef. Das Gerät funktioniert ja auch rein mechanisch. Nur wusste derjenige, der sich daran zu schaffen gemacht hat, nicht, dass hierzu mit dem Hebel 3fB auf das mechanische Sicherungssystem umgeschaltet werden muss. Hätte beinahe so

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