Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Anam Fear: Das Schattenamulett
Anam Fear: Das Schattenamulett
Anam Fear: Das Schattenamulett
eBook264 Seiten3 Stunden

Anam Fear: Das Schattenamulett

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine unsterbliche Seele, gefangen in einem sterblichen Körper.
Ein zerstörtes Land, das auf seine Retterin wartet.
Eine Aufgabe, die den sicheren Tod bedeutet.
Und eine Liebe, die die Zeit überdauert.

Seit frühster Kindheit wurde Lijana im Kampf trainiert, doch nichts konnte sie auf das Schicksal vorbereiten, das ihr bevorsteht. Ein schöner Fremder entführt sie in seine Welt: In ein Reich, das einst von den Elfen bewohnt war und in dem die Elemente der Quell der Macht sind. Sie zu finden und in dem heiligen Turm zu vereinen ist die Aufgabe der Elementträgerin. Doch bisher hat jede Auserwählte auf dieser Suche ihr Leben verloren.
Lijana wird zur entscheidenden Figur in einem grausamen Spiel um Herrschaft, Liebe und Tod. Während ihrer Reise durch die fremde Welt droht sie mehr zu verlieren, als nur ihr Herz …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. März 2019
ISBN9783946843665
Anam Fear: Das Schattenamulett

Ähnlich wie Anam Fear

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Anam Fear

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Anam Fear - Luna Wood

    1

    Menschenwelt

    Keuchend und schweißgebadet erwachte ich aus meinem Traum.

    Schon wieder. Schon wieder diese schwarzen Augen. Dieser intensive Blick. Der unbekannte Mann, der jede Nacht meinen Puls beschleunigte.

    Eine Insel mit einem aufragenden weißen Turm, die von tosendem Wasser umgeben war. Ich konnte niemanden an diesem mystischen Ort erkennen. Da waren nur der Fremde und ich.

    Ein Blick auf meinen Wecker ließ mich den Traum vergessen und holte mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich hatte verschlafen. Um pünktlich zur Vorlesung zu kommen, musste ich mich beeilen.

    Auf wackeligen Beinen ging ich ins Bad. Das kalte Wasser der Dusche weckte mich vollends, sodass ich mich gedanklich auf den anstehenden Tag konzentrieren konnte. Es spülte die Gedanken an den Traum fort.

    Ich zog mir einen locker fallenden Pullover und eine Jeans über. Bei der Wahl meiner Kleidung war Bequemlichkeit stets das Wichtigste. Schließlich wollte ich mich einfach wohl in meiner Haut fühlen.

    Mein Handy vibrierte und zeigte mir in einer Textnachricht an, dass meine beste Freundin schon seit zehn Minuten an unserem täglichen Treffpunkt auf mich wartete. Ich hastete aus der Wohnungstür und machte mich auf den Weg zu ihr.

    Zum Bahnhof brauchte ich zu Fuß lediglich ein paar Minuten, meine kleine Wohnung lag kaum fünfhundert Meter entfernt.

    Ich strich meine Kleidung glatt und befreite das Oberteil von einzelnen dunkelblonden Haaren.

    In der Menschenmenge, die sich immer im Bahnhof tummelte, entdeckte ich rasch Livs schwarzen Haarschopf. Mit ihren dunkelbraunen Augen und dem wohlgeformten Körper war sie ein Blickfang für alle Männer. Als wir uns kennengelernt hatten, hatte ich mich dabei erwischt, dass ich eifersüchtig auf ihr Aussehen gewesen war. Dieses Gefühl war mit der Zeit verblasst. Ich schätzte sie als Mensch und unsere Freundschaft bedeutete mir sehr viel, auch wenn es Momente gab, in denen sie mir Angst einjagen konnte. So wie in diesem Augenblick, als sie ihre roten Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste und mich finster ansah.

    „Du bist spät dran", rief sie mir entgegen, als ich näher kam. Liv hatte schon für uns beide einen Kaffee besorgt und ging los, ohne dass ich die Chance hatte zu antworten. Ich trotte ihr schuldbewusst hinterher und blieb an der Bushaltestelle neben ihr stehen.

    Endlich richtete sie den Blick auf mich. „Deinetwegen müssen wir wieder während der Vorlesung auf dem Boden sitzen. Sicherlich werden alle Plätze besetzt sein."

    „Ich weiß, aber ich habe so fest geschlafen, dass ich den Wecker nicht gehört habe." Sie würde mich vermutlich für irre halten, wenn ich ihr erzählte, dass ich seit meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag jede Nacht denselben Traum hatte. Das waren schon drei Monate ohne friedlichen Schlaf.

    Gedankenverloren und schweigsam stiegen wir in den Bus, der wie immer heillos überfüllt war.

    Zum Glück dauerte die Fahrt nur zehn Minuten. Der Campus war riesig, da fast alle Fakultäten hier zu finden waren. Allein, um von einem zum anderen Ende zu gelangen, benötigte man manchmal fast eine halbe Stunde. Auf dem Weg zum archäologischen Institut begegneten wir zahlreichen Studenten, die ebenfalls pünktlich zu ihren Kursen kommen wollten. Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass man manchen Menschen wahrhaftig ansah, welche Studienrichtung sie gewählt hatten. Wenn ich allerdings an eine Archäologin dachte, dann wäre mir nie das Bild von mir oder Liv in den Sinn gekommen. Wir bildeten wohl die Ausnahme.

    Von allen Fakultäten, die auf dem Campus vertreten waren, war unsere die mit den am schlechtesten ausgestatteten Räumlichkeiten. Die Einrichtung der einzelnen Zimmer hatte die besten Jahre bereits hinter sich und es lag immer ein modriger Geruch in der Luft. Ich konnte allerdings nie genau sagen, wo dieser Duft seinen Ursprung hatte.

    Erleichtert stellte ich fest, dass wir es noch pünktlich zur Vorlesung über die Pikten geschafft hatten.

    Professor Kingsley legte so viel Leidenschaft und Enthusiasmus in sein Referat, dass ich den holprigen Tagesanfang vergaß und gefesselt seinen Worten lauschte. Er beendete seinen Vortrag über eine Ausgrabungsstätte in Schottland mit der Aussicht, dass er eine Gruppe von Studenten gern dorthin mitnehmen würde, damit sie praktische Erfahrungen sammeln konnten.

    Mein Herz machte einen kleinen Sprung, als ich meinen Namen auf die Liste setzte. Liv tat es mir gleich.

    Wir würden in zwei Monaten, wenn die Semesterferien begannen, nach Schottland fliegen und uns dort auf den Weg zur Ausgrabungsstätte machen.

    Als die Vorlesung vorbei war, wäre ich am liebsten nach Hause gegangen, aber ich musste zur Buchhandlung. Dort arbeitete ich ein paar Stunden in der Woche, um mir mein Studium zu finanzieren. Ich verabschiedete mich von Liv und ging zur Arbeit.

    2

    Menschenwelt

    Die Buchhandlung befand sich in einer kleinen Nebenstraße in der Altstadt. Das Backsteinhaus versprühte seit jeher einen erhabenen Charme und das Schaufenster des Ladens war stets liebevoll dekoriert. Die Symbole auf dem Türsturz konnte ich keiner bekannten Sprache zuordnen. Chris, der Besitzer des Ladens, hüllte sich in Schweigen, wenn es um deren Bedeutung ging. Als ich eintrat, ertönte eine kleine Glocke und mir schlug der Geruch von antiquarischen Büchern entgegen.

    „Chris?"

    Statt einer Antwort hörte ich, wie ein Stapel von Büchern umstürzte.

    „Ich bin im Lager und sortiere die aktuelle Lieferung ein. Kümmere dich bitte um Kunden, wenn denn welche kommen."

    Ich ging zur Kasse, steckte mir mein Namensschild an und betrachtete die Wände mit den Bücherregalen. Es verirrten sich nur selten Leute in diese kleine Buchhandlung und ich fragte mich oft, wie Chris mich von den mageren Einnahmen bezahlen konnte. Aber mein Lohn war stets pünktlich da und ich liebte die Arbeit, daher stellte ich ihm auch keine Fragen über seine finanzielle Lage.

    Langsam schritt ich durch die Gänge auf der Suche nach einem neuen Lieblingsbuch. Plötzlich verspürte ich ein Kribbeln im Nacken. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab.

    Ich blickte aus dem Schaufenster direkt in die bernsteinfarbenen Augen eines blonden Mannes, der mich mit seinem Blick fixierte. Seine vollen Lippen formten ein Lächeln und in meinem Inneren schrillten sämtliche Alarmglocken.

    „Lijana, was tust du denn da?"

    Ich wandte mich ab und sah Chris, der mich mit einem tadelnden Blick bedachte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich den Atem angehalten hatte.

    Als ich wieder hinaussah, war der mysteriöse Typ verschwunden und mit ihm auch das ungute Gefühl. Chris ging zurück ins Lager. Ich hätte gern über seine staubige Kleidung und die zerzausten grauen Haare gelacht, wenn ich nicht noch mit dieser unheimlichen Begegnung beschäftigt gewesen wäre.

    Fünf Stunden später beendete ich meine Schicht, verabschiedete mich und ging nach Hause.

    Als ich endlich in meinen Schlafsachen auf dem Bett lag, konnte ich dem Drang nicht widerstehen, ein neues Buch anzufangen. Ich liebte Fantasy-Geschichten und hatte als Kind oft davon geträumt, selbst Teil einer solchen Welt zu sein. Ein Abenteuer zu erleben erschien mir schon immer verlockend.

    Das war auch der Grund, warum ich Archäologie studierte. Ich wollte auf einer Ausgrabung verloren geglaubte Schätze finden und deren Geschichte niederschreiben.

    Meine Familie hatte diesen Wunsch nie nachvollziehen können, aber sie unterstützten mich so gut sie konnten. Nachdem ich ihnen offenbart hatte, dass ich zum Studium an einer Universität angenommen worden war, die hunderte von Kilometern entfernt lag, hatten sie darauf bestanden, dass ich mein Training hier weiter fortführte.

    Seit meiner Kindheit hatten sie mich zu verschiedenen Selbstverteidigungskursen und Kampfsportarten geschleppt. Wenn ich daran zurückdachte, gab es sogar Zeiten, in denen es mir Freude bereitet hat. Aber je älter ich wurde, desto mehr verlor ich das Interesse daran. Die Angst, dass mir etwas in einer Großstadt passieren könnte, war bei meiner Familie jedoch so tief verankert, dass ich versprochen hatte, hier damit weiterzumachen. Besonders mein großer Bruder war um mich besorgt. Er hatte sogar Liv beauftragt, mit mir zum Training zu gehen, dabei war das gar nicht nötig. Ich stand immer zu meinem Wort und konnte sehr gut selbst auf mich aufpassen. Für meine Familie war ich aber immer noch ein kleines, schüchternes Mädchen und keine junge Frau, die ihren eigenen Weg ging.

    Gedankenverloren schlug ich das neue Buch auf und versuchte, mich auf die Geschichte zu konzentrieren. Nach einigen Kapiteln wurde ich langsam müde und glitt in einen tiefen Schlaf.

    3

    Lichtreich

    „Berichte!" Der Herrscher des Lichtreiches betrachtete seinen Sohn angespannt. Er schien jeden Augenblick bereit, ihn vor dem versammelten Rat zu bestrafen, sollte er Ungehorsam zeigen.

    „Ich glaube, dass ich sie gefunden habe. Sie stand in einem kleinen Geschäft und verströmte die Magie des Mals. Ich konnte aber nicht hinein gehen und mich davon überzeugen, da sich Schutzzeichen des Schattenreiches auf dem Türsturz befanden, die mir den Zutritt verwehrten."

    Schweigen erfüllte den prunkvollen Saal, dessen meterhohe Wände durch zahlreiche Gemälde verziert waren. Sie zeigten die vergangenen Herrscher und die glorreichen Siege, die sie errungen hatten. Der goldene Stuck an der Decke spiegelte nur einen Bruchteil der Kostbarkeiten wieder, die in diesem Schloss zu finden waren.

    An einem großen Tisch aus Rosenholz saßen die Mitglieder des Rates, alles hochangesehene Adlige und Offiziere, die es vermieden, dem König direkt in die Augen zu sehen.

    Als die Stille schier unerträglich wurde, brach dieser das Schweigen und wandte sich wieder seinem Sohn zu. „Ragnar, du wirst dich an ihre Fersen heften, um ganz sicher zu sein, dass sie die Elementträgerin ist. Wir können es uns nicht erlauben, einen Fehler zu machen. Sonst wird diese Welt so zerrüttet bleiben, wie sie ist. Sobald sich deine Vermutung bestätigt, wirst du sie in unser Reich bringen, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann. Uns rennt die Zeit davon."

    Die Rede seines Vaters war zu Ende und alle Augen richteten sich auf Ragnar. Wortlos stand dieser auf, verbeugte sich und verließ den Saal mit schnellem Schritt.

    Auf dem Weg zu seinem Zimmer begegneten ihm Soldaten und Bediensteten des Schlosses, welche ihn mit Ehrfurcht betrachteten.

    Er schloss die Zimmertür hinter sich und atmete hörbar aus. Ragnar hielt einen Moment inne und überflog mit seinem Blick die Kostbarkeiten seines Zimmers. Wo man auch hinsah, erblickte man goldene Verzierungen und kunstvoll gefertigte Möbel. Manchmal war ihm dieser ganze Prunk zuwider. Er war nicht gemacht für ein Leben in einem goldenen Käfig. Mit großem Schritt ging er durch den Raum und hielt vor dem Kleiderschrank inne. Rasch verstaute er genug Kleidungsstücke für die Mission in einer Tasche.

    Der Prinz wandte sich einer anderen Ecke in seinem Zimmer zu, in der seine Waffen lagerten. Wenn man nicht wusste, wie man den Mechanismus auslöste, verbarg der Raum sein Geheimnis vor fremden Blicken. Im Schloss gab es mehrere Räume, die eine verborgene Waffenkammer besaßen.

    Ragnar verstaute einen Dolch sicher an der Innenseite seines Beines und dachte kurz über die ganze Situation nach. Er hatte seinem Vater verschwiegen, dass er genau wusste, dass sie die Auserwählte war. Tief in seinem Inneren spürte er es.

    Als er an ihren erschrockenen Blick dachte, huschte ein Lächeln über seine Lippen. Sie hatte keine Ahnung. Sie wirkte so in sich gekehrt und wollte scheinbar keine Aufmerksamkeit erregen. Die Aufgabe, die ihr bevorstand, würde alles von ihr verlangen. Dabei wusste sie von alledem nichts.

    Er wünschte sich, es gäbe eine andere Möglichkeit, das Schicksal seiner Welt noch zu ändern, aber sie waren auf ihre Hilfe angewiesen. Bei dem Gedanken daran empfand Ragnar Mitleid. Ein Gefühl, das er eigentlich niemals zulassen durfte.

    4

    Menschenwelt

    Die verbliebenen zwei Monate bis zur Ausgrabung vergingen rasch. Ich besuchte meine Veranstaltungen und schaffte es zur Abwechslung sogar, die meiste Zeit pünktlich zu sein. Nebenbei arbeitete ich öfter in der Buchhandlung, um den Flug und die Unterkunft in Schottland bezahlen zu können. Liv bot mir zwar an, mir Geld zu leihen, aber das Angebot schlug ich aus. Ich hasste es, bei jemandem Schulden zu haben.

    Wir hatten abgemacht, uns am Abend vor dem Flug noch in unserer Stammbar zu treffen. Also zog ich mich nach meiner Schicht um.

    Da es im Februar in unserer Stadt noch recht kalt war, entschied ich mich für einen dunkelgrünen Pullover und eine schwarze Hose. Ich kämmte mir die langen Haare und band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen.

    Ich erreichte die Bar und stellte mit einem Blick durch die Glasscheibe fest, dass Liv schon am Tisch saß. Ich registrierte den gutaussehenden Mann, der ihr gegenüber saß und mir vage bekannt vorkam.

    Ein paar Sekunden verstrichen, bis mir bewusst wurde, wer sich dort mit meiner besten Freundin unterhielt. Meine Knie wurden weich. Ich überlegte, schnurstracks nach Hause zu flüchten, da ich das dringende Bedürfnis hatte, mich in Sicherheit zu bringen.

    Aber das konnte ich Liv nicht antun. Sie hasste es, wenn man Verabredungen einfach so absagte und ich wusste, dass sie mich dann den ganzen Flug über anschweigen würde.

    Also atmete ich tief ein, schüttelte diese unerklärliche Furcht ab und öffnete die Tür zur Bar. Ihr Gespräch schien ziemlich angeregt zu sein. So wild hatte ich Liv noch nie gestikulieren gesehen und ihr Blick wirkte so leidenschaftlich, als ob sie für etwas kämpfte.

    Als meine Freundin mich entdeckte, wirkte sie erschrocken, als hätte sie nicht mit mir gerechnet. Vielleicht wäre es ihr lieber gewesen, ich hätte sie und den Fremden, der damals vor der Buchhandlung gestanden hatte, nicht unterbrochen. Liv winkte mich zu sich und gab dem Mann mit einer Geste zu verstehen, dass wir heute Abend unter uns bleiben wollten. Er stand auf und nahm sich noch die Zeit, mich ausgiebig zu betrachten. Ein Lächeln überzog sein markantes Gesicht, und wieder huschte ein Schauer über meinen Rücken. Er wirkte so elegant in dem Hemd. Der oberste Knopf stand offen und enthüllte einen Teil seiner muskulösen Brust.

    Die beiden würden wirklich ein schönes Paar abgeben. Gedankenverloren merkte ich dabei nicht, dass der Fremde schon verschwunden war.

    „Wer war das?" Ich konnte meine Neugier nicht unterdrücken.

    „Sein Name ist Ragnar und wir kennen uns von früher." Mehr schien Liv zu diesem Thema nicht sagen zu wollen und ich ließ die Sache auf sich beruhen.

    Im Laufe des Abends redeten wir über alle möglichen Themen, aber besonders die anstehende Exkursion faszinierte uns beide.

    Liv wirkte verträumt. „Ich finde Schottland umgibt eine mystische Aura, so als ob das ganze Land magisch wäre. Ich nickte stumm und sie fuhr fort. „Meine Mutter hat mir als Kind erzählt, dass es mal eine Zeit gab, in der die Namen der Kinder nach ihrer Bedeutung ausgesucht wurden. Wenn ein Mädchen zum Beispiel Erfolg und Siege in ihrem Leben erringen soll, bekam sie den Namen Viktoria.

    Ich schmunzelte. „Müsste dann die Welt nicht voll von Viktorias sein? Alle Eltern wollen doch, dass ihre Kinder erfolgreich sind."

    „So meinte ich das nicht. Man sieht das Kind an und der Name manifestiert sich in Gedanken. Nicht jeder von uns ist dazu bestimmt, große Siege zu feiern, auch wenn fast alle sich das wünschen."

    Wir schwiegen eine Weile und ich dachte über ihre Worte nach. Die Vorstellung, dass der Weg eines jeden Menschen vorgezeichnet war, beunruhigte mich. Ich war der Überzeugung, dass ich selbst über mein Leben entschied und keine höhere Macht.

    „Welche Bedeutung hat dein Name, Liv? Wenn deine Mutter daran glaubt, wird sie sich doch etwas bei ihm gedacht haben."

    „Er bedeutet Beschützerin."

    Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Du wirst Archäologin und keine Polizistin. Wen sollst du denn beschützen?"

    Eine unangenehme Stille trat ein und zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, Liv wäre in ihren Gedanken versunken. Ihr Blick wurde jedoch augenblicklich klarer. Sie sah mich an und ihre Lippen formten ein Lächeln. „Vielleicht dich", sagte sie.

    Ich wollte etwas darauf erwidern, aber eine andere Frage erschien mir mit einem Mal wichtiger. „Was bedeutet der Name Ragnar?"

    Livs Blick verfinsterte sich. „Er bedeutet Entscheidung der Götter. Aber in seinem Fall, sagte sie und deutete mit dem Gesicht zum Ausgang, „bezieht es sich eher auf Ragnarök.

    Mein Blick muss die Fragezeichen in meinem Innersten widergespiegelt haben, denn sie fuhr fort.

    „Ragnarök bezeichnet den Weltuntergang."

    Angst umfing mich und ich musste unweigerlich an meinen Traum denken.

    Den restlichen Abend waren wir beide in unsere Gedanken versunken und wechselten nur noch ein paar Worte, bevor wir nach Hause gingen.

    Am nächsten Morgen stand ich mit meinem vollgepackten Rucksack am Bahnhof und wartete auf Liv. Wir würden uns am Flughafen mit den anderen Studenten treffen und dann gemeinsam in den Flieger nach Schottland steigen.

    Der Rucksack auf Livs Rücken wirkte geradezu monströs im Vergleich zur ihr. Seit ich sie vor drei Jahren kennengelernt hatte, war sie schon immer zierlich gewesen. Ich hingegen überragte sie um einige Zentimeter, aber war nicht so durchtrainiert wie sie. Während Liv beim Essen immer darauf achtete, was sie zu sich nahm, vergötterte ich Pizza und Schokolade. Da half leider auch kein Training, aber das störte mich nicht. Für mich war es wichtig, zufrieden mit mir zu sein und Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir etwas bedeuteten. Bei dem Gedanken an die erste Begegnung mit Liv grinste ich vor mich hin.

    „Woran denkst du gerade?", fragte sie mich verwundert.

    „Ach, nur daran, wie wir uns kennen gelernt haben. Als der Wind meine Notizen über den kompletten Campus verteilt hat und du mir geholfen hast, sie einzusammeln."

    Sie funkelte mich amüsiert an. „Siehst du, auch damals hab ich dich schon beschützt."

    Ich blinzelte ungläubig. „Und wovor?"

    „Durch deinen Kurs zu fallen, weil du ohne deine Notizen nicht für die Klausur hättest lernen können."

    Wir fingen beide an zu lachen und ich war so dankbar, dass wir uns damals begegnet waren. Ich hatte nicht viele Freunde, aber bei Liv hatte ich mich sofort wohlgefühlt. Bei ihr konnte ich so sein, wie ich war. Wir waren immer ehrlich zueinander und ich hatte keine Geheimnisse vor ihr. Mit den Jahren war sie für mich zu einer Schwester geworden.

    Während wir mit dem Zug zum Flughafen fuhren, waren wir beide in ein Buch vertieft. Liv liebte Fantasybücher genauso sehr, wie ich es tat. Noch eine Gemeinsamkeit, die ich sehr zu schätzen wusste.

    Im Flughafen mussten wir uns erst einmal anhand einer Karte, die die Aufteilung der unterschiedlichen Gebäude zeigte, orientieren. Eine Masse an Menschen strömte umher und es war schier unmöglich, einen Angestellten zu fragen, wo sich der Meeting-Point befand.

    Zum Glück hatten wir genug Zeit eingeplant, denn wir brauchten fast eine Dreiviertelstunde, um unsere Gruppe zu finden.

    Professor Kingsley hakte unsere Namen auf seiner Liste ab. Als ich selbst anfing, meine Kommilitonen zu betrachten, musste ich feststellen, dass wir bereits vollzählig waren. Nachdem wir weitere fünfzehn Minuten gewartet hatten, wandte ich mich zu meinem

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1