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Die letzte Seelenwandlerin - Rising Shadows: Band 1 der Urban Fantasy Trilogie
Die letzte Seelenwandlerin - Rising Shadows: Band 1 der Urban Fantasy Trilogie
Die letzte Seelenwandlerin - Rising Shadows: Band 1 der Urban Fantasy Trilogie
eBook451 Seiten6 Stunden

Die letzte Seelenwandlerin - Rising Shadows: Band 1 der Urban Fantasy Trilogie

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Über dieses E-Book

Eine Seelenwandlerin ohne Kräfte.
Ein Engel, der keiner ist.
Eine unausweichliche Bitte, die dich dein Leben kosten wird.
Das Schicksal der Menschheit und der sieben Himmel auf den Schultern eines Mädchens.
Bist du bereit für dein Schicksal, Eby?
***
Hi.
Mein Name ist Eby und ich sehe Geister… Deshalb habe ich den Großteil meines Lebens ohne Freunde zuhause verbracht und war bei unzähligen Ärzten, die mir nicht helfen konnten. Das klingt jetzt sehr melancholisch, ich weiß, aber eines Tages sind die Schatten verschwunden und ich konnte endlich beginnen, die Scherben meiner Seele aufzusammeln… Bis plötzlich ein geflügelter Kerl in mein Leben trat und alles ins Chaos stürzte. Jetzt sind die Geister zurück. Sie zwängen sich aus ihrer Zwischenwelt und gelangen als seelensaugende Dämonen auf die Erde. Klingt nicht so toll, oder? Ist es auch nicht. Doch was das Schlimmste ist: Sie jagen mich.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Apr. 2023
ISBN9783910615717
Die letzte Seelenwandlerin - Rising Shadows: Band 1 der Urban Fantasy Trilogie

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    Buchvorschau

    Die letzte Seelenwandlerin - Rising Shadows - Anera Adams

    seelenwandlerin.jpg

    Copyright 2023 by

    Dunkelstern Verlag GbR

    Lindenhof 1

    76698 Ubstadt-Weiher

    http://www.dunkelstern-verlag.de

    E-Mail: info@dunkelstern-verlag.de

    ISBN: 978-3-910615-71-7

    Alle Rechte vorbehalten

    Für alle Väter dieser Welt.

    Ganz besonders für meinen.

    Inhalt

    Triggerwarnung:

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Danksagung

    Triggerwarnung:

    Fragst du dich, was über den Wolken auf Dich wartet?

    Ich habe es erfahren und ich nehme Dich mit, wenn du möchtest. Doch bevor wir die Himmel betreten, solltest du wissen, hier ist nichts, wie du es vermutest.

    Sei gewarnt. Meine Geschichte enthält potenzielle Inhalte, die dich triggern könnten. Eine ausführliche Aufstellung der im Buch angeschnittenen Themen findest du auf der letzten Seite.

    Aber eines möchte ich gleich zu Beginn erwähnen:

    Sollte der christliche Glaube in deinem Leben stark verwurzelt sein, könnte Dich dieses Buch aus der Bahn werfen.

    Denn nur wenig ist so, wie es einst geschrieben wurde.

    Ich erzähle Dir meine Geschichte, mit all ihrer Dunkelheit und ihren Wundern.

    Ich zeige dir den Schattenregen und den Sternenglanz, die Abgründe und das Licht.

    Aber nur, wenn Du bereit dafür bist.

    Kapitel 1

    Ebony Carls«, rief Mister Dogan meinen Namen.

    Vor Schreck fuhr ich hoch, dabei fiel mein Kugelschreiber auf den vollgemalten Block, rollte über das Papier und schlug deutlich hörbar auf dem Boden auf. Ich verfolgte ihn mit meinen Augen, spürte, wie heiß meine Wangen wurden, und verbot mir, die Lippen peinlich berührt zusammenzuziehen, als ich langsam zu meinem Lehrer aufsah.

    Er wischte sich gerade die immer triefende Nase am Hemdärmel ab und sah mich erwartungsvoll an.

    Oh, Mist! Ich hatte mir Geschichte zwar als Wahlfach ausgesucht, aber leider hörte ich nie zu, was zu meiner Verteidigung an Mister Dogan lag. Seine monotone Stimmlage und das unbändige Feuer, mit dem er die eigentlich spannenden Geschichtsereignisse erzählte, ließen mich spätestens nach drei Minuten abschweifen. Er klang wie ein sehr altes Frettchen, dessen viel zu rote Nase ständig meine Aufmerksamkeit auf sich zog, wodurch seine Sätze ins Niemandsland verbannt wurden. Alles in allem war der Geschichtsunterricht einfach einschläfernd.

    Trotzdem biss ich mir auf die Lippe, sah flüchtig über die Tafel, auf der Napoleons Geschichte stand, und blickte verzweifelt zurück zu Mister Dogan.

    »Die Carls passt mal wieder nicht auf«, witzelte ein wasserstoffblondes Mädchen namens Nancy zwei Plätze weiter.

    Das brachte alle Anwesenden zum Lachen, und mein Kopf wurde noch heißer. Mit einem tiefen Einatmen zwang ich mich, nicht zu ihr zu sehen. Irgendwann hatte ich gelernt, Anfeindungen nicht mehr an mich heranzulassen, was es jedoch nicht weniger schmerzhaft machte.

    »Die kann sich nicht mal einen ordentlichen Rucksack leisten«, warf eine andere ein und beide kicherten.

    »Tut mir leid, was haben Sie gefragt?«, wandte ich mich an den Lehrer, ohne den doofen Kommentar zu beachten. Ja, im Gegensatz zu den reichen Mädchen hier, hatte ich nichts. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt aufs College gehen konnte. Ich besaß keine teuren Klamotten und trug nicht so viel Makeup wie sie. Allein das genügte, um sich über mich lustig zu machen. Innerlich zog ich die dickste Mauer nach oben, die ich hatte, um auch äußerlich ruhig zu wirken. Dennoch spürte ich, wie meine Wange zuckte.

    Mister Dogan erhob sich von seinem Pult und zeigte mit dem Stab auf irgendein Ereignis von Napoleon. »Ich will wissen, wann er hier einmarschierte?«

    Die Schrift war so klein und verschnörkelt, dass ich trotz zusammengekniffener Augen nichts erkennen konnte.

    Wieder lachte der Vorlesungsraum und ich versank im Boden. Der Lehrer sah mich noch eine langgezogene Sekunde erwartungsvoll an, dann seufzte er und befragte jemand anderen.

    Nach weiteren zwanzig Minuten ertönte endlich der erlösende Gong und ich hätte vor Erleichterung beinahe geweint. Mit einem tiefen Seufzer kramte ich meine Bücher zusammen, während die meisten Schüler bereits zur nächsten Vorlesung eilten. Für mich war es heute die letzte. Latein ließ ich mit Absicht ausfallen. Gerade überlegte ich mir sogar, dieses Fach komplett aus meinem College-Programm zu streichen. Was auch immer mich geritten hatte, Latein als Wahlfach zu nehmen, meinem alten Ich könnte ich dafür eine runterhauen. Ich war wegen Kunst hier, und die anderen Fächer hätte ich besser darauf abstimmen sollen.

    Ausgelaugt verstaute ich meine Sachen in meinem alten Rucksack und schlurfte danach auf den Gang. Regelrechte Menschenmassen quetschten sich hindurch, rempelten mich an und rannten in andere Räume. Kurz blieb ich stehen und starrte einem Kerl hinterher, der sich für den harten Stoß gegen meine Schulter nicht einmal entschuldigt hatte. Daran würde ich mich trotz der zwei Monate, in denen ich bereits hier war, nie gewöhnen.

    »Eby!«, rief eine weibliche Stimme hinter mir.

    Ich fuhr herum und versuchte, den vertrauten blonden Schopf in der Masse zu erkennen. Als ich einen Arm sah, der wie eine Fahne wehte, schulterte ich den Rucksack höher und lief zu Nina.

    »Da bist du ja.« Sie sprang auf mich zu und drückte mich viel zu fest.

    Mit einem Japser versuchte ich, mich zu befreien. Zwecklos. Wenn man einmal in Ninas Armen war, gab es kein Entkommen. Wie bei einem Oktopus, dessen Tentakel seine Beute festnageln. Kein anderer Mensch der Welt umarmte so fest.

    »Ah, ich freue mich so auf die Party morgen!« Freudestrahlend hüpfte sie auf und ab. Ihre blonden Locken sprangen dabei höher als sie selbst.

    Mit Mühe unterdrückte ich ein Lachen.

    »Das wird großartig!« Sie hörte auf, zu hüpften, dafür packte sie meine Schultern und schüttelte mich durch.

    Ich verzog schmerzhaft das Gesicht.

    »Himmel, weißt du schon, was du anziehen willst?«

    »Seit wann freust du dich denn so sehr, auszugehen?«, neckte ich sie.

    Nina war früher ein Bücherwurm, gepaart mit einem Informatik-Nerd gewesen, und ich liebte sie dafür. Sie kannte jeden Trick, um in Onlinespielen zu gewinnen, und ging liebend gern auf irgendwelche Treffen, auf denen sich Menschen wie ihre Lieblingsfiguren kleideten.

    Von Anfang an waren wir beide anders als der Rest, weshalb wir schnell zueinander gefunden hatten. Weder waren wir beliebt noch wollten wir unbedingt dazugehören. Das hatte sich bei Nina jedoch geändert, als sie diesen Typen namens Chris in ihrer Kunstvorlesung wahrnahm. Sie begann kurze Röcke zu tragen, sich Strähnchen in die blonden Haare frisieren zu lassen, und tauschte ihre riesige Brille gegen Kontaktlinsen. Nur hatte sie die Kunst der Tussis noch nicht so drauf. Zu allem Überfluss begann sie auch noch, schrecklich zu stottern, wenn ein nackter Oberkörper in der Nähe war. Was meistens der Fall war, denn der Parkplatz war direkt hinter dem College-Footballfeld, wo liebend gerne trainierte Körper zur Schau gestellt wurden. Manchmal — so wie heute — hatte ich das Gefühl, sie wäre zu einer anderen Person geworden, während ich immer noch ich war.

    »Na, seitdem ich weiß, dass Chris morgen auch kommen wird!« Sie schickte einen schmachtenden Blick zur Decke, als könnte sie seine Muskeln sehen. Bildeten sich da etwa Tränen der Sehnsucht in ihren Augen?

    Ich musste schmunzeln, was mir sofort einen Schlag gegen den Oberarm einbrachte.

    »Aua«, motzte ich.

    Ninas Zeigefinger schwebte so dicht vor meinem Gesicht, dass ich zu schielen begann. »Du brauchst dich gar nicht lustig zu machen. Schließlich kommt Connor auch.« Sie verschränkte die Arme, zog eine Schnute und nickte entschlossen.

    Seufzend drehte ich mich um und lief den Korridor entlang.

    »He«, hörte ich von hinten. Nina hechtete neben mich und hakte sich bei mir unter. »Freust du dich nicht, mal ein paar Worte mit ihm zu reden?«

    Ich blickte kurz meine Freundin an, die heute eine pinke Blumenbrosche in ihrem Haar trug. Sie sollte wirklich wieder zu ihrem alten Ich zurückkehren. Der Nerd-Look stand ihr besser, zumal sie wirklich hübsch war und das alles gar nicht nötig hatte. Zumindest sollte sie sich nicht wegen eines Jungen verändern, sondern nur, wenn sie es selbst wollte.

    »Conner sieht gut aus«, sprach ich leise und Nina grinste von einem Ohr zum anderen.

    »Oh ja, Conner ist heiß.«

    »Das ist auch der Grund, warum er sich nicht für mich interessieren wird. Es gibt hundert Mädchen hier, die schöner sind.«

    Bevor ich zu meinem Spint gehen konnte, packte mich Nina so grob am Arm, dass mir die Bücher aus den Armen fielen. Das Poltern ging im Lärm, der im Korridor herrschte, unter.

    »Du bist verdammt heiß«, rief sie eine Spur zu laut. Einige männliche Studenten blieben neugierig stehen. »Du bist schlank, hast einen echt schönen Hintern. Außerdem die größten Rehaugen, die ich je gesehen habe, und lange braune Haare. Volle Lippen. Du bist die kleine Süße.« Nina zog eine Schnute und musterte mich von oben bis unten. »Kerle stehen auf sowas, glaub mir.«

    Ich verdrehte die Augen, hob meine Bücher auf und versuchte, sie zu ignorieren. Als Tussifreundin war sie wirklich anstrengend. Wir kannten uns zwar erst, seitdem ich aufs College ging, aber so eine Verwandlung innerhalb weniger Wochen war schon erstaunlich.

    »Beantwortest du mir jetzt meine Frage?«

    »Was für eine Frage?«, gab ich zurück und hoffte, sie konnte mich hören, da mein Kopf halb im Spint hing, um das Kunstbuch herauszufischen.

    Nina stellte sich direkt neben mich und schrie mir ins Ohr: »Na, was du anziehen willst? Wie wäre es mal mit einem Rock?«

    Zähneknirschend und mit klingelnden Ohren zischte ich: »Das kannst du vergessen.«

    »Komm schon«, säuselte sie. »Du kannst nicht immer mit zerrissenen Jeans, Chucks und Karo-Hemd rumlaufen. Das steht dir zwar super, aber wir gehen auf eine Party. Da muss etwas Ausgefallenes her.«

    Ich schloss den Spint, ohne sie anzusehen. »Ich habe aber nichts anderes.«

    »Was hältst du davon: Ich komme morgen vor der Party zu dir und bringe ein paar Sachen mit. Wir schauen, was dein Kleiderschrank so hergibt, und stellen dir was Tolles zusammen.«

    »Ähm, also, das ist keine so gute Idee.«

    Sie verschränkte provokativ die Arme vor der Brust. »Und warum nicht?«

    Weil ich Pa eigentlich nichts von der Party erzählen wollte, wäre die ehrliche Antwort darauf gewesen. Er hatte sich mein gesamtes Leben nur Sorgen um mich gemacht. Die meiste Zeit davon war ich nie unter vielen Menschen. Weil dann immer das Eine passierte. Mein Plan war gewesen, ihm zu sagen, ich würde bei Nina übernachten, um mit ihr fleißig zu lernen. Was Mustertöchter eben so taten. Denn die wollte ich dieses Jahr sein. Ich wollte ihm keine Probleme mehr machen. Aber ich war noch nie auf einer Party, geschweige denn auf einer Collegeparty gewesen, und ich hatte viel, sehr viel davon gehört. Mein Drang, ein ganz normales Leben zu führen, war einfach zu groß, also antwortete ich seufzend: »Gut. So gegen sechs?«

    Da war wieder ihr breites Grinsen. »Ja, gegen sechs klingt super.« Dann fiel ihr Gesichtsausdruck schlagartig in sich zusammen, als wäre ihr etwas eingefallen, was gar nicht gut war. Sie begann, an ihrer Lippe herumzukauen, und sah zu Boden.

    »Oh weh, wenn du so schaust, ist etwas im Busch.«

    Hastig sah sie mich an, dann wieder zu Boden, dann schien jeder Spint ihre Aufmerksamkeit anzuziehen. »Es gibt da noch was.«

    Misstrauisch zog ich eine Braue in die Höhe. »Und es wird mir nicht gefallen, richtig?«

    Sie nickte zögerlich. »Ganz und gar nicht.«

    »Dann schieß mal los.«

    Nina begann, sich die Hände zu reiben, aber sie brachte keinen Ton heraus.

    »Nina!«

    »Vielleicht, also wahrscheinlich oder ziemlich sicher, also …«

    Ich drückte ihre Schulter. »Was ist ziemlich sicher?«

    »Nun ja, also ziemlich sicher wird … wird Liam kommen.«

    Meine Arme erschlafften und fielen einfach herunter. Mein Gesicht musste genauso entgeistert aussehen, wie ich mich gerade fühlte. Ich spürte Luft in meinem Mund, konnte ihn aber nicht schließen. Sofort begann mein Herz zu pochen. Kein aufregendes Pochen. Kein Freudiges. Nein. Es war kalt und steif. Tief und hart und tat unendlich weh. In diesen Momenten lief die Welt langsam an mir vorbei. Das Gerede der Studenten im Korridor wurde zu einer zähen Masse gedämpfter Geräusche. Jeder einzelne Schlag meines Herzens dröhnte in meinen Ohren. Nicht Liam. Bitte nicht. Warum musste ich für den schlimmsten Fehler meines Lebens immer noch bezahlen?

    »Hör zu, Eby. Ich weiß, ihr habt irgendeine Vergangenheit und du willst ihn nicht sehen. Aber er ist nun mal im Football-Team und ziemlich beliebt. Du wirst ihn wahrscheinlich auf jeder Party treffen. Aber ich bin bei dir. Das wird schon gutgehen.«

    Meine Kehle schnürte sich zu. Reichte es denn nicht schon, dass ich ihn jeden Tag hier sah? Warum musste er gerade morgen auf diese eine Party gehen? Was wenn er jedem erzählen würde … Wenn er …?

    »Eby, das wird schon gutgehen.«

    Ich schüttelte den Kopf und konnte endlich wieder Nina sehen. »Nichts davon wird gutgehen.«

    Wütend knirschte ich mit den Zähnen. Ich hatte mich auf diese verdammte Collegeparty gefreut. Einmal ein normales Leben wie jedes andere Mädchen führen. Und dann holte mich wieder die Vergangenheit ein. Wir waren bereits einmal wegen dieses Arschlochs in eine andere Stadt gezogen, aber er klebte an mir wie alter Kaugummi. Nicht, dass er mich zurückwollen würde. Er tat bisher so, als wären wir uns noch nie im Leben begegnet. Aber ich wurde ihn einfach nicht los. Vermutlich könnte ich aus den USA wegziehen, und er wäre auch dann irgendwo in meiner Nähe. Gut, in den Dörfern, wo wir gelebt hatten, mussten alle Kinder, die aufs College gehen wollten, nach Sparkins. Trotzdem! Ach, verdammt!

    »Komm schon, lass dir von deiner Vergangenheit doch nicht deine Zukunft versauen. Zeig diesem Idioten, wie unglaublich du bist.«

    Mir musste keiner sagen, wie traurig gerade mein Gesichtsausdruck war. Ich fühlte mich schäbig, in mein altes Ich zurückversetzt und einfach nur ausgelaugt. Trotzdem hallte mir Ninas Spruch durch den Kopf. Es gab zwei Wege. Entweder ich würde wieder weinend in meinem Zimmer sitzen oder ich würde zur Party gehen und ihm zeigen, dass ich anders geworden war. Mutig entschied ich mich dafür, es ihm zu beweisen! Sollte er sehen, was er getan hatte und wie sehr ich an dieser Erniedrigung gewachsen war! Heute war ich stärker, kämpfte mich zurück ins Leben und hatte Freunde gefunden. Wenn ich es mir lange genug einredete, würde es vielleicht wahr werden.

    Mit aller Kraft zwang ich die Traurigkeit aus meinem Gesicht und ersetzte sie durch Mut. »Wir werden zur Party gehen.« Meine kraftvolle Stimme überraschte mich selbst.

    Nina hüpfte wieder. »Das ist mein Mädchen.« Freudestrahlend umarmte sie mich mal wieder viel zu fest. »Dann sehen wir uns morgen im Kunstkurs und danach bei dir.« Das war keine Frage. Es war eine Feststellung, die keine Widerworte zuließ.

    Lächelnd nickte ich und Nina verabschiedete sich in die Informatikvorlesung. Kaum war sie weg, fiel mein freudiges Grinsen zusammen. Wenn ich allein daran dachte, das perfekte Gesicht von Liam zu sehen … Sein Zahnpasta-Lächeln und die blonden Haare. Er war für seinen hässlichen Charakter einfach viel zu schön. »Die Kleine ist verrückt«, hörte ich seine dreckige Stimme in meinem Kopf schwirren. »Vollkommen durchgeknallt.«

    Ein Stich fuhr durch meinen Magen. Nach Luft schnappend, drückte ich die Hand dagegen und versuchte, ruhiger zu atmen. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Erschöpft schloss ich die Augen für einen Moment. Liam würde keine Macht mehr über mich haben. Nie mehr!

    Entschlossen schulterte ich erneut den Rucksack, stieß die Tür des Colleges auf und ging die Stufen hinunter zum Campus. Die Sonne brannte auf meinen Kopf nieder, und dafür, dass es eigentlich Herbst war, war es viel zu heiß. Draußen erkannte ich einige Studenten an den Tischen. Ein paar Fleißige lernten, andere machten es sich auf der Wiese mit einem Buch gemütlich. Wieder andere tranken Bier, fühlten sich cool und verstießen gegen die Regeln. Ich versuchte, sie alle zu ignorieren, ging mit Absicht unter den großen Bäumen die Allee entlang und hoffte, Liam würde heute nicht beim Football-Training sein. Vielleicht war er krank. Masern oder so. In dem Moment sah ich ihn schon. Er streifte sich das weiße Trikot vom Oberkörper, schmiss es in eine Ecke und die Mädels rasteten aus. Fehlte nur noch, dass BHs durch die Gegend flogen oder sie Schilder mit »ich will ein Kind von dir«, herausholten. Waren alle in dem Alter so? War nur ich anders?

    Es war erschreckend, wie schnell sich der dünne Junge, den ich einmal kannte, verändert hatte. Seine Arme waren breit, und ich konnte ein deutliches Sixpack sehen. Er war ein richtiger Schrank geworden und hatte so gar nichts mehr von dem Jungen, in den ich einst verliebt gewesen war. Umso mehr bereute ich es, ihm meine Jungfräulichkeit geschenkt zu haben. Einen zu langen Augenblick blieb ich stehen und blickte meinen Exfreund an.

    Was war denn mit mir los? Verwirrt schüttelte ich den Kopf, spürte, wie ich rot wurde, und hastete weiter. Einfach so tun, als hätte ich nie hingesehen. Einfach so tun. Entschlossen senkte ich den Blick.

    »He, Ebylein«, rief mir jemand zu und ich zuckte zusammen. Diese Stimme. Diese Tonlage. Rauchig und dennoch irgendwie ekelhaft. Nur einer nannte mich so. All meine Nackenhaare stellten sich auf. Mir wurde eisig kalt. Zu allem Überfluss hob ich den Blick und erkannte Liam, der lässig auf mich zu schlenderte. In diesen Sekunden hörte ich auf, zu atmen. Mein Magen rebellierte, während ich einfach nur dastand. Uns trennte nur das Gitter. Dennoch ließ er einige Fuß Abstand, als würde ihn bereits diese geringfügige Nähe zu mir einengen. Feuchte Strähnen fielen ihm in die Stirn, während sein gesamter Oberkörper von Schweiß glänzte.

    Egal, was er mir sagen wollte, es spielte keine Rolle. Einmal atmete ich tief ein, dann lief ich kopfschüttelnd weiter.

    »He, komm schon.«

    »Spar es dir!«, fauchte ich ihn an. Mein Blick war stur geradeaus gerichtet. Natürlich wusste ich auch so, dass er mir am Zaun folgte.

    »Jetzt komm schon. Wir seh´n uns jeden Tag. Wollen wir uns nich´ vertragen?«

    Ruckartig blieb ich stehen. »Vertragen? Du hast mein Leben zerstört und willst jetzt, dass wir uns vertragen?« Ich spie ihm die Wörter vor die Füße. Rau und hässlich, und sie passten so gar nicht zu mir. Daher überraschten sie mich. Die alte Eby hätte den Kopf eingezogen, hätte nicht einen Ton herausgebracht, während sie innerlich gestorben wäre. Auch jetzt spürte ich den körperlichen Drang, mich klein zu machen, zu fliehen, aber ich war stärker als das. Das musste ich einfach sein.

    Liam zuckte mit seinen trainierten Armen. »Is´ ja auch komisch, wenn man Tote sehen kann.«

    »Ich sehe keine …« Ich brach ab, sah in den Himmel, als könnte mir dort jemand helfen. Dann schüttelte ich mit geschlossenen Augen den Kopf. Wut raste durch meine Adern, während ich so sehr die Fäuste ballte, dass es schmerzte. »Du bist so ein dämliches Arschloch.« Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen und war froh, dass er mir nicht weiter folgte.

    Kapitel 2

    Wütend stampfte ich zum Parkplatz, der wie immer völlig überfüllt war. Selbst die Bürgersteige und der Fußgängerweg waren voller Autos. Das College hatte eindeutig ein Platzproblem. Würden die reichen Eltern aufhören, ihren Kindern teure Autos zu schenken, mit denen sie hier protzen mussten, wäre eindeutig mehr Platz. Das Viertel der noblen Villen war zu Fuß nur fünfzehn Minuten entfernt. Die wohlhabenden Kids könnten mit Leichtigkeit laufen, aber das war nicht so cool.

    Mein alter Seat stach zwischen den polierten Autos heraus, wie ein Farbfleck auf einem Gemälde. Das satte Rot wich langsam Rost. Obwohl sich die Farben ähnelten und ich hoffte, es würde nicht so auffallen, war es dennoch nicht zu übersehen. Die Beifahrertür ging schon lange nicht mehr zu, weshalb ich die glorreiche Idee hatte, sie innen mit einem Seil am Sitz festzubinden. Das hatte zur Folge, dass sie bei jeder Kurve leicht nach außen gedrückt wurde und mir seltsame Blicke oder Gehupe einbrachte. Zu allem Überfluss hatte ich letztes Jahr in einem Parkhaus eine Kurve zu eng genommen. Die dicke Delle, die sich dadurch überdeutlich am Radkasten abzeichnete, tat mir beinahe körperlich weh.

    Ich seufzte bei dem Anblick von Horby. Er sah wirklich nicht mehr gut aus und irgendwie fühlte ich mich heute so, wie er wirkte. Alt, verbraucht und ganz schön traurig. Das Aufeinandertreffen mit Liam nahm mich mehr mit, als ich jemals zugeben würde, denn ich spürte auch jetzt noch mein pochendes Herz.

    Entkräftet schmiss ich meine Tasche auf die Motorhaube und kramte herum. Nach einer Minute hatte ich immer noch nicht gefunden, wonach ich gesucht hatte. »Ach komm schon, du verdammter Schlüssel!« Wütend fummelte ich weiter, fand eine Wasserflasche, einige Bücher, gebrauchte Taschentücher, einen Schminkspiegel, geschmolzene Schokolade, aber keinen Schlüssel! Auch das noch. Was war das nur für ein Tag? Den Tränen nahe ließ ich den Kopf in den Nacken fallen und presste die Augen aufeinander.

    Als ich ihn nach weiteren verzweifelten Minuten immer noch nicht fand, wurde ich richtig gereizt. Ich packte den Rucksack kurzerhand und drehte ihn um. Die Bücher polterten auf den Asphalt, der Schminkspiegel zerbrach, aber mein Autoschlüssel kam nicht zum Vorschein. Mist, hatte ich ihn etwa im Vorlesungsraum vergessen? Das wäre nichts neues. Ständig verlegte ich irgendwelche Dinge, die teilweise erst Monate später wieder auftauchten. Pa meinte immer, ich sollte froh sein, dass mir mein Kopf angewachsen war. Sonst würde ich auch ihn vergessen.

    Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf den Hintern sinken. Neben mir der gesamte Inhalt meines Rucksackes. Ich musste wie eine Obdachlose wirken, die ihre letzten Schätze um sich scharrte.

    Wenn ich mutig wäre, würde ich noch einmal am Football-Feld vorbeilaufen, in den Vorlesungsraum gehen und nach meinem Schlüssel suchen. Doch die eine Begegnung mit Liam war mehr, als ich an einem Tag ertragen konnte, und wenn ich ehrlich war, war mir gerade nicht schon wieder nach mutig sein.

    »Kann ich dir behilflich sein?«

    Misstrauisch fuhr ich herum und lugte über die Motorhaube. Dahinter erkannte ich schemenhaft einen Mann mit schwarzem Haar. Seine Haut war blass und er wirkte mit seinen schätzungsweise dreißig Jahren viel zu alt, um hier aufs College zu gehen. Ein Dozent konnte er auch nicht sein, da ich beinahe jeden Orientierungskurs mitgemacht hatte und ihn hatte ich noch nie gesehen. Aber falls er doch ein Dozent war, dann ein seltsamer. Seine Brust war viel zu athletisch und sein gesamtes Auftreten irgendwie eigenartig. Außerdem trug er ein hautenges schwarzes T-Shirt, das seine trainierten Arme extrem betonte, eine etwas weitere dunkle Jeans und schwarze Boots. Schwitzte er in diesen Dingern nicht?

    Etwas in mir regte sich auf unangenehme Weise. Ein Druckgefühl in der Magengegend. Etwas tobte in seinen Augen, während mir unerklärlich war, warum ich scheinbar sein Gesicht nicht scharf sehen konnte.

    Hastig schmiss ich meine Sachen zurück in den Rucksack und stand auf. »Nein, schon gut.« Gerade als ich mich umdrehen wollte, warf ich noch hinterher: »Aber danke.«

    Jetzt einfach weg hier. Nach Hause waren es drei Meilen, und ich hatte überhaupt keine Lust zu laufen. Aber was blieb mir anderes übrig? Pa war im Büro, um an dem neuen mega Projekt der Firma zu arbeiten, und Nick, sein Freund, war mit Sicherheit im Café. Für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, meinem Vater keinen Kummer mehr zu bereiten. Das begann damit, allein nach Hause zu kommen, wenn ich mal wieder den Schlüssel verlor. Was wirklich oft passierte. Aber ein Vorsatz war ein Vorsatz, also lief ich mit einem resignierten Schnaufen in den Wald.

    Der Herbst hatte bereits einige Bäume gefärbt, und das Farbspiel löschte sofort den seltsamen Mann aus meinen Gedanken. Mein Blick glitt über die Laubbäume und die Sonnenstrahlen, die sich zwischen den Blättern hindurchzwängten, ließen helle Flecken auf den Boden tanzen.

    Ich atmete tief ein und ließ den Duft des Waldes auf mich wirken. Vögel zwitscherten, Kinder spielten auf dem Spielplatz am Rande des Colleges. Alles in allem war es ein wunderschöner Ort. Warum hatte ich nicht früher beschlossen, einmal zu Fuß zu gehen? Wir lebten direkt am Waldrand, und von meinem Zimmer aus sah ich nur Bäume. Ich liebte diesen Anblick so sehr, dass ich oft versucht hatte, ihn zu malen. Aber wirklich hineingehen, wollte ich nie. Vielleicht, weil mir Wälder früher immer Angst eingejagt hatten? Weil die Gewissheit, dass sich hinter jedem Baum eine Gestalt verstecken könnte und alles wieder anfing, bleischwer auf meine Schultern drückte? Und vielleicht, weil eine Dreiviertelstunde zu laufen, nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Vor allem nicht, wenn man wie ich den Wecker fünfmal ausschaltete und dann zur Vorlesung hetzen musste, weil man viel zu spät dran war. Aber das hier war traumhaft schön und ein Paradies für alle Naturliebhaber. Hier konnte man sich einfach nicht unwohl fühlen.

    Trotz des schönen Anblicks und der hohen Bäume, deren Kronen die Sonne immer wieder abschirmten, war es einfach viel zu heiß. Heute mussten mit Sicherheit 30° sein, und mein graues Shirt klebte an mir. Zwar schneite es hier äußerst selten und selbst im tiefen Winter kühlte es nicht unter fünf Grad ab, aber das hier, das war nicht normal. Gestern hatte ich im Radio gehört, dass es der heißeste November seit Wetteraufzeichnung war.

    Mit Mühe kramte ich meine Wasserflasche heraus, stellte zu meinem Entsetzen fest, dass sie leer war, und lief dann erschöpft weiter.

    Mit jedem Schritt hatte ich mehr das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. Mühselig schlurfte ich über den Waldboden. Einen Fuß vor den anderen. Durch die Hitze wurde mir langsam schwindlig, und mir fielen die Augen beim Gehen zu. Wieso war ich auf einmal so müde?

    »Du hörst sie!«

    Eine Stimme mitten im Nichts, die in meinen Ohren so dunkel klang. Dunkel und viel zu nah, als hätte mir jemand direkt ins Ohr geflüstert.

    Hektisch fuhr ich herum, sah panisch hinter mich. Niemand war hier. Kein Hund, kein Spaziergänger, keine Kinder. Niemand. Ich meinte, nicht einmal mehr Vögel singen zu hören. Innerlich wollte ich schreien, aber etwas hielt mich zurück. Mir wurde eisig kalt. Mein Kiefer zitterte. Selbst meine Finger fühlten sich gefroren an. Ein Knacken, als wäre ein Ast gebrochen. Mit einem Kreischen wirbelte ich herum. Nichts … Die Ader an meinem Hals pochte wild. Ich fühlte mich allein. Schutzlos. »Wer … wer ist da?«, flüsterte ich.

    Niemand antwortete mir.

    Mein Herz donnerte gegen die Brust, die Kieselsteine unter meinen Solen knirschten auf einmal viel zu laut. Seit wann hörte ich Stimmen? Das war neu. Hatte ich eine neue Stufe des Wahnsinns erreicht? Was war heute nur mit mir los? Wahrscheinlich hatte ich mir diese Stimme nur eingebildet. Dass sie sich wie die des Mannes am Parkplatz anhörte, war definitiv nur Zufall. Alles nur Zufall. Mit zittrigen Fingern wischte ich mir über das feuchte Gesicht. Ich war sicherlich nur dehydriert. Das musste es sein.

    Meine Beine waren weicher als Omas Schokopudding, gleichzeitig waren sie schwer wie ein Gesteinsbrocken. Die Kombination machte es beinahe unmöglich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dennoch lief ich zittrig weiter. Mit jedem Schritt hatte ich das Gefühl, mir würde jemand eine Hand auf die Schulter legen. Ständig blickte ich mich um, sah in die Schatten der Wälder. Bildete ich mir das ein oder hatte sich die Helligkeit des Tages verdunkelt? Es war, als würden sich die Äste nach mir strecken und die Sonne löschen, was vollkommen verrückt war!

    »Sie rufen nach dir.« Geflüster in den Baumkronen und wieder diese Stimme, die schlagartig meine Beine stoppte. Ein eisiger Schauer kroch über meinen Rücken. Frostig, unnachgiebig und irgendwie mächtig. Die Stimmen wurden immer lauter, vereinten sich. Sie waren so penetrant in meinem Kopf, dass meine Zähne schmerzten. Ein widerliches Brennen kroch unter meine Schädeldecke. Schmerzverzerrt kniff ich die Augen zusammen, presste die Ballen auf meine Schläfen. Himmel, was war das denn?

    »Hörst du sie nach dir rufen?«

    Ach, verdammt. Ja, ich hörte sie rufen. Und es tat weh. Schwarze Punkte begannen, vor meinen Augen zu tanzen. Meine Beine gaben nach und wollten mich im Stich lassen. Mit aller Kraft hielt ich dagegen.

    Moment mal. War das Liam, der sich einen Scherz erlaubte? Plötzlich wich die Angst der Wut. Dieser verdammte Mistkerl, wenn er, wenn er …

    Ich fuhr herum, erhob den Zeigefinger und begann zu brüllen: »Wenn du denkst, du kannst …« Meine Wörter versiegten, als ich den unheimlichen Mann vom Parkplatz vor mir sah. Er blickte mich mit seltsam leeren und viel zu dunklen Augen an.

    Sein Anblick trieb mich zwei Schritte zurück. Ich schluckte heftig, erkannte im Augenwinkel, dass der Mann seine Hand erhob. Nicht, um mich anzufassen — nein, er hielt mir etwas hin, aber ich wollte nicht hinuntersehen. Irgendwie hatte ich Angst, er würde eine Motorsäge auspacken und schreiend auf mich zu rennen. Aber da war das schwarze Lederband, das ich immer um den Hals trug — das erkannte ich, obwohl ich nicht gänzlich hinsah. Es war nicht viel mehr als ein abgetragenes Stück, das ich mehrmals herumbinden musste, aber es war für mich das Wichtigste auf der Welt. Das Einzige, was ich von meiner Mutter hatte.

    »Du hast etwas verloren.« Der Mann hielt es höher. Zuerst starrte ich ihn fassungslos an, dann wieder das Band. Dann zu ihm. Bildete ich mir das nur ein, oder sahen seine Augen irgendwie eigenartig aus? Fast, als würde sich das Dunkelbraun darin wie ein Schokobrunnen ergießen. Mal glänzend, mal matt. Mal hellbraun, mal tiefschwarz. Absolut eigenartig, faszinierend und irgendwie gespenstisch. Gleichzeitig klang seine Stimme viel zu erotisch. Der tiefe, bassige Klang ließ jedes seiner Worte seltsam verrucht klingen.

    »Da…danke.« Stotternd nahm ich das Band an mich und drückte es wie einen Schatz.

    Er setzte ein seichtes Lächeln auf. »Nichts zu danken.« Dann sah er einmal an mir herab.

    Wieso konnte ich mich denn nicht bewegen? Das wäre der Moment, in dem ich rennen sollte. Meine Beine zuckten bereits, aber irgendetwas hielt sie vom Sprint ab. Ich … ich konnte mich nicht umdrehen, nicht rückwärtsgehen, keinen Abstand zwischen uns bringen. Es war das Seltsamste, was ich jemals gefühlt hatte. Mein gesamter Körper schaltete sich in den Überlebensmodus, wollte rennen, schreien, treten, aber nichts davon geschah. Lediglich meine Augen hefteten sich an sein seltsames Gesicht, als könnte nur er mich davon abhalten, umzufallen. Dabei konnte ich mir absolut nicht erklären, wie ich auf so einen dummen Gedanken kommen konnte. Dennoch fühlte es sich nach Halt an, während er mir gleichzeitig eine riesige Angst einjagte. Sein gesamtes Erscheinungsbild wollte sich einfach nicht scharf stellen. Es wirkte fast, als würden sich seine Züge darum streiten, welches Antlitz sie mir zeigen wollten. Innerlich stauten sich Tränen an. Ich musste hier weg. Und zwar so schnell es ging! Als er mir endlich wieder in die Augen sah, musste ich schlucken.

    »Schönen Tag noch, Ebony.« Das Lächeln, das er mir bei dem letzten Wort schenkte, war verführerisch, gefährlich und erinnerte mich an eine Raubkatze auf der Jagd.

    Er … er kannte meinen Namen? Eine Gänsehaut, wie ich sie noch nie gehabt hatte, peitschte über meinen Körper. Ich japste nach Luft. Meine Finger verkrampften sich um das Band in meiner Hand. Was zur Hölle war hier los?

    »Woher kennst du meinen N…«

    Das konnte doch nicht? Verwirrt drehte ich mich im Kreis, musterte den Waldweg, sah mir jeden Baumstamm genauer an. Ich hatte nur einen Moment geblinzelt, und er war weg. Nur die Vögel sangen ihr fröhliches Lied und der seichte Wind spielte mit den Blättern. Als wollten die Geräusche mir zeigen, dass nie etwas passiert war. Von Schritten, Stimmen oder gar Fußauftritten war nichts zu hören. Ich war allein. Allein in einem großen Wald. Mir wurde noch kälter.

    Moment mal, war … Schluckend sah ich auf meine Hand. Ja, ich hatte wirklich mein Lederband in der Hand. Es war also kein Traum. Um ganz sicherzugehen, fasste ich mir an den Hals. Es fehlte tatsächlich. Noch nie war es mir heruntergefallen. Nicht einmal, als ich mit Pa als Teenager im größten Spaß-Park des Landes gewesen war. Das hier konnte ich mir also nicht eingebildet haben. Der Gruselmann mit den seltsam faszinierenden Augen und dem Gesicht, das ich nicht wirklich erkennen konnte, hatte mir tatsächlich mein Lederband gegeben.

    Die Haut an meinem Hals fühlte sich seltsam fremd unter meinen Fingerkuppen an. Meine Gänsehaut war wie Schleifpapier.

    Zur Sicherheit blickte ich mich noch einmal im Wald um. Erst, als zwei Mütter fröhlich mit Kinderwagen an mir vorbeiliefen, begriff ich langsam, was passiert sein musste – und genau das durfte nicht wieder anfangen. Pa war so stolz, dass ich diese Phase überwunden hatte. Er hatte so viel Geld in meine Genesung gesteckt. So viel Leid und so viele Tränen. Ganz zu schweigen von seinem Leben, das durch meine Krankheit lange nicht mehr existiert hatte. Jetzt hatte er sich endlich wieder verliebt, konnte wieder normal arbeiten, ohne ständig auf mich aufpassen zu müssen, und hatte Hobbys. Wenn ich ihm sagen würde, dass ich auf einmal Stimmen hörte … Er würde sterben. Nicht körperlich, aber seelisch. Das konnte ich ihm nach all dem nicht antun. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren da auch keine Stimmen. Es war bestimmt nur das Flüstern des Windes oder der unheimliche Mann, der mir hinterherrief. Gut möglich, dass ich mein Choker bereits am Parkplatz verloren hatte und er mir netterweise hinterherkam. Das war ja irgendwie freundlich und gleichzeitig unheimlich. Dann war er wohl der unheimlich freundliche Gruselmann, der meinen Namen kannte. Gut, das Letzte war wirklich furchteinflößend. Er war wahrscheinlich doch ein Dozent. Die kannten nun mal die Namen der Studenten.

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