Die unendliche Flucht: Irrlicht - Neue Edition 7 – Mystikroman
Von Pamela Francis
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert.
Mercedes sah Nicanor in der Stierkampfarena. Mit tänzerischer Grazie reizte er das wutschnaubende Tier, das mit den Hufen den Sand aufwühlte. Doch nein, es war kein Stier. Diese Augen gehörten Manuel Apricio. Er spielte auf einer unsichtbaren Orgel und machte damit aus seinem Gegener eine gehorsame Puppe, die sich nach seiner Musik im Zakt wiegte. Ein teuflisches Schauspiel! Nicanor wurde zu einer kläglichen Marionette. Doch auf einmal zückte er seinen Degen und bohrte ihn Manuel mitten ins herz. Dabei lachte er triumphierend. Das Orgelspiel erstarb jäh. Der Getötete lag im Staub. Hand in Hand flanierten sie über die Rambles, Barcelonas Prachtstraße. Wenn sie sich auch spanische Zurückhaltung auferlegten, so konnte doch jeder erkennen, daß sie unsterblich ineinander verliebt waren. Hin und wieder blieben ein paar Leute stehen. Meistens handelte es sich um Touristen, die verzückt sagten: »Was für ein wundervolles Paar! Sie müssen sehr glücklich sein.« Mercedes Fuentes, eine dreiundzwanzigjährige Kunststudentin, lächelte verträumt. Ja, sie war glücklich. Sie hatte den Mann gefunden, der ihr alles bedeutete, und wußte sich von ihm wiedergeliebt. Nicanor Belmonte blickte sie zärtlich an.
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Die unendliche Flucht - Pamela Francis
Irrlicht - Neue Edition
– 7 –
Die unendliche Flucht
Pamela Francis
Mercedes sah Nicanor in der Stierkampfarena. Mit tänzerischer Grazie reizte er das wutschnaubende Tier, das mit den Hufen den Sand aufwühlte. Doch nein, es war kein Stier. Diese Augen gehörten Manuel Apricio. Er spielte auf einer unsichtbaren Orgel und machte damit aus seinem Gegener eine gehorsame Puppe, die sich nach seiner Musik im Zakt wiegte. Ein teuflisches Schauspiel! Nicanor wurde zu einer kläglichen Marionette. Doch auf einmal zückte er seinen Degen und bohrte ihn Manuel mitten ins herz. Dabei lachte er triumphierend. Das Orgelspiel erstarb jäh. Der Getötete lag im Staub. Es war nun wieder der Stier …
Hand in Hand flanierten sie über die Rambles, Barcelonas Prachtstraße. Wenn sie sich auch spanische Zurückhaltung auferlegten, so konnte doch jeder erkennen, daß sie unsterblich ineinander verliebt waren.
Hin und wieder blieben ein paar Leute stehen. Meistens handelte es sich um Touristen, die verzückt sagten: »Was für ein wundervolles Paar! Sie müssen sehr glücklich sein.«
Mercedes Fuentes, eine dreiundzwanzigjährige Kunststudentin, lächelte verträumt. Ja, sie war glücklich. Sie hatte den Mann gefunden, der ihr alles bedeutete, und wußte sich von ihm wiedergeliebt.
Nicanor Belmonte blickte sie zärtlich an. Er lächelte. Ob er wohl ihre Gedanken erriet? Er war so einfühlsam. Es fiel Mercedes schwer, sich vorzustellen, daß er im Geschäftsleben harte Verhandlungen zu führen vermochte.
Welcher Art seine Geschäfte waren, wußte sie nicht genau. Sie hatte ihn während der vier Monate, seit sie den schwarzhaarigen Mann kannte, noch kein einziges Mal danach gefragt. Wozu auch? Sie wollte nicht von Geld, von finanzieller Sicherheit und Versorgtsein sprechen. Mit Nicanor konnte sie sich auch ein Leben in aller Bescheidenheit vorstellen. Wenn er nur bei ihr war, dann wollte sie schon zufrieden und glücklich sein.
Nicanor war sechs Jahre älter als sie. Sie hatten sich im Archäologischen Museum kennengelernt, draußen am Montjuic. Plötzlich hatte er vor ihr gestanden, stolz und unbeweglich wie eine der römischen Skulpturen. Nur viel schöner und vor allem unbeschädigt.
Es hatte sie wie ein flammender Blitz durchzuckt. Mercedes hatte sofort gewußt, daß dieser atemberaubende Mann ihr Schicksal sein würde. Als er sie angesprochen und darum gebeten hatte, einen Blick in ihren Museumsführer werfen zu dürfen, hatte sie das für völlig selbstverständlich gehalten. Sie waren füreinander bestimmt. Darüber gab es keinen Zweifel.
Seit jenem Tag im Februar hatten sie sich regelmäßig getroffen, waren häufige Gäste bei Konzerten und vor allem im Opernhaus gewesen, obwohl Nicanor die klassische Musik wohl nur ihr zuliebe erduldete.
Inzwischen hatte die warme Jahreszeit begonnen. Mercedes haßte den Winter, und sie spürte, daß auch Nicanor unter den Strahlen der Sonne förmlich auflebte.
Leider hatte er jetzt nicht mehr so viel Zeit für sie. Sein Beruf forderte ihn stärker, aber dafür brachte sie natürlich Verständnis auf. Schließlich war sie ganz sicher, daß keine andere Frau sein Interesse erregte. Das hätte sie gespürt.
»Ich habe noch eine wichtige Besprechung«, sagte der Mann an ihrer Seite zögernd. »Sehen wir uns heute abend?«
Mercedes Fuentes nickte zustimmend. »Ich könnte Karten für die Oper besorgen«, schlug sie vor. »Auf dem Spielplan steht ›Carmen‹. Ich liebe dieses Stück. Die Musik ist einfach herrlich.«
Nicanor Belmonte war einverstanden, und so trennten sie sich vor einer Boutique, deren Schaufensterauslagen Mercedes anstarrte, obwohl sie mit ihren Gedanken bei Nicanor war.
Am Abend trug sie ein dunkelblaues Seidenkleid, das wunderbar zu ihren langen blonden Haaren paßte. Niemand glaubte, daß ihre Haarfarbe echt sei, doch sie hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die aus Norwegen stammte und viel zu früh verstorben war. Früher noch als ihr Vater, den sie erst vor einem Jahr zu Grabe getragen hatten.
Aber Mercedes fühlte sich nicht allein. Jetzt nicht mehr. Sie spürte, daß Nicanor sie schon bald bitten würde, seine Frau zu werden. Ihre Antwort stand längst fest.
In seinem Smoking sah Nicanor blendend aus. Er könnte Tänzer sein, dachte Mercedes insgeheim. Sie wußte aber, daß er mit Tieren zu tun hatte, die er gelegentlich erwähnte. Soviel sie sich zusammengereimt hatte, besaßen seine Eltern südlich von Zaragoza eine Schafzucht, für deren Verkauf er offenbar zuständig war.
Mercedes mußte lächeln, als sie an Nicanors Seite das Foyer betrat. Bewundernde Blicke folgten ihnen. Es war ähnlich wie auf den Rambles.
»Dein Anblick verschlägt ihnen den Atem«, raunte Nicanor ihr belustigt ins Ohr. »Du bist die hübscheste von allen.«
»Unsinn!« widersprach Mercedes hastig. »Es sind hauptsächlich Frauen, die herüberschauen. Ich wette, sie möchten mir am liebsten die Augen auskratzen, weil ich nicht von deiner Seite weiche.«
Nicanor half ihr aus dem leichten Mantel, und Mercedes kontrollierte vor einem der hohen Spiegel ihre Frisur.
Hinter ihrer Schulter entdeckte sie einen jüngeren Mann mit leicht gewelltem Haar, der sie fasziniert anstarrte. Sie wich seinem Blick aus, wurde aber wie magisch erneut von ihm angezogen. Sie fand, daß sich dieser Mensch unmöglich benahm.
Sie war froh, als Nicanor ihren Arm ergriff, um sie die mit dicken Teppichen belegten Stufen hinaufzuführen.
Ihre Plätze befanden sich im zweiten Rang. Bessere hatte sie so kurzfristig nicht mehr bekommen. Mercedes genoß die Minuten vor dem Dunkelwerden und ließ ihren Blick über die festlich gekleideten Menschen im Parkett schweifen.
Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Da war er wieder. Der junge Mann vom Foyer saß in einer der vorderen Reihen. Er hatte sich umgedreht und richtete sein Theaterglas auf sie.
Mercedes schaute Nicanor an, doch dieser merkte nichts davon.
Peinlich berührt, hob sie ihr Programmheft und verbarg ihr Gesicht dahinter. Zum Glück erloschen nun die Lichter. Aufatmend lehnte sie sich zurück, bereit, sich von Bizets Musik gefangennehmen zu lassen.
Ein letztes Husten hier und dort, dann erklang höflicher Applaus für den Dirigenten.
Mit dem ersten Takt der Ouvertüre vergaß Mercedes alles um sich her. Sie fühlte sich nach Sevilla versetzt und folgte dem Geschehen auf der Bühne, das sie immer wieder von neuem faszinierte.
Sie litt mit der zarten Micaela, die den geliebten Mann an eine heißblütige Zigeunerin verlor.
Nach dem ersten Akt folgte eine kurze Pause. Sie blieben auf ihren Plätzen.
Mercedes suchte die Hand ihres Begleiters.
»Könnte es nicht sein, daß auch du eines Tages eine feurige Carmen triffst?« flüsterte sie. »Dann wirst du mich vergessen.«
Nicanor griff energisch zu. »Niemals!« beteuerte er. »Wir gehören zusammen. Uns kann nichts trennen, wenn du es nicht selbst willst. Ich möchte dich etwas fragen, Muchacha.«
»Etwas fragen?« wiederholte Mercedes mit klopfendem Herzen. Sie kannte die Frage schon im voraus. Beglückt schloß sie die Augen.
»Willst du meine Frau werden? Willst du ein Leben lang zu mir stehen und keinen anderen Mann lieben?«
»Pssst!« erklang es zischend hinter ihnen. Der Zuschauerraum hatte sich wieder verdunkelt. Man verbat sich jedes Geschwätz.
Sie würde die Frage in der großen Pause beantworten.
Auf der Bühne nahm das Schicksal der Akteure seinen Fortgang. José, der der Liebe zu Carmen seine militärische Karriere geopfert hatte und nun mit ihr ein Leben jenseits von Gesetz und Ordnung führte, mußte erkennen, daß sich die angebetete Frau einem anderen zuwandte. Carmen lockte ein neues Abenteuer, eine neue Liebe, ein neuer Mann.
Escamillo, der in der Schmugglerkneipe von allen, vor allem aber von der verführerischen Zigeunerin bejubelt wurde, begeisterte Mercedes trotz seiner populären Bravourarie nicht. Mit Stierkämpfern hatte sie nichts im Sinn. In diesem Punkt war sie wohl Norwegerin wie ihre Mutter. Es würde ihr niemals einfallen, ihren Fuß in eine der Arenen zu setzen, um Zeuge zu werden, wie ein chancenloses Tier unter dem frenetischen Beifall der Zuschauer hingemordet wurde.
Den Schmugglern auf der Bühne brachte sie durchaus Sympathie entgegen. Selbst für die leichtlebige Carmen fand sie eine Spur Verständnis. Sie war bereit, José seine Untreue zu verzeihen, doch Escamillo war in ihren Augen der wahre Bösewicht des Stückes. Mit seinem Tun vermochte sie sich nicht zu identifizieren.
Sie erwachte wie aus einem Traum, als die Musik verstummte und die Künstler ihren Zwischenapplaus entgegennahmen. Sie klatschte ebenfalls und freute sich bereits