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Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis
Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis
Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis
eBook1.162 Seiten13 Stunden

Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis

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Über dieses E-Book

Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis

von Alfred Bekker & Ann Murdoch

 

 

 

Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Alfred Bekker und Ann Murdoch.

 

Dieses Buch enthält folgende Romane:

 

Ann Murdoch: Requiem für einen Geist

Ann Murdoch: Galopp in die Hölle

Ann Murdoch: Der Fluch aus dem Grab

Alfred Bekker: Bleiche Lady

Ann Murdoch: Eine Braut des Teufels

Alfred Bekker: Krakengeister

Ann Murdoch: Der Graue Zirkel

Alfred Bekker: Druidenzauber

Ann Murdoch: Finsteres Vermächtnis

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum2. Juli 2020
ISBN9781393282181
Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    Romantic Thriller Sommer 2020 - Alfred Bekker

    Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis

    von Alfred Bekker & Ann Murdoch

    ––––––––

    Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Alfred Bekker und Ann Murdoch.

    Dieses Buch enthält folgende Romane:

    Ann Murdoch: Requiem für einen Geist

    Ann Murdoch: Galopp in die Hölle

    Ann Murdoch: Der Fluch aus dem Grab

    Alfred Bekker: Bleiche Lady

    Ann Murdoch: Eine Braut des Teufels

    Alfred Bekker: Krakengeister

    Ann Murdoch: Der Graue Zirkel

    Alfred Bekker: Druidenzauber

    Ann Murdoch: Finsteres Vermächtnis

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch

    © by Authors

    © dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Requiem für Geister

    von Ann Murdoch

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 102 Taschenbuchseiten.

    Lady Jessica Glencraven, einziges Kind des siebzehnten Lords of Glencraven, versucht hinter das Geheimnis ihrer Familiengeschichte zu kommen, nachdem sie von drei Geistern dazu gedrängt wird. Obwohl die ganze Angelegenheit ihr sehr verrückt erscheint, fühlt sie dennoch eine Verpflichtung. Zwei Männer stehen ihr zur Seite. Doch meinen es auch beide gut mit ihr?

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch

    © by Author

    © dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    1

    Der Mann vor mir hatte eine Waffe in der Hand. Eine geladene, entsicherte Pistole. Und die war auf mich gerichtet. Ich spürte, dass mein Herz bis zum Halse schlug, und ich wusste nicht so recht, was ich jetzt noch tun sollte.

    Wie war ich überhaupt in diese verzweifelte Lage gekommen, aus der ich im Augenblick keinen Ausweg finden konnte? Dabei handelte es sich um eine lange und total verrückte Geschichte, die hier in wenigen Augenblicken wahrscheinlich mit meinem Tod ein Ende finden würde.

    Flüchtig dachte ich an meinem Vater, der bis jetzt noch nicht einmal alles von dem kannte, was mir in den letzten Tagen zugestoßen war. Ob er wohl jemals wieder in der Bibliothek sitzen und in Ruhe eine guten Whisky trinken würde, ohne von Trauer, Zorn und Wut erfüllt zu sein? Ob er jemals wieder in einem guten Buch blättern würde, ohne in Gedanken bei mir und meinem Tod zu sein?

    Dabei hatte alles mit einem Buch angefangen, jedenfalls indirekt. Wäre ich doch nicht so verrückt gewesen, mich darauf einzulassen. Und dennoch bereute ich nichts, denn ich war nur meinem Gewissen gefolgt und musste mir keine Vorwürfe machen.

    Meine Gedanken schweiften ab, in rasender Schnelligkeit zogen die Ereignisse vor meinem inneren Auge noch einmal vorbei. Die Geschichte war so verrückt, dass sie vermutlich niemand glauben würde, und doch stimmte jedes Wort.

    2

    Eigentlich bin ich eine fast normale Frau – wenn man es normal nennen will, die Tochter eines schottischen Lords zu sein, ein vornehmes Internat besucht zu haben, über reichlich Geld zu verfügen, und sich nicht damit zu begnügen, nur das Geld der Ahnen auszugeben. Mal ganz im Ernst, würde es Ihnen auf Dauer wirklich gefallen, den ganzen Tag nichts Vernünftiges zu tun und mit erlerntem Wissen nichts anzufangen? Für einige Zeit hätte vermutlich jeder Spaß daran, aber nach einer Weile musste das doch langweilig werden, und man sehnt sich nach geregelten Arbeitszeiten, dem täglichen Stress und vielleicht sogar den nervigen Kollegen. Oder? Also bitte, ich könnte das nicht – ich meine, auf Dauer herumsitzen. Ich habe einen anständigen Beruf erlernt und bin Tierärztin, ich arbeite im Zoo von Glasgow. Ein wunderschöner Beruf, auch wenn mein Vater mich auf meinen Geisteszustand untersuchen lassen wollte. Natürlich nur im Scherz, denn in Wirklichkeit war er stolz auf mich. Worauf ich ihm erklärte, er müsste sich dafür bei unseren Vorfahren beschweren, die zuviel Intelligenz vererbt hätten – natürlich ebenfalls nur im Scherz. Mein Vater respektiert meine Entscheidungen, auch wenn er sie nicht immer versteht.

    Er selbst ist damit beschäftigt, unsere Familiengeschichte zu erforschen, und damit hat er eine ganze Menge zu tun, denn bevor dieses Hobby an die Reihe kommt, ist jeden Tag die allgemeine Arbeit mit der Verwaltung der Besitztümer zu erledigen. Das ist bei einem so ausgedehnten Anwesen mit den angeschlossenen Firmen eine reichliche Menge an Arbeit. Also kann man auch in dieser Hinsicht nicht sagen, einer von uns würde in den Tag hineinleben.

    Die Familiengeschichte scheint aber dennoch wichtig, denn aus einem uns unbekannten Grund gibt es auf Rosemont Hall Geister, deren Vorhandensein und Grund sich niemand erklären kann. Warum ausgerechnet bei uns?

    Ich persönlich hatte die Geister noch nie gesehen, doch mein Vater, der siebzehnte Lord of Glencraven, war ihnen schon begegnet. Lord Reginald ist ein Mann, der im Allgemeinen mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Ich würde ihn niemals für verrückt halten, nur weil er behauptete, Geistern begegnet zu sein. Es klang unwahrscheinlich, es war vielleicht sogar wirklich ein bisschen verrückt – und doch musste es wahr sein, denn noch nie hatte Lord Reginald die Unwahrheit gesagt.

    Nun gut, ich musste zugeben, es interessierte mich nicht besonders. Solange die Geisterwesen mich in Ruhe ließen und nichts zerstörten, was mir wichtig war, sollten sie spuken, wenn sie Freude daran hatten. Ich hatte meine Arbeit, die mir Spaß machte und mir Befriedigung gab. Besondere Freundschaft hatte ich im Zoo mit dem Elefantenbullen Archibald und der Gepardendame Sheena geschlossen.

    Ein Gepard ist eine besondere Art von Katze. Ungeheuer schnell auf hohen schlanken Beinen, aufmerksam, bildschön und sehr scheu. Aber Sheena und ich hatten vom ersten Tag an Vertrauen zueinander gehabt. Wenn mich diese wundervolle Raubkatze anschaute, hatte ich immer wieder das Gefühl, sie würde meine Gedanken lesen und versuchen mir etwas zu sagen. Ich dachte über dieses Tier und unser seltsames Verhältnis nach. Im Zoo behandelte ich viele verschiedene Tiere, und mit den meisten kam ich gut klar. Tiere sind in gewisser Weise wie Menschen, man musste sie nehmen, wie sie sind. Mein erster Gang morgens aber führte mich immer zu Sheena.

    Mit klugen Augen blickte das Tier mich auch heute an. Langsam und vorsichtig streckte ich eine Hand aus, um die Katze zu streicheln. Das ließ sie nicht immer zu, und meist konnte ich es erkennen, ob sie sich wehren würde.

    Heute hielt sie still, schloss sogar für einen Moment genüsslich die Augen.

    „Es ist unglaublich, Miss Jessica. Keiner von uns würde es wagen, dem Tier zu nahe zu kommen", erklärte Peter, der Tierpfleger. Er kannte Sheena seit sieben Jahren, also seit sie sich hier im Zoo befand. Ich hatte schon frühzeitig damit aufgeräumt, dass jedermann mich Mylady oder Lady Jessica nannte, ein einfaches Miss genügte. Das hatte mir zusätzlichen Respekt verschafft.

    „Wahrscheinlich war ich im früheren Leben auch eine Katze, erwiderte ich lächelnd. „Aber heute ist viel zu tun, und ich kann nicht lange bleiben. Drüben bei den Löwen steht eine Geburt an, und es geht der Löwin gar nicht gut.

    Das war der Augenblick, in dem Sheena kurz fauchte und mit der Pfote über meine Hand fuhr. Geparden können ihre Krallen nicht einziehen, und so entstanden sofort blutige Kratzspuren auf Unterarm und Hand.

    Doch Sheena schien nicht in mindesten aufgeregt, sie schmiegte sogar den Kopf weiter an mich. Nun wich ich aber doch zurück, während Peter erschreckt nach mir griff.

    „Da haben wir es wieder mal wieder, Miss Jessica. Sie waren viel zu leichtsinnig. Man soll keiner Katze trauen, die in Freiheit geboren wurde. Kommen Sie, ich werde Sie verbinden."

    „Aber ich musste hinüber zu der Löwin", protestierte ich.

    „Das kann Doktor Johnson auch allein, der macht das schließlich nicht zum erstenmal", unterbrach er mich und meinte meinen Kollegen Louis Johnson, der schon seit mehr als zwanzig Jahren hier arbeitete und bald in Pension gehen würde.

    Widerstrebend ließ ich es zu, dass Peter mich beiseite zog, doch einen letzten Blick warf ich auf Sheena. Ich verstand das Tier nicht so ganz. Es handelte sich hier nicht um einen Angriff, sie lag auch jetzt vollkommen ruhig da und behielt mich durch die Gitterstäbe im Auge. Sie sah irgendwie – zufrieden aus, so als würde sie mich mit dieser Verletzung von irgendetwas abhalten.

    Zwei Minuten später hörte ich draußen einen lauten Schrei, dem ein lautes Poltern folgte. Aufgeschreckt blickten Peter und ich aus dem Fenster.

    Ben, der Braunbär, hatte sich auf seinem täglichen Spaziergang losgerissen. Etwas musste ihn gestört oder erschreckt haben, sonst hätte das normalerweise friedfertige Tier niemals seinen Pfleger angegriffen. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Ben schlug auf den Menschen ein und kletterte auf den nächsten Baum. Wäre ich auf dem Weg zum Löwengehege gewesen, hätte er mich erwischen können. Noch einmal sah ich zu Sheena hinüber. Hatte sie gewusst, was geschehen würde? Vollkommen unmöglich. Doch sie schien mich anzulächeln. Ich war ja verrückt!

    Jetzt aber holte ich mein Betäubungsgewehr, Ben musste zurück in seinen Käfig, und das würde er im Augenblick wohl kaum freiwillig tun.

    Peter hatte es gerade noch geschafft, mir ein Pflaster aufzukleben, doch die Kratzwunden waren lang und tief, das Blut lief noch immer herunter. Das aber hatte Zeit.

    Fünf Minuten später setzte ich einen sicheren Schuss. Ben hockte noch immer auf dem Baum, brummte verängstigt und zuckte zusammen, als der Pfeil mit dem Betäubungsmittel seine Hinterbacken traf. Wenig später plumpste der große braune Teddy die zwei Meter zum Boden. Bei diesem Sturz konnte nicht viel passieren, und er wurde mit der Kraft von vier erwachsenen Männern in seinen Käfig geschafft.

    Die Löwin hatte unterdessen geworfen, und Louis hielt drei kleine Babys in der Hand, die jämmerlich maunzten.

    Die Wunden an meinem Arm schmerzten heftig, und ich fühlte mich nicht besonders gut, wahrscheinlich waren die Krallen verschmutzt gewesen, und mein Körper wehrte sich dagegen.

    Louis schaute sich die Verletzungen an und schickte mich nach draußen. Noch einmal besuchte ich Sheena, bevor ich ging. Die Gepardin lag friedlich auf einem alten Baumstumpf. Ihre Augen wirkten wachsam, und die Ohren bewegten sich aufmerksam.

    „Was hast du nur gemacht?, fragte ich traurig. „Ich verstehe dich nicht, Sheena. Sind wir denn nicht Freunde? Ich würde nie etwas tun, was dich verletzt.

    Sie streckte den rechten Vorderlauf aus, als wollte sie mir die Hand zur Entschuldigung reichen. Was war nur los mit ihr?

    Ich fuhr nach Hause und hatte das Gefühl Fieber zu bekommen. Zitternd stellte ich auf der Zufahrt den Wagen ab und ging ins Haus. Meine Beine waren ganz weich, mir wurde schwindelig, und ich musste mich an einer Wand abstützen.

    „Jessica! Mein Vater kam aus seinem Arbeitszimmer, sah mich und nahm mich in die Arme. „Henson, brüllte er, und gleich darauf tauchte unser altbewährter Butler auf. Dieser Mann kannte mich seit meiner Geburt, und er hatte sich immer um mich gesorgt, ebenso wie er meine Streiche gedeckt hatte, solange ich noch Kind war.

    „Miss Jessica", kam jetzt auch von ihm ein entsetzter Ausruf.

    Die beiden Männer stützten mich und brachten mich erst einmal in die Bibliothek, wo sie mich auf dem Sofa ablegten. Henson besorgte kalte Umschläge und betrachtete kritisch die Wunden.

    „Ich werde Dr. McMillan verständigen", sagte der ältere Mann mit den eisgrauen Haaren, den ich noch nie anders als im schwarzen Anzug gesehen hatte.

    „Unterstehen Sie sich, brachte ich hervor. „Es sind nichts weiter als ein paar Kratzer. Morgen geht es mir schon besser. Ich brauche nichts weiter als einen Whisky und ein paar Stunden Schlaf.

    „Aber, Miss Jessica, protestierte er. „Sie sind verletzt. Ich habe ja schon immer gesagt, dass eine solche Arbeit nichts für eine so zarte Frau ist.

    Zarte Frau? Meinte er etwa mich? Ich war schlank und sportlich, mit meinen 26 Jahren noch nicht gebunden, obwohl man mir nachsagte, dass ich mit den roten Haaren und den grünen Augen eine klassische keltische Schönheit wäre. Aber zart? Naja.

    Mein Vater strich mir über die Stirn. „Es wäre aber doch bestimmt besser, wenn der Doktor wenigstens einen Blick..."

    „Ach, Dad, ich habe alle Impfungen hinter mir, und dies hier ist nichts weiter. Mich würde mehr interessieren, warum Sheena das getan hat."

    „Das interessiert mich wiederum gar nicht, erklärte er. „Mir wäre es am liebsten, würdest du diesen oft gefährlichen Beruf aufgeben. Ja, ich weiß, du willst unabhängig sein und etwas Sinnvolles tun, wehrte er ab, als ich schon den Mund öffnen wollte. „Aber sicher gibt es Sinnvolles auch ohne tätliche Angriffe."

    Er stand auf und holte mir endlich einen Whisky. Der scharfe Alkohol floss heiß durch meine Kehle, und ich fühlte mich gleich besser. Doch nun wurde ich müde. Die beiden Männer schlossen die Tür und ließen mich allein.

    Übergangslos schlief ich ein.

    3

    Als ich erwachte, war es dunkel. Hatte ich tatsächlich so lange geschlafen? Mein Arm schmerzte höllisch, doch ich wusste absolut sicher, dass die Wunde gut verheilen würde. Quälender Durst trieb mich auf die Beine. Mein Vater und Henson waren sicher schon zu Bett gegangen, ein Blick zur Uhr zeigte, dass es weit nach Mitternacht war. Draußen tobte ein Gewitter, Blitze zuckten durch die Nacht, und Donner grollte. Das Licht funktionierte nicht, vermutlich waren die Stromleitungen durch das Unwetter wieder einmal ausgefallen. Ich dachte in diesem Moment nicht darüber nach, dass in unserem Hause angeblich Geister noch immer ihr Unwesen treiben sollten. Um ehrlich zu sein, ich hatte das längst verdrängt, denn mir waren sie schließlich noch nie begegnet.

    Ich zündete eine Kerze an und machte mich auf den Weg in die Küche. Völlig überrascht blieb ich stehen, als auf dem Flur ein eisiger Windstoß aufkam und die Kerze löschte. Bevor ich noch leise vor mich hin schimpfen konnte, erschienen sie direkt vor mir.

    Drei leuchtende Gestalten tanzten in der Luft. Sie waren etwas größer als ich, und im ersten Moment hatte ich sie für eine Nebenerscheinung des Gewitters gehalten, eine Art Elmsfeuer oder so etwas. Doch ich bemerkte meinen Irrtum gleich darauf, als die drei sich zielgerichtet bewegten und mich umringten. Plötzlich hatte ich einen trockenen Mund, mein ganzer Körper begann zu zittern, und ich fühlte den unwiderstehlichen Drang davonzulaufen. Ich hatte Angst!

    Das mit dem Weglaufen konnte ich natürlich vergessen, denn diese Wesen bewegten sich schneller als ich. Mit Mühe zwang ich mich, ruhig stehenzubleiben und diese Erscheinungen näher zu betrachten. Wenn ich mir hinterher selbst noch erklären wollte, was ich hier gesehen hatte, musste ich möglichst genau wissen, was mir gerade geschah.

    Mit Erstaunen bemerkte ich, dass diese Wesen meine Gedanken zu erraten schienen, denn die durchscheinenden Gestalten verdichteten sich etwas, und ich konnte erkennen, dass es sich um eine Art Uniform handelte, welche die Personen einmal getragen haben mochten. Drei Männer waren es, und sie wirkten jetzt erschreckend lebendig.

    Die Augen des einen richteten sich so intensiv auf mich, dass mir ein eisiger Schauder über den Rücken lief. War das vielleicht in irgendeiner Form noch immer Leben zu nennen?

    Seltsamerweise hatte ich keine Angst mehr, weil ich aus irgendeinem Grund wusste, dass die drei mir nichts tun wollten. Doch sie mussten selbst einen Grund haben, um mich mitten in der Nacht aufzuhalten.

    „Was wollen Sie?, machte ich mühsam den Versuch einer Kommunikation. „Können Sie vielleicht reden?

    Ein leises spöttisches Lachen erklang in meinem Kopf.

    „Warum denn nicht, Sie können es doch auch, kam die ironische Gegenfrage. „Unsere Körper mögen zwar schon lange tot sein, doch wir leben in gewisser Weise noch immer. Ihr Vater könnte Ihnen das bestätigen.

    Ja, Dad hatte mir etwas davon erzählt, aber erst jetzt wurde mir klar, dass ich nie so ganz geglaubt hatte, dass er nicht doch einem Trugbild aufgesessen war. Jetzt musste ich es aber glauben, denn ich sah die Geister mit eigenen Augen, wenn ich nicht gerade selbst träumte. Unauffällig kniff ich mich selbst in den Arm. Es schmerzte, also träumte ich nicht.

    „Was wollen Sie von mir?, wiederholte ich meine Frage mit belegter Stimme. „Ich bin ja nicht erst seit gestern hier im Haus. Warum haben Sie nicht schon früher Kontakt aufgenommen, wenn es etwas gibt, was Sie von mir wollen?

    Ich versuchte das Gesicht des Sprechers zu erkennen und war erstaunt, dass mir das gelang. Er mochte zu Lebzeiten etwa vierzig Jahre alt gewesen sein, besaß graue Augen, beherrschte, schmale Gesichtszüge, eine scharfkantige gerade Nase und einen Mund mit vollen Lippen. Quer über die linke Wange zog sich eine Narbe, die in diesem seltsamen Geisterlicht deutlich und auffällig schimmerte.

    „Wir hatten vorher nicht die Möglichkeit, uns an Sie zu wenden, Mylady, weil Sie Ihre Fähigkeiten nicht erkannt hatten. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass ausgerechnet eine Raubkatze dafür sorgen würde, Ihre geistigen Gaben zu stimulieren."

    „Wie bitte? Was? Ich glaube, hier verstehe ich jetzt gar nichts mehr", beklagte ich mich, und mit jeder Sekunde kam es mir weniger verrückt vor, dass ich mich mit Geistern unterhielt. Ich verlor sogar das Gefühl des Andersartigen im Bezug auf das Aussehen.

    Die Körper hatten sich weiter verdichtet, und wäre das überirdische Strahlen nicht gewesen, wäre ich versucht gewesen, an ganz normale Menschen zu glauben. Der Mann vor mir streckte den Arm aus und machte eine Bewegung zur Bibliothek hin.

    „Ich glaube, ich sollte Ihnen einiges erklären, aber dazu müssen wir doch nicht hier im Flur stehenbleiben. Machen wir es uns doch bequem, oder Sie zumindest."

    Die leuchtenden Körper gaben genug Helligkeit ab, um mir den Weg zu erhellen. Die unwirkliche Situation nahm ihren Fortgang, als ich in einem der alten Ledersessel saß und der Geist sich mir gegenüber niederließ.

    „Sie müssen eine Menge Fragen haben, und ich will versuchen, diese zu beantworten. Zunächst möchte ich mich vorstellen. Ich bin Lawrence Earl of Harrington and Boundary Castle, oder vielmehr war ich das vor etwa fünfhundert Jahren. Meine beiden Begleiter sind Godfrey of Arrandey und Jean-Pierre de Bouchard. Wir sind – wir waren Mitglieder des Temple of Eternity Truth. Manche Leute sagten, es handelte sich um die einzig legitime Nachfolgerschaft der alten Tempelritter, wir als Eingeweihte sahen das etwas anders. Durch das Wissen, das wir über Jahrhunderte bewahrt haben, stellten wir uns gegen die Lehren der Kirche und wurden als Ketzer und Hexer gebrandmarkt und verfolgt. Eine grausame Zeit war es, und die Kirche hat keine Rücksicht auf Leben genommen, wenn sie der Überzeugung war, es würde es ich um einen Gegner der kirchlichen Lehre handeln. Mittlerweile wissen wir, dass wir uns damals auch nicht besser benommen haben als unsere Feinde. Damals –, er zuckte die Achseln und machte eine unbestimmte Geste in die Luft, „zum Zeitpunkt unseres Todes, standen wir der Verfolgung selbst nur noch mit Gewalt gegenüber. Dieses Haus hier war unser Versammlungsort, unser Hauptquartier, unsere Zuflucht, eine Art Komturei, wenn Sie so wollen, oder ein Tempel. Von unserer Gruppe lebten nur noch wenige, was auch daran lag, dass der Bischof die hiesigen Clansmen und die Bevölkerung aufgehetzt und damit auf seine Seite gebracht hatte. Niemand von uns konnte sich noch auf offener Straße sehen lassen, gleich stürzten sich aufgebrachte Menschen auf uns, weil wir in Acht und Bann gelegt worden waren. Die wenigen, die bereit waren, uns zu helfen, überlebten ihre Hilfsbereitschaft ebenfalls nicht, so gab es bald niemanden mehr, der den Mut aufbrachte, einem von uns Zuflucht zu gewähren. Es kam zum offenen Aufstand gegen uns, obwohl wir mit den Menschen immer ausgekommen waren und ihnen häufig sogar geholfen hatten. Unser Generaloberst gab den Befehl abzuziehen. Wie aber sollten wir unsere Lehre und unser Wissen weiter verbreiten, wenn uns niemand glaubte? Besonders meine Freunde und ich konnten nicht einsehen, dass es klüger wäre, einige Zeit zu warten, bis sich der Volkszorn wieder gelegt hatte. Jedoch mussten wir den Anweisungen Gehorsam leisten. Wir versteckten all unsere Schätze, die in erster Linie aus Büchern und kostbaren sakralen Gegenständen bestanden, und flohen förmlich vor dem Zorn der Bevölkerung. Unterwegs trennten wir uns, meine beiden Kameraden und ich bildeten eine Gruppe, die fest entschlossen war, gegen die Anweisungen zu rebellieren und uns für die erlittene Schmach zu rächen. Wir kehrten um und richteten selbst ein Blutbad an. Die Clansmen hatten keine Chance gegen uns, wir haben sie förmlich abgeschlachtet, und schließlich begingen wir den größten Frevel, wir töteten den Bischof, obwohl uns eigentlich hätte klar sein müssen, dass die höhere Gerechtigkeit sich schon um uns kümmern würde. Unmittelbar nach diesem Mord brach ein schreckliches Unwetter los, und wir wurden nacheinander von der göttlichen Gerechtigkeit eingeholt. Noch während wir starben, machte man uns klar, dass wir lange Zeit keine ewige Ruhe finden würden, zu groß war unsere Schuld. Es gab nur die Hoffnung, dass eines Tages jemand kommen würde, der in der Lage sein sollte, unser Wesen und unser Anliegen zu erfassen. Wir haben es immer wieder versucht, denn in Ihrer Familie gibt es durchaus seit langen Jahren einen Hang zum Übersinnlichen. Zum anderen ist es so, dass es uns sehr schwer fällt, dieses Gebäude zu verlassen. Es ist nicht unmöglich, aber es ist schwierig. Wir konnten also nirgendwo anders einen Helfer suchen und waren darauf angewiesen abzuwarten, bis sich endlich ein Mensch fand, der sich nicht selbst für verrückt hielt, nur weil er Kontakt mit uns aufnehmen konnte.

    Ich hatte die ganze Zeit über dieser schier unglaublichen Geschichte zugehört und war längst nicht sicher, ob ich die Sache glauben oder an meinem Verstand zweifeln sollte. Irgendwie gewann dann aber doch die praktische Seite in mir die Oberhand.

    „Das ist ja eine herzzerreißende Story, und in gewisser Weise tun Sie mir sogar leid. Was aber hat das mit meinem Vater oder mir zu tun?", erkundigte ich mich sachlich.

    „Ihr Vater gehört zu den besonderen Menschen, die in der Lage sind ihre, Vorurteile beiseite zu legen und offenbar auch mit einem ungewöhnlichen Phänomen umzugehen. Er ist jedoch nicht geeignet, für das spezielle Problem, mit dem wir jemanden konfrontiert müssen – vielmehr hat er es sogar abgelehnt, weil er sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlte."

    „Und das wäre?"

    „Wir möchten endlich erlöst werden." Die Worte standen einfach im Raum, und ich wusste schlagartig, dass ich es sein würde, die dafür zu sorgen hatte, dass es auf Rosemont Hall nicht mehr spukte. Aber warum ich? Es gibt Milliarden Menschen auf der Erde. Warum ich? Das wollte ich nicht, nein. Ebenso wie mein Vater fühlte ich mich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Ich hatte mein Leben, das ich mir nach eigenen Vorstellungen eingerichtet hatte, ich war unabhängig von Name, Rang und Geld. Was wollten diese Gestalten also von mir? Wie sollte ausgerechnet ich ihnen helfen? Immerhin hatten sie schon fünfhundert Jahre lang nach jemandem gesucht, der dazu in der Lage war. Warum sollten sie jetzt ausgerechnet bei mir fündig werden? Meinetwegen konnten sie gern weitere fünfhundert Jahre suchen.

    Vermutlich konnte man mir meine Gefühle und Vorbehalte am Gesicht ablesen, denn ein Lächeln zeichnete sich auf den Lippen von Sir Lawrence ab. Konnten Geister lächeln? Naja, warum nicht, da sie ja offenbar auch in der Lage waren zu reden, oder wie auch immer man das nennen wollte, wenn sich die Gedanken direkt in meinem Kopf formten, ohne dass meine Ohren sie aufnahmen.

    „Sie sind sehr skeptisch, Lady Jessica. Nach allem, was wir über die Menschen der heutigen Zeit wissen, die wir stets beobachtet haben, kann es wohl nicht anders sein. Aber sehen Sie, wir brauchen jemanden, der in der Lage ist gezielt zu agieren und Handlungen auszuführen. Daran mangelt es uns nämlich. Wir brauchen jemanden, der etwas für uns tut. Da wir uns notgedrungen vorher mit ihm verständigen müssen, blieb uns nichts anderes übrig, als solange zu warten, bis ein Mensch in der Lage war uns zu verstehen."

    „Aha", machte ich und wusste selbst, dass ich im Augenblick nicht sehr intelligent klang. Doch was mir hier passierte, hätte vermutlich auch andere Leute an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben.

    Wieder klang das leise Lachen des Mannes auf, und irgendwie beruhigte mich dieses Geräusch etwas. Es hörte sich so sicher und überlegen an, es vermittelte so etwas wie Zuversicht.

    „Ich will es Ihnen erklären, Mylady. Wir drei hier haben mittlerweile nur noch den Wunsch, endgültig zu sterben, oder vielmehr endlich die ewige Ruhe zu finden. Das können wir nur, wenn es uns gelingt, etwas von dem wieder gut zu machen, was wir in unserem Zorn und Blutrausch damals angerichtet haben."

    „Na, wunderbar, dann tun Sie das doch endlich und lassen mich und meinen Vater ganz einfach in Ruhe", schlug ich praktisch vor.

    „So einfach funktioniert das leider nicht, Mylady. Wie schon gesagt, wir brauchen tatkräftige Hände. Dafür sind wir jedoch im Gegenzug bereit unseren Schatz demjenigen auszuhändigen, der seine Angst und Vorbehalte überwindet."

    „Ich will Ihr Geld und Gold nicht", stieß ich hervor. Ich bin doch nicht käuflich.

    „Gold ist eigentlich das wenigste, was wir zu bieten haben, kam die erstaunliche Antwort. „Wir sind noch immer im Besitz der alten Schriften und Bücher, die damals die Macht unseres Temple begründet haben. Heute ist dieser Besitz von unschätzbarem Wert. Aber ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen schwer fallen musste, meinen Worten Glauben zu schenken. Sie werden morgen einen Hinweis darauf bekommen, wo sich eines dieser Bücher befindet. Vielleicht gelingt es Ihnen dann leichter, uns zu glauben. Außerdem beinhaltet dieses Buch den Zugang zu dem, was uns erlösen kann. Nun aber haben wir Ihre kostbare Nachtruhe lange genug gestört. Gestatten Sie uns bitte, uns zurückzuziehen.

    „Halt, warten Sie, rief ich empört. „Was ist das eigentlich für eine Aufgabe, die erledigt werden musste, damit Sie Ihre ewige Ruhe finden?

    „Oh, eigentlich ist das recht einfach. Wir müssen – und damit meine ich Sie und uns – ein Leben retten und unsere Grabstätten finden."

    Übergangslos verschwanden die drei, und ich saß wie betäubt im Sessel. War das nun doch nur ein ungeheuer intensiver Traum, oder unterlag ich Halluzinationen? Was hatte ich mit Geistern zu schaffen, und wieso war eine Katze schuld an meinen sogenannten Fähigkeiten? Alles das war einfach nur verrückt, und ich tat sicher gut daran, sofort ins Bett zu gehen. Am Morgen sah die Welt sicher wieder anders aus. Todmüde ließ ich mich in die Kissen fallen, doch in meinen Träumen wurde ich weiter verfolgt.

    4

    „Miss Jessica, so wachen Sie doch auf, bitte." Eine beharrliche Stimme holte mich aus den Tiefen eines totenähnlichen Schlafes in die Wirklichkeit zurück.

    Henson stand an meinem Bett und mühte sich redlich mich zu wecken. Mein Blick fiel auf die Uhr, und ich unterdrückte einen lauten erschreckten Ruf. Da hätte ich doch fast verschlafen.

    „Sie sind ein Schatz, Henson", rief ich, sprang aus dem Bett und verschwand in Windeseile im Bad. Noch war es früh genug, um in aller Ruhe dem üblichen morgendlichen Ritual nachzugehen, Dank sei dem ewig fleißigen und aufmerksamen Butler.

    Ich streifte gerade einen Pulli über, als mein Blick wie magisch angezogen wurde von einem Gegenstand auf dem Nachtisch.

    Eine schwarze Rose!

    Ganz bestimmt hatte nicht Henson die hinterlassen. Die Ereignisse der vergangenen Nacht fielen mir schlagartig wieder ein. Ich hatte nicht geträumt. Und diese Geister besaßen auf irgendeine Art doch die Möglichkeit etwas zu berühren und zu bewegen, sonst hätte diese Rose da nicht gelegen.

    Ich nahm sie auf. Die Blüte verbreitete einen betäubenden Duft, und ich konnte sehen, dass die Farbe nicht völlig schwarz war. Ein tiefdunkles rot, eine Farbe, die ein Züchter nur durch jahrelange Kreuzungen erreichen konnte, und die immer selten bleiben würde. Hier auf dem Anwesen gab es jedenfalls keinen Rosenstock in dieser Farbe. Ich wollte auch gar nicht so genau wissen, woher die Blume kam. 

    Darunter befand sich ein Blatt Papier, wie ich erst jetzt sah – nein, ein Blatt Pergament. Verwundert nahm ich es auf und versuchte zu entziffern, was da stand. Eine alte Sprache, Latein, jedoch in einer seltsam abgewandelten Form. Kopfschüttelnd versuchte ich mich daran zu erinnern, was ich gelernt hatte. Man verlor den Zugang zu einer Sprache ziemlich schnell, wenn man sie nicht täglich benutzte. Und mir waren höchstens noch die medizinischen Diagnosen geläufig. Vielleicht konnte mein Vater etwas damit anfangen.

    Im gleichen Moment, da ich diese Überlegung hegte, verwarf ich sie auch schon wieder. Eine innere Stimme riet mir davon ab, meinem Vater von der nächtlichen Begegnung zu berichten. Er sollte damit nicht belastet werden, redete ich mir ein, doch ich wusste, dass es noch einen anderen Grund gab, den ich mir selbst nicht eingestehen wollte. Die Geister hatten gesagt, er hätte die Hilfe abgelehnt. Wenn er nun etwas davon erfuhr, dass man mich gebeten hatte, bestand die Möglichkeit, dass er mir abraten würde. Und ich wollte meine Entscheidung allein treffen, wie ich es bisher immer gehalten hatte.

    Ich verbarg das Blatt Pergament in meiner Handtasche, schnupperte ein letztes Mal an der wunderschönen Blume und legte sie in meinen Nachttisch. Niemand sollte etwas davon wissen.

    Mein Vater saß am Frühstückstisch und studierte die Zeitung, alles wirkte wie jeden Morgen, es gab keinen Hinweis darauf, dass in dieser Nacht etwas Ungewöhnliches geschehen war. Nur mein Herz pochte allein bei dem Gedanken daran wie wild, und das Pergament in der Tasche schien heiße Strahlen auszusenden, die ich selbst durch das Leder hindurch spüren konnte. Kaum gelang es mir, mich so unbefangen zu geben, wie ich es gern wollte.

    „Wie geht es deinem Arm, mein Liebes?", fragte mein Vater mitfühlend, als ich nur mit Vorsicht eine Tasse Tee in der Hand hielt.

    „Ach, das wird schon wieder", gab ich wegwerfend zurück und bemerkte seine prüfenden Blicke.

    „Irgendetwas stimmt aber nicht mit dir", stellte er hellsichtig fest. Nun ja, mein Vater liebte mich und kannte mich wahrscheinlich viel zu gut. Er würde es immer bemerken, wenn mich etwas bewegte oder bedrückte. Es widerstrebte mir ihn zu belügen, aber die Wahrheit konnte ich ihm auch nicht sagen, obwohl das vielleicht einiges leichter gemacht hätte. Nur ich durfte ihm nichts sagen, ich hätte ihn sonst vielleicht sogar in Gefahr gebracht. Diese neue Erkenntnis war nichts, was mir besonders gefiel, vor allem auch deswegen, weil ich nicht hätte sagen können, woher ich das wusste.

    Ich zwang mich zu einem beruhigenden Lächeln und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

    „Du bildest dir da etwas ein, Dad. Ich habe schlecht geschlafen, und natürlich schmerzt der Arm auch noch etwas. Aber du wirst sehen, morgen ist alles schon wieder besser."

    Er runzelte die Stirn. „Willst du nicht lieber heute hierbleiben? Dein Kollege kann doch sicher auch mal die Arbeit einen Tag lang allein schaffen."

    „Aber, Dad, was denkst du nur? Ich kann doch meine Tiere nicht allein lassen. Du würdest doch auch deine Hundemeute nicht ohne die Aufsicht ihres Herrn lassen."

    Er lächelte verständnisvoll. „Ich glaube, der Vergleich hinkt, Jessica. Meine Tiere sind hier vor Ort, und es gibt genügend Personal, das sich um die Meute kümmert. Fühlst du dich wirklich wohl?"

    „Aber ja, nun hör endlich auf mich wie eine Amme zu bemuttern, schalt ich liebevoll. „Und jetzt musste ich los. Bis heute Abend. Es kann sein, dass ich später komme. Auf keinen Fall wollte ich ihm erzählen, dass ich im Anschluss an die Arbeit noch einen bekannten Historiker aufsuchen wollte. Der konnte mir hoffentlich helfen das seltsame Pergament zu entziffern.

    Als ich in mein Auto stieg und startete, umgab mich plötzlich ein intensiver Duft. Auf dem Armaturenbrett lag wiederum eine schwarze Rose. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. Welche Macht besaßen die Geister wirklich?

    Wie unter Zwang holte ich das Pergament aus der Tasche und versuchte selbst noch einmal, die Worte zu entschlüsseln. Einen rechten Sinn ergab das aber nicht für mich, nur hier und da konnte ich einzelne Worte übersetzen. Ich fuhr in den Zoo, und wie immer führte mein erster Weg zu Sheena.

    Die Gepardin schaute mir aufmerksam entgegen. Ich spürte ein sanftes vorsichtiges Tasten im Gehirn und zuckte zusammen. Was war das denn? Das Tier streckte eine Pfote aus und legte sie auf meinen verletzten Arm.

    „Ich wollte dir nicht wehtun. Du musst sehr gut auf dich aufpassen. Hüte dich vor demjenigen mit dem Wissen um das Vergangene."

    Das Tasten hörte auf, und zum zweitenmal innerhalb von vierundzwanzig Stunden zweifelte ich an meinem Verstand. Ich strich Sheena vorsichtig über das Fell und spürte tief in dem geschmeidigen Körper ein leichtes Kollern, es war eine besondere Art von Schnurren und ein großes Geschenk für mich. Ich musste mich getäuscht haben, als ich glaubte, ich hätte etwas gespürt.

    Gleich darauf holte mich die Realität auch wieder ein, denn es gab eine Menge zu tun. Der Umgang mit Pflegern und auch Besuchern holte mich wieder ganz auf den Boden der Tatsachen zurück. Zum Glück war keines der Tiere schwer erkrankt, es gab nur die ganz normale Routine, und die konnte aufreibend genug sein, wenn man Schulklassen durch den Zoo führte und unzählige Fragen beantwortete. Die Zeit verging wie im Flug, und ich hielt ab und zu inne, wenn mir der unglaubliche Duft der schwarzen Rose in die Nase stieg, ohne dass überhaupt eine Blume in der Nähe gewesen wäre.

    Es dunkelte schon, als ich meine Arbeit hinter mir ließ und in die Stadt fuhr. Hoffentlich würde ich Professor James Hagen überhaupt noch antreffen. Er hatte vor etwa zwei Jahren intensiv bei uns auf Rosemont Hall nach Unterlagen gesucht und sich dabei lange mit meinem Vater unterhalten. Ich hoffte, er würde sich noch an den Namen erinnern.

    Durch eine kurze Anfrage per Telefon wusste ich bereits, dass er bis gegen Abend im Archäologischen Institut zu finden war. Vielleicht etwas ungewöhnlich für einen Historiker, der eher damit beschäftigt war, in Büchern und anderen Unterlagen zu kramen. Aber wie viel Ahnung hatte ich schon von dieser Arbeit, um beurteilen zu können, wo die Historie aufhörte und die Archäologie begann? Auf jeden Fall wies mich ein freundlicher Pförtner in die erste Etage, wo ich Professor Hagen in einer Röntgenkammer fand. Er machte mit seinem Assistenten Aufnahmen von alten Papyrusstücken und Rollen.

    „Wer stört?", fragte er unwillig, als ich klopfte und den Kopf durch die Tür steckte.

    „Jessica of Glencraven. Sie haben vor einiger Zeit bei uns..."

    „Ich weiß, wer Sie sind. Was gibt es denn?"

    „Ich habe bei uns ein Pergament gefunden, aber ich kann die Schrift nicht ausreichend lesen", sagte ich, etwas eingeschüchtert von der barschen Art.

    Professor James Hagen war ein recht gutaussehender Mann mittleren Alters mit klugen grauen Augen hinter einer starken Brille. Kurz geschnittenes braunes Haar umrahmte ein schmales Gesicht, der Körper war sportlich und durchtrainiert, auch wenn noch nie jemand gesehen hatte, dass Professor Hagen Sport betrieb.

    Er hielt jetzt einige Fetzen Papyrus in den Händen, arrangierte sie auf einer Platte und legte eine Glasscheibe darüber.

    „Für einen solchen Unsinn stören Sie mich? Das ist eine Zumutung, junge Frau, auch wenn ich Ihnen in irgendeiner Form zu Dank verpflichtet sein sollte. Was ich nicht bin. Ich hätte die fehlenden Unterlagen damals auch woanders bekommen können. Besorgen Sie sich ein Wörterbuch."

    Mir lief schon wieder eine Gänsehaut über den Rücken, dieses Mal aber vor Wut. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? War ich ein Bittsteller, der demütig darauf wartete, dass der gnädige Herr mir einen Blick und eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit schenkte? Nein, ganz sicher nicht. Lady Jessica of Glencraven musste sich nicht mit Almosen abweisen lassen. Und dieser Ton war eine Frechheit, selbst wenn ich nur ein ganz normaler Mensch gewesen wäre.

    Ich trat einen Schritt in den Raum hinein und blickte den Mann stolz an.

    „Ich wollte Ihre kostbare Zeit nicht mit Kleinigkeiten vergeuden, Professor. Selbstverständlich ist es eine Zumutung für Sie, sich mit einem nur fünfhundert Jahre alten Pergament abzugeben. Ich bin sicher, dass Professor Elisabeth Havelock etwas Zeit erübrigen kann. Einen guten Tag wünsche ich."

    Seine grauen Augen trafen auf meine grünen, und ich sah so etwas wie Respekt aufleuchten. Er zuckte die Schultern, wirkte aber nicht im Geringsten verlegen, als jetzt ein verschmitztes Lächeln in seinem Gesicht auftauchte.

    „Habe ich mich so sehr daneben benommen? Verzeihen Sie bitte, Lady Jessica. Doch dieses Papyrus hier ist fünftausend Jahre alt und birgt noch einige Geheimnisse mehr. Ich bitte, dafür etwas Verständnis zu haben. Mein Assistent Gordon McBride kann Ihnen aber weiterhelfen – wenn Sie sich damit zufrieden geben würden", setzte er voller Ironie hinzu. Offenbar hatte die kleine Spitze mit seiner ärgsten Konkurrentin gefruchtet.

    „Wenn Mr. McBride in der Lage ist, das antike Latein zu entziffern und in eine verständliche Sprache zu übersetzen, habe ich nichts dagegen", gab ich im gleichen Tonfall zurück. Ich spürte, dass Professor Hagen nicht besonders damit einverstanden war, wie ich mich ihm gegenüber benahm. Offensichtlich war er daran gewöhnt, dass alle Leute vor ihm katzbuckelten. Das hatte ich nun wirklich nicht nötig. Trotzig und energisch hielt ich seinem Blick stand. Ob ihn das beeindruckte? Er zuckte jedenfalls die Achseln. Was er konnte, war mir auch möglich, Erfolge auf einem bestimmten Gebiet rechtfertigten auf keinen Fall schlechte Manieren.

    „Wenn er das nicht schafft, ist er bei mir mit Sicherheit an der falschen Stille zur Ausbildung. Das ist schließlich das Niveau vom Kindergarten."

    „Ach, tatsächlich?, fauchte ich jetzt zornig. „Was sind dann eigentlich normale Menschen in Ihren Augen, die leider nur drei moderne Sprachen beherrschen? Barbaren?

    „Gut gekontert, nickte er anerkennend. „Ich vergesse manchmal über meiner Arbeit, dass es auch noch eine Realität außerhalb dieser Mauern und eine normale Zeit gibt. Verzeihen Sie mir noch einmal? Plötzlich blitzte ein amüsiertes Lächeln in seinen Augen auf. „Gordon wird sich um Ihr Pergament kümmern, ich bin sicher, Sie werden schon bald mehr wissen. Und sollte wirklich noch etwas nicht klappen, stehe ich auch zur Verfügung – nach dieser Untersuchung hier."

    Er machte ein Zeichen zu dem Fenster hin, das einen zweiten Raum mit diesem hier verband. Gleich darauf kam durch die Tür ein jüngerer Mann, etwa in meinem Alter. Leuchtend blaue Augen, blonde Haare und ein fröhliches Gemüt. Auf Anhieb gefiel mir Gordon besser als der Professor, der offenbar nur für sich selbst und seine Wissenschaft lebte. Die blauen Augen strahlten mich an. Ich wurde taxiert. Was sah der Mann?

    Eine Lady von 26 Jahren mit roten lockigen Haaren, einem schmalen Gesicht voll mit unzähligen Sommersprossen, die jedem Make-up widerstanden, und dunkelgrünen Augen, die manchmal goldene Funken besaßen. Ich gefiel ihm, das sah ich sofort, und er machte auch einen guten Eindruck auf mich. Besser als Professor James Hagen, oder?

    Nein, nicht ganz. Irgendwie war der Mann faszinierend, trotz seiner Grobheit. Doch ich würde nichts mehr mit ihm zu tun haben, also konnte ich ihn auch gleich vergessen.

    „Gehen Sie, befahl der Wissenschaftler. „Sehen Sie zu, McBride, dass Sie wenigstens einmal in Ihrem Leben etwas für das unverschämte Gehalt tun, welches Ihnen die Fakultät großzügig als meinem Assistenten zahlt. Und dann kommen Sie zurück – falls Sie den Weg finden.

    Das war doch wohl der Gipfel der Frechheit. Musste man sich das in dieser Stellung tatsächlich gefallen lassen?

    Gordon McBride nahm mich beim Arm und führte mich hinaus.

    „Machen Sie sich nichts aus dem alten Brummbär. Alles, was jünger ist als zweitausend Jahre weckt nicht sein Interesse, weil er glaubt, er weiß schon alles. Wie kann ich Ihnen helfen Lady? – Jessica?"

    Ich schaute mich um, wir waren unbeobachtet. Also holte ich das Pergament heraus und reichte es ihm. Es brannte in meiner Hand, und ich zögerte, es jemand anderem zu überlassen. Gordon grinste, er hatte bemerkt, dass ich nicht sicher war. Seine Augen flogen über die Schrift, und dann stieß er einen Pfiff aus.

    „Das ist ja mal ein dickes Ding!"

    5

    Das Essen war hervorragend gewesen, die Unterhaltung unverbindlich und freundlich – für ein erstes Rendezvous hätte man von einem gelungenen Abend sprechen können. Aber natürlich hatten wir hier kein Rendezvous, und ich musste ganz schön aufpassen, dass Gordon McBride mir an Informationen nicht mehr entlockte, als ich zu geben bereit war.

    Der angehende Wissenschaftler hatte das Pergament aufmerksam gemustert, seine Lippen bewegten sich dabei lautlos, und er schüttelte mehrmals den Kopf. Dann warf er einen Blick zurück in den Raum und schob mich aus der Tür.

    „Der Professor hat noch viel zu tun, und sollte es ihm gelingen, diesen Schnipsel da auszuwerten, wäre das ein großer Fortschritt für die Wissenschaft", erklärte er.

    „Kann schon sein. Das ist trotzdem kein Grund andere Menschen wie – wie ein Ding, etwas Wertloses oder noch Schlimmeres zu behandeln. Ist der auch zu Ihnen immer so?"

    Gordon grinste mich an. „Meistens. Aber man gewöhnt sich an alles. Und ich musste zugeben, bei keinem anderen Gelehrten kann man so viel an Wissen erfahren. Professor Hagen ist auf seine Weise ein Genie, und ich muss dankbar sein, dass ich bei ihm etwas lernen darf. Da nimmt man dann schon einiges hin."

    Er strahlte mich auch weiterhin an, und ich musste zugeben, dass ein heißes seltsames Gefühl in mir aufstieg. Bisher hatte mich noch kein Mann besonders interessiert. Die meisten waren mir einfach zu langweilig oder zu sehr auf sich selbst bezogen. Die wenigen, denen ich Freundschaft und Zuneigung entgegenbrachte, waren ältere Männer, so wie mein Vater oder auch mein Kollege Louis Johnson. Hier hatte ich nun auf einen Schlag gleich zwei Männer kennengelernt, die jeder auf seine Art bemerkenswert waren. Denn auch Professor Hagen war ein besonders interessantes Exemplar der Gattung Mann. Es war sicher nicht seine Grobheit, die mich beeindruckt hatte, eher schon die Selbstverständlichkeit, mit der er davon ausging, dass sich die ganze Welt nach seinen Launen richtete – denn diese Launen beruhten ja letztlich nur darauf, dass er ein Genie auf seinem Gebiet war und sich nicht dem normalen Standard unterwerfen musste.

    Na egal, ich dachte auch nur am Rande daran, denn aller Voraussicht nach würde ich den Wissenschaftler nie wieder sehen. Es gefiel mir auch eigentlich besser, mit Gordon zu reden als mit dem alten Brummbär. Der junge Historiker verlor jedenfalls nicht viel Zeit.

    „Wir können weiter hier im Flur stehenbleiben und die Sache zwischen Tür und Angel abhaken – wir könnten aber statt dessen auch zum Essen gehen und wie zivilisierte Menschen bei Kerzenschein und sanfter Musik darüber reden", schlug er unverblümt vor.

    „Würde es denn ein ganzes Abendessen dauern, den kurzen Text zu übersetzen?", fragte ich ironisch.

    McBride lachte, rieb sich über die Stirn und machte ein wichtiges Gesicht. „Mindestens. Ich denke, das wurde sogar noch eine weitere Verabredung rechtfertigen. Danach bräuchte ich dann sicher auch keinen Vorwand mehr."

    Das war dreist, aber auf eine liebenswerte Art. Warum also eigentlich nicht?

    Ich sagte zu, und wir gingen zu Billys Taverne, wo nach Auskunft von Gordon McBride viele Wissenschaftler und Studenten zu finden waren, und wo vor allem die Preise nicht in den Himmel stiegen. Unsere Gespräche drehten sich zunächst um alles Mögliche, doch ich war natürlich viel zu neugierig, um noch länger zu warten. Außerdem stieg mir von irgendwo her wieder der Duft einer schwarzen Rose in die Nase. So ein Unsinn, hier gab es für die Geister doch nun wirklich keine Möglichkeit eine Rose abzulegen. Außerdem konnten sie Rosemont Hall nur unter Schwierigkeiten verlassen.

    Ich sah noch einen Augenblick zu, wie Gordon seine Mahlzeit beendete, dann aber hatte ich genug von der unverbindlichen Höflichkeit.

    „Mr. McBride, Sie nannten das Pergament, oder vielmehr das, was darauf geschrieben steht, ein dickes Ding. Wie soll ich das verstehen?"

    Er schaute mich mit einem treuherzigen Augenaufschlag an. „Zurück zum Geschäft? Na gut. Ich habe es ja noch nicht komplett gelesen, doch es scheint, als handelt es sich hier um eine Art Lageplan. Könnte sich vielleicht eine Schatzkarte sein? Jedenfalls macht es auch den ersten Blick diesen Eindruck."

    Natürlich, dachte ich, nur ist der Schatz nicht unbedingt das, was Mr. McBride sich darunter vorstellte.

    „Haben Sie ein Problem damit?, fragte ich etwas spöttisch, und er hob fragend die Augenbrauen. „Weil dieser sogenannte Schatz nicht aus Geld oder Gold besteht, soviel kann ich Ihnen schon versichern. Daran hätte ich allerdings auch kein Interesse.

    „Ach, braucht nicht jedermann ein Vermögen?"

    „Ich habe mein Auskommen, auch ohne, dass ich von meinem Vater mit dem ererbten Vermögen unterstützt werde. Mehr will ich nicht, schließlich kann man nicht mehr, als sich täglich satt essen und gute Kleidung tragen. Sie haben meine Frage nicht beantwortet."

    „Was wird das hier? Ein Verhör? Aber nun gut, ich habe kein Problem damit, und falls der Schatz aus einem Haufen Pferdemist bestehen würde, könnte es mir schließlich auch egal sein. Ich soll nur den Text übersetzen, alles andere geht mich nichts an."

    Ich war mir nicht ganz sicher, ob er die Wahrheit sprach, ich entschied mich jedoch dafür ihm zu vertrauen – in einem begrenzten Rahmen natürlich.

    „Dieser Schatz besteht vorerst aus einem Buch, wenn ich richtig informiert bin. Was darin zu lesen ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau, aber ich musste davon ausgehen, dass es sich um das gleiche Kauderwelsch handelt wie hier auf dem Pergament. Deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich auf dieser – nun ja – Schatzsuche begleiten würden."

    Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit, und ich sah für einen Moment ein gieriges Funkeln in seinen Augen, was aber sofort wieder verschwand, so dass ich glaubte, mich getäuscht zu haben.

    „Ein Buch? Aus der gleichen Zeit wie das Pergament?"

    Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Gut möglich, vielleicht auch noch älter", gab ich zurück und sah es nun deutlich in seinen Augen funkeln.

    „Würden Sie, quasi als Gegenleistung, mir das Buch dann für einige Zeit zur Forschung überlassen?", fragte er rasch.

    Naja, damit hatte ich gerechnet, auf der Welt gab es eben nichts umsonst.

    „Ich bin dazu bereit, selbstverständlich. Wird Sie das gegenüber Professor Hagen in ein besseres Licht setzen?"

    Er lachte auf, und ich fühlte mich zu ihm hingezogen. „Nur dann, wenn es sich um eine Sensation handelt und es mir gelingt, ihn davon fern zu halten. Sonst heißt es nur wieder, seinen Ruhm zu mehren."

    „Aber das wäre doch Diebstahl", empörte ich mich.

    „So läuft es nun einmal in dieser Welt, wenn man sich selbst noch keinen Namen gemacht hat. Das ergeht allen Leuten so. Der Vorteil liegt nun einmal darin, dass man zum Beispiel bei einer Bewerbung auf eine Zusammenarbeit und Ausbildung mit dem Professor verweisen kann. Das öffnet schon manche Tür."

    Ich nickte. „Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Mein Dozent an der Universität besaß ebenfalls einen guten Ruf. Als ich mich im Zoo beworben habe, erklärte mein Kollege gleich, er würde Doktor Stanton kennen, und damit hatte ich den Job sicher, obwohl der Direktor mich eigentlich nicht nehmen wollte. Er hielt mich für unfähig, weil ich aus adligem Hause stamme. So ein Unsinn. Allerdings hätte Stanton niemals Forschungen für sich reklamiert, die ein anderer gemacht hat. Nun, mittlerweile habe ich bewiesen, dass ich fachlich nicht zu beanstanden bin."

    Ich sah Gordon an, dass er mir gerne noch tausend Fragen gestellt hätte, aber das konnte warten, befand ich. Mit einem auffordernden Lächeln reichte ich ihm das Pergament.

    „Sie sind ganz schön hartnäckig, Mylady." Er las in aller Ruhe und schaute mich fragend an.

    „Gibt es bei Ihnen ein Turmzimmer?"

    Ich schüttelte den Kopf. „Der Turm existiert schon seit zweihundertacht Jahren nicht mehr. Ist das wichtig?"

    „Ja, schon, denn dort ist der Ausgangspunkt. Tut mir leid, dann wird es wohl nichts mit der Schatzsuche", erklärte er bedauernd.

    „Na, kann man nichts machen. Wäre ja auch zu schön gewesen, meinte ich schulterzuckend und versuchte meine Enttäuschung zu verbergen. „Würden Sie mir trotzdem den Text komplett übersetzen?

    „Nur unter einer Bedingung."

    „Und die wäre?"

    „Gehen Sie mit mir aus, bitte?"

    Warum eigentlich nicht? Er war doch ganz sympathisch. „Ja, gerne."

    Gordon McBride grinste zufrieden, nahm ein Blatt Papier aus dem Jackett und schrieb mir die Übersetzungen darauf.

    6

    „Oh, nein, ist es schon wieder so spät?" Ich tauchte nur langsam aus düsteren schweren Träumen auf. Eine Stimme rief beharrlich meinen Namen, und ich fühlte mich so unendlich müde. Widerwillig schlug ich die Augen auf und stellte fest, dass es ja noch dunkel war. Oder nein, nicht ganz. Drei leuchtende Gestalten standen um mein Bett herum, und als mir die Bedeutung dessen klar wurde, stöhnte ich auf.

    „Oh nein, geht, lasst mich bloß in Ruhe. Ich habe euren Zettel übersetzen lassen – eine Spur, die im Nichts anfängt und vermutlich auch genau da endet. Vielen Dank für die Blumen, aber verschonen Sie mich bitte mit weiteren Aufmerksamkeiten. Gute Nacht."

    Ich zog die Bettdecke enger um meinen Körper und drehte mich entschlossen auf die Seite.

    „Mir scheint, Sie sind etwas ungehalten, spürte ich die spöttische Stimme von Sir Lawrence. „Haben wir denn nicht dafür gesorgt, dass Sie einen Teil des Rätsels lösen können?

    „Ach, tatsächlich? Mit einem Turm, der seit über zweihundert Jahren nicht mehr steht. Gehen Sie doch zum Teufel."

    „Würde ich gern tun, wenn man mich ließe, kam die lakonische Antwort. „Also wirklich, Lady Jessica, sie werden sich doch nicht von diesem kleinen Hindernis aufhalten lassen? Im Übrigen sollten Sie den Turm nur als Anhaltspunkt benutzen.

    „Wenn Ihnen so viel daran liegt, dass ich das Buch bekomme, dann legen Sie es mir einfach auf den Nachttisch. Ich verspreche sogar, hinein zu schauen, auch wenn ich vermutlich kein Wort davon lesen kann."

    „Es ist für uns unzugänglich", kam es traurig zurück. Das beeindruckte mich nun doch, warum eigentlich?

    „Also, was soll’s, ich bin wach. Noch einmal von vorn, was wollen Sie mir eigentlich sagen?" Ich setzte mich auf und drückte mein Kopfkissen gegen die Brust, als würde ich wie früher ein geliebtes Plüschtier in den Armen halten. Irgendwie gab mir diese Haltung ein Gefühl der Sicherheit. Ich betrachtete Sir Lawrence intensiv, und er verdichtete seine Gestalt – mir zuliebe. Fast hätte ich glauben können einem lebenden Wesen gegenüber zu sitzen. Wie kam es nur, dass diese ganze Situation mir trotzdem nicht absurd vorkam?

    Ich, eine moderne junge Frau, die mit beiden Beinen fest auf der Erde stand, unterhielt mich mit Geistern. Dabei war ich bisher der Meinung gewesen, dass ich nur an das glauben könnte, was ich berühren oder auf rationale Art erklären konnte. Na, egal, darüber sollte ich besser ein anderes Mal nachdenken.

    „Was ist so wichtig an diesen Buch?, fragte ich hartnäckig nach. „Als Codex für Ihren Temple mag es ja schön und gut sein. Aber es musste noch einen tieferen Sinn besitzen, dass ich es unbedingt besorgen soll. Denn es würde ja nur mir, beziehungsweise der Forschung etwas nützen, wenn ich damit ans Licht der Öffentlichkeit ginge. Also musste ich annehmen, dass dieses Buch auch für Sie wichtig ist, sonst würden Sie nicht so große Anstrengungen unternehmen.

    Sir Lawrence machte jetzt keine Ausflüchte mehr, er wusste, dass ich mich nicht länger an der Nase herumführen lassen wollte.

    „In diesem Buch ist natürlich unser Codex enthalten, ebenso wie einige Aufzeichnungen, die Ihnen vielleicht noch einmal wichtig werden könnten. Außerdem jedoch befindet sich darin der Weg zum Versteck unserer Gräber. Wir müssen unsere bestatteten Körper finden, wenn wir endlich zur ewigen Ruhe kommen wollen."

    „So ein Unsinn. Wie können Sie denn hier herumspuken, wenn Sie nicht irgendwo begraben sind und bei Tage dorthin zurückkehren können?" Mir kam diese Frage äußerst logisch vor, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt ja auch keine Ahnung von Geistern und den ganzen Modalitäten, die mit einer solchen Verwünschung einhergehen.

    „Mir scheint, Sie haben eine falsche Vorstellung vom Wesen der Geister, Mylady. Grundsätzlich können Sie drei Kategorien unterscheiden. Diejenigen, die hier auf der Erde noch etwas zu erledigen haben, was weitaus die meisten sind, die allerdings auch große Hoffnung haben, dass die Zwischenwelt keine Ewigkeit dauert. Dann gibt es die, die auf ewig verdammt sind, sie haben keine Hoffnung auf Erlösung und werden häufig bösartig, so dass sich damit Spezialisten befassen müssen. Immerhin gibt es unter den Menschen doch noch einige, die das Vorhandensein von Geistern nicht leugnen. Und dann gibt es solche wie uns, die vorn ihren Körpern getrennt sind und für begangenes Unheil büßen müssen. Wir haben lange gebüßt, Lady Jessica, sehr lange. Wir möchten endlich sterben können, und wir sind bereit alles zu tun, um endlich Ruhe zu finden. Wir bitten Sie herzlich, helfen Sie uns, es soll Ihr Schaden nicht sein."

    „Ich habe schon einmal gesagt, ich brauche keinen Schatz. Aber ich würde gerne mal wieder eine Nacht durchschlafen. Also werde ich Ihnen helfen. Sagen Sie mir, wo das Buch sich befindet, und ich hole es morgen früh. Schließlich ist Samstag, wie mir gerade einfällt, ich habe keinen Dienst und bin zuhause."

    „Aber wir wissen es doch auch nicht. Benutzen Sie bitte die alten Unterlagen in der Bibliothek, dann schaffen Sie das gewiss. Dort gibt es durchaus Zeichnungen mit den Bemaßungen, anhand derer Sie einen Plan erstellen können."

    Ich gab endgültig nach. Offenbar konnte ich sagen, was ich wollte, Sir Lawrence hatte immer eine Antwort darauf. Aber was war ich hier eigentlich? Eine Geographin? Eine Abenteurerin? Na, so genau fragte ich besser nicht nach.

    „Morgen früh, meine Herren, nicht heute Nacht. Und jetzt würde ich gerne noch etwas schlafen." Ich warf mich zurück in die Kissen und zog mir die Decke über den Kopf. Ein letztes Mal spürte ich die Stimme von Sir Lawrence.

    „Schlafen Sie wohl, Mylady, mögen Ihre Träume sanft und zärtlich sein."

    7

    „Du, Dad, sag mal, wie war das eigentlich mit dem Turm, der früher hierher gehörte?", fragte ich am nächsten Morgen bei einem gemütlichen Frühstück.

    Mein Vater schaute auf und musterte mich über den Rand seiner Lesebrille.

    „Wie meinst du das, Jessica? Der Turm ist lange zerstört und vergessen. Wie kommst du eigentlich darauf, es hat dich doch noch nie besonders interessiert, was sich in der Geschichte von Rosemont Hall abgespielt hat?"

    Jetzt hieß es flunkern, denn noch immer war ich nicht bereit, meinem Vater die Wahrheit zu sagen. Das schlechte Gewissen bohrte in mir, aber das musste halt eben warten.

    „Ach, weißt du, ich bin neulich über ein paar alte Ansichten von Herrenhäusern gestolpert und habe mich gefragt, wie es hier auf Rosemont Hall wohl ausgesehen hat. Schließlich ist das Gebäude schon sehr alt, und der Turm gehörte eigentlich dazu."

    „Auf welche Ideen du manchmal kommst", wunderte sich mein Vater, stand dann aber auf und holte ein altes Buch aus der Bibliothek.

    „Hier hast du einige Kupferstiche und Zeichnungen, die das Gebäude wiedergeben. Die Maße sind sogar relativ genau. Es musste schon recht imposant ausgesehen haben." Er drückte mir das schwere Buch in die Hand, und ich strahlte ihn an.

    „Danke Dad." Ich verzog mich mit dem Buch in mein Zimmer und studierte die Bilder genau. Dann nahm ich den übersetzten Text und begann zu überlegen.

    „Bei Sonnenuntergang, wenn der Schatten des Turmes zweimal so lang ist, gehe zehn Schritte nach Nordwesten. Dort wirst du den Schlüssel finden, der das Labyrinth unter der Kapelle öffnet. Hüte dich vor den Hunden, die fliegen und beißen." Beim ersten Lesen des Textes hatte ich noch gelacht. Eine so verrückte und geschraubte Sprache – aber diese Worte waren vor langer Zeit geschrieben geworden, man hatte damals noch andere Wendungen benutzt. Ich fing an zu rechnen und stieß auf ein Problem, das der Schreiber der Zeilen offenbar außer Acht gelassen hatte. Welche Richtung meinte er? Ich kam in diesem Augenblick nicht darauf, dass es nur eine Richtung geben konnte, nämlich dass der Schatten grundsätzlich bei Sonnenuntergang nach Osten zeigen musste, weil die Strahlen der Sonne aus Westen kamen. Das bewies mir, dass ich keine Ahnung von der Schatzsuche oder von topographischen Einzelheiten hatte.

    Ich wusste jedenfalls in diesem Augenblick nicht weiter. Kurzentschlossen griff ich zum Telefon und rief Gordon zuhause an. Er hatte mir seine Privatnummer gegeben, für den Fall, dass ich noch Fragen hatte – oder dafür, dass ich von Sehnsucht erfüllt...

    Naja, Sehnsucht konnte man das bestimmt nicht nennen, aber ich hatte festgestellt, dass ich mich in seiner Gegenwart wohl fühlte, gerne mit ihm zusammen lachte und nichts dagegen hatte, dass er mir auf eine besonders charmante Weise den Hof machte.

    McBride meldete sich nach dem zweiten Klingeln, und ich erklärte ihm mein Problem. Ein amüsiertes Lachen kam herüber.

    „Haben Sie in Geographie gefehlt oder geschlafen, Lady Jessica?", fragte er spöttisch, und im gleichen Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wie peinlich!

    „Oh, ich glaube, da habe ich Sie ganz umsonst am Wochenende gestört, bemerkte ich verlegen. „Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen soll. Würde es vielleicht reichen, wenn ich Sie zum Essen hierher einlade?

    Für einen Moment herrschte verblüffte Stille, dann kam die fröhliche Antwort. „Ich würde das für eine mehr als angemessene Wiedergutmachung halten, Mylady. Wenn es Ihnen keine größeren Umstände bereitet...?"

    „Sicher nicht. Ich gebe nur der Köchin Bescheid und bereite meinen Vater darauf vor, dass Besuch anwesend ist."

    Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte ich schon aufgelegt und beschäftigte mich wieder mit den Zeichnungen des Turmes. Unwillkürlich schaute ich aus dem Fenster. Dort war Osten, dort befand sich der alte Friedhof.

    Du lieber Himmel, wenn es nicht um die Tradition gegangen wäre, hätte mein Vater das alte Gräberfeld längst einebnen lassen. Aber irgendwie gehörte die Parkanlage, in der sich zwischen vielen alten Bäumen teilweise verwitterte Grabsteine befanden, zu Rosemont Hall wie die Ritterrüstungen in der Eingangshalle. Dabei waren die furchtbare Staubfänger. Aber das sagte man besser nicht laut, wenn Besucher anwesend waren. Die meisten glaubten, dass Traditionen untrennbar mit antiken Überbleibseln verbunden waren. Vielleicht hatten sie ja sogar recht. Aber Staubfänger waren die Ritterrüstungen dennoch, und gefährlich außerdem. Wem jemals so ein Ding vor die Füße gefallen war, dessen Einzelteile schwer und scharfkantig Verletzungen hervorrufen konnten, würde vielleicht anders darüber denken.

    Auf jeden Fall besaßen wir noch reichlich von der Tradition mit allem Zubehör, und irgendwie freute ich mich, welch ein verblüfftes Gesicht Gordon McBride wohl machen würde, wenn er mit all diesen Traditionen konfrontiert wurde.

    Mein Vater reagierte einigermaßen erstaunt, als ich ihm erklärte, dass wir zum Essen Besuch haben würden. Doch er war erfreut. Seiner Meinung nach hätte ich sogar längst verheiratet sein müssen, mit wem auch immer. Er stellte keine Fragen, wer nun eigentlich der Besucher sein würde, schließlich konnte er sich selbst ein Bild von dem Mann machen.

    8

    „Es musste sehr schön sein, als Kind soviel Platz zur Verfügung zu haben", stellte Gordon fest, als er mich nach dem Essen auf einem Spaziergang nach draußen begleitete.

    Das Essen war hervorragend verlaufen. Unsere Köchin hatte sich selbst übertroffen, Henson hatte den Gast wie Ihre Majestät persönlich bedient, und mein Vater hatte es sogar unterlassen, indiskrete Fragen zu stellen. Allerdings runzelte er die Stirn, als er vom Beruf des jungen Mannes hörte, und warf mir einen fragenden Blick zu.

    Früher oder später würde ich Farbe bekennen müssen und meinem Vater erklären, was ich hier eigentlich trieb. Aber noch nicht jetzt. Mein inneres Gefühl riet mir, niemanden sonst einzuweihen, um nicht eine unbekannte Gefahr heraufzubeschwören.

    So hatte ich Gordon nach dem Essen gebeten mich auf einem Spaziergang zu begleiten, der uns unweigerlich auf den alten Friedhof führte.

    Bei der Frage von Gordon hob ich verwundert den Kopf.

    „Froh? Nein, eigentlich nicht. Es gab wenige Kinder in meinem Alter, schließlich leben wir hier ziemlich abseits, und von denen, die es tatsächlich gab, hatten die meisten zuviel Scheu, um hierher zu kommen. Aber das ist nicht der Grund, warum wir hier sind. Erinnern Sie sich an den Text der Übersetzung?"

    „Wie könnte ich den vergessen? Der hat es mir immerhin ermöglicht, mit einer wunderschönen Frau in einer traumhaften Landschaft..."

    „Gordon, bitte. Süßholzraspeln können Sie ein anderes Mal. Ich habe mir die alten Unterlagen besorgt, und ich möchte Sie um Hilfe bitten bei der Suche."

    „Aber die habe ich Ihnen doch schon zugesagt", stellte er belustigt fest.

    „Ja, natürlich, aber da waren die Umstände doch etwas anders." Ich stellte fest, dass der Umgang mit Geistern für mein Gedächtnis nicht gerade förderlich war. Immerhin hatten wir das tatsächlich schon geklärt. Er wurde ernst, und ich bemerkte, dass er, was seine Arbeit betrat, kompetent und professionell sein konnte.

    „Sie wissen also jetzt, wo der Turm gestanden hat und wie hoch er gewesen ist?", erkundigte er sich sachlich.

    Ich nickte. „Sechsundzwanzig Meter, ein ganz ordentliches Stück. Allerdings weiß ich nicht, ob nun die Spitze des eigentlichen Turmes gemeint war, oder ob die Fahnenstange auch dazu gezählt hat. Dann hätten wir nämlich ein Problem, weil niemand mehr sagen kann, wie lang die gewesen ist."

    „Versuchen wir es doch einfach, sonst werden wir es ohnehin nicht herausfinden, erklärte er praktisch. Dann musterte er mich aufmerksam. „Warum sind Sie eigentlich so wild darauf, dieses Buch zu finden? Sie haben gesagt, an Geld und Gold sind Sie nicht interessiert. Was ist es dann?

    „Ich weiß es nicht genau", gab ich zurück und wurde bei dieser Lüge nicht einmal rot.

    Gordon lachte. „Wir werden sehen, was passiert, sobald wir das Buch in den Händen halten."

    Er ließ sich von mir die Zahlen nennen, ging dann zurück zum Gebäude und schüttelte den Kopf. „So nicht. Ich brauche einen Lageplan. Außerdem möchte ich gerne wissen, um welche Jahreszeiten diese seltsame Ortsangabe gültig war, denn durch die Ekliptik der Erde verändern sich die Schatten fast täglich." Damit konnte ich allerdings dienen, denn auf dem Pergament hatte auch ein Datum gestanden, was Gordon anscheinend entgangen war. Vom Lageplan hatte ich eine Kopie

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