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Stille Tage im Klischee
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eBook324 Seiten4 Stunden

Stille Tage im Klischee

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Über dieses E-Book

„Es ist Zeit für die nächste Frau meines Lebens!“
Sabine will sich endlich wieder verlieben und hofft auf den Schreibkurs im Frauenzentrum. Mit Daria, der Überkritischen, hat sie dort aber ein Problem: diese macht sich in ihren Gedanken viel zu breit.
Zur Ablenkung sorgt sie in einer Schreibaufgabe für Friede, Freude, Lahmacun, und legt ihrer Heldin eine türkische DJane ans Herz.
Auf dem Papier geht es rasch. Und auch in ihrer Kleinstadt läuten Hochzeitsglocken, nur nicht für Sabine. Wo bleibt sie bloß, die nächste Frau ihres eigenen Lebens? Muss Sabine sie sich etwa herbeischreiben?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum22. Dez. 2021
ISBN9783959495370
Stille Tage im Klischee

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    Buchvorschau

    Stille Tage im Klischee - Inge Lütt

    Inge Lütt

    E-Book, erschienen 2021

    ISBN: 978-3-95949-537-0

    1. Auflage

    Copyright © 2021 MAIN Verlag,

    Eutiner Straße 24,

    18109 Rostock

    www.main-verlag.de

    www.facebook.com/MAIN.Verlag

    order@main-verlag.de

    Text © Inge Lütt

    Umschlaggestaltung: © Marta Jakubowska, MAIN Verlag

    Umschlagmotiv: © shutterstock 1673513743 / 1411915847 / 1655700421

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Handlung und Personen sind ebenso frei erfunden wie der Ort Ravenshagen. Jede Ähnlichkeit mit realen Ereignissen, Personen, Institutionen, Einzelhandelsunternehmen oder Schreibkursen wäre rein zufällig. Ausgenommen hiervon sind die in diesem Roman erwähnten Künstler und Werke: Harriet Powers Bibelquilts sind sensationell. Wilhelm Tophinke stammt aus Clarholz. Und „Moby Dick" ist wirklich etwas mühsam zu lesen.

    Wer ein E-Book kauft, erwirbt nicht das Buch an sich, sondern nur ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht an dem Text, der als Datei auf dem E-Book-Reader landet.

    Mit anderen Worten: Verlag und/oder Autor erlauben Ihnen, den Text gegen eine Gebühr auf einen E-Book-Reader zu laden und dort zu lesen. Das Nutzungsrecht lässt sich durch Verkaufen, Tauschen oder Verschenken nicht an Dritte übertragen.

    ©MAIN Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    www.main-verlag.de

    Der MAIN Verlag ist ein Imprint der Invicticon GmbH

    E-Book Distribution: XinXii

     www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Das Buch

    »Es ist Zeit für die nächste Frau meines Lebens!«

    Sabine will sich endlich wieder verlieben und hofft auf den Schreibkurs im Frauenzentrum. Mit Daria, der Überkritischen, hat sie dort aber ein Problem: diese macht sich in ihren Gedanken viel zu breit.

    Zur Ablenkung sorgt sie in einer Schreibaufgabe für Friede, Freude, Lahmacun, und legt ihrer Heldin eine türkische DJane ans Herz.

    Auf dem Papier geht es rasch. Und auch in ihrer Kleinstadt läuten Hochzeitsglocken, nur nicht für Sabine. Wo bleibt sie bloß, die nächste Frau ihres eigenen Lebens? Muss Sabine sie sich etwa herbeischreiben?

    Inhalt

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Danke

    Für CJ,

    ohne die dieses Buch immer noch nicht fertig wäre

    Kapitel 1

    Mist. Verdammter Mist.«

    So einsteigen? Sabine grinste. Das gibt bestimmt Ärger im Schreibkurs. Aber mir gefällt das, gleich mit der Tür ins Haus und rumms. Also, weiter im Text. Das sagt doch Desirée immer, wenn wir uns beim Analysieren verzetteln.

    Die Tasten des Notebooks klackten leise, während Sabine an dem Hausaufgabentext für ihren Schreibkurs arbeitete.

    Blödes Thema, echt. Sie seufzte. Zwei begegnen sich zum ersten Mal. Und auch gleich fünf Seiten lang. Ort? Anlass? Egal. Hauptsache, Dialog und nicht zu viele Adjektive. Klingt gut. Bis du es versuchst. Fünf Seiten. Fünf! Aber da muss ich wohl durch, selbst wenn es Mist ist. Und genau deshalb fange ich genau so an. Sabine klickte auf Speichern.

    Schimpfen ist jedenfalls ein guter Einstieg. Da können die zwei gleich darüber reden, wer hier stinkig ist und warum. Vielleicht finden sie gemeinsam eine Lösung und dann gibt es sogar ein Happy End. Mit Kuchen. Natürlich Zitronenkuchen. Weil die eine immer noch ein bisschen sauer ist. Klar, das ginge auch ohne Kalauer. Na, ich schreib ihn schon nicht da rein. Schade, eigentlich. Aber gut, weiter im Text. Wer motzt da nun und dann auch noch so harmlos? Andrea? Ja. Hat was. Schön bodenständig. Also. Andrea. So heißt du jetzt. Und wo stehst du? Sagen wir, vor einer Pinnwand. Da stelle ich dich hin. Und nun erzähl. Warum bist du sauer?

    Andrea fluchte leise. Da hingen sie doch, die Seminarlisten, beim Eingang vom Institut. Wie immer zum Semesterstart. Sie stöhnte. »Das kann ja wohl nicht wahr sein.«

    Sabine musste lachen. Kenn ich. Habe ich selbst so erlebt. Was war ich sauer, wenn ich nicht in die Seminare kam, die im Vorlesungsverzeichnis so gut ausgesehen hatten! Das gönne ich meiner Andrea. Jetzt lasse ich sie mal empört sein. Die zweite kommt schon noch, wenn die hier in Fahrt ist.

    Alles war, wie Andrea es erwartet hatte. Fast alles. Nur mit einem hatte sie nicht gerechnet. Aber es stimmte. Jede einzelne Liste war bereits ausgefüllt. Konnte das wirklich wahr sein? Noch einmal betrachtete sie die Einträge.

    Blau, schwarz, grün, grau. Als Kunstwerk sicher von erheblicher Aussagekraft. Aber für mich ist es nur eines. Nämlich Mist. Verdammter Mist.

    Jedes Semester nahm Andrea es sich vor. Früh planen. Ganz früh. So früh wie möglich. Okay, wenigstens früher. Auf jeden Fall rechtzeitig. Wann auch immer das sein mochte. Jedes Semester. Also auch in diesem. Das nächste Mal. Früher. Bestimmt. Ganz sicher. Echt jetzt, Andrea.

    Es hatte so gut ausgesehen. Alles hatte gepasst im Doodle auf dem Tablet, aber die Realität fühlte sich wieder einmal nicht zuständig. Dabei fehlte nur noch ein Hauptseminar. Oder besser, der Schein. Der, den Andrea noch brauchte, um endlich Examen machen zu können. Wie es schien, würde es in diesem Semester wieder nichts werden.

    Verdammter Mist. Die anderen schaffen das doch auch. Gibt es da einen Trick? Andrea verzog das Gesicht. Es muss einen geben. Alle Listen voll und ich auf keiner. »Das darf ja wohl nicht wahr sein!«

    Sie biss sich auf die Lippen. Schluss mit Selbstgesprächen, das nehme ich mir auch ständig vor. Klappe halten. Kein Gemurmel mehr. Jedenfalls keines, das jemand mithören könnte. Aber das hier ist ein Sondersetting. Ein richtiger Notfall. Sancta Rita steh mir bei! Es muss doch was geben. Egal was. Hauptsache, Hauptseminar. Ha! Da ist noch Platz. Studer-Popescu. Keine Ahnung, wer das ist. Riecht nach Arbeit. Schönen Dank auch, Rita. Da komme ich kaum mit ein paar schicken Thesen und flotten Formulierungen durch. Die Kraft des Gebetes wirkt Wunder. Stimmt, ich wundere mich. Aber das hilft nun auch nichts mehr.

    Klar ist das ein Kalauer. Schon wieder. Ich bin sicher, mindestens eine im Kurs wird stöhnen. Und ich weiß genau, wer. Daria. Die ganz bestimmt. Aber ein bisschen Spaß darf ja wohl sein. Auch wenn meine Heldin gerade keinen hat. Gerade dann. Und überhaupt, besser die als ich.

    Aber wie geht das nun weiter? Mist. Ach so, das sagt schon Andrea. Okay. Sie ist sauer. Kann ich mir vorstellen, was sie für ein Gesicht macht, wenn sie auf die Liste starrt. Aber wie trägt sie sich eigentlich ein, hat sie den Stift die ganze Zeit in der Hand? Sicher nicht. Gut, dann geht es jetzt damit weiter.

    Missmutig kramte Andrea nach dem Kuli, der in die Tiefen ihrer Umhängetasche abgetaucht war.

    »Öffentliche Gesundheitsfürsorge in den USA zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.«

    Andrea zuckte zusammen. Die Stimme hinter ihr las weiter.

    »Donnerstag, acht Uhr. PD Doktor Hiltrud Studer-Pop… ach. Hat sie die also doch geheiratet, ihre Begleiterscheinung, die rumänische. So, so. Ihr Leben, Frau Privatdozentin Doktor Hiltrud Studer-Popescu. Bitteschön.« Die Stimme klang spöttisch. »›Fachbereiche Soziologie, Geschichte, Jura, Genderstudies. Zur Erlangung eines Leistungsnachweises halten Teilnehmende ein Referat und schreiben eine Hausarbeit.‹ Na klar sind da noch Plätze frei. Kein Wunder.«

    Sabine knackte genüsslich mit ihren Fingerknöcheln. Bitteschön, da ist sie ja, die zweite Person. Und die scheint einiges zu wissen. Kein Problem, ein Gesprächsthema zu finden. Eines oder gleich mehrere. Das Seminar, die Dozentin, ihre Frau …, das habe ich doch alles schön einfließen lassen. Die blöden Listen. Warum fluppt das eigentlich nicht längst schon online mit dem Eintragen? Wäre auch ein Thema … Aber erst will ich sie miteinander bekannt machen. Oder sie wenigstens einander ansehen lassen. So ist das höflicher. Und wirkt natürlicher. Show, don’t tell, so heißt das doch. Zeigen statt sagen. Auf Andrea ist sowieso bestimmt kein Verlass, wenn sie erzählen soll, wie sie aussieht. Die glaubt noch, sie wäre objektiv, wenn sie alles aufzählt, was ihr an sich selbst nicht passt. Von wem sie das wohl hat? Verdammt. Verdammter Mist. Aber wenigstens würde ich nicht mit dem Gesicht zur Wand stehen bleiben.

    Andrea drehte sich um. Vor ihr stand eine schlanke Brünette mit asymmetrischem Haarschnitt und blauer Kunststoffbrille, hinter der ein Brauenpiercing hervorlugte. Braune Augen musterten sie spöttisch.

    Echt von oben herab. Andrea staunte. Eins fünfundachtzig. Mindestens. Sie ist richtig groß. Aber sag das bloß nicht. Hört sie sicher ständig. Was anderes. Das schaffst du. Was hat sie gemurmelt? Richtig. Plätze frei und kein Wunder.

    »Wie kommst du denn darauf?« Sehr elegant. Andrea, du Landei. Stand-up-Comedy muss echt nicht auf dich warten. Hilft sowieso nichts, du musst in das Käseseminar, da kann sie sagen, was sie will. »Wegen Referat und Hausarbeit?«

    »Ach, Quark.«

    Auch das noch. Andrea zerdrückte ein Seufzen. Kölle alaaf. Dieser rheinische Tonfall kann sich nicht verstecken.

    »Schau dir das an!« Die Stimme klang empört. »Wer kommt auf so beknackte Zeiten? Schlag acht, Es Punkt, Te Punkt, sine tempore. Nix mit akademischem Viertel. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, schlimmer geht’s nimmer.«

    Andrea feixte. »Genau. Schlimmer geht’s immer. Ich biete freitagabends von acht bis zehn. Vor zwei Semestern ein Hauptseminar. Mit Anwesenheitsliste.«

    Die Fremde sah Andrea an. Andrea sah die Fremde an.

    »Das toppe ich locker«, sagte die Brünette schließlich. »Montagmorgen. Wieder Punkt acht. Mit Anwesenheitsliste und Aufrufen. Maximal zwei Fehlzeiten. Und alles auf Englisch.«

    »Du nimmst mich auf den Arm.«

    »Denkst du. Letztes Semester, Hiltrud Studer. Damals noch ohne Popescu, aber schon Frühaufsteherin. The Female is the Deadlier of the Species. War sogar Ringvorlesung, also eigentlich Kuschelrunde für die Rentnerfraktion.«

    »Auweia. Und, wie war es so?«

    »Woher soll ich das denn wissen? Montage beginnen bei mir frühestens um elf. Wenn überhaupt.« Sie grinste.

    Kommt hier just ein Bagger auf den Flirthof? Es ist nichts, worauf ich den Finger legen könnte, dachte Andrea, aber es fühlt sich schon so an. Oder ist hier bloß der Wunsch Vater des Gedankens? Die Hoffnung Mutter der Idee? Es könnte sogar Spaß machen, das herauszufinden. Aber erst auf die Liste. Andrea zückte den Kugelschreiber und trug sich ein.

    »Darf ich?« Schon streckte die Unbekannte die Hand aus.

    Martina Sobolczik, entzifferte Andrea. Aha. Wenn das der Name hinter der Krakelei ist. Wie es scheint, kennt sie diese Studerdingens. Vielleicht weiß sie auch was über das Thema? Am besten, ich fange gleich an mit Vernetzen. Schaden kann es nicht. In dem Seminar brauche ich garantiert Verbündete. Wie sie über die Studerin spricht, ist das mindestens so sicher wie das Amen nach dem D.

    Sabine runzelte die Stirn. Das ist doch viel zu hintenherum für einen Kalauer. Aber was soll sie sonst denken? Das Amen in der Kirche ist so was von ausgelutscht. Gibt es irgendwas, das mindestens so sicher ist? Es schneit erst richtig, wenn die Winterpause in der Bundesliga vorbei ist. So läuft das. Aber interessiert sich Andrea für Fußlümmelei? Sonst hängt das in der Luft. Mir fällt nichts ein. Aber überarbeiten muss ich sowieso, spätestens, wenn es um das Seminar geht. Da muss ich recherchieren, damit es echt wirkt. Gut, ich wollte sowieso in die Stadtbücherei. Yvonne hat ja meistens Dienst, die hilft mir sicher gern. Vielleicht reicht auch Wikipedia. Also, erst einmal weiter im Text. Und wieso überhaupt Recherche? Es geht um eine Szene. Fünf Seiten. Okay, Andrea, mach du mal.

    Andrea steckte den Kugelschreiber wieder ein. »Nachdem der Formalkram nun erledigt ist … Kaffee?«

    Die Brünette nickte. Gemeinsam gingen sie zum Aufzug. Andrea sah, wie sie sich in dessen Glastür spiegelten.

    Sabine starrte auf den Monitor. In der Glastür spiegeln? Wie oft habe ich das schon wo gelesen? Viel zu oft. Scheibe ist Scheibenkleister, wenn Figuren zu beschreiben sind. Und »dachte Andrea«, da weiter oben? Das geht gar nicht. Wenn nicht geschnallt wird, dass hier wer denkt und wer das tut, dann ist das Ganze eh nicht mehr zu retten. Okay, wird anders. Aber erst einmal rein in den Lift. Und dann weiter im Text. Danke, Desirée. Wenn der Kurs sonst nichts bringt, den Spruch hab ich fürs Leben.

    Mit einem Ächzen hielt der altersschwache Aufzug. In der engen Kabine musterte Andrea die angehende Seminarkollegin.

    Sabine stöhnte leise. Allmächtiger! Ächzen, altersschwach, Aufzug. Andrea. Angehend. Alles Alliteration. Und außerdem viel zu viele Adjektive. Das wird noch richtig Arbeit. Aber jetzt will ich erst einmal wissen, wo es mich hinschreibt.

    Andrea biss sich auf die Lippen. Ich hätte am Wochenende doch das Henna auspacken sollen. So groß, wie die ist, sieht sie mir exakt auf den Ansatz. Jetzt ist es zu spät. Ihre Frisur ist jedenfalls klasse. Und schlank ist sie. Was mir an ihrer Länge fehlt, mache ich in Kilos spielend wett. Und an ihrem Daypack, ist das etwa eine Diebstahlsicherung? Da stinke ich mit meiner Tasche aus dem Weltladen mächtig ab.

    »Ich bin Martina. Falls du das nicht gelesen hast. Und du heißt Andrea, richtig? Für was brauchst du denn den Schein?«

    »Jura. Rechtsgeschichte muss ich noch. Und du?«

    »Sozialwissenschaft. Ich glaub zwar nicht mehr an mich als Sozialtusse, aber fertig studieren will ich schon noch.«

    Mit einem weiteren Ächzen hielt der Aufzug vor der Cafeteria. Martina zog eine Henkeltasse aus ihrem Rucksack.

    Andrea staunte. »Wesselinger Weihnachtsmarkt?«

    »Wenn die hin ist, wär’s auch kein Schaden. Hast du keine?«

    »Nö. Braucht es die denn seit Neuestem?«

    »Das nicht. Ist eben billiger auf Dauer.«

    Auch das nahm Andrea sich jeden Semesterbeginn vor. Nicht nur die Weltladentasche als Statement, sondern überhaupt grundsätzlich sein. Ökologisch denken, wirtschaftlich agieren. Ob es diesmal klappen würde? Martina schien die Sache jedenfalls erheblich besser im Griff zu haben.

    Gedankenverloren rührte Andrea in ihrem Kaffee. Wie ihr Grundstudium lag auch das Coming-out schon ein paar Semester zurück. Aber trotzdem tat sie sich immer noch schwer, wenn es darum ging, jemanden aus der Zielgruppe nicht nur näher ins Auge zu fassen, sondern Weiteres zumindest ins Planungsstadium treten zu lassen. Dabei war die Sache mit Iris doch längst Geschichte.

    Sabine stutzte. Iris? Moment, was hat die denn in meinem Text verloren? Ich dachte, die hätte ich abgehakt, vor Jahren schon. Und jetzt spukt mir das Miststück sogar in meine Schreibübung hinein. Das geht zu weit. Aber gut. Seid nett zur Autorin, sonst findet ihr euch in einem Text wieder. Rache ist süß. Zieh dich warm an, Iris, selbst wenn ich deinen Namen noch ändern muss. Vorsichtshalber.

    Andrea verzog den Mund. Iris. Längst Geschichte. Eigentlich. Oder zumindest hoffentlich. Heiße Luft, schon damals, und seit langem kaum mehr lauwarm. Nicht allein die Zeit ist reif, ich wäre es auch allmählich.

    »Erde an Andrea … Erde an Andrea …«

    Auweia. Sie kniff die Lippen zusammen. Diese Tagträumerei wollte ich doch auch sein lassen. Das muss ja einen super Eindruck machen. Andrea spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Sorry, ich war auf Autopilot.«

    »Schon okay. Ich wollte nur wissen, ob du Genderstudies machst, oder warum du ausgerechnet zu La Studer willst.«

    »La Studer? Ach so, Studer-Popescu. War sonst nichts mehr frei. Leider. Eigentlich wollte ich zu Kreuznaching.«

    »Der? Vergiss ihn. Der ist eine echte Schlaftablette. Wenn du dem kommst mit Sekundärliteratur aus den letzten zehn Jahren, dann giltst du gleich als Sozialrevoluzzer. Revoluzzerin. Und wehe, du zitierst Pusch. Oder gar Butler.«

    »Da habe ich ja Glück gehabt. Aber wieso kennst du dich denn so aus bei den Juraprofs? Du als Sowi?«

    »Na jaaaa.« Martina zuckte mit den Schultern. »Einer Freundin von mir, der ist das passiert.«

    War da jemand gerade ganz zart errötet? Andrea feixte. Das kann ja ein interessantes Semester werden. Egal, ob ein Flirtbagger rollt oder nicht. Interessant, vielleicht sogar angenehm. Obwohl, will ich überhaupt was von ihr? Und das schon beim ersten Kaffee? Sie hob den Becher.

    Tatsächlich, auch dieses Semester begann wie gewohnt. Die Hoffnung auf guten Kaffee von einer der Mensa-Theken wurde schneller enttäuscht, als das Gebräu auskühlen konnte.

    Andrea sah sich um. Eine bunte Schicht von Flugblättern bedeckte den Tisch. Wirklich alles wie immer.

    »Besonders gesprächig bist du ja nicht.«

    Andrea konnte sich nicht entscheiden. Bin ich eigentlich interessiert? Oder ist sie es? Vielleicht hat sie schlicht Langeweile. Aber ich sollte allmählich wirklich etwas beitragen zum Gespräch. »Och, bevor ich dich hier zutexte, als wären wir beide Erstsemester und noch nicht trocken hinter dem Abitur …«

    »Auch wieder wahr.«

    Andrea stellte den Becher ab. Das wäre der Moment, sich als geistreich zu erweisen. Aber so etwas klappt selbst in Romanen nicht mehr. Da ist es längst wie im richtigen Leben. Eine wäre gerne dabei und sitzt doch bloß daneben. Aber muss ausgerechnet ich wieder dran sein damit und auch noch gleich am Semesteranfang? Das ist nun wirklich so richtig Mist.

    Los, sag was, ermahnte sie sich, und jammerte prompt los. Mir fällt nichts ein! Ich fass es nicht. Jetzt quengele ich mir schon selbst etwas vor. Schau sie an, lächle und warte ab. Vielleicht tut sich was. Ja. Tut. Sie grinst zurück. Und jetzt? Aufschlag Andrea. Mal sehen, ob es ein Ass wird.

    »Wie geht es denn nun weiter? Sehen wir uns in drei Wochen bei der Gesundheitsfürsorge oder erwartest du außer Kaffee noch eine nette Idee für zwischendurch?«

    Sabine lachte. Ob das nicht ein bisschen zu forsch war, wie ich meine Studis bisher gezeichnet habe? Zum Glück ist das hier nur eine Schreibübung und kein Entwicklungsroman. Vielleicht ist Andrea ja tatsächlich vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Vielleicht. Wenn ich sie lasse. Aber überraschend kam das schon, das muss ich zugeben. Bisher schien doch diese Sozialfrau die Forschere zu sein. Andrea, Andrea. Sabine schüttelte den Kopf. Wo du mich hinschreibst, das hätte ich nicht gedacht. Dann will ich mal sehen, wie die Reaktion darauf ausfällt.

    Wieder ließ Sabine die Fingerknöchel knacken.

    Martina schien tatsächlich ein wenig verblüfft. Sie setzte gerade zu einer Antwort an, als sich sonnengebräunte Arme von hinten um sie schlangen. Ein blonder Kopf beugte sich über ihre Schulter und schmiegte sich an.

    »Hallo, mein Schatz. Alles erledigt?«

    Oh. Suuuuper. Andrea hätte gerne laut geseufzt. Es ist wirklich alles wie immer. Ich wusste ja, mein Timing ist so richtig grottig. Aber das hier? Das kann selbst ich nicht so leicht toppen. Dabei haben die Vorlesungen noch nicht einmal angefangen. Mist. Verdammter Mist.

    Kapitel 2

    Sabine knackte mit den Fingerknöcheln. Ja, das läuft gut. Klar, da muss ich noch mal drüber. Als Szene ist es aber gar nicht so schlecht. Die Rechtschreibkontrolle ist auch meiner Meinung. Außer bei den Namen, die kennt sie noch nicht. Gut, die ist ja lernfähig. Überhaupt, so ein Computer. Wer ihn nur für die Arbeit braucht, versteht das Prinzip nicht. Das hat Iris doch immer gesagt. Iris? Die nun wieder. An die wollte ich doch nie wieder denken. Und nun hat sie nichts Besseres zu tun, als in meiner Geschichte herumzugeistern. Ach was, Geschichte. Die paar Seiten. Da ist doch gar kein Platz drin für sie. Und in meinem Kopf erst recht nicht. Blöde Kuh. Des Vergessens nicht wert. Wenn ich mich überhaupt erinnern will, dann ans Abspeichern. Und jetzt schau ich erst mal, wie das auf Papier aussieht.

    Sabine liebte den Duft frisch ausgedruckter Seiten. Leider war der so flüchtig wie die Restwärme aus dem Laserprinter.

    Sieht richtig professionell aus, so als Normseite und mit Nummern alle fünf Zeilen. Blocksatz und eine schnieke Schrift wären natürlich viel cooler. Aber Hauptsache, sauber gedruckt. Falls ich je wo hinkomme damit, wird sich niemand die Mühe machen, meine Krakeleien zu entziffern. Die kann ich ja selbst manchmal nicht lesen.

    Also, das Äußerliche stimmt jedenfalls. Muss nur noch der Inhalt passen. Was sie wohl im Kurs sagen werden? Sabine zog eine Schnute. Von der Papierform her ist alles in Ordnung. Meine zwei Studis bestehen sogar den Bechdel-Test. Sie haben mehr als nur Vornamen oder eine Funktionsbezeichnung, sie unterhalten sich und das nicht über einen Mann. Obwohl, der Dozent? Nein. Der ist bloß eine Randerscheinung. Und hat trotzdem einen Nachnamen. Soll er froh sein damit. Mir gefällt das so, wie es ist. Wer weiß, vielleicht habe ich ja im Kurs Erfolg damit. Kann sein. Kann sogar gut sein. Alles ist möglich. Solange ich nicht Daria die Show stehle.

    Der Schreibkurs machte Sabine durchaus Spaß, auch wenn sie sich mehr erhofft hatte, als nur Anregungen für kreatives Texten zu erhalten. Die nächste Frau ihres Lebens hatte sich bisher jedoch nicht im Seminarraum blicken lassen.

    Hätte ich ahnen können, dass es ein Schlag ins Wasser wird?

    Das hatte Sabine sich bereits mehrfach gefragt und verlegen bejaht. Desirée, gut, da kann sie ja nichts für, so ein Name ist auch irgendwie Schicksal. Aber ich hätte es wirklich wissen können. Ein Kurs, den eine Desirée Pulten-Heimbach leitet, wer da erwartet, es kommt spätestens kurz vor dem Bergfest zu geselligem Beckenkontakt, hat es nicht anders verdient. Und für Daria kann sie auch nichts.

    Sabine verzog das Gesicht. Daria. Ausgerechnet Daria, die Coole, sitzt ausgerechnet in meinem Kurs und ausgerechnet ich reagiere. Ach was. Tu ich doch gar nicht. Die sollte ich wollen? Sicher nicht. Was würde ich denn auch anfangen mit so einer Madame Oberschlau, die alles einfriert mit ihrer Coolness, was einigermaßen warm rüberkäme, wenn es denn nur die Traute hätte? Aber wo sollte die herkommen? Ich trau mich ja auch nicht. So ein Kurs im FuFfziG kann halt heterogen besetzt sein, da mag ich noch so lange auf mehr Homo-Gen hoffen. Aber mit Daria im Boot gibt es ganz bestimmt kein lustiges Kanufahren über den Regenbogenteich.

    Mehr als einmal hatte Daria Sitters alles niedergemacht, was nicht aus ihrer Tastatur aufs Papier gekommen war.

    Woher nimmt sie nur ihre Selbstsicherheit? Eine Antwort hatte Sabine längst gefunden. Sie sieht nun einmal gut aus, das muss ich zugeben, nicht völlig neidlos. Keine Ahnung, wie alt sie ist. Ende vierzig. Mindestens. Aber sie wirkt irgendwie alterslos. Schlank, nö, aber auch nicht dick. Wenn mal nicht ihre Figur das einzig Normale an ihr ist. Fit ist sie, fit, intelligent und schlagfertig. Mit der Kombi kann jede punkten. Aber hin und wieder zeigt Daria uns ein wenig zu deutlich, wie sehr sie sich in einer anderen Liga sieht, finde ich. Und wenn ich mich im Kurs so umschaue, während sie ihre Meinung ventiliert, bin ich nicht die Einzige.

    Tatsächlich legte die freischaffende Grafikerin an den Kursabenden gerne die Schwachstellen anderer Texte bloß. Dabei war nicht sie die Kursleiterin, sondern eine in Ehren ergraute Dichterin von immerhin regionaler Bedeutung.

    Sabine starrte zur Decke. Ja, meistens hat Daria Recht. Meistens. Gut, allermeistens. Okay, eigentlich immer. Aber wie sie es sagt, das ist einfach nicht richtig. Schon gar nicht, wenn sie uns spüren lässt, wie viel Spaß sie dabei hatte, sich

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