Gebrochene Flügel: Sophienlust, wie alles begann 10 – Familienroman
Von Marietta Brem
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Über dieses E-Book
Der Weg dahin schildert eine ergreifende, spannende Familiengeschichte, die sich immer wieder, wenn keiner damit rechnet, dramatisch zuspitzt und dann wieder die schönste Harmonie der Welt ausstrahlt. Das Elternhaus Montand ist markant – hier liegen die Wurzeln für das spätere Kinderheim, aber das kann zu diesem frühen Zeitpunkt noch keiner ahnen.
Eine wundervolle Vorgeschichte, die die Herzen aller Sophienlust-Fans höherschlagen lässt.
Dieser Abend war etwas Besonderes, das spürte Denise schon die ganze Zeit. Die Luft war noch lauwarm vom vergangenen Sonnentag, und sie duftete so intensiv und süß wie sie es noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Sogar das Summen der unzähligen Insekten in der Wiese klang lauter und eindrucksvoller als sonst. Immer wieder blieb Denise Montand stehen und versuchte, sich dieses Gefühl so sehr einzuprägen, dass sie sich auch Jahre später noch daran würde erinnern können. Es war so bittersüß, so wehmütig, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre, ohne überhaupt einen Grund dafür zu haben. »Jetzt möchte ich die Zeit anhalten«, flüsterte sie vor sich hin und atmete tief die duftende Frühlingsluft ein. Sie hatte das Gefühl, noch nie so tief geatmet zu haben wie eben. »Was ist nur los mit mir? Es ist alles so – anders«, sagte sie leise und schaute sich erschrocken um, weil sie gedacht hatte, ein Geräusch zu hören. Doch sie war allein auf dem Wiesenweg, den sie schon viele Male gegangen war, seit ihr Halbbruder Raoul eine Familie gegründet und in sein neues Haus gezogen war. Plötzlich blieb ihr Blick an einem dunklen Punkt nicht weit entfernt hängen. Sie blieb einen Moment lang stehen und überlegte, ob sie zurückgehen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. Die Neugierde war größer. Aber das wundervolle Gefühl von eben verflüchtigte sich. Langsam ging sie näher. Jemand saß unter ihrem Baum, an dem sie stets Rast machte, wenn sie mit Sam, ihrer treuen Hündin, die Abendrunde drehte. Heute hatte sie ihre schöne Freundin nicht dabei, denn Sam war mit dem Vater bei Raoul, dem der Hund eigentlich gehörte.
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Buchvorschau
Gebrochene Flügel - Marietta Brem
Sophienlust, wie alles begann
– 10 –
Gebrochene Flügel
Kann Denise der kleinen Wendy helfen?
Marietta Brem
Dieser Abend war etwas Besonderes, das spürte Denise schon die ganze Zeit. Die Luft war noch lauwarm vom vergangenen Sonnentag, und sie duftete so intensiv und süß wie sie es noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Sogar das Summen der unzähligen Insekten in der Wiese klang lauter und eindrucksvoller als sonst.
Immer wieder blieb Denise Montand stehen und versuchte, sich dieses Gefühl so sehr einzuprägen, dass sie sich auch Jahre später noch daran würde erinnern können. Es war so bittersüß, so wehmütig, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre, ohne überhaupt einen Grund dafür zu haben.
»Jetzt möchte ich die Zeit anhalten«, flüsterte sie vor sich hin und atmete tief die duftende Frühlingsluft ein. Sie hatte das Gefühl, noch nie so tief geatmet zu haben wie eben. »Was ist nur los mit mir? Es ist alles so – anders«, sagte sie leise und schaute sich erschrocken um, weil sie gedacht hatte, ein Geräusch zu hören. Doch sie war allein auf dem Wiesenweg, den sie schon viele Male gegangen war, seit ihr Halbbruder Raoul eine Familie gegründet und in sein neues Haus gezogen war.
Plötzlich blieb ihr Blick an einem dunklen Punkt nicht weit entfernt hängen. Sie blieb einen Moment lang stehen und überlegte, ob sie zurückgehen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. Die Neugierde war größer. Aber das wundervolle Gefühl von eben verflüchtigte sich. Langsam ging sie näher. Jemand saß unter ihrem Baum, an dem sie stets Rast machte, wenn sie mit Sam, ihrer treuen Hündin, die Abendrunde drehte. Heute hatte sie ihre schöne Freundin nicht dabei, denn Sam war mit dem Vater bei Raoul, dem der Hund eigentlich gehörte.
Als Denise nicht mehr weit entfernt war, sah sie, dass es ein Kind war, vermutlich ein kleines Mädchen. Ganz allein saß das Kind unter dem Baum und strahlte eine solche Einsamkeit aus, dass es Denise richtig weh ums Herz wurde.
Jetzt war Denise froh, dass sie ihrem Bauchgefühl nachgegeben hatte. Ein wenig aufgeregt blieb sie vor der Kleinen stehen. »Hallo, guten Tag. Geht es dir nicht gut?«, fragte sie vorsichtig.
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Mädchen reagierte. Langsam hob sie den Kopf und schaute zu Denise auf, während sie mit der rechten Hand ihr langes Haar packte, das zu zwei Rattenschwänzen gebunden war, und heftig daran zog. »Ich weiß nicht«, kam die zögernde Antwort.
»Darf ich mich ein wenig mit dir unterhalten?«
Das Mädchen nickte kaum merklich, war sich offensichtlich nicht sicher, ob es wirklich zustimmen sollte. »Was willst du von mir?« Ihre Worte klangen aggressiv, doch die klägliche Stimme passte nicht dazu. »Wer bist du überhaupt?«
Denise zuckte zurück. Mit solch einem abweisenden Verhalten hatte sie nicht gerechnet. »Soll ich wieder gehen? Ich hab den Eindruck, ich hab dich gestört.«
»Hast du. Aber egal, kannst bleiben.«
Denise lächelte innerlich. »Das ist lieb von dir, danke. Ich bin Denise, und wie ich jetzt erkenne, sind wir Nachbarn schräg gegenüber. Deine Eltern sind sehr nett, sie haben meine Katze Blümchen vor ein paar Tagen vor einem Auto gerettet.«
»Ich weiß, ich hab dich da schon oft gesehen. Wir wohnen seit einer Weile in dem alten Haus. Es gefällt mir gut da.«
»Das ist schön. Du weißt jetzt, wer ich bin. Ich möchte auch deinen Namen wissen. Und warum bist du so böse?«
»Ich bin Wendy Hollsteiner«, tönte es widerwillig zurück. »Meine Eltern sind schon lange geschieden.«
»Ah, ich dachte …«
»Martina ist Papis neue Freundin. Sie werden heiraten, dann hab ich wieder eine Mami.«
»Das ist schön. Darf ich mich nun zu dir setzen oder soll ich lieber stehen bleiben, für den Fall, dass du mich nicht leiden kannst?«
»Wenn es sein muss, dann meinetwegen.« Wendy dachte offensichtlich nicht daran, ein wenig freundlicher zu sein. Finster starrte sie zu Denise auf, bereit, das Gespräch gleich wieder zu beenden.
»Bist du deshalb so übellaunig, weil deine Eltern nicht mehr zusammen sind?«, fragte Denise vorsichtig. Sie wollte sich nicht aufdrängen, hatte jedoch gleichzeitig das Gefühl, dass sie das Mädchen jetzt nicht allein lassen sollte.
Wendy schüttelte den Kopf, und ihre braunen langen Rattenschwänze, die mit zwei roten Gummibändern zu beiden Seiten gebunden waren, flogen hin und her. »Nein, ich hab einen Brief von meiner Mutter bekommen. Sie will mich sehen.«
Denise setzte sich seufzend. »Das ist doch normal, dass eine Mutter ihr Kind sehen möchte. Weißt du denn, weshalb sich deine Eltern getrennt haben?«
»Mein Papi hat sich nicht getrennt. Er war lange sehr unglücklich deshalb. Meine Mutter wollte nach Stuttgart, sie hatte ein Angebot von Stefan, und da dachte sie, dass sie das machen muss.«
»Wer ist Stefan?«
»Der Mann, der ihr immer wieder Arbeit gibt. Mami ist Schauspielerin.«
»Das ist ja toll«, stellte Denise überrascht fest. »Was spielt deine Mami denn? Macht sie Filme oder was anderes?«
»Werbung«, knurrte Wendy böse. »Papi sagt, er mag es nicht, wenn er sie in Unterwäsche im Fernsehen sieht. Macht sie jetzt aber nicht mehr«, fügte das Mädchen hastig hinzu.
»Das ist aber nicht der Grund für deine schlechte Laune, oder?«
Wieder schüttelte Wendy nur den Kopf, ohne etwas zu sagen. Sie bot ein Bild des Jammers, und doch war eine Mauer um sie herum, die es nicht zuließ, ihr zu Hilfe zu kommen. »Sie will, dass ich zu ihr nach Stuttgart fahre und dort lebe.«
»Willst du das?«
»Natürlich nicht.« Jetzt war Wendy so zornig, dass ihr Gesicht ganz rot angelaufen war. »Meine Mutter hat uns verlassen, das verzeihe ich ihr nie. Sie war vorher schon viel unterwegs, und ich war den ganzen Tag allein, weil mein Papi Geld verdienen muss. Aber das hat sie nie gestört, wenn ich gebettelt hab, dass sie bei mir bleiben soll.«
»Vielleicht hat dein Papi nicht genug verdient und deine Mutter musste mit verdienen«, überlegte Denise laut und stellte mal wieder fest, welch ein Glück sie mit ihren Eltern hatte. Sie waren lieb zu ihrem Kind, sie liebten sich gegenseitig, und an finanziellen Möglichkeiten hatte es nie gemangelt. Eigentlich konnte sie wunschlos glücklich sein. Fast wunschlos, denn da war noch Karin, jene eine dunkle Wolke am strahlend blauen Frühlingshimmel ihres Lebens, die ihnen allen immer wieder zu schaffen machte. Doch daran wollte Denise jetzt nicht denken.
»Mein Vater ist Geschäftsleiter in einem großen Supermarkt. Er verdient so viel, dass er jetzt sogar das Haus gekauft hat. Er hat immer gesagt, dass Mami nicht verdienen muss, sondern sich lieber um mich und um die Küche kümmern soll.«
»Das ist ein bisschen wenig für ein ganzes Leben«, überlegte Denise vor sich hin. »Deine Mami wollte auch ein eigenes Leben haben. Meine Mutter ist auch berufstätig, obwohl mein Vater genug verdient. Aber Mami braucht ebenfalls ihre Kontakte, ihre Kollegen und die Kinder, die sie unterrichtet. Meine Mutter ist Lehrerin«, fügte Denise nicht ohne Stolz hinzu.
»Ich weiß«, antwortete Wendy. »Sie ist meine Klassenlehrerin, seit wir nach hier gezogen sind.«
»Das ist schön. Vielleicht sehen wir uns ja öfter, wenn du meine Nachbarin bist«, überlegte Denise und war froh, dass sie das Kind ein wenig hatte ablenken können.
»Mein Papi hatte nichts dagegen, dass Mami arbeitet, wenn sie das wollte. Ein paar Stunden am Tag wären in Ordnung gewesen, aber nicht gleich mehrere Wochen«, protestierte Wendy gequält. »Sie hat sich eine Wohnung in Stuttgart gesucht und kam nicht mehr zu uns zurück. Dann haben sich meine Eltern scheiden lassen. Seitdem haben wir kaum noch Kontakt. Jetzt auf einmal will sie, dass ich viel Zeit mit ihr verbringe. Ich kenn sie doch gar nicht mehr«, jammerte sie.
Denise war überrascht über die fast schon erwachsene Einstellung dieser Neunjährigen. Sehnsüchtig wünschte sie sich ihre Mutter hebei, die mit Sicherheit besser gewusst hätte, wie man Wendys Stimmung aufhellen konnte. »Warum willst du nicht für ein paar Tage nach Stuttgart? Ist deine Mami so schlimm?« Sie merkte, dass dies nicht ganz die richtigen Worte waren, doch bessere wollten ihr einfach nicht einfallen.
»Ich will nicht nach Stuttgart, und meine Mami will ich auch nicht sehen. Sie hat