Olympisches Dorf: Kleinstadt im Weltdorf
Von Markus Koschuh
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Über dieses E-Book
Seine ersten sieben Lebensjahre verbrachte Tirols bekanntester Kabarettist Markus Koschuh im Olympischen Dorf, dem jüngsten Stadtteil Innsbrucks. Noch heute erinnern ihn Narben am Kopf an den wilden Ruf, den das Viertel einst hatte. Was hat es mit diesem Ruf auf sich? Und wie wild ist das O-Dorf, um das sich Legenden und Mythen ranken, heute noch? Quer durch die Häuserschluchten dieser Kleinstadt im Weltdorf Innsbruck begibt sich Markus Koschuh auf Spurensuche. Spannend, nah und äußerst unterhaltsam.
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Buchvorschau
Olympisches Dorf - Markus Koschuh
ERINNERUNGEN AN INNSBRUCK
Band 5:
Markus Koschuh
Olympisches Dorf.
Kleinstadt im Weltdorf
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
KLEINSTADT IM WELTDORF
DIE (ERFOLGS-)GESCHICHTE DES OLYMPISCHEN DORFES
DAS O-DORF-ABC
A wie „Au, Acker, Anbaufläche"
B wie „Bälle"
C wie „Computerspielfassaden"
D wie „(Denk-)Malerisches O-Dorf"
E wie „Ehrensalve"
F wie „Felder"
G wie „Garagen"
H wie „Herzelen"
I wie „Innpromenade"
J wie „Jugend im O-Dorf"
K wie „Krampus tratzen"
L wie „Lacke"
M wie „Mama! Mutti! Mama!"
N wie „Neubauten"
O wie Buslinie „O".
P wie „Puff"
Q wie „Quo vadis, O-Dorf?"
R wie „Radarkontrolle"
S wie „Spendierfreudigkeit"
T wie „Tauschzentrale"
U wie „Umbauten"
V wie „Von der Vogelweide, Walther"
W wie „Wappler"
X wie „Lotto-SeXer"
Y wie „Yong Hao"
Z wie „Zehn"
AUF DEN PLATZ, FERTIG, LOS!
TYROL ISCH LEI OANS
GETEILTE SCHULE IST DOPPELTE SCHULE
OLYMPISCHER KNÖDELDIALOG
Szenerie:
Figurenbeschreibung:
Vorspann:
NEU-ARZL MACHT SCHULE
MMMMH-DORF!
VERLIEBT, VERLOBT, VERHEIRATET: KINDERGARTENZEIT IM O-DORF
TREFFEN MIT „NANI"
EINE STADT GEHT BADEN
JÄGER UND SAMMLER
ABENTEUER SPIELPLATZ
GRANDE DAME MIT GESCHICHTE
FEUER UND FLAMME FÜR’S O-DORF
EIN FOTO UND SEIN WARUM
DANK
Markus Koschuh
Zum Autor
Impressum
E-Books der Reihe „Erinnerungen an Innsbruck"
KLEINSTADT IM WELTDORF
Kann ein Herz in den Hals hinauf wandern? Für ein paar Schläge?
Das Herz in meinem Hals pochte jedenfalls heftig. Zumindest fühlte es sich so an. Auf den letzten 30 Metern musste ich mich etwa zehn Mal umgeblickt haben. Niemand sollte mich sehen. Niemand, außer meinen Freunden, die allesamt hinter einem dichten Busch warteten und zusahen.
Ich überquerte die Straße, die Stadt und Land so markant trennte – oder besser: Freund und Feind. Den Kugelfangweg. Ich tat so, als ob ich ein ganz normaler Spaziergänger wäre. Ein sehr junger Spaziergänger. Ein sechs Jahre alter Spaziergänger. Völlig normal also. Als ich den ersten Schritt weg vom Asphalt hinein in die rissige Erde machte, musste mir der Atem gestockt haben. In meiner Erinnerung hatte ich sogar mehr als sieben Minuten lang den Atem angehalten. Mindestens!
Ein zweiter, rascherer Schritt, ein dritter. Wie hatte ich das nochmal in Gedanken geübt? Zuerst so tun, als ob ich eben ein ganz normaler Spaziergänger wäre. Check. So mit den Händen am Rücken verschränkt, wie einer meiner Onkel es immer tut. Check. Dann rasch ins Feld hinein, noch ein letztes Mal umblicken, kein Zaudern und kein Zögern mehr, einfach geradeaus, nach etwa fünf Metern bücken und – zack! Check! Check?
Mein ganzer Hals war jetzt Herz. Das Knirschen der trockenen, staubigen Erde unter meinen Schuhen musste man doch kilometerweit hören! Es gab kein Zurück mehr. Jetzt oder nie. Jetzt oder nie, sehr bald, einen Kuss von Bernadette bekommen. Ein letzter Schritt. Von weit her war das Motorengeräusch eines Traktors zu hören. Bernadette. Ein Kuss von Bernadette. Ich musste all meinen Mut zusammennehmen.
Ich packte mit der rechten Hand das Grün, riss daran und dann gab’s nur noch eines: Beine in die Hand nehmen und loooooooos! Viel zu schnell drehte ich mich um und landete der Länge nach auf dem Feld. Rasch wieder aufgerichtet, hastete ich mehr stolpernd als laufend über den Kugelfangweg zurück Richtung Busch. Wäre zu diesem Zeitpunkt zufällig ein Auto vorbeigefahren, wäre ich als Kühlerfigur von dieser schnöden Welt gegangen. Ein paar kindlich „gesprintete" Schritte auf Asphalt, schließlich Gras. Es war geschafft. Ich hatte die Mutprobe unserer Hof-Bande gemeistert. Ich hatte, gestartet aus diesem einen Busch, eine Karotte vom Feld auf der anderen Straßenseite gestohlen. Ich war ein Held. Ich war mein eigener Held. Ich war Bernadettes Held.
Jenes Feld gibt es noch heute, wenn auch zur Straße hin entweder längst mit Häusern bebaut oder zum Inn hin (also gegenüber des Hallenbads O-Dorf) im Begriff, bebaut zu werden. Jene Straße, die ich als Sechsjähriger so heldenhaft überquert hatte, gibt es ebenso – natürlich – noch immer: Den Kugelfangweg, der den jüngsten Stadtteil Innsbrucks, das „Olympische Dorf, von der Gemeinde Rum, oder besser: von Neu-Rum trennt. Mit der Besonderheit, dass alle geraden Hausnummern samt ihren Bewohnern zu Innsbruck gehören, die ungeraden Hausnummern samt Bewohnern aber zur Gemeinde Rum zählen. Der Kugelfangweg begrenzt das im Volksmund schlicht „O-Dorf
genannte Stadtviertel nach Osten hin – und ist damit auch die östliche Grenze von Tirols Landeshauptstadt.
Bernadette hat mich damals übrigens tatsächlich geküsst. Auf die Wange. Auf die Wange! Nicht auf die Stirn, wie das meine Oma immer tat. Auf die Wange! Auch wenn an meiner Hand nur eine Minikarotte baumelte. Vielleicht war’s ein freundschaftliches Mitleidsbussi. Mir war es jedenfalls egal. Bernadette hatte mich geküsst und das war das Einzige, was zählte.
Von Erinnerungen an diesen östlichsten Punkt des O-Dorfs ausgehend, gleich hinter dem wegen des vielen verbauten Linzer Stahls als VOEST-Hochhaus bekannten 21-stöckigen Hochhaus Kajetan-Sweth-Straße 54, in dem ich sieben Jahre lang als Kind wohnte, soll das Olympische Dorf mit seiner Geschichte näher beleuchtet werden. Vor allem aber sind es seine Geschichten, seine Menschen und Besonderheiten, die im Folgenden näher betrachtet werden.
Es sind Geschichten einer rasant gewachsenen Kleinstadt – am Rande des Weltdorfs Innsbruck, das sich gerne als Weltstadt sieht.
DIE (ERFOLGS-)GESCHICHTE DES OLYMPISCHEN DORFES
Die Geschichte des in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck kurz und knackig „O-Dorf genannten Stadtteils ist in seinem Stadtteilwappen nahezu perfekt dargestellt: Im oberen Abschnitt eine weiße Schießscheibe samt zweier Fahnen, im unteren Bereich eine Abbildung des Olympiadenkmals mit seinen fünf Ringen, das an die Innsbrucker Olympiajahre 1964 und 1976 erinnert. Und nein, das bedeutet nicht, dass alle O-Dörfler ein Biathlongewehr aus olympischen Restbeständen unter dem Kopfpolster haben, sondern dass auf dem heutigen „olympischen Boden
früher einmal scharf geschossen wurde. Die Schützenstraße und der Kugelfangweg heißen nicht umsonst so, wie sie eben heißen.
In etwa auf Höhe des heutigen Chinarestaurants „Yong Hao in der Schützenstraße, gegenüber der Pfarrkirche, stand seit 1893 der Tiroler Landeshauptschießstand. Man hatte für den Standort dieses Schießstandes ein Gebiet gewählt, das sich damals vor allem durch eines auszeichnete: Durch blankes Nichts. Oder besser: Weite, also „freies Schussfeld
sozusagen. Nur vereinzelt gab es in der zur Gemeinde Arzl gehörenden Gegend Häuser, diese aber allesamt nördlich der Schützenstraße. Etwa den „Schererhof an der Haller Straße, auf Höhe des späteren Einrichtungshauses „Pollo
(das als eine der Hauptattraktionen lange Zeit einen sprechenden Papagei in einem Käfig im Eingangsbereich platziert hatte). Heute hat dort die Firma „P. Max Maßmöbel" ihren Sitz.
Für den Landeshauptschießstand hatte man ein riesiges Gebäude in damals zeitgemäßer, klobiger k. u. k.-Bauweise errichtet. Kaiser Franz Josef I. kam mit der zwei Jahre zuvor gebauten „Lokalbahn Innsbruck-Hall eigens zur Eröffnung. Die Bahn kam Jahrzehnte später nach dem Zweiten Weltkrieg liebevoll als „Die Vierer
bezeichnet in der Region Innsbruck-Hall zu Weltruhm, der bis weit nach ihrer Einstellung 1974 nachhallte.
Nachdem der Schießstand mittels Lokalbahnhaltestelle und Zufahrtsstraße erreichbar war, sollte es nicht lange dauern, bis in der Gegend zwischen Haller Straße und Schützenstraße die ersten Häuser entstanden. 1934 bestand diese „Schießstandsiedlung aber aus noch eher bescheidenen 35 Häusern mit allerdings insgesamt rund 400 Menschen. Eine Kirche, zumindest eine kleine Notkirche, die erst 1949 geweiht wurde, gab es aber schon. Und was braucht es in Tirol viel mehr als eine Kirche samt ein paar Häusern herum? Später sollte am (Not-)Kirchenstandort in der Pontlatzerstraße 38 die Schützenapotheke Quartier beziehen, die ihrerseits 1976 an ihren heutigen Standort Ecke Schützenstraße/Josef-Kerschbaumer-Straße übersiedelte. Das Jahr 1934 wird an dieser Stelle deshalb erwähnt, weil es auch das Gründungsjahr der Freiwilligen Feuerwehr Neu-Arzl darstellt (Gründungsname: Freiwillige Feuerwehr Arzl 2. Zug), der ein eigenes Kapitel, nämlich „Feuer und Flamme für’s O-Dorf
, gewidmet ist.
Einen markanten Einschnitt für das Gebiet, das damals noch östlich von Innsbruck und nicht in Innsbruck gelegen war, bedeutet das Jahr 1940. Ohne viel Diskussion wurde von den herrschenden NS-Schergen verfügt, dass die Gemeinde Arzl fortan ein Bestandteil der Stadt Innsbruck zu sein habe. 1946 wurden die Arzler dann aber doch noch befragt, ob sie ein Teil Innsbrucks oder lieber wieder eine eigenständige Gemeinde sein möchten. Das Ergebnis war ein deutliches Bekenntnis zu Innsbruck. In „Arzl-Dorf waren knapp 60 Prozent der abgegebenen Stimmen für den Verbleib bei Innsbruck. In „Neu-Arzl
, der früheren „Schießstandsiedlung", waren es sogar 92 Prozent.
Diese Siedlung wuchs weiter, und so wurden im Landeshauptschießstand bis ins Jahr 1958 zwei Räume als Klassenzimmer genutzt, ehe die Volksschule Neu-Arzl in der Rotadlerstraße eröffnet wurde und für geordnete Verhältnisse sorgte. Wenn ich es mir überlege, wäre ich gerne in eine der beiden Klassen im Landeshauptschießstand gegangen: Mühelos hätte ich mein mathematisches Nulltalent auf ein Knalltrauma, einen Tinnitus oder etwas Derartiges schieben können.
Ab 1962 ging im Osten Innsbrucks dann so richtig die Post ab (während heute vielen die ehemalige Filiale der Post in der Schützenstraße fehlt): Nach einer ersten negativen Bewerbung für Olympische Winterspiele 1951 hatte Innsbruck den Zuschlag für die Ausrichtung der Winterspiele 1964 erhalten. Was muss das damals für ein Aufbruchssignal gewesen sein! Noch immer lebten viele tausend Innsbruckerinnen und Innsbrucker in den zahlreichen über die Stadt verteilten Barackensiedlungen – nun setzte Bürgermeister Alois Lugger alles daran, die vermutlich ersten Olympischen Spiele mit Nachhaltigkeitsfaktor umzusetzen. Erstmals in der Olympischen Geschichte sollte das Athletendorf im Anschluss auch Wohnraum für die lokale Bevölkerung sein. Und Lugger war findig und kreativ: Durch geschickte Verhandlungen lotste er Wohnbauförderungsgelder aus anderen Bundesländern nach Innsbruck oder zapfte über Umwege diverse Wiederaufbaugelder an. Dem langjährigen ÖVP-Bürgermeister Alois Lugger kann und sollte man seine fehlende Berührungsangst mit dem (deutsch-)nationalen Lager der Nachkriegszeit nicht vergeben – doch was Luggers Wirken in puncto Wohnbau für viele in Innsbruck lebende Menschen bedeutete, hat sich verständlicherweise viel tiefer ins kollektive Gedächtnis der Tiroler Landeshauptstadt eingebrannt.
Zwischen Schützenstraße und An-der-Lan-Straße, gleich anschließend an den Landeshauptschießstand, entstanden in den Jahren 1961 bis 1963 die ersten acht Hochhäuser des ersten „Olympischen Dorfes". Fast an der Grenze zu Neu-Rum, südlich der An-der-Lan-Straße, entstand das Presse- und Veranstaltungszentrum für Olympia 1964 – die Gebäude für den späteren Kindergarten, den Hort