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Eine Million Kilometer durch Innsbruck
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eBook320 Seiten3 Stunden

Eine Million Kilometer durch Innsbruck

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Über dieses E-Book

Eine Reise in die Vergangenheit Innsbrucks - lebendig in persönlichen Erinnerungen!

Gernot Zimmermann ist ab 1983 fast ein Vierteljahrhundert lang in Innsbruck als Taxifahrer unterwegs gewesen - nahezu ausschließlich in der Nacht. In dieser Zeit fuhr er 1.000.000 Kilometer mit dem Taxi durch Innsbruck und hat dabei mehr als 200.000 Fahrgäste befördert. Er führt uns mit seinem Taxi in das Innsbruck der frühen 1980er-Jahre zurück und erinnert an längst geschlossene Lokale ebenso wie an die eine oder andere "Rotlicht-Größe". In zahlreichen Anekdoten gibt Zimmermann einen humorvollen Einblick in den Alltag eines Innsbrucker Taxifahrers und zeigt auf, warum dieser Beruf mit keinem anderen zu vergleichen ist.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum13. Feb. 2020
ISBN9783703065064
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    Buchvorschau

    Eine Million Kilometer durch Innsbruck - Gernot Zimmermann

    ERINNERUNGEN AN INNSBRUCK

    Band 3:

    Gernot Zimmermann

    Eine Million Kilometer durch Innsbruck

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Vorwort

    Eine Million Kilometer durch Innsbruck

    „Wie alles begann"

    „Die Taxilenker-Prüfung"

    „Meine Premiere als Taxifahrer"

    „Tag- oder Nachtfahrer"

    „Der Geier-Heinz"

    „Innsbrucker Parade-Taxler"

    „Das Einkommen eines Taxlers"

    „Promille-Service"

    „Das Trinkgeld"

    „Wahnsinnig hohe Trinkgelder"

    „Unfreiwillige Trinkgelder"

    „Mist aus Hötting"

    „Das Bordell bezahlt"

    „Taxler und die Halbwelt"

    „Mara war immer meine Lieblings-Hure"

    „Illegale Clubs"

    „Rauschgiftgeschichten"

    „Alkohol macht Birne hohl"

    „Vergnügen versprochen und dann leider gebrochen"

    „Plötzlich völlig weg"

    „Amoklauf mit einer Machete"

    „Ein echter Hammer!"

    „Überfall auf mich"

    „Der Überfall auf Margit"

    „Bewaffnet unterwegs"

    „Kuriose Funksprüche"

    „Warten, warten, warten"

    „Während der Fahrt eingeschlafen"

    „Die Wahl der Fahrtstrecke"

    „Superfuhren"

    „Nach Zagreb"

    „Nach Berlin"

    „Disco-Freddy, der Teppichhändler"

    „Nach Wien"

    „Die unfassbare Vertrauensseligkeit"

    „Professor Paul Flora"

    „Vor Gericht"

    „Handtaschenräuber geschnappt"

    „Fundsachen"

    „Viel Blödsinn aufgeführt"

    „Als Schlepper unterwegs"

    „Verhältnis zur Polizei"

    „Der Bahnhof-Nazi"

    „Einen Polizisten angezeigt"

    „Die unvergessene Annette Roner"

    „Wegen Sachbeschädigung angezeigt"

    „Schicksalhafte Begegnungen"

    „Beinahe meine zukünftige Schwägerin überfahren"

    „Mein Taxi als Wohnungsvermittler"

    „Das Fahren selbst"

    „Schnee-Exzesse"

    „Jede Menge Unfälle"

    „Meine Chefs"

    „Das Essen"

    „Meine allerletzte Taxifahrt"

    Taxi Glossar

    Dank

    Gernot Zimmermann

    Zum Autor

    Impressum

    E-Books der Reihe „Erinnerungen an Innsbruck"

    „Gewidmet meinen mehr als 200.000 Fahrgästen,

    ohne die ich dieses Buch nie hätte schreiben können"

    Vorwort

    Am 1. Mai 1983 habe ich meine erste Taxi-Schicht angetreten und von der ersten Sekunde an war ich mit dem Droschkenkutscher-Virus infiziert. Bester Beweis – ich bin gleich 36 Stunden lang durchgefahren, also drei Schichten hintereinander.

    Ich war über all die Jahre immer ein Taxler aus Leidenschaft und habe diesen Beruf mit großer Freude ausgeübt. Mehr als 17 Jahre lang bin ich hauptberuflich auf Innsbrucks Straßen unterwegs gewesen, danach noch sieben Jahre als Aushilfs-Fahrer. Vor allem an den umsatzstarken Wochenenden, aber auch bei jeder sonstigen Gelegenheit.

    Der Titel meiner Erinnerungen an die Zeit als Taxifahrer lautet nicht zufällig „Eine Million Kilometer durch Innsbruck", die riesig anmutende Zahl dürfte ziemlich gut hinkommen. Sehr schnell habe ich meinen Dienst auf reine Nachtschicht umgestellt, bin auch mal 14 Stunden lang gefahren und meistens sind pro Nacht 200 Kilometer zusammenkommen. Das hochgerechnet auf eine Sechs- bis Sieben-Tage-Woche ergibt dann bald einmal über 60.000 Kilometer durchschnittlich im Jahr. Und tja – mal der vielen Jahre gerechnet ist die Million dann keine reine Phantasiezahl mehr.

    Spaßhalber habe ich mir auch über den Daumen ausgerechnet, wie viele Fahrgäste ich in meinen 24 Jahren als Taxler befördert habe. Dabei bin ich – bei höchst konservativer Kalkulation – auf über 200.000 Personen gekommen, wahrscheinlich waren es aber mehr. Denn ich bin im Durchschnitt von 15 Fahrten pro Tag und zwei Personen pro Fahrt ausgegangen, vielleicht ist das zu tief angesetzt.

    In jedem Fall aber habe ich – zumindest statistisch gesehen – jeden Innsbrucker und jede Innsbruckerin mehr als einmal im Taxi gehabt.

    Wenn man davon ausgeht, dass 99 Prozent aller Fahrgäste keine Probleme machen, dann bleiben, über die Jahre gerechnet, zumindest 2.000 „Problem-Fahrgäste" übrig. Vielleicht ist aber auch diese Zahl zu tief angesetzt.

    In meinen unzähligen Nachtschichten habe ich unfassbar viel erlebt und wenn ich mal im Freundes- und Bekanntenkreis einige Anekdoten aus meinem Taxler-Leben erzählt habe, musste ich immer zuerst vorsortieren: In Geschichten, die man erzählen kann, weil sie unterhaltsam, absurd, gefährlich, kurios, erotisch, traurig, lustig etc. sind und in Geschichten, die man nicht erzählen kann, weil sie schlicht und einfach niemand glauben würde. Und man will ja schließlich nicht als Schwafler dastehen.

    Ich nenne ein Beispiel so einer unerzählbaren Story – und um mich nicht als „Wuchteldrucker verdächtig zu machen, habe ich eine Geschichte ausgesucht, die ich nicht selber erlebt habe, die aber absolut verbrieft ist: Ein Kollege fährt eines Nachts mit einem Fahrgast ins Mittelgebirge. Plötzlich zieht der Mann einen schweren Revolver und zielt auf den Kopf des Taxlers. Er werde ihn jetzt umbringen und dann lebenslänglich ins Gefängnis gehen, denn er habe einfach keine Lust mehr. Der Taxifahrer bettelt weinend und wortreich um sein Leben, erfindet dabei Ehefrau samt fünf Kindern und bietet dem Täter von der Geldtasche übers Handy bis zur Armbanduhr alles an, was sich an Wertgegenständen im Auto befindet. Daraufhin ändert der Mann seinen Plan und lässt sich in die Langstraße zur Pradler Wachstube chauffieren und geht mit dem Taxler als Geisel in die Polizeiinspektion hinein. Dort liefern sich Täter und Polizisten ein minutenlanges Schreiduell mit gezogenen Waffen, der arme Taxler mittendrin und auf den Knien, die ganze Zeit die 357er Magnum am Kopf. Der irre Fahrgast will offensichtlich erschossen werden – heute kennt man derartiges Verhalten als „Suicide by Cop. Diesen „Gefallen" machen die Beamten dem Geiselnehmer dann nicht, sie können ihn irgendwann überwältigen und festnehmen, der Taxifahrer bleibt zum Glück unverletzt. So – und jetzt erzähl diese Geschichte mal bei einem bunten Abend …

    Tatsächlich werde ich auch im vorliegenden Buch einige meiner Erlebnisse als Taxler vorsichtshalber auslassen müssen, zu sehr würden sie nach reiner Fiktion klingen. Ich bin überzeugt, dass die allermeisten Taxifahrerinnen und Taxifahrer dieses „Problem" gut kennen, manche Erlebnisse muss man einfach für sich behalten. Es sind aber, so hoffe ich doch sehr, noch genug interessante Storys übrig geblieben.

    Vermutlich ist jede Rückschau auf das eigene Leben mit einigen Sentimentalitäten verbunden, das wird im vorliegenden Buch nicht anders sein. Aber ich werde mich bemühen nicht den Fehler zu machen, meine Jahre als Taxilenker zu verklären oder der „guten, alten Zeit über Gebühr nachzutrauern. Auch wenn die Zeit als „Desperado der Innsbrucker Nacht zur aufregendsten Zeit meines ganzen Lebens gehört.

    Neben meinen persönlichen Erinnerungen möchte ich versuchen, einen Einblick in das Leben eines hauptberuflichen Taxifahrers zu geben und zu zeigen, warum dieser Job mit keinem anderen zu vergleichen ist.

    Innsbruck, im Jänner 2018

    Eine Million Kilometer durch Innsbruck

    „Wie alles begann"

    Dass ich Taxifahrer geworden bin, ist eigentlich einem reinen Zufall zu verdanken. Noch drei, vier Monate vor der Taxilenker-Prüfung hätte ich mir niemals vorstellen können, einmal Fahrgäste durch Innsbruck zu kutschieren. Zwar hatte ich schon den PKW-Führerschein, aber mangels eines eigenen Autos verfügte ich über keinerlei Fahrpraxis. Also war Taxifahren überhaupt keine berufliche Option für mich.

    Ich hatte zu dieser Zeit – Ende 1982 – meine Lehre als Großhandelskaufmann längst abgeschlossen und war im „Kaufhaus Tyrol" als Lagerist tätig. Grundsätzlich war das kein schlechter Job, ich war schon länger als ein Jahr dort angestellt und durfte auch schon einiges an Verantwortung übernehmen. Allerdings war die Bezahlung eher erbärmlich, denn 6000 Schilling netto waren 1982 ein gar kärgliches Salär, meine winzige Wohnung in der Höttinger Au kostete schon zwei Drittel meines Einkommens. Und dass ich den ganzen Tag lang ausschließlich bei künstlichem Licht arbeiten musste, machte mir zusätzlich zu schaffen. Richtig glücklich war ich also nicht.

    Dann lernte ich Marietta kennen. Sie war etwas jünger als ich und ihre Eltern waren eingesessene Taxiunternehmer in Innsbruck. Marietta hatte schon den Taxi-Führerschein, mit Ausnahmegenehmigung, weil sie eigentlich zu jung dafür war. Und sie war Nacht für Nacht auf Innsbrucks Straßen unterwegs, eine Taxlerin aus Leidenschaft.

    Ich lernte von Marietta, was „auflegen heißt (eine Fahrt aufnehmen), warum Taxler manchmal „blind stehen (Fahrgast kommt nicht) oder auf welchen Standplätzen man Gefahr läuft „abzubrennen (lange keinen Auftrag zu bekommen). Zum ersten Mal hörte ich Begriffe wie „Schießen (den Chef um eine Fahrt prellen), „Funksperre (kein Funkauftrag für gewisse Zeit bei Verfehlungen) oder „Glatteis (Radarkontrolle der Polizei).

    Durch Mariettas spannende Erzählungen aus ihrem Berufsalltag entwickelte ich zunehmend mehr und mehr Interesse an diesem Job und meldete mich schließlich für

    „Die Taxilenker-Prüfung"

    beim Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) an.

    Vor der Prüfung galt es einen mehrstündigen Kurs zu absolvieren, bei dem man mit der Straßenverkehrsordnung, der Betriebsordnung, der Tarifordnung usw. vertraut gemacht wurde.

    Der größte Stolperstein auf dem Weg zum Taxifahrer war seinerzeit zweifelsohne die Geographie-Prüfung und ich garantiere bei meiner Ehr’, dass diese Prüfung heute KEIN EINZIGER Taxilenker in Innsbruck mehr bestehen würde. Wirklich kein einziger. Denn heute würde gegen eine derartige Prüfung wohl erfolgreich Klage eingebracht werden, so etwas ließe sich heute niemand mehr bieten.

    So wurde damals ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass man alle Straßennamen Innsbrucks zu kennen hat. Und das sind immerhin an die 650 verschiedene Straßen, Gassen, Plätze, Steige oder Wege, Vill und Igls gar nicht mitgerechnet. Dazu mussten einem sämtliche Umlandgemeinden ein Begriff sein – von Telfs bis Jenbach, vom Brenner bis Seefeld, natürlich auch die wichtigsten Ortschaften der Täler. Und in Absam, Hall, Wattens, Schwaz, Völs, Zirl usw. sollte man auch die zumindest wichtigsten Straßen kennen. Schließlich waren elektronische Routenplaner noch längst nicht erfunden, die Taxler hatten sich dementsprechend auszukennen, das wurde allgemein vorausgesetzt. Hätte mich damals jemand gefragt, was ein Navigationsgerät ist, ich hätte ohne zu zögern mit „Sextant geantwortet und „TomTom hätte ich für einen ziemlich dämlichen Doppelnamen gehalten.

    Auf die Taxilenker-Prüfung hatte ich mich ernsthaft und akribisch vorbereitet – die Tarife kannte ich alle auswendig, die Paragraphen der Betriebsordnung ebenso und auch der theoretischen Verkehrsprüfung konnte ich entspannt entgegensehen. Blieb „nur noch die Sache mit der Geographie. Aber ich war in den letzten Tagen und Wochen mit dem Innsbrucker Stadtplan buchstäblich ins Bett gegangen und hätte man mich um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und gefragt: „Sechste Querstraße rechts in der Erzherzog-Eugen-Straße in Fahrtrichtung Süden!, meine Antwort wäre zweifelsohne und postwendend: „Mozartstraße!" gewesen – ich war also bereit.

    Durchgeführt wurde die Abfrage der Geographie-Kenntnisse von Herrn Ing. Heinz Flecker persönlich, er war so etwas wie der „Capo di tutti Capi des Innsbrucker Personenbeförderungsgewerbes. Lebenslanger Taxifahrer, Unternehmer mit mehreren Fahrzeugen, multipler Kammerfunktionär, Gründer und Chef der größten Innsbrucker „Funktaxigesellschaft 2 77 11 und darüber hinaus vollkommen humorbefreit, wenn es um das Abfragen der Geographie-Kenntnisse von Taxilenker-Aspiranten ging.

    Als Aufwärmübung fragte Herr Flecker gleich einmal zwanzig, dreißig Straßen ab – darunter so berühmte Innsbrucker Flaniermeilen wie Seidenweg, Pfeisweg, Amberggasse, Wolfsgrube, Blücherstraße oder den romantischen Galgenbühelweg. Auch wollte er von mir wissen, wo denn die Moltkestraße sei. Vor dieser Frage hatte mich Marietta bereits gewarnt, denn in der Moltkestraße wohnte Herr Flecker selber. So konnte ich locker mit „Von Saggen kommend auf die Pembauerstraße nach Süden in Richtung Langstraße, nach der Sillbrücke zweite Straße rechts, Zufahrt ist nur über die Lützowstraße möglich" antworten. Dann noch schnell drei, vier Konsulate, sechs, sieben Kirchen, sowie die wichtigsten Polizei-Wachzimmer. Danach hat dann die eigentliche Prüfung begonnen und ich erinnere mich heute noch ganz genau an die Fragen:

    1. Die Verbindung nördlich des Inns vom Gasthaus Kranebitten bis zur Dachpappenfabrik Dörr. Dabei galt es, nicht nur alle zu befahrenden Straßen aufzuzählen, sondern auch sämtliche Querstraßen entlang der Route, immer schön der Reihe nach links und rechts.

    2. Frage: Vom Flughafen zur Endstation der Straßenbahnlinie 3, ebenfalls mit allen Querstraßen links und rechts – die Freiburger-Brücke war damals übrigens noch nicht gebaut, man fuhr noch durch die Museumstraße.

    3. Frage: Fahrt nach München, nennen Sie drei verschiedene Routen mit Kilometerangabe und mit den wichtigsten Ortschaften.

    4. Frage: Kleine Südtirol-Rundfahrt, dazu als Draufgabe gleich noch die große Südtirol-Rundfahrt, jeweils mit Kilometerangabe und den wichtigsten Ortschaften.

    Und weil wir schon so nett beim Plaudern waren, durfte ich Herrn Flecker dann noch meine Kenntnisse über die Routenplanung einer Ausflugsfahrt zu den niederbayrischen Königsschlössern kundtun, außer Konkurrenz sozusagen. Beinahe unnötig hinzuzufügen, dass ich in meinem ganzen Leben nie einen Taxler kennengelernt habe, der jemals eine Tour zu den Königsschlössern aufgelegt hat oder gar eine Südtirol-Rundfahrt, weder die große noch die kleine. Bozen ja, München über die Autobahn auch ja – aber gleich eine ganze Rundfahrt?

    Übrigens sind damals mit mir etwa 20 weitere Kandidaten zur Prüfung angetreten, zum Taxler geschafft haben es neben mir gerade mal noch zwei andere – das war aber ein völlig normaler Durchschnitt.

    Mit dem Taxilenkerausweis in der Tasche heuerte ich augenblicklich bei Mariettas Eltern an und ausgerechnet am „Tag der Arbeit", am Sonntag, den 1. Mai 1983, setzte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben auf den Fahrersitz eines Taxis und feierte – standesgemäß an einem Feiertag –

    „Meine Premiere als Taxifahrer"

    Der Wagen 26 war am Adolf-Pichler-Platz geparkt, die Autoschlüssel auf dem linken Vorderreifen hinterlegt und um 6 Uhr früh stieg ich ein. Die ersten zwanzig Minuten meiner Taxler-Karriere verbrachte ich damit, dass ich verzweifelt versuchte, die Arretierung der Handbremse zu lösen. Wagen 26 war ein Mercedes 240 Diesel, die Handbremse betätigte man bei diesem Modell mit einem Fußpedal und löste sie mit einem kleinen Hebel links vom Lenkrad. Wer soll denn so etwas wissen?

    Aber schließlich brachte ich den schönen, dunkelblauen Wagen doch noch in Bewegung und steuerte – Tipp von Marietta – den Standplatz „Sonnpark in der Amraser Straße an, da könnte in der Früh was gehen. Tatsächlich wartete ich nur etwa zwanzig Minuten lang und wurde dann per Funk zu meinem allerersten Auftrag geschickt: „Wagen 26. In die Defreggerstraße 29 bitte.

    Die Fahrt ging dann zum Pradler Friedhof, dort hatte ich einige Minuten zu warten, danach chauffierte ich die ältere Dame wieder zurück in die Defreggerstraße. Super – gleich zwei Fahrten auf einmal (eigentlich nicht, denn im Taxijargon nennt sich das „Retour-Fuhre", aber das konnte ich damals noch nicht wissen). Und es sollte gleich noch ein weiterer Auftrag dazu kommen, denn die Dame bestellte mich für den morgigen Tag vor, da möchte sie bitte in die Klinik gefahren werden.

    Im Prinzip war ich von dieser allerersten Taxi-Fahrt an mit einem Virus infiziert, der mich viele Jahre lang nicht mehr losgelassen hat. Als Beweis mag gelten, dass ich an diesem 1. Mai 1983 einfach nicht genug kriegen konnte und gleich noch die Nachtschicht dranhängte. Und weil ich ja in der Defreggerstraße 29 vorbestellt war, bin ich der Einfachheit halber die darauffolgende Tagschicht auch noch gefahren.

    Als ich den Wagen 26 dann am 2. Mai um 18 Uhr wieder am Adolf-Pichler-Platz abstellte, war ich 36 Stunden lang ohne nennenswerte Pausen durchgefahren und hatte an die 60 Mal aufgelegt. Mein erster Chef – der legendäre Alfred Wakolbinger – hat über meinen Arbeitsanfall nur den Kopf geschüttelt, über die mehr als 4.000 Schilling Umsatz hat er sich aber wahrscheinlich schon gefreut. Immerhin hat er mich sofort fix angestellt und ab diesem Moment war ich ein sogenannter Berufsfahrer, ein Profi-Taxler.

    Jetzt war nur noch die Entscheidung zu treffen, ob ich zukünftig als

    „Tag- oder Nachtfahrer"

    tätig sein würde.

    Vorerst entschied ich mich für die Tagschicht, bei Tageslicht konnte ich wenigstens die Hausnummern lesen, für die Nacht fühlte ich mich noch nicht sicher genug, denn ein Profi war ich natürlich nur theoretisch. Ich musste noch verdammt viel lernen.

    Wenn ich mich richtig erinnere, hat es 1983 in Innsbruck knapp 130 Taxis gegeben und die waren fast alle in der „Innsbrucker Funktaxi-Gesellschaft 2 77 11 vereinigt. Einzelne Kollegen waren ohne Funk unterwegs und seit ein paar Jahren versuchte sich eine zweite Taxi-Funkgesellschaft unter der Telefonnummer „45 500 zu etablieren. Weil diese Taxis giftgrüne Werbeaufkleber auf ihren Dachleuchten trugen, wurden sie schnell als „Frösche" bezeichnet. Ein Name, der über Jahrzehnte hinweg Gültigkeit hatte.

    Ich war ein „2 77 11er" und der Wagen 81 war die ersten paar Monate über mein täglicher Arbeitsplatz. Bis ich den weißen Mercedes 220 D eines Vormittags im Bereich Amraser-See-Straße/Geyrstraße mittels Kaltverformung in einen Totalschaden verwandelt habe. Ich war rückwärts aus einer Einfahrt auf den Südring gefahren, hatte einen Mercedes 280 SE übersehen und der krachte mir mit gut 80 km/h seitlich ins Heck.

    Diesem spektakulären Crash und meinen zahlreichen anderen Unfällen werde ich ein eigenes Kapitel widmen müssen, zu meiner ersten kapitalen „Breze" sei noch schnell gesagt, dass zumindest alle Beteiligten unverletzt geblieben sind.

    Ich meldete den Unfall damals natürlich sofort über Funk Herrn Wakolbinger, der an diesem Tag ebenfalls im Taxi unterwegs war. Sein mürrisches „Kommen S’ in die Maria-Theresien-Straße, ich wart auf Sie musste ich bedauerlicherweise mit „Das geht nicht, das Taxi hat leider kein Heck mehr und schaut aus wie ein großes L beantworten. Herr Wakolbinger hat mir diesen Unfall durchgehen lassen und einige andere auch noch. Doch davon wird, wie gesagt, später noch die Rede sein.

    Lange bin ich aber nicht als Tagfahrer unterwegs gewesen, denn bald einmal lockte mich die Nacht. Einerseits mochte ich die Hitze des Tages nicht – damals hatte noch kaum ein Auto eine Klimaanlage – und andererseits störten mich zunehmend der starke Verkehr und der permanente Lärm. Ich hatte es satt, am Standplatz Westbahnhof beinahe in den Lautsprecher kriechen zu müssen, um die Funkaufträge zu verstehen, weil LKW und Busse einen Meter vor meiner Kühlerhaube mit einem 60er vorbeidonnerten. Und ich hatte es satt, dass ich zu Stoßzeiten vom Innrain in die Pradler Straße mehr als 20 Minuten lang im Stop-and-go-Verkehr unterwegs war. Dazu kommt natürlich noch das Tages-Publikum – eilige Geschäftsleute, Touristen am Weg zum Flughafen, ältere Personen mit ihren unvermeidlichen Krankengschichten oder gestresste Mütter mit drei kleinen Kindern und vier schweren Einkaufstaschen. Also alles nicht unbedingt das, was einen 21-Jährigen kirre macht.

    Das war in der Nacht von Anfang an völlig anders – denn da sind die Geschäftsleute längst privat unterwegs, die Touristen abgeflogen, die ältere Generation ist meist schon im Bett und die Mütter mit den kleinen Kindern liegen erschöpft vom Tagwerk daheim auf der Couch.

    Vom Innrain bis in die Pradler Straße brauchte ich nachts fünf Minuten, konnte mir dabei die kühle Nachtluft um die Nase wehen lassen und statt dem unerträglichen Verkehrslärm hörte ich im Morgengrauen die Vöglein zwitschern. Der Umstieg ist mir also nicht wirklich schwer gefallen.

    In der Nacht war nicht nur das Publikum ein völlig anderes, es waren natürlich auch andere Kollegen unterwegs – die Schichten gewechselt haben damals nur wenige. Unter den Nacht-Taxlern und natürlich auch unter den Nacht-Taxlerinnen hat es unvergessene Typen gegeben, an viele davon erinnere ich mich bis heute. Zum Beispiel an den wohl besten und vor allem erfolgreichsten Taxifahrer, den Innsbruck je gesehen hat – den unvergleichlichen Heinz S. Bekannt war er unter seinem Spitznamen

    „Der Geier-Heinz"

    Gleich vorweg – die Bezeichnung „Geier hatte nichts mit dem Aussehen von Heinz zu tun. Er hatte keine Hakennase, keinen stechenden Blick und meines Wissens auch keine besondere Vorliebe für Aas. Der Name leitete sich von „geiern ab, damit bezeichnet der Taxler die Arbeitsweise eines Kollegen, der mit allen Mitteln versucht, an so viele Aufträge wie möglich zu kommen. Das klingt grundsätzlich nicht unvernünftig, aber man kann den Job auch weit gemütlicher angehen und die meisten Taxler tun das auch.

    Geier sind also eher die Ausnahme im Geschäft, aber es hat sie immer wieder gegeben, ich war ja selber einer. Doch der „Geier-Heinz" war absolut einzigartig, er war quasi die Mutter aller Geier und ich behaupte, dass er bis heute unerreicht ist.

    Heinz war unüberhörbar Vorarlberger und er war alimentezahlender Vater von Zwillings-Mädchen. Diesbezüglich musste er sich im engeren Kollegenkreis einiges an Häme gefallen lassen, denn seine beiden Kinder entstammten einem One-Night-Stand. Also kombinierten wir Taxler messerscharf: „Ein Schuss, zwei Treffer!"

    Der „Geier-Heinz" war studierter Betriebswirt und er hat auch – ich glaub da war er damals der einzige Taxler in Innsbruck – einen Magistertitel getragen. Aber er war trotzdem ein sehr intelligenter Bursche, ich hab ihn von Beginn an sehr gemocht und noch mehr bewundert.

    Der Heinz ist in meinen Anfangsjahren immer mit einem roten Audi 80 der Firma Eberl unterwegs gewesen – Wagennummer 04. Und wenn ich „immer sage, dann ist das wörtlich zu nehmen. Denn der „Geier-Heinz ist sieben Mal die Woche gefahren – in der Wintersaison stets 14 Stunden lang, manchmal noch mehr. Und in jeder einzelnen dieser zahllosen Stunden ist er immer voll auf Angriff gefahren, hat sich mit schnellen Funkfingern jeden möglichen Auftrag gekrallt, spezialisiert war er auf die sogenannten „Raumaufträge. Die wurden von der Zentrale dann ausgegeben, wenn die betreffenden Standplätze nicht besetzt waren und wer sich am schnellsten meldete, bekam den Auftrag. Das hastige „04 übernimmt vom

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