Sehnsucht, die man nie vergisst
Von Yvonne Lindsay
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Über dieses E-Book
"Livvy?" So liebevoll nennt er sie bei ihrem Kosenamen, dass Olivia vor Sehnsucht fast vergeht. Nach einem schweren Unfall ist Xander endlich wieder erwacht. Überglücklich küsst sie ihn. Sie kann seine Entlassung kaum erwarten. Doch Olivia lebt eine Riesenlüge! Denn Xander hat sein Gedächtnis verloren. Sechs Jahre fehlen ihm, in denen sie sich geliebt, sich nach einer Katastrophe aber getrennt haben. Dabei hat Olivia nie aufgehört, Xander zu lieben. Jetzt hat sie die Chance, ihm wieder ganz nah zu sein. Zumindest bis seine Erinnerung zurückkehrt …
Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit fünfzehn Jahren ihren ersten Roman verfasste – der jedoch irgendwo in der Versenkung verschwand. Das Schreiben blieb zunächst ihre Freizeitbeschäftigung. Yvonne arbeitete als Sekretärin und Vertriebsangestellte, heiratete den Mann, den sie während eines Blind Dates kennengelernt hatte, und bekam zwei Kinder. Dann begegnete sie Susan Napier, und die Karriere als Autorin begann. Yvonne tauschte sich so oft wie möglich mit befreundeten Schriftstellerinnen aus, die dieselben Träume und Hoffnungen hegten. Und sobald sie sich ernsthaft aufs Schreiben konzentrierte und ihre Romane vollendete, wurde sie prompt für mehrere ausgezeichnet! Heute ist Yvonne dort angekommen, wo sie schon immer sein wollte. Sie glaubt an die Macht der Liebe, die unser Leben stark beeinflusst, und fängt diesen Zauber in ihren mitreißenden Romanen immer wieder neu ein. Wenn Sie mehr über Yvonne Lindsay erfahren möchten, besuchen Sie die Website der Autorin: www.yvonnelindsay.com
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Sehnsucht, die man nie vergisst - Yvonne Lindsay
IMPRESSUM
BACCARA, erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2015 by Dolce Vita Trust
Originaltitel: „The Wife He Couldn’t Forget"
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA,
Band 1945 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Susann Rauhaus
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733723132
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
Sie hasste Krankenhäuser.
Olivia betrat die Eingangshalle und musste schlucken, um den bitteren Geschmack auf der Zunge und die schlimmen Erinnerungen zu vertreiben. Auf der Anzeigetafel suchte sie nach der Station, zu der sie musste.
Musste … Nun, dieser Ausdruck sagte schon alles. Ein Wiedersehen mit ihrem Nochehemann war wirklich das Letzte, was sie brauchte – selbst wenn er nach ihr gefragt hatte. Xander hatte sie vor zwei Jahren verlassen, und seitdem war sie gut allein klargekommen. Sehr gut. Das war allerdings nur eine Umschreibung für ausgeflippt, unsicher, neurotisch und emotional. Ja, das fasste es ziemlich passend zusammen. Sie hätte nicht einmal hier sein müssen, und doch war sie gekommen.
Der Aufzug klingelte, und die Türen öffneten sich vor ihr. Olivia bekämpfte den Impuls, sich umzudrehen und zu flüchten. Stattdessen ging sie entschlossen in die Kabine und drückte auf den Knopf für die Station, zu der sie musste.
Verdammt, da war ja wieder dieses Wort. Musste. Eine Welt von Bedeutung lag darin. Es wog genauso schwer wie wollte. An sich besagte das Wort nichts; aber wenn es im Zusammenhang mit einer Beziehung auftauchte, in der beide Partner in verschiedene Richtungen strebten, stand es stellvertretend für Qual. Diese Qual hatte sie inzwischen überwunden. Den Schmerz des Verlassenwerdens. Den Verlust, der sie um ein Haar total überwältigt hätte. Wenigstens hatte sie das geglaubt, bis heute Morgen der Anruf gekommen war und sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
Olivia umklammerte den Griff ihrer Handtasche ein bisschen fester. Sie brauchte Xander nicht gegenüberzutreten, wenn sie nicht wollte – auch wenn er gestern Abend anscheinend aus einem sechswöchigen Koma aufgewacht war und nach ihr verlangt hatte. Er hatte nach ihr verlangt. Ja, das passte zu ihm. Er war nicht der Typ für höflich formulierte Bitten. Sie seufzte, verließ den Lift und lief über den Flur zur Rezeption.
„Kann ich Ihnen helfen?", fragte die Krankenschwester hinter dem Tresen. Sie wirkte sehr beschäftigt und hatte einen Berg von Akten vor sich.
„Kann ich mit Dr. Thomas sprechen? Er erwartet mich."
„Ach, Sie sind Mrs. Jackson? Natürlich, bitte folgen Sie mir."
Die Schwester führte sie in ein karg eingerichtetes Wartezimmer für Privatpatienten. Nachdem sie ihr versichert hatte, dass der Doktor bald kommen würde, ließ sie sie allein.
Olivia war viel zu nervös, um sich zu setzen. Unruhig ging sie im Zimmer auf und ab. Drei Schritte vor, drei Schritte zurück. Dann das Ganze von vorn. Irgendwann öffnete sich die Tür, und ein Mann trat ein. Sie nahm an, dass er der Arzt sein musste. Eigentlich war er noch viel zu jung für einen Neurologen.
„Mrs. Jackson, vielen Dank, dass Sie gekommen sind!"
Sie nickte und ergriff die Hand, die er ihr entgegenstreckte. Dabei fiel ihr auf, wie warm und trocken seine Finger waren. Ihre eigenen hingegen waren voller Farbflecken und eiskalt. Offenbar hatte sich die Nachricht über Xander negativ auf ihren Blutkreislauf ausgewirkt.
„Sie sagten, Xander hätte einen Unfall gehabt?", fragte sie.
„Ja, er hat auf einer nassen Straße die Kontrolle über seinen Wagen verloren und ist gegen einen Strommast geprallt. Seine körperlichen Verletzungen sind wie erwartet mittlerweile fast vollständig verheilt. Nachdem er jetzt aus dem Koma aufgewacht ist, haben wir ihn von der Intensivstation auf eine normale Station verlegt."
„Und der Unfall? Man hat mir erzählt, es wäre vor sechs Wochen passiert. Das ist eine lange Zeit, um im Koma zu liegen, oder?"
„Stimmt. In den vergangenen Tagen hat es deutliche Zeichen gegeben, dass er das Bewusstsein wiedererlangt. Auch seine nervlichen Reaktionen waren vielversprechend. Letzte Nacht ist er dann erwacht und hat nach Ihnen gerufen. Die Schwestern waren sehr überrascht, denn es war nur seine Mutter als nächste Verwandte aufgelistet."
Olivia ließ sich auf einen Stuhl sinken. Xander? Er hatte nach ihr gefragt? Nur zu gut erinnerte sie sich an den Tag, an dem er sie verlassen hatte. Er hatte ihr erklärt, dass er ihr nichts mehr zu sagen habe. Und jetzt das. Sprachen sie und der Arzt überhaupt von demselben Mann?
„Ich … Das verstehe ich nicht", stieß sie schließlich hervor.
„Abgesehen von den körperlichen Verletzungen leidet Mr. Jackson unter einer posttraumatischen Amnesie. Das ist nichts Ungewöhnliches nach einer Hirnverletzung. Tatsächlich haben Studien bewiesen, dass nur drei Prozent aller Patienten keinen Gedächtnisverlust erleiden."
„Und zu diesen drei Prozent gehört er nicht?"
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Eine posttraumatische Amnesie ist eine Phase, die Menschen nach schweren Gehirnschädigungen durchmachen. Danach sind sie zumeist verwirrt und desorientiert. Sie haben Schwierigkeiten, sich an etwas zu erinnern. Häufig ist das Kurzzeitgedächtnis davon betroffen. Der Fall Ihres Mannes liegt allerdings ein wenig anders, denn bei ihm scheint das Langzeitgedächtnis angegriffen zu sein. Stimmt es, dass Sie von seinem Unfall gar nichts gewusst haben?"
„Nun, ich kenne nur wenige Leute, die mit ihm in ständigem Kontakt sind. Und mit seiner Mutter war ich nie sehr eng. Daher wundert es mich nicht, dass mich niemand informiert hat. Ich habe Xander zuletzt vor zwei Jahren gesehen. Wir werden demnächst geschieden und warten nur noch auf den Termin." Ein Schauer überlief sie, und selbst jetzt konnte sie die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
„Verstehe. Das macht die Sache natürlich ein wenig problematisch."
„Problematisch?"
„Was seine Entlassung angeht, meine ich."
„Das verstehe ich nicht." Olivia sah ihn stirnrunzelnd an.
„Er lebt allein, oder?"
„Soweit ich weiß."
„Er glaubt, dass er zu Ihnen nach Hause kommen wird."
Vor Entsetzen konnte sie sich nicht rühren. „Er … Wirklich?"
„Ja. Er denkt, dass Sie beide immer noch zusammen sind. Deshalb hat er auch nach Ihnen gefragt. Als er aus dem Koma erwachte, waren seine ersten Worte: ‚Sagen Sie meiner Frau, dass es mir gut geht.‘"
Dr. Thomas erläuterte ihr nun die genaue Art von Xanders Verletzungen und ihre Auswirkungen auf sein Gedächtnis, aber seine Worte drangen kaum zu Olivia durch. Sie konnte nur daran denken, dass ihr Ehemann sie sehen wollte. Ihr Ehemann, von dem sie seit zwei Jahren getrennt lebte.
„Bitte entschuldigen Sie, unterbrach sie den Arzt. „An wie viel kann Xaver sich denn erinnern?
„Soweit wir das mit Gewissheit sagen können, ist er auf dem Stand von vor sechs Jahren stehen geblieben."
„Aber das war ja kurz, nachdem wir geheiratet haben", erwiderte sie.
Er konnte sich also auch nicht daran erinnern, wie sie gemeinsam ihr Haus am Strand von Cheltenham renoviert hatten. Oder an die Geburt ihres Sohns vor fünf Jahren.
Und schon gar nicht an Parkers Tod kurz nach dessen drittem Geburtstag.
Sie kämpfte mit den nächsten Worten. „Kann er …? Wird er … wird er sein Gedächtnis zurückerlangen?"
Der Arzt zuckte die Schultern. „Vielleicht. Es kann aber genauso gut sein, dass er sich an die letzten Jahre gar nicht mehr oder nur noch teilweise erinnern wird."
Olivia ließ all diese Informationen einen Moment lang auf sich wirken, dann holte sie tief Luft. Ihr blieb keine andere Wahl. „Kann ich ihn sehen?"
„Selbstverständlich. Kommen Sie mit."
Der Arzt führte sie in ein großes Krankenzimmer. Es gab vier Betten, doch nur eins davon direkt am Fenster war belegt. Sie wappnete sich innerlich. Gleich würde sie einen Schritt darauf zugehen und den Mann anschauen, dem sie einmal geschworen hatte, mit ihm ihr Leben zu verbringen. Den Mann, den sie über alles geliebt hatte. Den Mann, von dem sie geglaubt hatte, dass er sie ebenfalls lieben würde. Ihr Herz tat einen Sprung, und ihr krampfte sich der Magen zusammen, als sie in sein vertrautes Gesicht sah. Er hatte so viel Ähnlichkeit mit Parker. Geistesabwesend rieb sie sich über die Brust, als könnte sie dadurch das Loch füllen, das darin klaffte.
„Er schläft noch, wird aber bestimmt bald aufwachen, sagte Dr. Thomas nach einem flüchtigen Blick auf Xanders Krankenakte. „Sie können sich hinsetzen.
„Danke", antwortete sie automatisch und nahm auf dem Stuhl neben dem Bett Platz. Sie saß mit dem Rücken zum Fenster und zum Sonnenschein, der über dem Hafen in der Ferne glitzerte.
Olivia betrachtete die reglose Gestalt unter der Bettdecke. Langsam ließ sie den Blick von Xanders Füßen über seine Beine und die Hüften bis zu seinem Oberkörper und seinem Gesicht schweifen. Er hatte abgenommen, wirkte insgesamt viel schlanker und weicher. Bartstoppeln bedeckten sein Kinn, und sein Haar musste dringend geschnitten werden.
Sie konnte nicht anders, sie hatte Mitleid mit ihm. Ihr war klar, wie sehr er es hassen würde, so verletzlich zu sein. Xander war ein Mann der Tat, ein Mann, der Entscheidungen traf. So hilflos in einem Krankenbett zu liegen hätte ihn normalerweise verrückt gemacht.
Erst jetzt registrierte sie schockiert, dass er die grauen Augen geöffnet hatte und sie anschaute. Langsam schien er sie wiederzuerkennen. Ihr Herz zog sich zusammen, als er sie voller Freude anlächelte. Die Verbindung zwischen ihnen war beinahe greifbar; sie war noch immer so stark, als wäre sie nie unterbrochen worden. Olivia spürte, wie ihre Lippen das Lächeln wie von selbst erwiderten.
Wie lange war es her, dass sie ihn lächeln gesehen hatte? Viel zu lange. Sie hatte es vermisst, hatte ihn vermisst. Zwei schreckliche, einsame Jahre lang hatte sie sich eingeredet, dass sie die Trennung von Xander verwunden hatte. Dass es leicht war, mit dieser Beziehung abzuschließen, wenn sie sich nur genug darum bemühte. Aber Olivia hatte sich etwas vorgemacht. In der Liebe konnte man nicht so einfach einen Schalter umlegen und vergessen, dass jemand mal das Allerwichtigste im Leben gewesen war.
Sie liebte ihn immer noch.
„Livvy?" Xanders Stimme klang schwach und brüchig.
„Ja, ich bin’s, antwortete sie leise. „Ich bin hier.
Tränen stiegen in ihr auf. Sie streckte die Hand aus und ergriff seine. Dann rollten die Tränen über ihre Wangen, als er seine Finger fest um ihre schloss. Xander seufzte tief und schloss wieder die Augen.
Ein paar Minuten verstrichen, bis er ein einziges Wort ausstieß. „Gut."
Sie hätte fast geschluchzt, konnte den Impuls jedoch im letzten Moment noch unterdrücken. Auf der anderen Seite vom Bett räusperte sich Dr. Thomas.
„Xander?"
„Machen Sie sich keine Sorgen, er ist eingeschlafen, erklärte der Arzt. „Eine der Schwestern wird bald nach ihm sehen, dann wacht er möglicherweise wieder auf. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden …?
„Oh, ja, natürlich. Vielen Dank!"
Olivia merkte kaum, wie der Arzt das Zimmer verließ. Auch als ein weiterer Patient hereinkam, schenkte sie ihm keine Beachtung. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf den Mann vor ihr gerichtet, auf seine gleichmäßigen Atemzüge, bei denen sich seine Brust hob und senkte.
Tausende Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Xander hätte bei dem Unfall sterben können, und sie hätte nie davon erfahren. Sie hätte nie mehr die Gelegenheit gehabt, ihn um eine zweite Chance zu bitten. Doch das war zum Glück nicht geschehen. Er hatte überlebt. Und vergessen, dass er sie je verlassen hatte.
Noch immer hielt er ihre Finger umklammert, als wäre sie sein Anker. Als ob er wirklich wollte, dass sie bei ihm war. Sie beugte sich vor und hob seine Hand an ihre Wange. Ja, sie wollte ihn auch jetzt noch – so wie sie ihn immer gewollt hatte. Plötzlich keimte Hoffnung in ihr auf. Konnte dieser Gedächtnisverlust ihnen eine zweite Chance geben, die er ihr vorher so strikt verweigert hatte?
Hier und jetzt wusste sie nur eins: Sie würde