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Die Roguskhoi
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eBook267 Seiten3 Stunden

Die Roguskhoi

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Durdane II

Etzwane bestellte eine Schale geeisten Weins und Exemplare der örtlichen Zeitungen. Finnerack nahm ein Kelchglas Wein entgegen, zeigte allerdings keinerlei Interesse an den Nachrichten, die düster waren. Abschnitte abwechselnd in Schwarz, Braun und Senfgelb berichteten darüber, dass die Roguskhoi in den Kantonen Lor-Asphen, Bundoran und Surrume auf dem Vormarsch waren und sie den Kanton Shkoriy vollkommen unter Kontrolle hatten. Etzwane las:

Die Politik des Anome, Frauen in die Küstenkantone zu evakuieren, war zweifellos richtig. Der Effekt davon ist allerdings, dass die Roguskhoi zu immer grausameren Verwüstungen gereizt und angeregt werden, um so ihre offenbar unstillbare Lust befriedigen zu können. Wo sollen diese schrecklichen Vorgänge enden? Falls der Anome mit seiner Macht die schrecklichen Horden nicht dahin zurückdrängen kann, woher sie gekommen sind, wird Shant in fünf Jahren von Roguskhoi wimmeln. Wohin wenden sie sich als nächstes? Nach Caraz? Davon ist auszugehen, denn die Palasedraner würden keine so furchtbare Waffe auf das Volk von Shant loslassen, ohne ein Mittel der Kontrolle über sie zu haben.


Gastel Etzwane will etwas gegen die Bedrohung durch die Roguskhoi unternehmen. Doch wie geht er am geschicktesten vor? Woher kommen diese Unwesen? Ist das Übel mit der Wurzel auszurotten?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum16. Sept. 2018
ISBN9781619473454
Die Roguskhoi
Autor

Jack Vance

Jack Vance (richtiger Name: John Holbrook Vance) wurde am 28. August 1916 in San Francisco geboren. Er war eines der fünf Kinder von Charles Albert und Edith (Hoefler) Vance. Vance wuchs in Kalifornien auf und besuchte dort die University of California in Berkeley, wo er Bergbau, Physik und Journalismus studierte. Während des 2. Weltkriegs befuhr er die See als Matrose der US-Handelsmarine. 1946 heiratete er Norma Ingold; 1961 wurde ihr Sohn John geboren. Er arbeitete in vielen Berufen und Aushilfsjobs, bevor er Ende der 1960er Jahre hauptberuflich Schriftsteller wurde. Seine erste Kurzgeschichte, »The World-Thinker« (»Der Welten-Denker«) erschien 1945. Sein erstes Buch, »The Dying Earth« (»Die sterbende Erde«), wurde 1950 veröffentlicht. Zu Vances Hobbys gehörten Reisen, Musik und Töpferei – Themen, die sich mehr oder weniger ausgeprägt in seinen Geschichten finden. Seine Autobiografie, »This Is Me, Jack Vance! (»Gestatten, Jack Vance!«), von 2009 war das letzte von ihm geschriebene Buch. Jack Vance starb am 26. Mai 2013 in Oakland.

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    Buchvorschau

    Die Roguskhoi - Jack Vance

    Jack Vance

    Die Roguskhoi

    Edition

    Andreas Irle

    Hunschlade 27

    51702 Bergneustadt

    2018

    Originaltitel: The Brave Free Men

    Copyright © 1972, 2005 by Jack Vance

    Originalausgabe: The Brave Free Men– Magazine of Fantasy & Science Fiction, 1972

    Deutsche Erstausgabe: Der Kampf um Durdane– Heyne: München, 1975

    Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Spatterlight Press

    Titelbild: Konstantin Korobov

    Karte: Christopher Wood

    Satz: Andreas Irle

    Übersetzung: Andreas Irle

    Lektorat: Thorsten Grube, Gunther Barnewald

    ISBN 978-1-61947-345-4

    V01 2018-03-16

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    spatterlight.de

    Management: John Vance, Koen Vyverman

    Das Buch

    Etzwane bestellte eine Schale geeisten Weins und Exemplare der örtlichen Zeitungen. Finnerack nahm ein Kelchglas Wein entgegen, zeigte allerdings keinerlei Interesse an den Nachrichten, die düster waren. Abschnitte abwechselnd in Schwarz, Braun und Senfgelb berichteten darüber, dass die Roguskhoi in den Kantonen Lor-Asphen, Bundoran und Surrume auf dem Vormarsch waren und sie den Kanton Shkoriy vollkommen unter Kontrolle hatten. Etzwane las:

    Die Politik des Anome, Frauen in die Küstenkantone zu evakuieren, war zweifellos richtig. Der Effekt davon ist allerdings, dass die Roguskhoi zu immer grausameren Verwüstungen gereizt und angeregt werden, um so ihre offenbar unstillbare Lust befriedigen zu können. Wo sollen diese schrecklichen Vorgänge enden? Falls der Anome mit seiner Macht die schrecklichen Horden nicht dahin zurückdrängen kann, woher sie gekommen sind, wird Shant in fünf Jahren von Roguskhoi wimmeln. Wohin wenden sie sich als nächstes? Nach Caraz? Davon ist auszugehen, denn die Palasedraner würden keine so furchtbare Waffe auf das Volk von Shant loslassen, ohne ein Mittel der Kontrolle über sie zu haben.

    Gastel Etzwane will etwas gegen die Bedrohung durch die Roguskhoi unternehmen. Doch wie geht er am geschicktesten vor? Woher kommen diese Unwesen? Ist das Übel mit der Wurzel auszurotten?

    Der Autor

    Jack Vance (richtiger Name: John Holbrook Vance) wurde am 28. August 1916 in San Francisco geboren. Er war eines der fünf Kinder von Charles Albert und Edith (Hoefler) Vance. Vance wuchs in Kalifornien auf und besuchte dort die University of California in Berkeley, wo er Bergbau, Physik und Journalismus studierte. Während des 2. Weltkriegs befuhr er die See als Matrose der US-Handelsmarine. 1946 heiratete er Norma Ingold; 1961 wurde ihr Sohn John geboren.

    Er arbeitete in vielen Berufen und Aushilfsjobs, bevor er Ende der 1960er Jahre hauptberuflich Schriftsteller wurde. Seine erste Kurzgeschichte, »The World-Thinker« (»Der Welten-Denker«) erschien 1945. Sein erstes Buch, »The Dying Earth« (»Die sterbende Erde«), wurde 1950 veröffentlicht.

    Zu Vances Hobbys gehörten Reisen, Musik und Töpferei – Themen, die sich mehr oder weniger ausgeprägt in seinen Geschichten finden. Seine Autobiografie, »This Is Me, Jack Vance! (»Gestatten, Jack Vance!«), von 2009 war das letzte von ihm geschriebene Buch. Jack Vance starb am 26. Mai 2013 in Oakland.

    Informationen über ihn und sein Werk finden Sie hier:

    www.editionandreasirle.de

    Kapitel I

    In einer Kammer hoch oben unter der Dachgaube von Fontenays Gasthaus regte sich Etzwane auf seiner Liegestatt. Er hatte nur wenig geschlafen. Kurz darauf stand er auf, ging zum Fenster und sah, dass die Sterne in der violetten Dämmerung blasser wurden. Die entfernten Hänge des Ushkadel wiesen nur das gelegentliche grüne Funkeln von Straßenlaternen auf. Die Paläste der Ästheten waren dunkel.

    In einem dieser Paläste, dachte Etzwane, schlief der Mann ohne Gesicht nicht besser als er selbst.

    Er wandte sich vom Fenster ab und ging zum Waschbecken. Ein Karbondampf-Spiegel reflektierte sein Abbild, ein Antlitz, das sowohl von der Düsternis der Morgendämmerung als auch von den schattenhaften Eigenschaften des Spiegels verfremdet wurde. Etzwane sah genauer hin. Diese unwirkliche, etwas bedrohliche Person mochte gut und gern tatsächlich er selbst sein: das sardonische Gesicht, die herabgezogenen Mundwinkel, die hohlen Wangen, blässliche Haut mit einem bleiernen Glanz, Augen wie dunkle Löcher, die von zwei glitzernden Reflexionen akzentuiert wurden. Er dachte: Hier steht Gastel Etzwane, erst chilitischer Reiner Junge, dann Rosa-Schwarz-Azurblau-Tiefgrüner, jetzt ein Mann von enormer Macht. Er sprach zu dem Abbild: »Heute ist ein Tag wichtiger Ereignisse. Gastel Etzwane darf nicht zulassen, dass er getötet wird.« Das Spiegelbild entgegnete nichts.

    Er zog sich an und ging hinaus auf die Straße. An einer Bude am Flussufer aß er Backfisch mit Brot und dachte über die Aussichten für den Tag nach.

    Im weitesten Sinne war seine Aufgabe einfach. Er musste zum Sershan-Palast gehen und Sajarano, den Anome von Shant, dazu zwingen zu tun, was er ihm sagte. Sollte dieser Einwand erheben, musste Etzwane lediglich einen Knopf drücken, um dessen Kopf explodieren zu lassen, denn nun trug jener einen Ring und er selbst nicht mehr. Eine Arbeit von schonungsloser und brutaler Schlichtheit – es sei denn Sajarano ahnte, dass er ein Einzelgänger war, dass er keine Verbündeten oder Mitstreiter hatte, in welchem Falle die Situation prekär werden würde.

    Als er mit dem Frühstück fertig war, gab es nichts mehr, was ihn zurückhielt. Er machte sich über die Galias Avenue auf den Weg. Sajarano, überlegte er, würde verzweifelt danach trachten, seiner unerträglichen Zwangslage zu entrinnen. Etzwane fragte sich: Wie würde er an seiner Stelle reagieren? Fliehen? Er blieb abrupt stehen. Das war eine Möglichkeit, die er nicht berücksichtigt hatte. Aus der Tasche zog er den Impulssender, einst Sajaranos grundlegendes Instrument zur Durchsetzung der Gesetze. Etzwane gab den Code von Sajaranos Reif ein. Der gelbe Knopf würde nun – falls notwendig – den Ring sprengen und dadurch dessen Kopf nehmen. Er drückte den roten »Such«-Knopf. Das Kästchen summte; das Geräusch veränderte sich je nach Richtung. Es war am lautesten, wenn es auf den Sershan-Palast gerichtet war. Etzwane ging weiter, nachdenklicher denn je. Sajarano war nicht geflohen. Er mochte sich eine aktivere Strategie zurechtgelegt haben.

    Die Galias Avenue mündete in die Marmioneplaza, wo ein Springbrunnen milchweißes Wasser über Kunstobjekte aus violettem Glas spielen ließ. Die Koronakhe-Treppe gegenüber, erbaut von König Caspar Pandamon, schwang sich die Terrassen des Ushkadel empor. Am Mittenweg verließ Etzwane die Treppe und ging ostwärts weiter um die Wölbung des Ushkadel herum. Der prismatische Palast Xhiallinen erhob sich vor ihm. Hier wohnte Jurjin, die »Mildtäterin« des Mannes ohne Gesicht. Eines von einem Dutzend Rätseln war dieses: Weshalb hatte Sajarano ein so auffällig schönes Mädchen als Gehilfin ausgewählt? … In diesem Fall mochte das Rätsel eher offensichtlicher Natur sein, spekulierte Etzwane. Der Anome konnte, wie jeder andere Mann auch, einem Anfall von Liebe erlegen sein. Jurjin von Xhiallinen hatte möglicherweise kühl gegenüber der Aufmerksamkeit Sajaranos reagiert, der weder ansehnlich, flott noch distinguiert war. Vielleicht hatte sie sich gewundert, als der Mann ohne Gesicht sie in seinen Dienst befohlen und sie angewiesen hatte, sich keine Liebhaber zu nehmen. Zu gegebener Zeit hätte er ihr vielleicht befohlen, freundlich zu Sajarano zu sein. So mutmaßte Etzwane … Er erreichte den Palast Sershan, der nicht mehr und nicht weniger prächtig war als alle anderen. Etzwane blieb stehen und überdachte die Situation. Die nächste halbe Stunde würde über das Schicksal von Shant entscheiden; jede Minute besaß mehr Gewicht als sämtliche Tage im Leben eines normalen Menschen. Er blickte an der Fassade des Sershan-Palastes entlang. Kristallsäulen, klarer und durchsichtiger als die Luft selbst, brachen die Strahlen der drei Sonnen. Die violetten und grünen Kuppeln dahinter beherbergten Gemächer, in denen sechzig Sershan-Generationen gewohnt hatten, Feste gefeiert hatten und gestorben waren.

    Etzwane stapfte vorwärts. Er durchquerte die Loggia und trat zum Portikus, wo er innehielt. Sechs Türen aus zweieinhalb Zentimeter dickem Glas, jede von ihnen viereinhalb Meter hoch, versperrten ihm den Weg. Innen waren keine Lichter oder Bewegungen auszumachen. Etzwane zögerte, unsicher wie er weiter vorgehen sollte. Er begann, sich töricht zu fühlen und, damit einhergehend, ärgerlich. Er klopfte gegen das Glas. Die bloßen Knöchel erzeugten nur leise Geräusche; er pochte mit der Faust dagegen. Er erkannte Regungen. Einen Augenblick später kam ein Mann um die Seite des Palasts herum. Es war Sajarano selbst. »Es sind zeremonielle Türen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Wir öffnen sie nur selten. Wollen Sie hierher mitkommen?«

    In bedrücktem Schweigen folgte Etzwane Sajarano zu einem Nebeneingang. Letzterer bedeutete ihm einzutreten. Etzwane blieb stehen und forschte in dessen Gesicht, worauf dieser mit einem schwachen Lächeln reagierte, als fände er die Vorsicht amüsant. Mit der Hand am gelben Knopf betrat Etzwane den Palast.

    »Ich habe Sie erwartet«, erklärte Sajarano. »Haben Sie schon gefrühstückt? Vielleicht möchten Sie eine Tasse Tee. Sollen wir hinaufgehen ins Boudoir?«

    Er ging voraus zu einem sonnenhellen Gemach mit einem Boden aus grünen und weißen Jadefliesen. Die Wand zur Linken war bedeckt mit dunkelgrünen Ranken, die zur Rechten bestand aus reinweißem Alabaster. Sajarano gab seinem Gast Zeichen, in einem Flechtstuhl neben einem Weidenkorbtisch Platz zu nehmen, dann holte er sich von einer Anrichte einige Happen zu essen und schenkte Tee in zwei Silberholzbecher ein.

    Etzwane setzte sich bedächtig hin. Sajarano nahm den Stuhl ihm gegenüber, mit dem Rücken zu den deckenhohen Fenstern. Etzwane studierte ihn mit düsterer Berechnung, und der Palastherr erwiderte abermals ein schwaches Lächeln. Körperlich war er kein imposanter Mann. Seine Gesichtszüge waren verkniffen. Unter einer breiten hohen Stirn wirkten Nase und Mund nahezu unausgereift. Das Kinn war klein. Der Anome der öffentlichen Vorstellung unterschied sich grundlegend von diesem milden, vernünftigen Mann.

    Sajarano nippte am Tee. Am besten war es, die Initiative zu ergreifen, dachte Etzwane. Er sprach mit bedächtiger, monotoner Stimme: »Wie ich zuvor bereits erwähnte, repräsentiere ich jenen Teil der Öffentlichkeit, der in Bezug auf die Roguskhoi ernsthaft besorgt ist. Wir glauben, dass es, wenn keine entschlossenen Maßnahmen ergriffen werden, in fünf Jahren kein Shant mehr geben wird – nur noch eine große Horde Roguskhoi. Als Anome ist es Ihre Pflicht, diese Kreaturen zu vernichten – das Volk von Shant vertraut auf Sie.«

    Sajarano nickte ohne Nachdruck und nahm einen Schluck Tee. Etzwane ließ seine Tasse unberührt. »Wie Sie wissen«, fuhr er fort, »haben diese Erwägungen meine Freunde und mich dazu gezwungen, große Anstrengungen auf uns zu nehmen.«

    Sajarano nickte erneut: ein nett-beruhigendes Nicken. »Diese Freunde – wer sind sie?«

    »Gewisse Personen, die von den Taten der Roguskhoi schockiert sind.«

    »Ich verstehe. Und Ihre Position: Sind Sie der Anführer?«

    »Ich?« Etzwane stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Keineswegs.«

    Sajarano runzelte die Stirn. »Gehe ich recht in der Annahme, dass die anderen Ihrer Gruppe mir persönlich bekannt sind?«

    »Das ist etwas, was wirklich keinen Einfluss auf die Angelegenheit hat«, beschied Etzwane.

    »Vielleicht nicht, nur dass ich gerne wüsste, mit wem ich es zu tun habe.«

    »Sie müssen mit niemandem zu tun haben; Sie müssen nur eine Armee ausheben und die Roguskhoi zurück nach Palasedra treiben.«

    »Bei Ihnen klingt es so einfach«, erwiderte Sajarano. »Noch eine Frage: Jurjin von Xhiallinen sprach von einem gewissen Ifness, der bemerkenswerte Fähigkeiten an den Tag gelegt hätte. Ich gebe zu, dieser Mann macht mich neugierig.«

    »Ifness ist in der Tat ein bemerkenswerter Mann«, stellte Etzwane fest. »Was die Roguskhoi angeht: Was schlagen Sie vor zu tun?«

    Sajarano aß ein Stück Obst. »Ich habe die Sache sorgfältig erwogen und bin zu einem Ergebnis gekommen. Der Anome ist, was er ist, nur, weil er das Leben aller Menschen von Shant beherrscht, er selbst ist jedoch von einer solchen Kontrolle ausgenommen. Das ist die Definition des Anome. Auf mich trifft sie nicht mehr zu; ich trage jetzt einen Reif. Ich kann keine Verantwortung für Taten oder politische Vorgänge übernehmen, die nicht die meinen sind. Kurz gesagt: Ich schlage vor, nichts zu tun.«

    »Überhaupt nichts? Was ist mit Ihren normalen Pflichten?«

    »Ich übertrage sie alle auf Sie und Ihre Gruppe. Sie haben die Macht – Sie müssen die Bürde tragen.« Sajarano lachte über Etzwanes bedrückte Miene. »Weshalb sollte ich in hysterische Anstrengungen verfallen, um eine Politik zu verfechten, deren Klugheit ich anzweifle? Was wäre das für ein Unsinn!«

    »Soll ich daraus entnehmen, dass Sie sich nicht mehr als Anome betrachten?«

    »Genauso ist es. Der Anome muss anonym arbeiten. Das kann ich nicht mehr länger. Sie, Jurjin von Xhiallinen und andere Ihrer Gruppe kennen meine Identität. Ich bin nicht mehr effektiv.«

    »Wer soll sonst Anome sein?«

    Sajarano zuckte mit den Schultern. »Sie, Ihr Freund Ifness, ein anderes Mitglied Ihrer Gruppe. Sie verfügen über die Macht, Sie müssen die Verantwortung übernehmen.«

    Etzwane legte die Stirn in Falten. Auf diese Möglichkeit war er nicht vorbereitet gewesen. Verstocktheit, Drohungen, Hohn, Zorn: ja. Träger Verzicht: nein. Es war zu leicht; Etzwane wurde wachsam. Sajaranos Subtilität überstieg seine eigene bei Weitem. Verhalten erkundigte er sich: »Sie werden mit uns zusammenarbeiten?«

    »Ich werde Ihren Anweisungen Folge leisten, gewiss.«

    »Nun gut. Erstens, es muss ein nationaler Notstand ausgerufen werden. Wir werden die Gefahr identifizieren, danach machen wir deutlich, dass eine Anstrengung in großem Ausmaß notwendig ist.«

    Sajarano gab einen höflichen Laut von sich. »So viel ist einfach. Wie auch immer, bedenken Sie, dass die Einwohnerschaft Shants über dreißig Millionen Seelen beträgt. So vielen Menschen zuzurufen, dass es eine Notlage gibt, ist eine ernste Angelegenheit.«

    »Stimmt! Das kann ich nicht abstreiten. Als Zweites müssen alle Frauen aus den an die Wildlande angrenzenden Gebieten evakuiert werden.«

    Sajarano bedachte ihn mit einem Blick höflicher Verblüffung. »Sie müssen evakuiert werden? Wohin?«

    »In die Küstenkantone.«

    Sajarano schürzte den kleinen Mund. »So einfach ist das nicht. Wo sollen sie wohnen? Werden ihre Kinder sie begleiten? Was ist mit Ihren Heimen, ihren gewöhnlichen Pflichten? Es wären zwanzig oder dreißig Kantone davon betroffen – eine große Anzahl von Frauen.«

    »Was genau der Grund ist, dass wir sie von dort forthaben wollen«, entgegnete Etzwane. »Eine solche Anzahl Frauen, von Roguskhoi geschwängert, würde eine riesige Horde Roguskhoi bedeuten!«

    Sajarano hob die Schultern. »Was ist mit den anderen Schwierigkeiten, die ich erwähnt habe? Sie sind real.«

    »Verwaltungstechnische Einzelheiten«, versetzte Etzwane.

    »Um die sich wer kümmert? Ich? Sie? Ihre Gruppe?« Sajaranos Ton war herablassend geworden. »Sie müssen praktisch denken.«

    Seine Strategie wurde klar, dachte Etzwane. Er will sich nicht widersetzen, aber auch nicht helfen, und wird alles daransetzen, Unentschlossenheit zu schüren.

    »Drittens«, sagte Etzwane, »muss der Anome mittels einer Durchführungsverordnung eine Nationalmiliz ins Leben rufen.«

    Etzwane wartete höflich auf Sajaranos Einwände. Dieser enttäuschte ihn nicht. »Ich hasse es, die Rolle des Nörglers, des Defätisten anzunehmen, nichtsdestotrotz muss ich darauf hinweisen, dass es eine Sache ist, Gebote zu erlassen, jedoch eine ganz andere, sie auch durchzusetzen. Ich bezweifle, dass Sie sich der ganzen Komplexität Shants bewusst sind. Es gibt zweiundsechzig Kantone, die nichts miteinander gemein haben als die Sprache.«

    »Ganz zu schweigen von Musik und Farbenlehre*. Nebenbei bemerkt, jeder Bürger von Shant, mit der scheinbaren Ausnahme von Ihnen selbst, hasst und fürchtet die Roguskhoi. Die Kantone sind verbundener als Sie denken.«

    * Ael’skian: genauer – die Symbolik der Farben und Farbkombinationen. In Shant ein äußerst bedeutender Aspekt des Lebens, welcher der Wahrnehmung eine weitere Dimension hinzufügt.

    Sajarano zuckte verärgert mit dem kleinen Finger. »Lassen Sie mich Ihnen die Schwierigkeiten vor Augen führen, vielleicht verstehen Sie dann, weshalb ich vor einem heillosen Durcheinander zurückgeschreckt bin. Zweiundsechzig unterschiedliche Milizen mit zweiundsechzig verschiedenen Lebensentwürfen zusammenzuschließen, ist ein gewaltiges Unterfangen. Ein erfahrener Stab ist dazu notwendig. Es gibt nur mich und meinen einzigen Mildtäter – ein Mädchen.«

    »Da Sie meine Vorschläge für ungeeignet halten«, meinte Etzwane, »welches wären denn Ihre Pläne?«

    »Meine Erfahrung ist«, befand Sajarano, »dass nicht jedes Problem einer Lösung bedarf. Viele augenscheinlich dringliche Zwangslagen verschwinden von selbst, wenn man sie ignoriert … Wollen Sie noch etwas Tee?«

    Etzwane, der noch gar nicht vom Tee getrunken hatte, lehnte ab.

    Sajarano lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Er sprach mit nachdenklicher Stimme: »Die Armee, welche Sie vorschlagen, ist aus einem weiteren Grund unpraktisch – möglicherweise dem triftigsten. Sie wäre müßig.«

    »Wie meinen Sie das?«

    »Es ist doch offensichtlich. Soll ein Problem gelöst werden, ist eine lästige Aufgabe zu erledigen, wird dies dem Mann ohne Gesicht übertragen. Wenn sich Leute über die Roguskhoi beschweren – haben Sie sie gehört? – wenden Sie sich stets an den Mann ohne Gesicht, dass er handeln möge. Als müsse der Anome lediglich einen Erlass herausgeben, um das Ärgernis abzuwenden! Seit zweitausend Jahren erhält er den Frieden aufrecht, aber es ist der Frieden eines Vaters über einen Haushalt von Kindern.«

    Etzwane schwieg eine Weile. Sajarano beobachtete ihn mit eigenartiger Intensität. Sein Blick fiel auf Etzwanes Teetasse. Ein träger Gedanke rührte sich in Etzwanes Kopf; er wies ihn allerdings zurück. Sajarano würde gewiss nicht versuchen, ihn zu vergiften.

    Er sagte: »Ihre Ansichten sind interessant, doch Sie sprechen sich nur für Passivität aus. Meine Gruppe beharrt darauf, dass entschiedene Schritte eingeleitet werden: Erstens – ein Ausruf des nationalen Notstands. Zweitens – die Frauen müssen aus den an das Hwan angrenzenden Regionen evakuiert werden. Drittens – jeder Kanton muss eine Miliz mobilisieren und ausbilden. Viertens – Sie müssen mich zu Ihrem Obersten Berater ernennen und mich mit sämtlicher Autorität ausstatten, über die Sie selbst auch verfügen. Wenn Sie jetzt mit Ihrem Frühstück fertig sind, werden wir diese Bekanntmachungen sofort herausgeben.«

    »Und falls ich mich weigere?«

    Etzwane holte das Metallgehäuse hervor. »Werde ich Ihnen den Kopf nehmen.«

    Sajarano knabberte an einer Waffel. »Ihre Argumente sind überzeugend.« Er trank einen Schluck Tee und deutete auf Etzwanes Tasse. »Haben Sie schon gekostet? Er wächst auf meiner eigenen Pflanzung.«

    Etzwane schob die Tasse über den Tisch. »Trinken Sie ihn.«

    Sajarano hob die Augenbrauen. »Ich habe eine eigene

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