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Nebel des Vergessens: Weltensymphonie
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Nebel des Vergessens: Weltensymphonie
eBook585 Seiten8 Stunden

Nebel des Vergessens: Weltensymphonie

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Über dieses E-Book

Anysa findet auf Bentra die Heimat, nach der sie auf Landory bisher vergeblich gesucht hatte. Ein weiteres Puzzelstück ihrer Vergangenheit kommt an seinen richtigen Platz und die Elbin erfährt mehr über ihre Familie. Doch die schöne und erholsame Zeit auf Bentra ist nur von kurzer Dauer.
Ihre Verfolger finden Anysa und zwingen ihr den Kampf auf. Als sie Verrat in den eigenen Reihen erfährt, erzwingt sie sich den Weg zurück nach Berlin. Sie ist wieder zuhause und versucht, unter allen Umständen zu bleiben. Doch ihre Magie ist gefährlich für Berlin. Bald schon erschüttern Erdbeben die Hauptstadt.
Wird Anysa auf der Erde bleiben, Landory also den Rücken kehren? Riskiert sie wirklich die Vernichtung beider Welten, wie es im Schicksalhaften Weltenbuch bereits festgeschrieben steht? Als die Lage aussichtslos erscheint, erfährt sie Hilfe – von völlig unerwarteter Seite.

Dieser Fantasyroman ist der 5. Band einer spektakulären Reihe, die Magie mit Literatur und Musik verbindet.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Feb. 2020
ISBN9783944879857
Nebel des Vergessens: Weltensymphonie

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    Buchvorschau

    Nebel des Vergessens - Lana Morgenstern

    Duo

    Syal

    Du wirst für mich töten und Leid über die bringen, die du liebst. Sie werden dich hassen, wie du es verdient hast.

    Im leichten Galopp ging es zwischen den großen Felsentürmen hindurch, bis sie das Gebirge hinter sich gelassen hatten. Iskander führte Anysa Richtung Osten. Er wollte mit ihr so weit weg von Mosera wie nur möglich. Es war nicht leicht, vor den Elben zu fliehen, aber Anysa hatte nichts verlernt und so konnten sie sich beide in den Schatten verbergen und ungesehen entkommen.

    Doch es stand nicht gut um seine Reisebegleiterin, die bedrohlich auf ihrem Pferd schwankte und deren Gesicht eine ungesunde Farbe hatte. Zuerst hatte Iskander gedacht, sie hätte sich eine Erkältung zugezogen oder sei einfach noch zu schwach für eine so anstrengende Reise. Andererseits war sie mit Veron viele Tage lang unterwegs gewesen und dabei war es ihr fantastisch gegangen.

    Anysa berührte den Syal, seufzte schwer und konzentrierte sich wieder auf den Weg. Seit ihrem Aufbruch hatte sie den Armreif immer wieder berührt, sodass Iskander mittlerweile vermutete, dass er für ihren schlechten Zustand verantwortlich war. Immerhin war er ein magisches Artefakt, das von Noreindos Magie getroffen worden war. Iskander hatte den Vorfall vor dem Haus des Bürgermeisters beobachtet. Hatte die elbische Magie vielleicht den Syal aktiviert, der jetzt Anysas Gesundheitszustand negativ beeinflusste?

    Als die Dämmerung heraufzog, suchte er einen geschützten Platz zum Lagern. Anysa fiel mehr von ihrem Pferd, als dass sie abstieg. Sie sank an Ort und Stelle nieder und legte sich hin. Iskander kam zu ihr und berührte ihre Stirn. Sie war sehr heiß und ihr Gesicht hatte jetzt eine graue Farbe angenommen. Kalter Schweiß perlte auf ihrer Stirn, ihre Augen waren glasig. Doch urplötzlich setzte sie sich gerade auf und begann, wild um sich zu schlagen.

    »Nein«, schrie sie, »ich werde sie Euch nicht geben!«

    »Anysa, so hör doch auf«, murmelte Iskander, der versuchte, sie zu bändigen. Dabei hatte er große Mühe, ihren Faustschlägen und Tritten auszuweichen.

    »Ich kann sie Euch nicht geben. Lasst mich frei«, schrie sie, während Tränen in ihren Augen quollen. Der Syal leuchtete auf und lag heiß an ihrem Handgelenk.

    Iskander suchte wohl zum tausendsten Mal nach dem Verschluss des Armreifs, den er aber auch diesmal nicht fand. Er zog sein Messer, mit dem er versuchte, den Armreif zu zerschneiden. Da Anysa sich aber immer noch wehrte, ritzte er ihr dabei in die Haut und ihr Blut tropfte zu Boden.

    Schließlich wusste er sich nicht anders zu helfen, schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht und das hatte endlich eine Reaktion zur Folge. Anysa sah ihn verständnislos an und hielt sich die brennende Wange.

    »Alles wieder okay?«, wollte Iskander wissen. Anysa nickte, schüttelte den Kopf und warf sich weinend an seine Brust.

    »Da war so ein riesiger Mann, der mich festgehalten hat«, schluchzte sie gedämpft. »Er wollte etwas von mir, doch ich wusste nicht, was es war. Ich hatte solche Angst.« Sie weinte hemmungslos, während er ihr beruhigend mit der Hand übers Haar strich.

    »Komm, wir bleiben hier und du schläfst etwas«, sagte er und half ihr, aufzustehen. Er schätzte ihren Vorsprung als groß genug ein, dass sie vor den Elben noch eine Weile sicher waren. Außerdem befanden sie sich in einer kleinen Senke zwischen drei Felsentürmen. Dieses Versteck sollte sie einige Zeit schützen.

    Schnell errichtete er ein kleines Lager und entfachte ein Feuer. Eigentlich war das keine gute Idee, denn durch den Rauch konnten sie schneller entdeckt werden. Doch Anysa hatte ihn angefleht, für ein Feuer zu sorgen, denn sie hatte im Dunklen noch mehr Angst als sonst.

    Nach ihrem kargen Mahl legten sie sich schlafen.

    Mitten in der Nacht schreckte Anysa wieder hoch und schlug wild um sich.

    »Lasst mich frei! Ich werde sie Euch nicht geben«, schrie sie wieder und Iskander versuchte vergeblich, ihre Hände auf den Boden zu drücken.

    Er versuchte es mit ihrem selbstgewählten Namen: »Maja, du bist in Sicherheit. Hier ist niemand, der dir etwas antun kann.«

    Plötzlich erschien aus dem Nichts eine Schnittwunde auf ihrem rechten Arm. Erschrocken wich er zurück. Wo kam dieser Schnitt so unvermittelt her? Anysas Fieber stieg mit der Zeit immer mehr und ihr Atem war sehr heiß.

    Gequält schrie Anysa auf, als auf ihrem Arm eine weitere Schnittwunde erschien.

    »Ich werde sie Euch nicht geben«, schluchzte sie. Ihr Blick war leer und in sich gekehrt.

    Iskander ohrfeigte sie, und für einen Moment klärte sich ihr Blick. Sie sah ihn entsetzt an, doch dann registrierte sie den Schmerz auf ihrem Arm.

    »Er kann mich verletzen«, sagte sie schockiert. »Iskander, hilf mir! Er kann mir wehtun.« Wieder schrie sie auf, als ein dritter Schnitt auf ihrem Arm erschien. Das Blut floss auf den Boden und bildete dort eine kleine Lache.

    »Was soll ich nur tun?«, überlegte er fieberhaft.

    Anysa versuchte, sich den glühenden Syal vom Handgelenk zu streifen. Er lag so heiß an ihrem Handgelenk, dass sie das Gefühl hatte, ihre Haut müsste in Flammen stehen. Sie spürte das Wirken des Armreifs deutlich in ihrem Kopf und wusste, dass Anaruba durch ihn einen Zugang zu ihrem Körper hatte. Sobald der Armreif grell aufleuchtete, war dieser Mann in ihrem Kopf und fügte ihr Schmerzen zu. Doch sie verstand die ganze Situation nicht. Warum griff er sie an? Was war dieser Armreif, dass eine Gestalt aus einem Albtraum sie dadurch real verletzen konnte? Panik ließ ihren Körper vibrieren. Jetzt leuchtete der Syal wieder grell auf, sodass die Felsentürme in sein weißes Licht getaucht wurden.

    »Er kann mir wehtun. Hilf mir!«, schrie Anysa. Iskander sah nur einen Ausweg.

    Er ballte seine Hand zur Faust und rammte sie ihr ins Gesicht. Anysa verlor sofort das Bewusstsein. Das grelle Licht um den Syal verschwand, als hätte jemand einen Lichtschalter betätigt. Die jähe Dunkelheit war erdrückend, obwohl das Lagerfeuer noch immer für etwas Beleuchtung sorgte. Doch es schien, als wäre es nur ein winziges Licht in der allumfassenden Schwärze.

    Mit angehaltenem Atem betrachtete Iskander den Syal. Ruhig und kühl lag er auf Anysas Haut. Keine neuen Verletzungen erschienen auf ihrer Haut. Also konnte der Angriff nur erfolgen, wenn die Elbin bei Bewusstsein war.

    Iskander fasste einen Entschluss. So gern er auch mit Anysa unterwegs gewesen wäre, jetzt ging es um ihr Leben und bei einem magischen Angriff konnte er ihr nicht helfen. Er stand auf, sattelte sein Pferd und folgte dem Weg zurück. Die Nacht war sternenklar und durch den Schein des Mondes konnte er genügend erkennen. Er wusste, dass hier Widerstandskämpfer unterwegs waren, die das Land sicherten. Vor ein paar Stunden erst war er ihnen aus dem Weg gegangen, doch jetzt suchte er nach ihnen.

    Er musste nicht lange suchen, bis er zwischen den Bäumen das Licht eines Lagerfeuers erspähte. Iskander steuerte darauf zu. Er verhielt sich nicht leise, damit sein Kommen rechtzeitig bemerkt werden konnte. Als er in Sichtweite des Lagers war, stieg er schnell ab und hob grüßend die Hand.

    »Wer seid Ihr und was wollt Ihr?«, wurde er gefragt. Im selben Moment wurde ihm eine Schwertspitze in den Rücken gedrückt.

    »Ich bin Iskander, und ich benötige dringend eure Hilfe«, sagte er und ging weiter auf das Lager zu. Am Feuer saßen vier Männer, die ihn neugierig musterten. »Ich reise mit einer jungen Frau, die sehr krank ist«, erklärte er, als der fünfte Mann seine Waffe herunternahm und sich zu seinen Freunden gesellte.

    »Wie können wir Euch dabei helfen?«, wurde er gefragt.

    »Ich kann sie nicht allein lassen. Deshalb muss einer von euch zu Veron reiten und ihm berichten, dass Maja hier ist. Am besten er kommt her und bringt Urert gleich mit.«

    »Gibt es einen Angriff, dass Ihr den Magier benötigt?«, wollte derselbe Mann wissen.

    »Maja geht es sehr schlecht. Ja, ein Magier ist von Nöten. Wenn Ihr Euch nicht beeilt, wird sie sterben. Sie ist eine gute Freundin von Veron. Ich bitte Euch, helft uns«, flehte Iskander, denn jedes seiner Worte entsprach der Wahrheit.

    Der Mann erkannte die Dringlichkeit in seinem Blick und nickte. Er schickte zwei seiner Männer los, um nach Veron und Urert zu suchen. Darauf folgte er Iskander und fand Anysa verletzt vor.

    »Was habt Ihr mit ihr gemacht?«, wollte er wissen. Als er ihre Stirn berührte, sog er erschrocken die Luft ein.

    »Das war ich nicht, aber erklären kann ich es auch nicht. Ich hoffe, dass der Magier bald hier ist«, sagte er, während er sich zu Anysa setzte.

    An der Stelle, wo seine Faust die Elbin getroffen hatte, bekam ihre Haut eine bläuliche Färbung, aber zum Glück waren keine weiteren Verletzungen dazugekommen. Jetzt, da sie nicht mehr allein waren, konnte er eine Idee umsetzen, die ihm vorhin in den Sinn gekommen war. Solange Anysa schlief, war sie sicher. Er musste sie in diesem Zustand halten, bis Urert eintraf. Deshalb ging er mit einer Fackel in die Nacht hinaus, um nach Kräutern zu suchen. Er wollte Anysa ein Schlafmittel zusammenmischen, denn auf Dauer würden ihr seine Faustschläge auch nicht bekommen. Indessen wachte der andere Mann über sie.

    Hämmernde Kopfschmerzen waren das Erste, was Anysa wahrnahm, als sie das Bewusstsein wiedererlangte. Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah einen fremden Mann an ihrer Seite sitzen. Erschrocken fuhr sie hoch, als Iskander in ihr Blickfeld kam.

    »Keine Sorge, Maja. Das ist Schero Leiron, ein Freund. Wie geht es dir?«, wollte er wissen. Er lächelte ihr aufmunternd zu.

    Anysa sah von Iskander zu Schero, dann führte sie ihre Hand an ihre linke Wange und zuckte vor dem Schmerz, den ihre Berührung auslöste, gleich wieder zurück. Ihr Blick fiel auf ihren Arm, um den ein Verband gewickelt war.

    »Was ist passiert?«, fragte sie alarmiert.

    »Du hast schlecht geträumt und wild um dich geschlagen. Dabei hast du dich etwas verletzt«, sagte Iskander. Dabei sah er ihr in die Augen. Anysa sah zu Schero, der die Geschichte mit einem Nicken bestätigte.

    »Weiß er von uns?«, flüsterte sie und rückte etwas von dem Mann weg.

    »Alles ist in Ordnung, Maja«, erklärte Iskander. »Komm, es wird Zeit für ein Frühstück, obwohl schon Mittag ist. Was ist los?«, fragte er alarmiert, als sie nach dem Syal griff.

    Der hatte anfänglich sanft an ihrem Handgelenk geleuchtet, doch jetzt wurde sein Leuchten greller und zugleich verschleierte sich Anysas Blick wieder. Während sie sich hektisch umsah, stand ihr die Panik deutlich ins Gesicht geschrieben. Mit einem Schrei stand sie auf. Iskander ergriff sie am Arm. Anysa riss sich los und begann erneut, wild um sich zu schlagen.

    »Ich gebe sie Euch nicht«, schrie sie und in der nächsten Sekunde erschien eine lange Schnittwunde in ihrem Gesicht. Wie von Geisterhand öffnete sich die Haut unterhalb ihres linken Auges und verlief über den blauen Fleck bis kurz vor ihren Mund.

    »Was ist das für eine Zauberei?«, schrie Schero, der erschrocken zurückwich. »Wer tut ihr das an?«

    »Haltet sie fest«, befahl Iskander. Der Mann versuchte, Anysas Hände zu packen. Dabei handelte er sich etliche Hiebe ein, schaffte es aber schließlich, sie zu Boden zu verwerfen.

    Schnell holte Iskander den Tee, den er letzte Nacht zusammengebraut hatte und eilte zu ihnen.

    »Haltet ihren Kopf fest«, forderte er. Schero befolgte seine Anweisung. Nur mit Mühe konnte er ihr das Mittel einflößen, doch etwa die Hälfte davon versickerte in ihrer Kleidung.

    »Ich gebe sie Euch nicht, selbst wenn Ihr mich tötet«, sagte Anysa leise. Das Beruhigungsmittel begann bereits zu wirken. Schließlich sackte sie in sich zusammen. Die Elbin schloss ihre Augen und schlief unter Tränen ein.

    »Ich hoffe, der Trunk hält sie so lange bewusstlos, bis der Magier hier ist«, sagte Iskander matt.

    Er holte ein sauberes Tuch und begann, ihre neue Wunde zu versorgen. Schero rückte noch etwas weiter weg von den Fremden, denn dieser Vorfall war ihm nicht geheuer.

    Nach ein paar Stunden erwachte Anysa. Erstaunt sah Iskander zu ihr, denn das Mittel hätte länger wirken sollen. Er sah sie fragend an, als er sie in eine sitzende Position aufrichtete.

    »Was passiert mit mir?«, wollte sie mit brüchiger Stimme wissen. »Ständig träume ich von einem Kerker. Da ist so ein großer Mann, der mir wehtut.« Bei diesen Worten hob sie die Hand und berührte ihre linke Wange. Erschrocken sah sie Iskander an. »Das ist kein Traum, nicht wahr?«, wollte sie wissen.

    »Irgendetwas geschieht mit dir, Maja. Ich kann dir aber nicht sagen, was es ist«, begann Iskander, als Schero ihn unterbrach.

    »Das hat etwas mit Eurem Armreif zu tun. Immer wenn er aufleuchtet, verhaltet Ihr Euch so und bekommt neue Verletzungen.«

    Verärgert sah Iskander ihn an. Er wollte etwas erwidern, als der Armreif erneut aufleuchtete.

    »Nein«, flehte Anysa leise. Tränen traten in ihre Augen. »Bitte mach, dass es aufhört.« Im nächsten Augenblick verschleierte sich ihr Blick und sie sah sich um, als würde sie ihre Umgebung nicht mehr erkennen.

    In diesem Moment hörte Iskander Schritte. Schnell stand er auf. Zwischen zwei Bäumen kam Veron hervor, an seiner Seite war Urert. Anysa begann zu schreien und versuchte, davonzurennen. Iskander ergriff sie an der Hüfte und rang sie zu Boden. Schero sprang hinzu, denn nur gemeinsam konnten sie die Elbin festhalten.

    Veron eilte herbei und schlug Iskander die Faust ins Gesicht. Der ließ augenblicklich von Anysa ab und nun konnte auch Schero sie nicht mehr halten. Sie riss sich los und rannte davon.

    »Maja, warte!«, rief Veron und setzte ihr nach.

    Iskander stand langsam auf und sah sich plötzlich einem bewaffneten Mann gegenüber. Cerol sah ihn grimmig an und bedeutete zweien seiner Männer, ihn festzuhalten.

    »Endlich haben wir Euch! Was hattet Ihr mit Maja vor?«

    »Sie schwebt in großer Gefahr. Der Syal bedroht sie. Holt sie zurück«, verlangte Iskander schnell.

    Als Andero an seine Seite kam, wandte er sich an Anysas Vater.

    »Ihr müsst ihr schnell ein starkes Schlafmittel einflößen, damit er keinen Zugriff mehr auf sie hat!«

    »Wovon redet Ihr da?«, wollte Cerol wissen. Andero achtete nicht weiter auf ihn, sondern folgte Veron und seiner Tochter.

    Wenig später fanden sie Anysa. Die Elbin lag auf dem Boden. Ihr rechtes Hosenbein war blutdurchtränkt und darunter kam eine tiefe Schnittwunde zum Vorschein.

    Veron kniete sich zu ihr hin und berührte sie. Daraufhin begann sie erneut zu schreien, und schlug um sich.

    »Maja, ich bin’s, Veron. Beruhige dich doch. Was ist denn passiert?«

    Anysa reagierte jedoch nicht auf ihn. Ihr Blick war verschleiert, nackte Panik stand in ihrem Gesicht geschrieben.

    »Wo bin ich hier? Lasst mich gehen«, forderte sie mit krächzender Stimme.

    Andero kam zu Veron und berührte Anysas Gesicht. In diesem Moment öffnete sich vor seinen Augen eine Schnittwunde an ihrer rechten Wange. Sie bäumte sich auf und verlor das Bewusstsein.

    Erschrocken starrte Andero seine Tochter an.

    »Was ist mit ihr passiert? Wer tut ihr das an?«, fragte er. Doch niemand vermochte, ihm seine Fragen zu beantworten.

    »Komm, lass sie uns zu Urert bringen«, sagte Veron. Andero nahm sie auf seine Arme und trug sie ins nahe Lager zurück.

    Iskander saß mittlerweile gefesselt am Boden. Cerol wartete auf sie. Nun kamen weitere Personen dazu. Gemeinsam mit Osero betrat Aris das Lager. Als Aris Iskander erblickte, ging er schnell zu ihm und rammte ihm seine Faust in den Magen.

    »Das ist dafür, dass du meine Schwester verraten hast«, sagte er drohend und hob wieder seine Faust, als Osero ihn zurückriss.

    »Was soll das? Er ist doch schon gefesselt. Was ist mit Anysa?« Er eilte schnell zur Elbin, die Andero gerade auf den Boden legte. »Weshalb blutet sie?«

    »Es ist der Syal«, sagte Iskander. »Er kann sie kontrollieren. Wenn er aufleuchtet, ist es, als wäre Anysa gar nicht da. Dann erscheinen wie von Geisterhand diese Wunden. Sie sagt, dass sie in einem Kerker wäre und ein großer Mann ihr das antun würde.«

    Urert sah ihn schockiert an und kniete sich zu Anysa. Er sah sich den Syal genauer an, konnte daran aber nichts Auffälliges entdecken.

    »Er wirkt nur, wenn sie wach ist. Deshalb habe ich ihr ein Schlafmittel gemischt, es wirkt aber nicht so lange, wie es sollte«, erklärte Iskander.

    Ein Stöhnen entrang sich Anysas Kehle, flatternd schlug sie die Augen auf. Als sie die vielen Männer um sich sah, wollte sie erschrocken zurückweichen, doch Andero hielt sie fest und lächelte sie an.

    »Anysa, es ist schön, dich wiederzusehen. Erkennst du mich?«, wollte er wissen. Anysa schüttelte den Kopf und sah an ihm vorbei.

    »Warum habt ihr Iskander gefesselt? Er hat euch nichts getan. Was wollt ihr alle von mir?« Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ständig verschwamm die Sicht vor ihren Augen.

    »Er kommt wieder«, sagte sie leise. »Ich kann sein Eindringen spüren.« Gleich darauf verschleierte sich ihr Blick und gleichzeitig leuchtete der Syal grell auf.

    Urert kam dazu und sandte augenblicklich seine magischen Fühler aus. Wieder stieß er auf die Barriere des Syals, doch dieses Mal konnte er sie nicht durchbrechen. Da war noch eine weitere Präsenz, die ihn aussperrte.

    »Da ist etwas, das nach ihrem Geist greift«, sagte er leise, während er weitersuchte.

    »Lasst mich gehen. Ich will hier raus!«, schrie Anysa und begann, mit den Fäusten um sich zu schlagen. Veron und Cerol konnten sie nur mit Mühe am Boden halten.

    Aris kam hinzu. Auch er lauschte in Anysa. Er kam zum selben Ergebnis wie Urert und sah den Magier an.

    »Vielleicht sollten wir gemeinsam versuchen, den Syal von ihrem Handgelenk zu lösen?«

    »Ist so etwas schon einmal passiert?«, fragte Urert. Veron schüttelte den Kopf.

    »Nein, bisher hat sich der Armreif sich unauffällig verhalten.«

    »Ihr geht es so schlecht, seit Noreindo sie mit seiner Magie angegriffen hat«, sagte Iskander.

    Urert überlegte eine Weile und hatte dann die Lösung des Rätsels.

    »Als Noreindo seine Magie auf Anysa gelegt hat, muss er den Syal getroffen haben. Dadurch wurde er aktiviert und gewährt ihrem Angreifer nun den Zugang zu ihr.«

    »Das ist eine ernste Anschuldigung«, erwiderte darauf eine Stimme. Alle sahen sich erschrocken um. »Entweder Ihr könnt sie beweisen oder Ihr sprecht solche Worte besser nicht aus«, sagte Noreindo, der das Lager gemeinsam mit Tanako betrat.

    »Erst seit Ihr Anysa mit Eurer Magie getroffen habt, geht es ihr so schlecht«, warf Iskander ein.

    Noreindo ging nicht auf seine Worte ein, sondern kniete sich zu Anysa.

    »Ihr müsst mich schon töten«, sagte sie in diesem Moment.

    Er lenkte seine Magie gleichzeitig auf den Syal und in ihren Kopf. Die Barriere war stark, aber er war stärker und konnte sie durchdringen. Plötzlich befanden sie sich alle nicht mehr auf Bentra. Sie sahen, was Anysa sah und sie erkannten, was ihr solche Angst bereitete. Dazu erklang Musik.¹ Ein Streichquartett war zu hören, die Töne wurden in die Länge gezogen, als wollten sie verhindern, dass die Zeit schnell davoneilte. Wie das Jammern einer gequälten Seele gaben die Kerkerwände die Musik leise flüsternd mit dem Versprechen auf Unheil wieder. Weitere Instrumente setzten ein. Für die Musik musste Anysa verantwortlich sein. In diesem Punkt war Noreindo sich absolut sicher, denn diese Art der Musik stammte nicht von Landory. Sie schien geradewegs vom Zerstörer persönlich komponiert worden zu sein. Er sah auf den Boden vor sich. Dort lag die Elbin mit zerschnittener Kleidung auf dem Rücken. Und sie war nicht allein.

    »Das ist der Kerker von Ciag«, sagte Osero schleppend. Diesen grauenvollen Ort würde er niemals wieder vergessen. Er sah sich hektisch um, denn die Angst kroch in seinen Körper und umklammerte mit ihren kalten Fängen sein Herz. Ob der Ort real war? Er konnte den modrigen Geruch der Zelle riechen, er spürte die klamme Kälte, die nicht nur nach seinem Körper, sondern auch nach seiner Seele griff. Hatte Noreindo alle nach Ciag gebracht? Ein Eisenring legte sich um seine Brust, sodass er kaum noch Luft bekam. Osero schloss die Augen und versuchte, sein rasendes Herz zu beruhigen. Dann sah er zu Anysa. Er musste sich auf sie konzentrieren.

    Anysas Körper hatte mehrere Schnittwunden. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie auf eine Person. Über ihr kniete ein Mann, den Osero ebenfalls sofort erkannte.

    »Anaruba«, flüsterte er tonlos.

    Der Herrscher Meridors hielt ein langes Messer in der Hand und lächelte Anysa an. Seine Stiefel waren bereits blutbespritzt und einige blutige Flecken zierten seinen Mantel. Das harte Gesicht lächelte die Elbin an, während er die Messerspitze auf ihren Bauch legte.

    »Gib sie mir!«, forderte er sie auf, doch Anysa schüttelte den Kopf. Nur mühsam konnte sie ein Schluchzen unterdrücken. Anaruba verstärkte den Druck auf sein Messer, dessen Spitze langsam in ihren Körper eindrang. Sie schrie gequält auf und versuchte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Sie schlug um sich, biss ihm in den Arm und schlug ihm die Faust hart ins Gesicht. Doch Anaruba lachte nur darüber und wischte ihre Abwehr mühelos beiseite.

    »Lasst sie sofort in Ruhe!«, schrie Andero, ging auf den Dämon zu und schlug nach ihm. Doch statt ihn zu treffen, ging sein Schlag glatt durch ihn hindurch. Durch den Schwung des Schlags wirbelte Andero um seine eigene Achse. Erneut versuchte er, seinen Schlag anzubringen, doch wieder mit demselben Ergebnis. »Was ist hier los?«

    »Er hat ihren Geist gefangen genommen. Wir sehen, was sie sieht, aber für uns ist es nicht echt. Für Anysa dafür umso mehr«, antwortete Noreindo. »Der Syal ist das Bindeglied. Wir müssen ihn von ihrem Handgelenk lösen, doch zuerst versetze ich sie in einen Schlaf.«

    Der Elbenmagier sandte beruhigende Magie in Anysas Körper und sah, wie die Elbin unter Anarubas Händen immer mehr verblasste.

    »Du kannst mir nicht entkommen«, rief der Dämon, dessen Lachen unheilvoll durch die Zelle hallte.

    Auch der Kerker verschwand schließlich und alle fanden sich in der grünen Natur wieder. Anysa schlief. Noreindos Blick fiel auf ihren Unterleib. Dort, wo Anarubas Messer sie berührt hatte, blutete sie etwas. Erneut sandte er seine Magie aus, um sie zu heilen, doch dieses Mal hinderte der Syal ihn daran.

    »Wir müssen ihre Wunden verbinden«, sagte er.

    Tanako ging an ihm vorbei, zog Anysas Hemd hoch und begann damit, die Wunde zu säubern und zu verbinden. Währenddessen überlegte der Elbenmagier fieberhaft, wie er den Syal loswerden könnte. Endlich hatte er eine Idee, doch dafür bedurfte es mehr als eines Magiers.

    »Aris, Osero und auch Ihr, Urert«, begann er, dabei sah er die Genannten nacheinander an. »Ihr alle müsst mir helfen, Anysas Leben zu retten. Nur wenn wir unsere Magien vereinigen, werden wir den Syal lösen können. Doch bedenkt eines: Es wird sehr gefährlich und jeder von uns riskiert damit sein Leben.«

    Die Männer nickten alle stumm und versammelten sich um ihn. Der Elbenmagier erörterte ihnen kurz die Vorgehensweise, danach stellten sie sich um Anysa herum auf. Jeder Einzelne rief seine Magie herbei und verteilte sie gleichzeitig auf den Syal und auf Anysa. Die schrie gepeinigt auf und war sofort hellwach.

    »Das hätte nicht passieren dürfen«, sagte Noreindo leise, konzentrierte sich aber weiter auf seine Arbeit.

    Anysa sah an den Magiern vorbei. Ihr Blick blieb auf Veron hängen.

    »Töte mich, ich bitte dich«, flehte sie leise. »Er wird nicht aufhören. Bitte, Veron, töte mich!«

    Veron sah zur Seite, denn er konnte ihren anklagenden Blick nicht ertragen. Die Natur um sie herum verschwand, und sie fanden sich im Kerker Ciags wieder. Anysa lag dort auf dem Boden, während Anaruba mit dem Messer in der Hand über ihr kniete, von dessen Spitze ihr Blut tropfte.

    »Gib sie mir und du bist frei«, forderte er, während ein dämonisches Lächeln auf seinem Gesicht erschien. »Du kannst mir nicht entkommen. Der Syal wurde aktiviert, deshalb ich weiß jetzt, dass du noch lebst. Gib sie mir!«

    »Nein, ich gebe Euch meine Magie nicht. Dafür müsst Ihr mich schon töten«, gab Anysa laut zurück.

    Anarubas Messer suchte sich ein neues Ziel und drang tief in ihren rechten Oberschenkel ein. Gepeinigt schrie die Elbin auf. Ihre Qual zerriss Andero fast das Herz.

    »Ich werde dich nicht töten. Du wirst leiden. Viele Jahre lang wirst du leiden. Jeden Tag werde ich kommen, um mir etwas von deinem Blut zu holen. Und ich werde dafür sorgen, dass du nicht stirbst.« Er unterstrich den Ernst seiner Worte, indem er das Messer noch tiefer in ihren Oberschenkel rammte. »Deine Schreie bleiben ungehört und irgendwann wirst du mich anbetteln, dass ich dich von deiner Magie befreie und dich endlich töte. Du wirst für mich töten und Leid über die bringen, die du liebst. Sie werden dich hassen, wie du es verdient hast.«

    »Meine Freunde werden kommen und mich befreien«, stieß Anysa zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Anaruba sah auf und begann, herzhaft zu lachen.

    »Ach, werden sie das? Nein, Elbenweib, du hast keine Freunde. Alle belügen und betrügen dich. Alle wollen nur deine Magie. Sie sehen nur eine Waffe in dir, doch die werde ich bekommen. Bald wirst du wieder in meiner Gewalt sein. Ich weiß, dass du lebst. Ich weiß, wo du bist, und ich habe meine Männer bereits losgeschickt, um dich zu holen.« Er senkte sein Gesicht dicht über Anysas. »Und dann werden wir beide unseren Spaß haben. Das ist ein Versprechen, denn niemand wird dir helfen können. Du bist allein, so allein.« Sein Lachen hallte von den Wänden wider. Anysa drohte, das Bewusstsein zu verlieren. »Nein«, sagte Anaruba, »du wirst wach bleiben und jeden Schmerz aus deiner schönen Kehle herausschreien.« Als der gesamte Kerker zu vibrieren begann, sah Anaruba sich erstaunt um. »Sie versuchen, den Syal loszuwerden«, murmelte er. Der Putz bröckelte von den Wänden und der Boden bekam große Risse. Anaruba packte Anysa am Kragen und zerrte sie auf die Beine.

    »Ich werde persönlich kommen, dich zu holen. Du gehörst mir und wirst mir nie entkommen. Weder im Leben noch im Tode.«

    Anysa sah ihm in die Augen, die rot glühten und direkt aus der Hölle entsprungen zu sein schienen. Er schlug ihr seine Faust ins Gesicht, wodurch ihre Unterlippe aufplatzte. Nun war ihr Trotz geweckt und sie nahm ihren gesamten Mut zusammen.

    »Daran seid Ihr schon einmal gescheitert und genau das wird Euch diesmal wieder passieren«, sagte sie mit ruhiger Stimme.

    Anaruba schlug ihr erneut ins Gesicht. Vor ihren Augen bildeten sich rote Schlieren.

    »Ihr seid als Versager auf diese Welt gekommen und als genau denselben Versager werde ich Euch wieder in die Hölle schicken. Das ist mein Versprechen!«

    Die Gesichtszüge des Dämons entglitten seiner Beherrschung. Voller Hass und Wut schleuderte er Anysa gegen die Zellenwand. Ihre Knochen brachen hörbar und ihre Haut riss an vielen Stellen auf. Mit stampfenden Schritten ging er zu ihr und zerrte sie wieder in die Höhe.

    »Für diese Respektlosigkeit werde ich dich leiden lassen«, schrie er und schleuderte sie auf den Fußboden.

    Doch bevor Anysas geschundener Körper dort aufschlug, fiel der Kerker vollständig in sich zusammen. Die Natur war wieder zu sehen. Schlagartig hörte die Musik auf. Die vier Magier fielen allesamt zu Boden und blieben reglos liegen. Mit einem leisen Klicken löste sich der Syal von Anysas Handgelenk. Sofort ergriff Andero das Schmuckstück. Er brachte es über hundert Meter weg und vergrub es tief im Boden. Anschließend ging er zu Anysa zurück.

    Veron sah sich ungläubig im Lager um. Vier Männer lagen bewusstlos auf dem Boden, die Elbin blutete aus mehreren Wunden und Iskander saß gefesselt an einem Baum.

    »Was machen wir jetzt?«, wollte Cerol wissen. Auch er sah sich ratlos um.

    »Wir warten, bis alle wieder aufwachen, und beratschlagen dann, was zu tun ist«, antwortete Andero.

    Veron war froh, dass sein Anführer wieder da war, und befolgte dessen Anweisung. Sie untersuchten, ob die Männer sich verletzt hatten, konnten aber nichts entdecken. Danach legten sie die Vier nebeneinander in bequemere Positionen. Zusammen mit Tanako versorgte Andero Anysas Wunden. Tomko und Tikros, die Noreindo begleitet hatten, sorgten indessen für die Sicherheit des Lagers.

    »Deine Tochter ist eine sehr starke Frau«, sagte Veron, während er die schlafende Anysa beobachtete. »Sie hat den mächtigsten Dämonen auf ganz Landory verspottet, obwohl sie ihm hilflos ausgeliefert war.« Anerkennend glitt sein Blick zu Anderos Tochter.

    Anysa sah aus, als wäre sie in eine Prügelei geraten. Ihr Gesicht schwoll bereits an, wo Anaruba sie geschlagen hatte. Andero streichelte sanft die Stirn seiner Tochter.

    »Ja, sie hat denselben unbeugsamen Willen wie ihre Mutter. Ich hoffe, dass sie sich an mich erinnert. Es wäre schlimm, sie aufs Neue zu verlieren, obwohl sie genau vor mir sitzt.«

    »Sie ist auch eine fantastische Sängerin«, lobte Veron. Andero sah ihn an.

    »Erzähl mir bitte alles, was seit ihrer Ankunft auf Bentra passiert ist. Wir sind ja jetzt unter uns«, bat er seinen Freund, der dieser Aufforderung gerne nachkam. Andero berichtete seinerseits, was ihm seit seinem Weggang widerfahren war. Er berichtete von seinem Sohn und wie überaus glücklich er war, seine Kinder nun endlich wieder bei sich zu wissen.

    1»Overture from The Hateful Eight« von Ennio Morricone.

    Geschwisterliebe

    Ich stehe zu meinem Versprechen, und wenn ich es mit einem Magier aufnehmen muss!

    Noreindo wachte als Erster der Magier wieder auf. Er sah sich um und sandte seine geistigen Fühler nach den anderen Magiern aus. Sie alle waren wohlauf und würden bald erwachen. Danach richtete er seine Aufmerksamkeit auf Anysa. Sein Blick fiel auf ihr Handgelenk.

    »Wir haben es also geschafft«, stellte er mit matter Stimme fest.

    Tanako reichte ihm einen Becher mit Wasser, aus dem er ein paar Schlucke nahm. Dann lauschte er in Anysa und heilte die gebrochenen Knochen in ihrem Körper. Die Schnittverletzungen heilte er nur zum Teil, damit sich ihr Körper von allein erholen konnte. Zu viel heilende Magie würde ihn nur schädigen und die Selbstheilungskräfte unterdrücken.

    »Wie geht es ihr?«, wollte Andero wissen. »Ist Anaruba noch in ihrem Geist?«

    Der Elbenmagier schüttelte den Kopf und lehnte sich gegen einen Baum.

    »Nein, ist er nicht. Als wir den Syal entfernt haben, verschwand auch die Bindung zu Anaruba. Wir sollten sie jetzt schnell zurück nach Mosera bringen.«

    »Sie wird in mein Haus gebracht«, sagte Veron streng. Noreindo sah ihn erstaunt an. Der Widerständler baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor dem Magier auf. »Ich denke, dass sie in einer bekannten Umgebung erwachen sollte. Wir wissen nicht, an wie viel sie sich erinnert. Immerhin ist sie vor Euch davongelaufen.«

    »Veron hat recht«, sagte Andero. »In seinem Haus ist sie genauso sicher wie in Mosera.«

    »Das denke ich nicht. Sie sollte in meiner Nähe …«, antwortete Noreindo, wurde aber von Andero unterbrochen.

    »Sie wird in Verons Haus gebracht. Anysa ist meine Tochter, und nur ich bestimme, was mit ihr geschieht. Darüber diskutiere ich nicht mit Euch.«

    Veron nahm die Arme herunter und legte seine Hand auf den Schwertknauf. Tomko kam dazu und tat es ihm gleich. Er behielt den Widerständler genau im Auge.

    »Wollt Ihr Euch etwa gegen mich stellen?«, fragte der Elbenmagier überrascht. »Mit einem Schwert?«

    Andero stand nun ebenfalls auf und legte Veron eine Hand auf den Schwertarm, dann sah er Noreindo durchdringend an.

    »Nein, das wollen wir nicht. Es ist vielmehr die Bitte, an den seelischen Zustand meiner Tochter zu denken. Ihr könnt Tomko und Tikros gern bei ihr lassen, wenn Euch das beruhigt.«

    Noreindo sah abwechselnd von Andero zu Veron und schließlich zu Tomko.

    »Also gut«, willigte er ein. Sofort nahm der Elbenkrieger seine Hand vom Schwertknauf. »Aber ich muss mit ihr reden. Davor könnt Ihr sie nicht beschützen.«

    Andero setzte sich wieder hin und hielt Anysas Hand. Ja, das wusste er. Seine Tochter musste alles erfahren und auf irgendeine Art ihr Gedächtnis zurückerlangen. Die schöne Zeit auf Bentra war für sie leider vorbei. Aber vielleicht konnte er ihr noch ein paar freie Tage oder sogar Wochen ermöglichen. Vielleicht stand das in seiner Macht. Als er Noreindo ansah, erschien auf seinem Gesicht ein versöhnlicherer Ausdruck.

    »Ich danke Euch, dass Ihr meine Tochter gerettet habt.«

    »Was für ein Traum«, murmelte Anysa, als sie die Augen aufschlug und an die Decke starrte.

    Es war noch mitten in der Nacht, als sie erwachte. Der Mond schien hell in ihr Zimmer und zeichnete harte Schatten auf den Boden. Sie nahm den Arm hoch und der Verband fiel ihr auf. Wo kam der denn her? Als sie sich aufsetzen wollte, stöhnte sie vor Schmerzen auf und hielt sich den Unterleib. Auch dort war ein straffer Verband um ihren Bauch.

    »Ich habe einfach kein Glück mit dieser Verletzung«, murmelte sie und sah erschrocken auf. Diesen Satz hatte sie schon einmal gesagt, und sie wusste, dass er stimmte. Schon mehrfach hatte sie eine Bauchverletzung gehabt, und nun war wieder eine da. Wer hatte ihr die zugefügt?

    Nur langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Sie war mit Kairon und Isabeau in Mosera unterwegs gewesen, als es vor der Villa des Bürgermeisters plötzlich einen Massenauflauf gegeben hatte. Was war da nur gewesen? Da waren so viele Pferde und auf dem Balkon standen …

    »Elben!«, entfuhr es ihr. Ja, sie hatte Elben gesehen. Sogar der Elbenkönig war dort auf dem Balkon gewesen. Was wollten die Elben hier? Wie waren sie auf die Bentra gekommen, wo diese Insel doch von den Soldaten abgeriegelt wurde?

    Ihr Armreif hatte sich bemerkbar gemacht. Automatisch sah Anysa auf ihr rechtes Handgelenk. Er war weg. Schnell sah sie auf ihren linken Arm, doch auch dort war er nicht. Sie war ihn endlich los! Erleichterung durchflutete sie, obwohl sie nicht sagen konnte, warum sie so glücklich darüber war. Am Handgelenk hatte sie kleine Schnittverletzungen, aber das war ihr egal. Endlich war sie diesen Armreif losgeworden! Doch wo hatte sie ihn verloren und wie war das überhaupt möglich? Die ganzen Monate über hatte er sich nicht abnehmen lassen, und jetzt hatte sie ihn im Schlaf verloren.

    Anysas Magen knurrte hörbar, und sie empfand großen Durst. Sie schlug die Bettdecke beiseite und sah erschrocken, dass auch ihr rechter Oberschenkel einen Verband trug. Als sie ihn bewegen wollte, rollten Wellen des Schmerzes durch das Bein. Sie musste mehrmals tief durchatmen. Als der Schmerz etwas abebbte, schwang sie vorsichtig die Beine vom Bett. Sehr langsam stand sie auf und versuchte, das verletzte Bein zu bewegen. Wenn sie die Zähne zusammenbiss, konnte sie einige Schritte laufen. Sie überlegte, ob es eine gute Idee war, aufzustehen. Doch da knurrte ihr Magen wieder und gab ihr die Antwort.

    »Also gut«, sagte sie und ging mit vorsichtigen Schritten zur Tür.

    Sie drückte die Klinke herunter und betrat den dahinterliegenden Raum. Das Zimmer war groß und lag im Halbdunkel. Sie glaubte für einen Sekundenbruchteil, dass sie vor dem Fenster eine Bewegung gesehen hatte, doch schon war sie wieder weg. Wahrscheinlich spielten ihre Nerven ihr einen Streich.

    Anysa wollte zur Küche gehen, als sie auf dem großen Tisch ein Tablett stehen sah, das mit einem Tuch abgedeckt war. Neugierig ging sie hin und zog das Tuch herunter. Ein Becher mit kaltem Tee, ein Stück Brot und Käse kamen zum Vorschein.

    »Ob das für mich ist?«, wunderte sie sich und nahm auf dem Stuhl Platz.

    Sie langte zu und vertilgte das gesamte Mitternachtsmahl. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie hungrig sie eigentlich war. Anschließend lehnte sie sich gegen die Stuhllehne und versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen.

    »Was ist passiert?«, murmelte sie.

    »Vielleicht kann ich dir da weiterhelfen«, antwortete ihr eine sanfte Stimme. Anysa schnellte herum und sogleich begann ihr Herz, wie wild zu schlagen.

    Doch als sie Isera erkannte, beruhigte sie sich. Die ältere Frau hatte ein Tuch um die Schultern gelegt und trug eine Nachthaube auf dem Kopf.

    »Ich grüße dich, Isera«, sagte Anysa lächelnd und wartete, bis die Frau sich zu ihr an den Tisch gesetzt hatte.

    »Es ist gut, dass du wach bist«, sagte Isera und strich ihr sanft über die Hand. »Wie ich sehe, hast du dein Essen gefunden.«

    »Ich danke dir dafür. Du kannst wohl hellsehen, nicht wahr?« Anysa stopfte sich noch die letzten Krümel in den Mund und sah sie wartend an. »Ich war bewusstlos. Die ganzen Verletzungen habe ich wahrscheinlich wieder mir selbst zu verdanken«, vermutete sie. Doch Isera schüttelte den Kopf.

    »Nein, mein Kind. Daran bist du nicht schuld. Woran kannst du dich noch erinnern?«, wollte sie leise wissen. Anysa überlegte angestrengt.

    »Ich war in Mosera, als ich den Elben begegnet bin. Aus irgendeinem Gefühl heraus wusste ich, dass diese Männer mich nicht sehen sollten. Aber ein Elb tat etwas …« Sie stockte und überlegte, wie sich das angefühlt hatte, was der Mann auf dem Balkon getan hatte. »Ich glaube, es war Magie. Es fühlte sich genauso unangenehm und doch vertraut an wie Urerts Magie. Und es tat genauso weh.« Anysa schwieg kurz und versuchte, die aufkommenden Schmerzen zu vertreiben. »Ich bin weggelaufen und plötzlich war Iskander da. Er half mir, aus der Stadt zu fliehen.«

    Sie sah Isera an und legte ihre Hand auf die der älteren Frau. »Die Elben haben mich verfolgt, darum bin ich nicht zurückgekommen. Ich hatte Angst, euch in meine Probleme hineinzuziehen und euch Schaden zuzufügen. Sonst wäre ich nicht gegangen, ohne mich zu verabschieden, Isera. Das musst du mir glauben.«

    Die Frau hob ihre Hand und strich sanft über Anysas Wange. Dabei verzog die Elbin vor Schmerz das Gesicht.

    »Was habe ich da?«, wollte sie wissen. Sie fuhr mit den Händen über ihre Wangen und ihre Lippen. Sie spürte, dass ihr Gesicht angeschwollen war und mindestens Kratzer oder sogar Schnittwunden aufwies. »Wie habe ich das denn geschafft?«

    »Maja, du warst nicht schuld daran. Kannst du dich noch weiter erinnern?« Isera nahm Anysas Hände und legte sie in ihre, um der Elbin Halt und das Gefühl von Geborgenheit zu geben.

    »Ja, ich bin mit Iskander geflohen, aber mir ging es nicht gut. Ich bekam Fieber und ständig war mir schwindelig. Irgendwann bin ich wohl zusammengebrochen und habe geträumt. Schließlich bin ich hier wieder aufgewacht.«

    »Von was hast du geträumt?«, wollte Isera wissen. Anysa sah sie eine Weile an und lächelte schließlich beschämt.

    »Ich habe wie ein kleines Kind von einem großen, bösen Mann geträumt. Er hat mir Schmerzen zugefügt und wollte meine Magie haben. Als ob ich Magie in mir hätte. Wahrscheinlich bin ich schon wahnsinnig.«

    »Das war kein Traum, mein Kind«, sagte Isera sanft und umklammerte dabei ihre Hände fester, als müsse sie Anysa festhalten. »Veron hat es mir erzählt. Der böse Mann konnte durch deinen Armreif in deinen Geist eindringen und hat dir die Verletzungen zugefügt. Aber du warst tapfer und hast ihm nicht gegeben, wonach es ihn verlangt hat.«

    Anysa zog ihre Hände weg und für einen Moment war in Iseras Augen Schmerz zu sehen.

    »Ich bin weder eine Magierin noch will ich etwas damit zu tun haben. Hast du eine andere Geschichte für mich?« Isera schüttelte traurig den Kopf.

    »Nein, Maja. Das ist die Wahrheit. Iskander hat Hilfe geholt, deshalb konnten Veron und Urert dich finden. Ihnen folgte auch der Elbenmagier. Vier Magier waren notwendig, um dich von dem Syal zu befreien.«

    »Der Syal?«

    »Ja, so heißt der Armreif. Er schneidet den Träger von seiner Magie ab. Es tut mir so leid.« Tränen traten in ihre Augen. »Die Elben sind da, um dir zu helfen. Sie kennen deine Vergangenheit und wissen, wer du bist. Morgen will der Elbenmagier mit dir reden.«

    »Aber ich will nicht mit ihm reden. Warum hat Iskander das getan?«, wollte Anysa aufgebracht wissen.

    »Er liebt dich über alles. Hätte er nicht so gehandelt, dann wärst du vielleicht schon tot.«

    »Ich war schon einmal tot, Isera«, sagte sie gedankenverloren. »Und es war schön dort, wo ich war. Doch dann wurde ich gerettet und musste wieder in die Welt der Lebenden. Vielleicht hätte er mich einfach sterben lassen sollen.«

    »Das solltest du nicht sagen. Es gibt Menschen, die dich lieben und über deinen Tod sehr traurig wären. Vergiss das nicht. Und nun geh schlafen, denn morgen wird ein anstrengender Tag.«

    »Was wollen die Elben von mir?«, wollte Anysa wissen, während sie gehorsam aufstand.

    »Das weiß ich nicht. Sie wollen nur mit dir reden. Hab keine Furcht, denn Veron und seine Männer werden dich beschützen. Du kannst dich auf sie verlassen.«

    Anysa nickte und ging langsam in ihr Zimmer zurück. Mittlerweile konnte sie etwas besser laufen und deshalb fasste sie einen Entschluss. Sie musste nachdenken und das konnte sie in der Enge ihres Zimmers nicht. Sie ging zum Fenster und öffnete den Flügel. Dann kletterte sie hinaus und schwang ihr gesundes Bein aufs Dach hinauf. Sie brauchte einige Anläufe, aber schließlich lag sie auf dem mit Stroh gedeckten Dach. Als das Stroh unangenehm durch ihr Nachthemd stach, dachte sie wehmütig an ihre Bettdecke, die sie hätte mitnehmen sollen. Doch noch einmal würde sie den Weg auf das Dach nicht schaffen. Also machte sie es sich so bequem wie möglich und sah empor zu den Sternen. Die laue Sommernacht war wunderschön, der Mond strahlte mit den Sternen um die Wette.

    Sie wollte nachdenken und versuchen, sich an noch etwas zu erinnern. Aber die Müdigkeit schlug über ihr zusammen und sie schlief ein, noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte.

    »Sie ist nicht da«, sagte Isera erschrocken, als sie aus Anysas Zimmer kam.

    Veron saß zusammen mit Kairon und Andero am Tisch. Sie hatten sich gerade unterhalten und verstummten sofort. Anysas Vater stand auf und ging in das Zimmer.

    »Sie ist wirklich nicht da«, stellte er fest. Er verließ das Haus und sah Tikros an. »Hat Anysa letzte Nacht das Haus verlassen?« Der Elbenkrieger sah Tomko an und beide schüttelten die Köpfe. »Nein, wir waren die ganze Nacht hier, aber sie kam nicht heraus.«

    Noreindo kam dazu und wurde sofort informiert, was der Grund für den Aufruhr war.

    »Sie ist verletzt und kann nicht weit sein«, sagte er. »Findet sie schnell.«

    Von dem Trubel wurde Anysa geweckt. Sie sah sich um und schaute über die Dachkante, als plötzlich jemand ihren Namen rief. Erschrocken drehte sie sich um, verlor dabei den Halt und stürzte vom Dach. Ein allgemeiner Aufschrei begleitete ihren Sturz, doch sie schlug nicht auf dem Boden auf. Tomko hatte sie gesehen und war mit wenigen Schritten bei ihr. Er fing sie sanft auf und sah sie lächelnd an.

    »Ich freue mich, Euch wiederzusehen«, sagte er. Anysa lächelte zurück.

    »Danke, mein Ritter in weißer Rüstung, dass Ihr einer holden Maid geholfen habt.« Er brachte sie ins Haus zurück, wo er sie auf einen Stuhl setzte.

    Noreindo folgte ihnen, an seiner Seite war Tanako. Tomko verließ gerade das Haus, als Anysas Blick auf den Elbenmagier fiel. Erschrocken sprang sie auf, knickte aber sofort wieder ein. Sogleich war Isera an ihrer Seite.

    »Er soll gehen«, schrie Anysa. »Er will mich töten.«

    »Das stimmt nicht, Anysa«, sagte Noreindo. »Wir müssen uns dringend unterhalten.« Doch Anysa kroch immer weiter von dem Elben weg. Sie sah flehentlich in Verons Richtung, der sich schützend vor sie stellte.

    »Ich heiße Maja, und ich kenne Euch nicht. Aber ich weiß, dass Ihr mich angegriffen habt. Geht!«

    Andero legte eine Hand auf Noreindos Arm.

    »Lasst mich mit ihr sprechen. Sie kann sowieso nirgendwo hin.« Andero sah Tanako an, der ihm zunickte.

    »Wir warten draußen«, sagte er und zog den Elbenmagier mit sich. Er warf noch einen Blick auf die ängstliche Anysa, verließ sodann aber gehorsam das Haus.

    »Oh je, das war knapp«, sagte sie und lehnte sich gegen die Wand. »Kann ich nicht endlich aus diesem Albtraum erwachen? Bekomme ich bitte ein Marmeladenbrötchen und einen Kaffee?«

    Sie versuchte, wieder aufzustehen, doch ihr Bein gab unter dem Gewicht nach. Mit einem Keuchen fiel sie auf den Boden

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