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Kinder des Lichts
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eBook283 Seiten3 Stunden

Kinder des Lichts

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Über dieses E-Book

Isiria, ein gutmütiges, junges Mädchen, lebt in einem Orden in einer mittelalterlichen Welt. Die Oberpriesterin Arkana hat um sich die wenigen Mädchen des Landes gescharrt, die eine übernatürliche Begabung besitzen. Friedlich leben die Frauen und Mädchen unentdeckt, bis durch Verrat die Herrscherin des Reiches den geheimen Aufenthaltsort des Ordens des Lichts erfährt. Aus Angst vor den unnatürlichen Fähigkeiten der Priesterinnen überfällt sie den Tempel. Isiria muss über sich hinauswachsen, wenn sie die tödliche Bedrohung durch die Krieger überleben will. Kann die Meisterschülerin und ihre Freundinnen mit ihren geheimnisvollen Kräften der Herrscherin und ihren gestählten Kriegern widerstehen?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Feb. 2017
ISBN9783961642434
Kinder des Lichts

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    Buchvorschau

    Kinder des Lichts - Martin Piotrowski

    ~

    ~ ERSTES BUCH ~

    ~ Kapitel 1 ~

    Isiria fragte sich, ob sie es diesmal schaffen würde.

    Wieder rannte das kleine Mädchen durch den dichten Wald. Äste und Zweige peitschten ihr in das Gesicht. Die Augen waren vor Angst weit geöffnet. Blickten hierhin und dahin. Das weißblonde, lange Haar wehte wie eine zerfledderte Flagge hinter ihr her. Ihr Herz wummerte in der kleinen Brust wie ein Hammer auf einen stählernen Amboss.

    Er war hinter ihr. Sie konnte spüren, wie der Abstand zwischen ihnen immer kleiner wurde. Sein Keuchen war laut und deutlich zu hören und ließ sie erschauern. Angstschweiß rann ihr aus allen Poren und wurde von dem dünnen Kleidchen aufgesogen. Ihre blauen Augen blickten um sich und gewahrten sein Gesicht im Schatten der Bäume. Wie ein Ungeheuer war es verzerrt. Die Lippen zu einem freudlosen Grinsen verzogen. Zähne blitzten im letzten Licht der tiefstehenden Sonne.

    »Bleib stehen und wehr dich!«, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.

    »Ich schaffe das nicht!«, schrie sie in Gedanken.

    »Du musst es tun. Du musst es, oder er wird dir wieder wehtun. Immer wieder!«

    Sie rannte weiter. Folgte barfuß einem schmalen Tierpfad, der sich zwischen den eng stehenden Bäumen hindurch schlängelte. Scharfkantige Steine schnitten in ihre Sohlen. Baumwurzeln schrammten ihre Haut an den Beinen auf. Sie flüchtete vor dem Grauen wie ein wundes Tier. Auf einer bemoosten Stelle rutschte sie aus. Im Fallen schlug ihre Hand auf einen Stein. Der Schmerz raste ins Hirn und sie schrie. Eilig stand sie auf und hastete weiter. Die blutende Hand pochte dumpf.

    Das Knurren, wie von einem hungrigen Wolf, wurde lauter und kam näher. Sie nahm die Hand in den Mund und sog das metallisch schmeckende Nass ein. Gehetzt blickte sie umher. Doch es gab nur diesen Pfad, der vorwärts führte. Isiria wusste es.

    Sie erreichte die kleine Lichtung, die von dichten Bäumen und mannshohen Steinen umgeben war. Ihre Flucht war wieder zu Ende. Sie drehte sich langsam um, während sie pfeifend Luft holte. Erschöpft blickte sie auf den Zugang zur Waldschneise. Der würzige Harzduft der Kiefern und Tannen drang ihr in die Lunge. Er machte das Atmen unerträglich. Und wieder stand sie in der Falle, aus der es kein Entkommen gab.

    Die Gestalt schob sich aus dem Unterholz. Seine langen behaarten Arme baumelten an den Seiten herunter. Er atmete heftig. Aus seinem Mund troff der Speichel in dünnen Fäden zu Boden. Langsam kam er auf sie zu. Der Waldboden vibrierte unter seinen schweren Schritten.

    »Er wird dir wehtun – immer wieder…«, flüsterte es in ihrem Kopf.

    »Es tut mir leid! Ich habe es nicht mit Absicht getan. Bitte… nicht…«.

    Isiria schlotterte vor Angst, als er über ihr aufragte. Sein mit Alkohol durchsetzter Atem blies ihr modrig ins Gesicht.

    »Du…Hexe!«, grollte er ihr entgegen.

    »Es war keine Absicht. Ich konnte nichts dafür. Bitte – es wird nie wieder passieren. Ich schwöre es – Onkel!«

    »Du wirst es nie wieder tun. Nie wieder wirst du deine Hexerei anwenden, nie wieder einen Menschen angreifen, nie wieder deine Tante verletzen!«

    Seine große flache Hand klatschte auf ihr verweintes Gesicht. Der Schlag ließ ihren Kopf herum rucken. Ihr wurde schwarz vor Augen und der Schmerz brannte sich von der Wange in ihre Seele. Wie von weit her, hörte sie die Stimme, die zu ihr drang: »Nie! Nie! Nie!«, und spürte die Hand, die wieder und wieder auf sie niederfuhr.

    ~ Kapitel 2 ~

    Isirias Schrei gellte über die Lichtung. Sie schlug die Augenlider auf. Ihr Alptraum war verblasst. Die Sonne brannte unbarmherzig auf die baumfreie Schneise, auf der sie lag. Stöhnend richtete sich die junge Frau auf. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Zunge leckte über die salzigen Lippen. Dann erhob sie sich zitternd. Ihr blaues Kleid war nass vor Schweiß. Das Zeichen einer Meisterschülerin klebte ekelig an ihrem schlanken Körper.

    In Gedanken schmerzten ihre Glieder immer noch. Unwillkürlich betrachtete sie ihre Hand und den Fußknöchel. Doch die körperlichen Wunden waren schon vor Jahren verheilt. Ihre seelischen Schmerzen hatten aber nie aufgehört. Sie schüttelte benommen den Kopf um ihre Gedanken zu ordnen.

    Am Morgen war sie vom Orden losgezogen, um ungestört im nahen Forst zu üben. Erschöpft war sie auf der kleinen Lichtung eingeschlafen. Und mit dem Schlaf kam er wieder: Der Alptraum, der sie seit der damaligen Begegnung mit ihrem Onkel verfolgte. Nach der Züchtigung hatte Isiria ihren Geist verschlossen. Die beginnenden Kräfte hatten sich hinter einen nebeligen Vorhang zurückgezogen. Bereit, jederzeit hervorzutreten. Doch Isirias geistige Sperre verhinderte, dass sie wieder von den unheimlichen Energien in Gegenwart von Menschen Gebrauch machen konnte. Sie waren fast versiegt.

    Ihr Onkel und ihre Tante, bei denen sie nach dem Tod der Eltern aufwuchs, beobachteten sie argwöhnisch. Doch nachdem sie eine lange Zeit keine weiteren Auffälligkeiten bei dem Kind gesehen hatten, ließen sie das Mädchen in Ruhe und gingen ihrem Tagewerk nach.

    Isiria spielte meistens für sich allein, da die wenigen Kinder aus der Nachbarschaft sie mieden. Sie war froh, dass die Mädchen und Jungen sie nicht weiter beachteten. Sie war eine Außenseiterin. Allein, mit sich und ihren Gedanken, ging sie in die nahen Wälder und probierte, ob dieses Kribbeln im Kopf wieder hochstieg. Und tatsächlich. Nach geraumer Zeit konnte sie erste Kieselsteine mit der Kraft ihrer Gedanken bewegen.

    Während sie eines Tages an einem Weg saß, der in das kleine Dorf führte, in dem sie lebte, konzentrierte sie sich auf einen runden Stein. Sie rollte den Kiesel über den Weg, bis er vor den Füßen einer Frau liegen blieb. Erschrocken blickte sie auf. Die Fremde hatte ein dunkles Kleid an, über der ein ebensolcher Umhang mit Kapuze lag. Ihre blonden Locken umrahmten ein freundliches Gesicht. Lächelnd hatte sie auf das kleine Mädchen herunter geschaut. Sie hielt ihr die Hand hin. »Komm mit mir. Ich habe lange nach dir gesucht«, hatte sie mit ruhiger Stimme gesprochen. Isiria war wie hypnotisiert aufgestanden und folgte der Fremden. Kein Blick zurück in das Dorf, in dem sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbrachte. Sie wusste, dass etwas Besonderes, etwas Außergewöhnliches passiert war.

    Nach einigen Tagen durch Wälder, über Hügel und an weiteren Dörfern vorbei, erreichten sie die Küste. Die Sucherin des Ordens brachte sie in die Nähe eines Fischerdorfes, Dun genannt. Kurz davor erklommen die Beiden einen steilen Pfad, der hoch in die Klippen führte. Nach dem beschwerlichen langen Aufstieg erhob sich am Ende der Klippe ein Bauwerk.

    »Wir haben unser Ziel erreicht«, sagte Tanira, ihre Begleiterin. Isiria schaute mit offenem Mund auf die weitläufige Tempelanlage. Gemeinsam schritten sie über den Pfad auf das schwere Tor zu. Dahinter befand sich der Orden des Lichts. Und Arkana, die Oberpriesterin. Unter Arkanas Leitung lernte das kleine Mädchen, wie es mit ihrer innewohnenden Kraft umgehen konnte. Isiria war in der Lage, die ihr gegebene Macht auf Gegenstände anzuwenden. Sie konnte nach Jahren diese Dinge durch die Luft bewegen. Niemand konnte genau erklären, woher diese Energien kamen. Doch die Mädchen, die in dem Tempel lebten, verfügten alle über diese oder ähnliche Gaben. Ihre Mentorinnen verlangten ihnen viel ab. Doch mit der Zeit wurden aus den kleinen Mädchen, junge Frauen. Und mit ihnen wuchs die Kraft, die in den hübschen Köpfchen steckte.

    Isiria seufzte, während sie die Lichtung betrachtete. Arkana hatte ihr Problem bald erkannt. Doch die weise Oberpriesterin lächelte nur. Sie wusste, dass sich diese Blockade bei einer bestimmten Gelegenheit von allein lösen wird. »Wenn die Zeit gekommen ist«, murmelte die alte Priesterin und betrachtete die Fortschritte ihrer Schülerin mit Wohlwollen.

    Die junge Priesterschülerin wollte den Nachmittag mit einer besonderen Kraftübung abschließen, bevor sie zum Orden zurückgehen musste. Sie sah einen Monolithen, der aufrecht aus der Erde hervor ragte. »Das ist eine gute Übung«, sagte die junge Frau zu sich und stellte sich breitbeinig hin. Später sollte Tanira, die Sucherin, mit neuen Mädchen erscheinen, die sie nach monatelanger Reise durch das Land gefunden hatte. So wie Isiria vor zehn Jahren. Die Schülerin lächelte. Das durfte sie auf keinen Fall verpassen. Abgesehen davon, dass die Oberpriesterin ärgerlich werden würde, wenn die zweite Meisterschülerin nicht anwesend war.

    Sie blickte den großen Findling an. Ihre schulterlangen Haare begannen zu zittern. Dann stiegen sie wie von Zauberhand in die Höhe. Ihr feuchtes Kleid klatschte gegen ihre Beine. Isiria fühlte sich, als ob sie in einem Gewittersturm stehen würde. Doch der Sturm, in dem sie stand, ging von ihrem Kopf aus. Kräfte aus ihrem Inneren zerrten an ihr und ihrer Kleidung. Unsichtbare Energien flossen auf den Steinriesen zu, der friedlich mit seinen Brüdern auf der Lichtung in seinem äonenlangen Schlaf ruhte.

    Isiria merkte, dass ein Pochen in ihren Schläfen einsetzte. Schweißtropfen wirbelten von der Stirn. Sie musste blinzeln, um den brennenden Schweiß aus den Augen zu zwingen. Den Findling fest im Blick, steigerte sie ihre Energie.

    Der Steinriese erhob sich zitternd aus seinem Bett und stieg sachte in die Höhe. Isiria jubelte innerlich, konzentrierte sich aber weiter auf den Koloss. Der tonnenschwere Monolith bewegte sich. Dann stieß die junge Frau ihn fort. Der Stein stürzte Meter entfernt donnernd auf den Waldboden. Der Energiefluss versiegte. Isira stützte erschöpft ihre Hände auf die Knie. Ein dumpfer Schmerz im Kopf zuckte ein paar Mal, ehe er verblasste. Sie richtete sich auf, holte tief Luft und lachte befreit auf. Unbewusst wischte sie einen Blutstropfen von der Nase. Dies war das erste Mal, dass sie einen Stein von dieser Größe bewegt hatte. Nach langen Jahren der Übung hatte es endlich funktioniert. Sie strich sich eine Haarlocke aus der Stirn, packte ihren Rucksack und machte sich gutgelaunt auf den Weg zum Orden.

    Die Sonne hatte den Mittag weit überschritten. Die junge Schülerin blickte in die goldene Scheibe am Firmament. »Oh, Solar, gute Göttin. Ich danke dir.« Sie eilte durch den Wald in Richtung Küste. Bald lichtete sich der dichte Forst und die Brandung der Wellen klang lieblich in Isirias Ohren. An einer Weggabelung folgte sie dem Pfad in die Klippen hinauf. Der andere Weg führte ins Küstendorf.

    Für Uneingeweihte war der Weg kaum zu finden. Für Nichtwissende war es gefährlich, diesem schmalen Pfad zu folgen. Plötzliche Spalten ließen Unachtsame in die Tiefe stürzen. Trat man auf loses Geröll, rutschte man hunderte Meter tief. Isiria begann mit dem gefährlichen Aufstieg.

    Die Sonne sank langsam in die westliche See. Möwen kreischten. Sie schwebten im Aufwind an der Küste entlang. Isiria kletterte geraume Zeit später über die letzten Hindernisse. Dann sah sie den Gebäudekomplex am Ende der Klippe aufragen. Je näher sie dem Orden kam, desto mulmiger wurde ihr. Sie freute sich auf die Begegnung mit den neuen Schülerinnen. Arkana hatte ihr versprochen, die Leitung der neuen Klasse zu übertragen. Doch Isiria war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde.

    Warum Arkana ihr die Klasse anvertrauen wollte, und nicht Sinaia, hatte Arkana nicht erklärt. Die erste Meisterschülerin war zwei Jahre älter als sie, und erfahrener. Und doch hatte die Oberpriesterin sich für das jüngere Mädchen entschieden. Isiria fürchtete, dass Sinaia ihr bei der Vorführung Ärger bereiten würde. Und dass vor den Augen der Novizinnen. Sie schluckte. Energisch schritt sie auf den Eingang des Ordens zu. Zum dritten Mal an diesem Tag fragte sich Isiria, ob sie es schaffen würde.

    ~ Kapitel 3 ~

    »Es gibt viele Möglichkeiten, einen Gegner unschädlich zu machen. Jemanden, der größer und stärker ist. Einen Krieger mit Schwert, einen Schützen mit Armbrust… Jeden, der euch allein durch seine körperliche Kraft niederringen kann.«

    Arkana, die alte Oberpriesterin, blickte in die Gesichter von sechs jungen Mädchen, die vor ihr auf dem Boden saßen und sie erwartungsvoll ansahen. Für ihr Alter von ungezählten Jahren war sie immer noch geistig stark, doch körperlich gingen ihre Kräfte dem unaufhaltsamen Ende entgegen. Sie strich sich eine graue Strähne aus dem Gesicht und lächelte.

    Die tiefstehende Abendsonne schien in den steinernen Vorhof der Tempelanlage. Die erwärmten Steine strahlten ihre Hitze ab. Die angenehme Wärme tat ihrem alten Körper gut. Sie rekelte sich behaglich auf ihren steinernen Sitz und freute sich, dass ihre Sucherin diese besonderen Mädchen »gefunden« hatte.

    »Ihr fragt euch, welche Macht in dieser Welt es fertig bringt, bewaffnete Krieger zu bezwingen. Die Eine oder Andere von euch hat bestimmt eine Ahnung. Hm, wer hat eine Idee?« Arkana blickte von den Mädchen kurz nach rechts, wo Sinaia, ihre erste Schülerin, stand. Die junge Frau schaute mit verschränkten Armen und verschlossenem Gesicht desinteressiert auf die Mädchen. Arkana seufzte leise und ließ ihren Blick nach links wandern. Isiria, ihre zweite Schülerin, stand nervös vor den kleinen Mädchen und betrachtete diese neugierig. Sie wird eine gute Lehrerin abgeben, sagte sich die Oberpriesterin und nickte. Arkana war sich bewusst, dass sie bald eine noch schwierigere Entscheidung treffen musste.

    Eine schmächtige Hand hob sich. Die Oberpriesterin richtete ihre Aufmerksamkeit wieder den Mädchen zu. Das kleine schmächtige Mädchen war die Einzige, die ihren Arm gehoben hatte. »Wie heißt du?«, fragte sie das blond gelockte Kind, während sie ihr freundlich zunickte.

    »Mein Name ist Mita«, antwortete es mit klarer, heller Stimme. Arkana hatte bei der Begrüßungszeremonie bemerkt, wie Mita an ihren Lippen hing. Das kleine Mädchen schien alles mit ihren großen Augen aufzusaugen. Arkana fühlte, dass dieser zarte, zerbrechliche Körper große Energien enthielt.

    »Ich glaube, dass wir Dinge tun können, wenn wir daran denken.«

    »So, glaubst du?« Arkanas Mundwinkel zuckten leicht. Ihr fiel es schwer, nicht vor Freude loszulachen. »Du hast Recht, Mita. Mit der Kraft eures Geistes könnt ihr Dinge tun, die normale Menschen nicht beherrschen.« Arkana strich sich über ihr schwarzes Kleid. »Doch woher kommt diese Kraft, die in euren Köpfen ruht? Wie könnt ihr sie gezielt einsetzen, ohne euch selbst oder andere zu verletzten oder zu töten? Ihr werdet diese Dinge erfahren. Und lernen, damit umzugehen. Sie zu beherrschen, kontrollieren und anzuwenden. Tanira, unsere Sucherin, hat euch bei ihren Reisen durch die westlichen Lande aufgespürt. Das ist eine besondere Gabe, die die eine oder andere von euch beherrschen wird. Sie hat euch hierher geführt, um euch zu schützen. Hier im Orden des Lichts seid ihr in Sicherheit. Da draußen, da würdet ihr früher oder später getötet. Wenn sich eure Kraft erst offenbart hat, werden die Menschen sich vor euch fürchten. Eure Eltern werden euch verstoßen, eure Geschwister werden Angst vor euch haben. Die Dorfbewohner werden euch jagen und der Herrscherin übergeben. Ich habe noch nie gehört, dass eine Priesterin am Hofe gesehen wurde – lebend!«

    Arkana holte Luft. »Ihr seid alle freiwillig hier. Tanira hat euch versprochen, unter Gleichgesinnten zu lernen, zu leben – zu überleben. Wenn eine von euch unseren Erfahrungen nicht glaubt, oder lieber zur Familie zurückkehren will – Tanira wird diejenigen von euch morgen zurückbringen.« Arkana beugte sich nach vorn und blickte jedem Mädchen kurz in die erschrockenen Augen. »Doch wenn ihr durch das Tor hinter mir schreitet, unterwerft ihr euch den Regeln des Ordens. Bis an euer Lebensende!« Sie blickte in die Runde. »Ihr habt alle eine Ahnung, was in euch steckt. Aber diese Kräfte zu beherrschen, bedeutet tagtäglich lernen und üben. Bis ihr soweit seid, wie Sinaia oder Isiria, werden Jahre vergehen.

    Arkana nickte der ersten Schülerin zu. Diese richtete ihren Blick von der Oberpriesterin auf einen Baumstamm, der gegen die Hofmauer gelehnt stand. Neben dem Stamm war ein Haufen mit Ästen und Zweigen wie zu einem Lagerfeuer aufgestapelt. »Um euch einen Einblick zu gewähren, was es heißt, die inneren Kräfte zu beherrschen, wird Sinaia das Holz entzünden.«

    Sinaia hatte auf diesen Augenblick gewartet. Das ganze Gerede der alten Priesterin hatte sie stoisch, wie jedes Mal über sich ergehen lassen. Nun konnte sie endlich ihre Macht zeigen. Die kleinen Gören werden sich vor Angst in ihre Hosen machen. Sollten sie ruhig zittern. Sie lächelte dünn. Dann hob sie theatralisch ihre Arme. Ihre Haare vibrierten, dann flatterten sie in die Höhe. Die Temperatur um sie herum stieg stetig an. Sinaia bemerkte mit Genugtuung, dass die Mädchen vor ihr zurückwichen. In ihrem Kopf zog sich die Energie zusammen. Die Kraft wollte gewaltsam aus ihr heraus. Doch Sinaia beherrschte sie mit ihrem Willen. Sie kanalisierte die Energie und fixierte den Baumstamm, nicht den jämmerlichen Holzhaufen. Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn. Liefen träge an ihren Schläfen herunter. Sinaia schrie auf, während die gebündelte Hitzeernergie den Stamm in einer Stichflamme auflodern ließ. Schwer atmend zog sie ihre Energie zurück, bis sie versiegte. Triumphierend stützte sie die Hände in die Hüften. Dann blickte sie in die Runde.

    Arkana schaute besorgt, Isiria und die Kinder erschreckt. Sinaia reckte ihr Kinn empor. Sie hatte hierfür lange geübt. Dies war das erste Mal, dass sie ihre Kraft in aller Stärke demonstrierte. Sie lächelte überlegen. Arkana hüstelte.

    »Wie ihr seht, hat Sinaia allein mit ihrer geistigen Kraft das Holz entzündet. Wer dies, wie die erste Schülerin beherrscht, kann eine mächtige Waffe sein Eigen nennen. Ihre Kraft ist so gefährlich, dass sie nie, niemals auf Menschen angewendet werden darf. Es sei denn, es dient der Verteidigung. Doch es gibt noch viele andere Kräfte. Die zweite Schülerin, Isiria, wird jetzt ihre Gabe demonstrieren.« Aufmunternd nickte die Oberpriesterin der nervösen Schülerin zu.

    Isiria ging zu Sinaia hinüber, die ihre Arme vor die Brust verschränkt hatte. »Na, willst du uns mit deiner kümmerlichen Kraft erschrecken?« Auflachend gab sie der zweiten Schülerin den Weg frei. »Pass auf, dass du nicht die Hälfte deiner Klasse erschlägst, wenn etwas herunterfällt!«

    Isiria schob sich an der größeren jungen Frau vorbei. Zitternd vor Wut blickte sie auf eine Steinkugel von etwa Kopfgröße, die vor dem brennenden Baumstamm lag. Seid Arkana entschieden hatte, dass sie die neue Klasse übernehmen sollte, war die erste Schülerin noch gehässiger zu ihr. Isiria seufzte. Es würde mit Sinaia zukünftig nicht leichter werden.

    Sie blickte kurz über die kleinen Mädchen. Sechs Augenpaare ruhten auf ihr. Isiria schluckte. Ihre Konzentration war so dünn, wie die Wolken am Abendhimmel. Nervös leckte sie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und wischte sich die schwitzigen Hände an ihrem frischen Kleid ab. Trotzig entschied sie sich um.

    Sie sammelte mit aller Anstrengung ihre Energie. War die Übung mit dem Monolithen vielleicht doch zu viel des Guten gewesen? Dann ließ sie die Kraft auf den brennenden

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