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The Vandraren Stories: Buch II - Geisterkrieger
The Vandraren Stories: Buch II - Geisterkrieger
The Vandraren Stories: Buch II - Geisterkrieger
eBook351 Seiten5 Stunden

The Vandraren Stories: Buch II - Geisterkrieger

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Über dieses E-Book

Taminas Welt steht Kopf: Sie versucht, ihr geheimes Leben als Geisterjägerin mit ihrem normalen Schulalltag in Einklang zu bringen und sich gleichzeitig über ihre Gefühle für ihren Geisterjägerpartner Arwan klarzuwerden. Genau in diesem Moment treten Jaropolk und Ke'Indra erneut auf den Plan. Doch was hat es mit diesen beiden gruseligen Gestalten auf sich, die es so gnadenlos auf Tamina abgesehen haben?

Und dann steht auch noch die gefürchtete Geisterkrieger-Prüfung an ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Sept. 2022
ISBN9783347527331
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    Buchvorschau

    The Vandraren Stories - Michelle Mittag

    Prolog

    Es ist dunkel, ich kann so gut wie nichts sehen. Ich spüre, dass ich auf dem Rücken liege und meine Arme schützend um meinen Körper geschlungen habe. Ich liege auf etwas Hartem, Kantigem. Um mich herum ist alles totenstill. Ich rieche den leichten Geruch von Tannennadeln und vermute, dass ich in einem Wald bin und mit dem Rücken auf einer Baumwurzel liege. Doch mein Blick ist verschwommen, mein Puls rast und mein ganzer Körper tut weh.

    Plötzlich höre ich zwei gackernd lachende Stimmen über mir. Mein ganzer Körper stöhnt vor Schmerz. Die beiden Stimmen scheinen sich an meinem Schmerz zu laben und ich will nur noch, dass sie weggehen. Ich strenge mich ein letztes Mal an und für den Bruchteil einer Sekunde wird mein Blick klar. Jaropolk und Ke’Indra stehen über mich gebeugt da und lachen. Jaropolk hält einen spitzen, langen Gegenstand in der Hand, doch ich kann nicht erkennen, was es ist. Mit einer letzten Kraftanstrengung versuche ich, nach dem Bogen neben mir zu greifen. Intuitiv weiß ich, dass er dort liegen muss. Doch ich schaffe es nicht, das schön gearbeitete Material mit den roten Einlagen zu erreichen.

    Mit einem Mal fühle ich einen brennenden Stich auf meinem rechten Unterarm.

    Ganz kurz, bevor meine Sinne schwinden, höre ich eine Stimme rufen: „Lasst sie in Ruhe!"

    Ich höre, wie Jaropolk und Ke’Indra wütend etwas erwidern, danach höre ich Kampflärm.

    Als es still wird, sehe ich, wie sich ein junger Mann vorsichtig über mich beugt. Seine schwarzen Haare, die ihm etwa bis zum Kinn reichen, fallen ihm ins Gesicht und seine schwarzen Augen blicken besorgt. Mein Körper bäumt sich vor Schmerz auf und die Welt versinkt in Dunkelheit.

    Eins

    Tamina

    „Kann mir mal bitte einer erklären, was hier los ist?" Meine Stimme klingt ein paar Oktaven höher als gewöhnlich, was wohl daran liegt, dass ich kurz vorm Durchdrehen bin.

    Da kommen wir gerade von unserer ersten erfolgreichen Mission als Geisterjäger wieder und plötzlich machen mein Geisterjägerpartner Arwan und meine Großmutter Ariana einen auf beste Freunde. Mein Kopf schießt zwischen den beiden hin und her.

    Ariana erholt sich als erste von ihrem Schreck und deutet dann auf die Gartenbank unter dem Apfelbaum. „Setzen wir uns doch."

    Mechanisch setzen sich meine Beine in Bewegung und kurz darauf sitzen wir zu dritt im Schatten des Baumes. Immer noch herrscht Schweigen.

    „Also?, frage ich entnervt. Meine Erschöpfung nach unserer Mission ist wie weggeblasen, stattdessen rast das Adrenalin durch meinen Körper. Mir kommt ein entsetzlicher Gedanke: „Du bist mein Großvater!, herrsche ich Arwan an.

    Der guckt mich an, als ob er ernsthaft um meinen Verstand fürchtet, doch für mich macht das alles auf einmal Sinn. Meine Großmutter hatte mir zwar immer erzählt, dass mein Großvater ein paar Jahre vor meiner Geburt gestorben sei, aber was wusste ich schon? Am Ende ist das gelogen gewesen. Deshalb hat Arwan mich so aufopfernd beschützt! Ich spüre, wie mir flau im Magen wird.

    Kurz bevor ich hyperventilieren kann, höre ich wie unter Wasser die Stimme meiner Oma. Lacht sie etwa?

    „Nein, meine Liebe, das ist er ganz bestimmt nicht. Ihr seid weder verwandt noch verschwägert!", sagt sie nun.

    Mein Blick klärt sich wieder etwas. „Nicht?", frage ich matt.

    Das Lächeln auf Arianas Gesicht erstirbt. Ich traue mich nicht, Arwan anzuschauen, aber auch so spüre ich seine Anspannung nur zu deutlich. Ariana setzt an zu erzählen.

    „Ich war ein junges Mädchen, etwa sechs Jahre alt, begann sie. „Ich lebte mit meinen Eltern und meinen beiden älteren Geschwistern in Dresden. Bis zum vierzehnten Februar 1945. Die Stadt wurde bereits seit dem Vortag von den Alliierten bombardiert, doch wir waren geblieben. Ich weiß nicht, wieso. Es war schrecklich und ich weiß noch, dass ich furchtbare Angst hatte. Als in der Nähe eine Bombe detonierte, wurden meine Eltern und Geschwister durch herumfliegende Trümmerteile getötet. Ich habe in dem Moment nichts abbekommen, da ich genau zu der Zeit im anderen Teil unserer Wohnung war. Als ich zurückkam, lagen sie tot vor mir auf dem Boden.

    Arianas Stimme brach und erneut sammelten sich Tränen in ihren Augen. Ich wollte sie trösten, sie in den Arm nehmen, doch sie erzählte bereits weiter. „Ich schrie laut auf, als ich sie da vor mir liegen sah – bei dieser Erinnerung lief eine einsame Träne ihre Wange hinab – „und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich bei ihnen stand. Um mich herum tobte der Krieg weiter und bald bemerkte ich beißenden Rauch.

    Sie zitterte nun am ganzen Körper und war unfähig, weiterzusprechen.

    Plötzlich setzte Arwan neben mir mit Grabesstimme an zu sprechen: „Tatsächlich war es wohl gar nicht sehr lange, Ariana. Sadwyn und ich waren als britische Soldaten ebenfalls in den Krieg involviert. Unsere Anwesenheit in Dresden zu erklären, würde jetzt zu lange dauern. Wir standen gerade in der Nähe, als wir sie schreien hörten. Arwan nickte leicht meiner Großmutter zu. Dann sprach er weiter: „Wir sahen nach und fanden Ariana. Uns war sofort klar, dass wir sie retten mussten. Doch das wäre uns beinahe nicht gelungen …

    Seine Stimme verlor sich. Dann schüttelte er den Kopf und zwang sich, weiterzusprechen: „Uns stellte sich jemand in den Weg und drohte, Ariana zu töten."

    „Du musstest etwas unternehmen, sonst wären wir nicht entkommen!", rief Ariana. War es möglich, dass sie gerade meinen Geisterjägerpartner, den sonst so unverwüstlichen Arwan, tröstete?

    Der schien nun bemüht, seine Geschichte zu Ende zu bringen. „Wie dem auch sei, schloss er, „wir schafften es, zu entkommen und brachten Ariana hierher, zu ihrem Onkel und ihrer Tante.

    „Und seitdem habt ihr euch nicht wiedergesehen?", fragte ich mit matter Stimme.

    Ariana schüttelte den Kopf. „Nein. Das Letzte, was ich von den beiden sah, waren zwei Raben, die sich majestätisch in die Lüfte erhoben und davonflogen."

    Sie deutete auf unser Gartentor und erklärte: „Ich habe meinen Onkel so lange bekniet, bis er das Motiv mit den zwei Raben in die Gartenpforte eingearbeitet hat. Es sollte mich immer daran erinnern, wie ich hergekommen war. Außerdem wollte ich euch die Möglichkeit geben, zurückzukommen …"

    Das Letzte hatte sie an Arwan gewandt gesagt. „Es sorgte natürlich für Verwirrung, als ich plötzlich allein in der Tür stand, ohne meine restliche Familie, fuhr Ariana nun fort. „Meine Tante und mein Onkel ahnten wohl, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Wir einigten uns darauf, so zu tun, als hätten meine Eltern mich rechtzeitig hierher geschickt und so in Sicherheit gebracht. Und fortan wuchs ich bei ihnen auf. Wenn man es so betrachtet, wäre ich wohl ohne Sadwyns und Arwans Hilfe damals im Krieg gestorben. Und du wärst niemals geboren worden, sagte sie an mich gewandt.

    Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Also verdankte ich Arwan wohl zum wiederholten Male mein Leben. Ich wusste nicht, was ich von diesen Enthüllungen halten sollte… Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich Arwan gut kennen würde, doch nach dieser Eröffnung jetzt fühlte ich Unsicherheit in mir aufwallen.

    „Was ist aus Sadwyn geworden?", fragte Ariana leise.

    Arwan antwortete: „Dem geht’s gut. Nach dem Krieg sind wir beide nach Wales zurückgekehrt, von wo wir ursprünglich stammen. Wynn ist noch immer dort."

    Ariana nickte bedächtig. Dann sagte sie langsam: „Seit ich gesehen habe, dass Tamina dein Band trägt, ahnte ich, dass wir uns früher oder später wieder begegnen würden. Ich bin froh, dass ich das noch miterleben durfte. Doch ich mache mir auch Sorgen; sei mir nicht böse, Arwan, aber als du damals aufgetaucht bist – obwohl du mich ja gerettet hast – war das nicht gerade ein gutes Omen. Sag mir, ich will auch keine Einzelheiten wissen, aber sag mir doch: Ist Tamina in Gefahr?"

    Für einen Moment breitete sich Schweigen aus. Ich wollte schon etwas einwenden; meiner Oma sagen, dass sie verrückt war. Arwan hatte mich so oft gerettet und nun hatten wir doch gerade unsere größte Prüfung bestanden! Wir hatten unsere erste Geisterjägermission erfolgreich absolviert.

    Bevor ich ein Wort davon aussprechen konnte, ließen Arwans Worte meine Welt erzittern: „Ariana, ich möchte dich nicht anlügen. Es tut mir so unendlich leid, aber Tamina ist in Gefahr. In großer Gefahr. Sie wird von zwei sehr talentierten und sehr gefährlichen Menschen gejagt."

    Ich starrte ihn an, Wut brandete in mir auf. „Ach ja? Und wann hattest du vor, mir das zu sagen?", fauchte ich.

    Arwan sah mich an, sein Blick hoffnungslos und traurig. „Am liebsten gar nicht, gestand er dann. „Wir wollten, dass du wenigstens ein halbwegs sorgenfreies Leben würdest führen können. Aber Wynn und ich … wir können sie einfach nicht finden… Seine Stimme verlor sich.

    „Werdet ihr versuchen, Tamina zu beschützen?", fragte Ariana weiter.

    „Wenn sie das noch wünscht, ja", sagte Arwan leise.

    Von drinnen wehten Stimmen zu uns heraus: „Ariana, der Kuchen ist fertig! Ist Tamina eigentlich draußen bei dir? Dann kannst du sie gleich mitbringen!"

    Arwan stand auf. „Ich gehe jetzt. Tamina, es tut mir leid, dass ich dir nicht schon vorher reinen Wein eingeschenkt habe. Ich kann mir vorstellen, dass du jetzt Zeit zum Nachdenken brauchst. Falls du mit mir reden willst, ruf mich an."

    An Ariana gewandt fuhr er fort: „Es freut mich, dass es dir gut geht und wir uns wiedergesehen haben. Alles Gute, Ariana." Mit diesen Worten war er verschwunden.

    Kaum, dass er weg war, verabschiedete sich auch meine Selbstbeherrschung und ich begann, Rotz und Wasser zu heulen.

    Meine Oma tröstete mich: „Bitte, mein Herz, sei ihm nicht böse, sagte sie sanft. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Er hat bestimmt nur getan, was er für das Beste hielt. Ich schätze, er wollte dich nur auf seine eigene Weise beschützen. Und was unsere Verwandtschaft angeht: Wusste er zuvor eigentlich überhaupt, dass ich deine Großmutter bin?

    Damit gab sie mir zu denken. Hatte ich ihm jemals von meiner Oma erzählt? Ich wusste es nicht. Sie streichelte meine Haare, während ich noch immer schniefte. Wenn ich ganz ehrlich war, dann war ich vor allem deshalb traurig, weil ich angenommen hatte, Arwan hätte mir alles aus seinem Leben erzählt, so wie ich ihm. Ich hatte gedacht, dass er mir vollständig vertrauen würde und diese Annahme wurde nun arg in Zweifel gezogen. Er hatte gesagt, dass Wynn und er versucht hatten, meine Verfolger zu finden. Bei diesen tippte ich mal auf Ke’Indra und Jaropolk. Außer irgendjemand anders hatte es jetzt noch zusätzlich auf mich abgesehen, aber das hielt ich eher für unwahrscheinlich. War ich denn in so großer Gefahr? Was verheimlichten Sadwyn und Arwan mir noch alles? Langsam gingen mir die Tränen aus und als wir von drinnen erneut gerufen wurden, standen wir langsam auf und gingen hinein. Mich mit meiner Familie zusammenzusetzen und so zu tun, als sei die Welt in Ordnung, war so ziemlich das Letzte, was ich jetzt wollte.

    Meine Oma schien mir das anzusehen, denn sie flüsterte: „Geh und ruh dich aus. Ich kläre das!"

    Mit einer Umarmung verabschiedete ich mich von ihr und tappte in mein Zimmer. Von unten hörte ich sie gerade noch erklären, dass ich einfach zu müde gewesen sei und mich deshalb etwas hingelegt hätte. Danach zog ich leise meine Zimmertür zu. Ich legte mich aufs Bett. Schon rannen mir neue Tränen über die Wangen. Ich stellte mir immer wieder dieselben Fragen und ahnte, dass ich die Antworten dazu nur von zwei Menschen auf der Welt würde bekommen können. Eigentlich hatte ich halb und halb erwartet, Arwan hier in meinem Zimmer anzutreffen, doch dem war nicht so. Da ich im Moment weder ihn noch Sadwyn sehen wollte, litt ich still weiter und die Tränen liefen langsam meine Wangen hinunter.

    Seit Arwan weg war, fühlte ich einen tiefen Schmerz in meinem Inneren, so wie damals, als diese mysteriöse Verbindung zwischen uns entstanden war. Welchen Wert hatte sie jetzt eigentlich noch? Ob Arwan dieses Gefühl wohl ebenso spürte? Nach einer Weile wurde ich müde. Kurz bevor ich einschlief, sah ich noch einmal meinen Geisterjägerpartner vor mir. Er hatte so traurig ausgesehen, als er gegangen war. Ich vermisste ihn unglaublich sehr, doch andererseits wollte ich ihn echt nicht sehen. Wie sollte es jetzt nur zwischen uns weitergehen?

    Ich versteckte mich den ganzen restlichen Tag und auch die komplette Nacht in meinem Zimmer. Das Abendessen verschlief ich großzügig. Da hatte sich dann wohl doch die Erschöpfung nach unserer Mission Bahn gebrochen.

    Am nächsten Morgen bugsierte meine Mutter mich wider meinen Willen an den Esstisch. „Du musst was frühstücken!", sagte sie bestimmt und stellte mir einen Teller mit einem Brötchen hin.

    Wie in Trance bestrich ich es und kaute. Ich schmeckte rein gar nichts. Noch immer spürte ich einen Nachhall des gestrigen Schmerzes in mir und so konnte ich nicht mehr an Selbstbeherrschung aufbringen, als teilnahmslos in die Ferne zu stieren.

    Meine Mutter verstand die Welt nicht mehr: „Jetzt stell dich doch nicht so an, Tamina! Ist das nur, weil Marie im Urlaub ist?"

    Sie hatte ja keine Ahnung … Ich hatte in der vergangenen Nacht wieder unglaublich schlecht geschlafen – was wohl zum Teil auch daran liegen mochte, dass ich am Tag zuvor so lange geruht hatte. Außerdem hatte ich einen grauenerregenden Alptraum gehabt. Natürlich hatte dieser Traum davon gehandelt, wie Sadwyn und Arwan meine Großmutter aus Dresden gerettet und hierher gebracht hatten. Es war so, als hätte ich die Geschehnisse aus Arwans Sicht noch einmal nacherlebt. Arwan sah sich selbst nicht als Krieger, wie ich nun langsam zu begreifen begann, sondern als Heiler, der die Dinge rettete und nicht zerstörte. Nachdem ich das alles aus meinem beängstigenden Alptraum erfahren hatte, fragte ich mich noch einmal mehr, warum ausgerechnet er sich bereit erklärt hatte, den Geisterjägern beizutreten …

    Zwei

    Arwan

    Jede Faser meines Körpers hatte sich davor gesträubt zu gehen. Sie so zu verlassen. Doch ich hatte in Taminas Augen gesehen, dass sie ihre Ruhe wollte und brauchte. Es war genau der Fall eingetreten, den ich immer gefürchtet hatte: Sie stellte mein Vertrauen in sie infrage. Ich hatte ehrlich nicht gewusst, dass Ariana ihre Großmutter war, obwohl nun bei genauerem Hinsehen einige Ähnlichkeiten deutlich wurden. Doch die Tatsache, dass sie in Gefahr schwebte, hatte ich ihr zwar angedeutet, aber nie so offenkundig erklärt. Und genau dafür zweifelte sie jetzt an meiner Ehrlichkeit ihr gegenüber. Und wohl auch an meinen Gefühlen im Allgemeinen für sie. Dabei hatte ich das nur getan, damit sie halbwegs unbeschwert leben konnte! Ich hatte gehofft, dass Wynn und ich schnell genug sein würden, Jaropolk und Ke’Indra zu finden und ihrem widerwärtigen Treiben ein Ende zu setzen, bevor sich die Geschichte wiederholte. Doch unsere vorgezogene Mission hatte mir deutlich gemacht, dass wir in ernsthaften Schwierigkeiten steckten. Ich war mir absolut sicher, dass Ke’Indra und Jaropolk diese eingefädelt hatten. Sie hatten versucht, uns viel zu früh auf eine Mission zu schicken, damit Tamina nicht überleben würde. So sehr wollten sie ihre Rache …

    Bei diesem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken herunter und wenn ich noch einen Herzschlag gehabt hätte, dann hätte der sich wohl um einiges beschleunigt. Außerdem spürte ich seit meinem Weggang einen tiefen Schmerz, fast so, als ob ich innerlich zerrissen würde. Ich hoffte nur, dass es Tamina nicht auch so erging, fürchtete aber, dass sie es ebenso spürte.

    Nun saß ich drei Tage später mit meiner Band bei unserer Probe und konnte die Angst um Tamina einfach nicht abschütteln. Jede Sekunde dachte ich an sie. Unendlich oft hatte ich schon auf mein Handy geschaut, doch sie meldete sich einfach nicht. Auch ihr Gedankenschild hielt absolut dicht – was mich früher so genervt hatte, fehlte mir nun schmerzlich. Was würde ich für einen Gedanken von ihr geben! Und sei es nur, dass sie wieder über ihr Frühstück nachsann oder sich über ihren Sportlehrer ärgerte. Da wüsste ich wenigstens, dass es ihr gut ging. Meine kleine Geisterjägerpartnerin … was sie wohl gerade tat? Hoffentlich ging es ihr gut!

    Mittlerweile war ich so unruhig, dass nicht viel gefehlt hätte, und ich hätte mich mal eben kurz zu ihr translokalisiert, nur um zu sehen, ob bei ihr wirklich alles in Ordnung war. Und sie in die Arme zu nehmen, um sie vor ihren Verfolgern zu beschützen und nie wieder loszulassen. Doch ich hatte furchtbare Angst davor, dass sie mir dann wutentbrannt die Freundschaft endgültig aufkündigen würde. Ob wir jetzt überhaupt noch Freunde waren? Wieder und wieder strich ich über das Armband an meinem Handgelenk. Ich trug es nun schon so viele Jahre, doch seit Tamina das Gegenstück dazu bei sich hatte, hatte es für mich eine neue Bedeutung bekommen. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren hatte ich mich nicht mehr ganz so allein und einsam gefühlt. Klar, ich hatte da noch Sadwyn, aber das war was anderes. Die Verbindung zwischen Tamina und mir hingegen war etwas ganz Besonderes, etwas unglaublich Wertvolles. Aber ich vermutete, dass das bald vorbei sein würde, auch wenn …

    „Hey, sag mal Tagträumer, würdest du das etwa auch so machen?", riss mich die Stimme unserer Harfenistin aus meinen Grübeleien.

    Normalerweise hatte ich in solchen Situationen die Gedanken meiner Kollegen immer im Hinterkopf auf dem Schirm, damit ich bei ihren Gesprächen mitreden konnte. Doch diesmal war ich so tief in meine eigenen Grübeleien versunken gewesen, dass ich keinen Schimmer hatte, worum es ging. Es war mir im Moment auch egal. Wir wollten zwar einen neuen, fröhlichen Song für unsere nächste Tournee schreiben, doch das Einzige, was ich in meiner aktuellen Stimmung zustande bringen würde, waren Trauermärsche.

    „Äh ja klar, von mir aus", sagte ich deshalb einfach nur.

    „Was, echt jetzt?" Vielstimmiger Protest schallte mir entgegen.

    Musste wohl die falsche Antwort gewesen sein. Wen juckte es. Tamina war ganz allein da draußen und vielleicht fielen jetzt gerade in diesem Moment Jaropolk und Ke’Indra über sie her!

    „Du willst echt hier in der Geigenstimme ein Fis und auf dem Klavier ein G spielen lassen?", bohrte unsere Harfenistin weiter.

    „Was? Wie bitte?, schnappte ich. „Um Gottes Willen, bloß nicht!

    Lachen breitete sich aus. „Na, er scheint doch wieder zu Sinnen gekommen zu sein", lachte nun unser Schlagzeuger. Konnten sie mich denn nicht alle in Ruhe lassen? Normalerweise machte es mir ja unheimlich viel Spaß, zusammen mit den anderen neue Songs zu schreiben – ein Grund, warum ich schon so lange in der Band war. Doch zurzeit ging mir einfach jegliches Interesse dafür ab.

    Unwillkürlich schweiften meine Gedanken zurück zu dem Konzert in der Klosterruine vor einiger Zeit, zu dem Moment, als ich Tamina dort gesehen hatte. Wir hatten gerade das letzte Lied vor der Pause gespielt, als mir ihre Locken aufgefallen waren. Ich hatte sie sofort wiedererkannt. Das war während ihres Lieblingslieds passiert, wie ich später erfahren sollte – ebenjenem Lied, das wir vor so kurzer Zeit genutzt hatten, um unsere Schiffe zum Fliegen zu bringen. Tamina konnte ja nicht ahnen, dass ich das Lied vor ein paar Jahren quasi ganz allein arrangiert hatte. Normalerweise komponierten wir unsere Songs gemeinsam als Band, doch genau dieses Lied stammte fast ausschließlich von mir. Ich hatte dazu eine bereits mehrere Jahrhunderte alte Melodie als Vorlage genutzt und sie ein bisschen abgewandelt. Klar hatte ich auch schon selbst Songs geschrieben. Aber wenn, dann nur für mich, nicht für die große Bühne. Daher hatte es mich ziemlich stolz gemacht, dass Tamina gerade diesen Song zu ihrem Lieblingslied auserkoren hatte. Abgesehen davon fand ich ihn aber für uns wirklich passend. Denn ich hatte dem Lied nämlich noch eine geheime Botschaft mitgegeben, die nur Wynn und ich verstanden: Es war ein Lied über die Kraft der Magie. Wie man mit ihr ganze Schicksale verändern konnte – hoffentlich zum Guten. Und dass man ihr dennoch in manchen Momenten hilflos ausgeliefert war.

    Ich schüttelte den Kopf und versuchte, meine trüben Gedanken abzuschütteln, wohl wissend, dass es mir ja doch nicht gelingen würde. Heute war die letzte Probe; in einiger Zeit würde es schon ans Einsingen und Einspielen der neuen Songs gehen. Ich hatte beschlossen, in der Zeit bis dahin zu Wynn nach Cardiff zu gehen. Vielleicht könnte er mir raten, was ich tun sollte. Wynn war immer so tiefenentspannt und glaubte felsenfest, dass sich am Ende alles zum Guten wenden würde. Na, seine Zuversicht hätte ich auch gern mal gehabt!

    Nachdem ich in Cardiff angekommen war, kam auch Sadwyn bald darauf dazu. Er war zurzeit ziemlich viel in der Weltgeschichte unterwegs und so war es nichts Ungewöhnliches, dass er manchmal mehrere Wochen am Stück nicht da war. Doch das juckte mich kaum; wir waren ja schließlich Vandraren und hatten ewig Zeit. Und dank des Handys konnten wir uns auch überall auf der Welt erreichen. In dieser Hinsicht war das einundzwanzigste Jahrhundert bedeutend bequemer als das zwanzigste.

    „Noch immer nichts von ihr gehört?", fragte Wynn nun und musterte mich kritisch, als er ins Wohnzimmer trat.

    Ich schüttelte den Kopf und versuchte vergeblich zu verbergen, wie aufgewühlt ich war.

    Doch leider kannte Sadwyn mich ziemlich gut und so seufzte er nun leise, bevor er sagte: „Wir könnten probieren, die Spur von Jaropolk und Ke’Indra noch einmal aufzunehmen."

    Aber ich spürte deutlich, dass er sich da keine großen Hoffnungen machte. Wieder und wieder hatten wir versucht, Taminas Verfolger aufzuspüren. Bislang vergeblich. Die beiden Geisterjäger waren ziemlich geschickt und hatten sicherlich schon bemerkt, dass Wynn und ich hinter ihnen her waren. Hoffentlich hatten sie noch nicht erkannt, dass Tamina und ich derzeit getrennte Wege gingen … Ich durfte mir gar nicht ausmalen, was das für Konsequenzen haben würde!

    Um mich wenigstens ein bisschen abzulenken, schnappte ich mir meine Akustikgitarre und verzog mich damit in die Bibliothek. Ich setzte mich einfach im Eingangsbereich auf den Boden, sodass ich die Tür jederzeit im Blick behalten konnte (und damit ich schnell losstürmen konnte, falls ich etwas Neues von Tamina hören sollte). Ich blickte mich um und musterte die einzelnen Buchrücken, die nun auf mich herabblickten. Manche dieser Bücher waren vor so langer Zeit geschrieben worden … Ich seufzte. Normalerweise beruhigte mich die Bibliothek, mit ihrer Zeitlosigkeit und ihrem leichten Geruch nach Holz, Leder und Staub, doch heute machte sie mich nervös. Zu groß war die Angst, in dieser stillen Ewigkeit jegliches Zeitgefühl zu verlieren und etwas Wichtiges zu verpassen.

    Mit großer Mühe wandte ich mich wieder meinem Instrument zu und begann zu spielen. Es war kein richtiges Lied, das ich spielte; ich ließ meine Finger einfach ganz leicht über die Saiten tanzen, in dem Versuch, mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Ungewollt tauchten dabei Bilder der jüngeren Vergangenheit vor meinem inneren Auge auf; nach einem so langen Dasein auf Erden war es wohl nicht ungewöhnlich, dass ich gelegentlich solche Flashbacks hatte, aber diese waren besonders eindringlich. Wie ich Tamina kennengelernt hatte. Wie Sadwyn und ich ihr das Zaubern beibrachten; wie sie gestrahlt hatte, als ihr ein Zauber geglückt war. An dieser Stelle spürte ich, wie ich unwillkürlich lächeln musste. Dann die neuesten Erinnerungen. Wie ich Tamina auf unserer Mission verloren hatte. Wie ich sie schließlich verletzt wiedergefunden hatte. Wie ich Ariana wiedergetroffen hatte und wie Tamina und ich auseinandergegangen waren. Unwillkürlich wurden meine Finger langsamer; die Melodie, die sie gespielt hatten, bekam eine neue Färbung. Wie eine Welle auf dem Meer wogte sie sanft auf und ab, während ich mich fragte, wie es nun weitergehen sollte …

    Plötzlich summte mein Handy. Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich meine Gitarre zur Seite gefeuert, war aufgesprungen und hatte mein Handy gezückt. Dann die Enttäuschung; es war keine Nachricht von Tamina. Erstaunt blickte ich auf das Display. Es war eine E–Mail von Hannes.

    Hi Alex, ich hab mal eine Frage: Meine Band und ich haben uns an ein paar neuen Liedern versucht und …

    Ich las den Rest der Nachricht und konnte ein kleines Schmunzeln nicht unterdrücken. Dann tippte ich flugs eine Antwort und schnappte mir meine Gitarre. Hannes’ Nachricht hatte mich aufgerüttelt; ich konnte nicht die ganze Zeit teilnahmslos in der Ecke sitzen und die Wand anstarren. Ich musste etwas tun. Also schnappte ich mir Zettel und Stift und begann, aus der Melodie, die mir eben in den Kopf geschossen war, ein neues Lied zu schreiben.

    Drei

    Tamina

    Ein Teil von mir wollte unbedingt zu Arwan, um mich mit ihm auszusprechen und ich hielt auch mehrfach mein Handy in der Hand, um ihn anzurufen, doch ich brachte es dann nicht über mich.

    Es war jetzt schon eine Woche her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Das war die längste Zeit, die ich seit dem Beginn unserer Bekanntschaft ohne ihn gewesen war. Es ging mir von Tag zu Tag schlechter. Was er wohl in diesem Augenblick tat? Vielleicht hatte er mich ja auch schon vergessen. Oder ersetzt. Der Gedanke quälte mich mehr, als ich zugeben wollte. Endlich kam das Wochenende. Unter der Woche war es für mich ungeheuer langweilig gewesen. Ich war die meiste Zeit allein Zuhause, meine Eltern waren auf Arbeit und Mia im Kindergarten. Marie würde noch eine ganze Woche in den Bergen wandern gehen und ich hatte niemanden, mit dem ich mich sonst hätte treffen können. Doch am Wochenende sollte endlich unser lang geplanter Tagesausflug in den Spreewald stattfinden! Es war das Geburtstagsgeschenk meiner Eltern an mich gewesen und ich hatte mich schon die ganze Zeit darauf gefreut. Nun hoffte ich, dass es mich etwas ablenken und mir helfen würde, wieder klarer zu denken. Es konnte ja schließlich nur von Vorteil sein, wenn ich hier mal rauskam, mir fiel ja sonst noch die Decke auf den Kopf! Samstagmorgen um sieben sollte es losgehen. Wir würden rund zweieinhalb Stunden fahren, und wollten deshalb zeitig aufbrechen.

    Das Wetter war uns zum Glück gnädig und die Sonne lachte uns an, als wir um Punkt zehn nach sieben vom Hof rollten. Auch auf der Autobahn war nicht viel los und so waren wir gegen halb zehn da. Sofort nahm ich die veränderte Luft wahr. Durch die vielen großen und kleinen Fließe und den Wald drum herum war es kühler, die Luft wirkte insgesamt

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