Verfolgt - verführt - verstoßen: Dr. Daniel 86 – Arztroman
Von Marie Francoise
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Der Notruf erreichte die Waldsee-Klinik kurz vor Mitternacht.
»Verkehrsunfall am Ortseingang von Steinhausen«, meldete die Nachtschwester Irmgard Heider dem diensthabenden Arzt. »Krankenwagen ist bereits unterwegs und wird in spätestens fünf Minuten mit den Verletzten hier sein.«
Dr. Rainer Köhler, der junge Assistenzarzt, schluckte. »Es gibt… mehrere Verletzte?«
Irmgard nickte. »Sieht ganz so aus. Der Polizist am Telefon sprach von zwei jungen Mädchen und einem Mann.«
»Wer hat Bereitschaft?« wollte Dr. Köhler wissen, weil er sich vor plötzlicher Nervosität nicht mehr an den Dienstplan erinnern konnte.
»Der Chef persönlich«, antwortete Schwester Irmgard. Sie erkannte, daß der junge Assistenzarzt mit dieser Situation doch etwas überfordert war. Bisher war es während seiner Nachtschichten noch nie zu größeren Notfällen gekommen, doch diesmal schien eine schlimme Sache auf ihn zu warten.
»Rufen Sie ihn an«, bat Dr. Köhler. Er zögerte einen Moment, ehe er fast schüchtern hinzufügte: »Man sollte vielleicht auch Dr. Parker informieren. Vielleicht brauchen wir ja einen Anästhesisten.«
»Sogar mit ziemlicher Sicherheit«, entfuhr es Irmgard.
Dr. Köhler errötete.
»Ich habe da nicht sehr viel Routine«, meinte er, und es klang beinahe wie eine Entschuldigung. »In der Privatklinik, wo ich früher gearbeitet habe, gab es nie Notfälle… jedenfalls nicht für mich. Ich durfte ja auch eigentlich nur Handlangertätigkeiten verrichten. Und hier… hier war ich in einer solchen Situation bisher noch nie allein.«
»Vor mir müssen Sie sich nicht rechtfertigen«, entgegnete Irmgard, während sie sich schon auf den Weg zum Schwesternzimmer machte. Sie lächelte den jungen Arzt noch einmal an. »Im übrigen müßten Sie wahrscheinlich gar nicht so unsicher sein. Wenn Sie kein guter Arzt
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Verfolgt - verführt - verstoßen - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 86 –
Verfolgt - verführt - verstoßen
Marie Francoise
Der Notruf erreichte die Waldsee-Klinik kurz vor Mitternacht.
»Verkehrsunfall am Ortseingang von Steinhausen«, meldete die Nachtschwester Irmgard Heider dem diensthabenden Arzt. »Krankenwagen ist bereits unterwegs und wird in spätestens fünf Minuten mit den Verletzten hier sein.«
Dr. Rainer Köhler, der junge Assistenzarzt, schluckte. »Es gibt… mehrere Verletzte?«
Irmgard nickte. »Sieht ganz so aus. Der Polizist am Telefon sprach von zwei jungen Mädchen und einem Mann.«
»Wer hat Bereitschaft?« wollte Dr. Köhler wissen, weil er sich vor plötzlicher Nervosität nicht mehr an den Dienstplan erinnern konnte.
»Der Chef persönlich«, antwortete Schwester Irmgard. Sie erkannte, daß der junge Assistenzarzt mit dieser Situation doch etwas überfordert war. Bisher war es während seiner Nachtschichten noch nie zu größeren Notfällen gekommen, doch diesmal schien eine schlimme Sache auf ihn zu warten.
»Rufen Sie ihn an«, bat Dr. Köhler. Er zögerte einen Moment, ehe er fast schüchtern hinzufügte: »Man sollte vielleicht auch Dr. Parker informieren. Vielleicht brauchen wir ja einen Anästhesisten.«
»Sogar mit ziemlicher Sicherheit«, entfuhr es Irmgard.
Dr. Köhler errötete.
»Ich habe da nicht sehr viel Routine«, meinte er, und es klang beinahe wie eine Entschuldigung. »In der Privatklinik, wo ich früher gearbeitet habe, gab es nie Notfälle… jedenfalls nicht für mich. Ich durfte ja auch eigentlich nur Handlangertätigkeiten verrichten. Und hier… hier war ich in einer solchen Situation bisher noch nie allein.«
»Vor mir müssen Sie sich nicht rechtfertigen«, entgegnete Irmgard, während sie sich schon auf den Weg zum Schwesternzimmer machte. Sie lächelte den jungen Arzt noch einmal an. »Im übrigen müßten Sie wahrscheinlich gar nicht so unsicher sein. Wenn Sie kein guter Arzt wären, würden Sie längst nicht mehr hier arbeiten.«
Wie recht die Nachtschwester damit hatte, zeigte sich, als der Krankenwagen mit den Verletzten eintraf. Von Dr. Köhlers Unsicherheit war jetzt nichts mehr zu spüren. Er verschaffte sich einen ersten Überblick über die Schwere der Verletzungen, ließ den jungen Mann in den OP bringen und wusch sich die Hände.
In der Zwischenzeit trafen auch Chefarzt Dr. Gerrit Scheibler und der Anästhesist Dr. Jeff Parker ein.
»Offene Oberschenkelfraktur links«, informierte Dr. Köhler die beiden Ärzte. »Platzwunde am Kopf, vermutlich Gehirnerschütterung und ein paar gebrochene Rippen – ebenfalls auf der linken Seite. Keine lebenswichtigen Organe in Mitleidenschaft gezogen.«
»Was ist mit den beiden Mädchen in der Notaufnahme?« fragte Dr. Scheibler zurück.
»Ein paar Schürfwunden, die eine hat ein verstauchtes Fußgelenk, die andere klagt über Schmerzen am Schienbein. Vermutlich eine Prellung.«
»Kümmern Sie sich darum, Rainer«, ordnete Dr. Scheibler an. »Jeff und ich versorgen den Mann im OP.«
Dr. Köhler schaffte es nicht, seine Enttäuschung zu verbergen.
»Ich weiß genau, was Sie lieber tun würden«, meinte der Chefarzt. »Aber wenn Sie mich schon rufen lassen, müssen Sie auch akzeptieren, daß ich die Entscheidung treffe, wer was behandelt.«
»Ja, Herr Chefarzt, natürlich«, murmelte Dr. Köhler kleinlaut. Zögernd blieb er stehen. »Wenn ich gewußt hätte, daß alle Verletzungen relativ harmlos sind, dann hätte ich Sie nicht aus dem Schlaf gerissen.«
»Das ist schon in Ordnung, Rainer«, entgegnete Dr. Scheibler. »Sie haben völlig richtig gehandelt. Nach der vagen Auskunft des Polizeibeamten mußten Sie ja mit dem Schlimmsten rechnen.« Er schwieg einen Moment. »Im übrigen ist es mir lieber, Sie holen mich zehnmal zuviel, als daß Sie auch nur ein einziges Mal einen Notfall unterschätzen. Nun gehen Sie an die Arbeit.«
Dr. Köhler verließ den Waschraum und kehrte in die Notaufnahme zurück, wo die beiden jungen Mädchen in Tränen aufgelöst dasaßen.
»So, meine Damen, jetzt wollen wir uns mal ansehen, was genau passiert ist«, meinte Dr. Köhler und lächelte die Mädchen dabei aufmunternd an.
»Ich konnte nichts dafür«, schluchzte die eine. »Er fuhr plötzlich aus der Seitenstraße. Ich konnte nicht mehr bremsen…«
»Ich denke, das wird die Polizei schon alles aufgenommen haben oder es noch tun«, fiel Dr. Köhler ihr in ruhigem Ton ins Wort. »Ich bin im Moment nur für Ihre Verletzungen zuständig.«
»Kann ich etwas helfen?«
Beim Klang der angenehm tiefen Stimme fuhr Dr. Köhler herum und sah zu seiner Überraschung den Direktor der Klinik, Dr. Robert Daniel, in der geöffneten Tür stehen.
»Was tun Sie denn um diese Zeit hier?« entfuhr es dem jungen Assistenzarzt.
Dr. Daniel lächelte. »Ich habe gerade einen neuen Erdenbürger auf die Welt geholt.« Er trat näher und betrachtete den Bluterguß am Schienbein des einen Mädchens. »Das sieht ganz nach einem geschlossenen Bruch aus.«
Dr. Köhler erschrak. »Ich habe zum Chefarzt gesagt, es wäre wohl nur eine Prellung.«
»Auch möglich«, räumte Dr. Daniel ein. »Machen Sie eine Röntgenaufnahme. Ich kümmer mich in der Zwischenzeit um die andere Patientin.« Er lächelte das völlig verstört wirkende junge Mädchen an. »Ich bin Dr. Daniel, der Direktor dieser Klinik. Überdies arbeite ich in meiner Praxis hier in Steinhausen als Gynäkologe.«
Diese Worte hatten auf das Mädchen genau die erwünschte Wirkung. Sie brachte ein kurzes Lächeln zustande.
»Das klingt, als wären Sie ein äußerst vielbeschäftigter Mann«, meinte sie.
Dr. Daniel nickte. »So könnte man das sagen.« Abwartend sah er das Mädchen an, doch da sie nicht weitersprach, fügte er hinzu: »Verraten Sie mir auch Ihren Namen.«
»Natürlich… entschuldigen Sie«, stammelte das Mädchen. »Ich heiße Jana. Jana Hendersen. Meistens werde ich wegen meines Namens für eine Amerikanerin oder eine andere Ausländerin gehalten. Meine Vorfahren väterlicherseits waren ja tatsächlich Amerikaner, aber bereits mein Urgroßvater siedelte sich vor einem guten Jahrhundert hier in München an. Ich kann nicht mal richtig Englisch.«
Dr. Daniel mußte lachen. »Irgendwann werden Sie sicher heiraten, dann sind Sie jedenfalls die Sorge um Ihren Nachnamen
los.«
»Da haben Sie recht«, meinte Jana und sah zu, wie Dr. Daniel ihre vielen kleinen Wunden versorgte. »Dafür, daß Sie eigentlich Gynäkologe sind, verstehen Sie davon aber auch jede Menge.«
»Nun ja, Schürfwunden zu versorgen gehört nicht gerade zu den hochkompliziertesten Dingen in der Medizin«, entgegnete er schmunzelnd. »Das schaffe ich gerade noch.«
Wieder mußte Jana lächeln. »Sie sind nett.« Dann wurde sie ernst. »Der Mann, der die Vorfahrt mißachtet hat… ist er sehr schwer verletzt?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Dr. Daniel. »Soviel ich mitbekommen habe, ist der Chefarzt im Operationssaal, aber da er allein zurechtkommt, dürfte es nicht allzu dramatisch aussehen.« Er tastete jetzt Janas rechtes Fußgelenk ab, was das junge Mädchen zusammenzucken ließ. »Das scheint eine Verstauchung zu sein. Aber sicherheitshalber werden wir den Fuß besser auch röntgen.« Er sah Jana an. »Was ist überhaupt passiert?«
»Meine Freundin Sonja und ich waren heute bei einem Konzert unserer Lieblingsband. ›Mike and the Cowboys‹ – ich weiß nicht, ob Sie die kennen.«
Bedauernd schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Ich höre Country- und Westernmusik zwar gern, und vielleicht würde ich auch das eine oder andere Lied dieser Gruppe erkennen, aber mit den Namen der Interpreten habe ich so meine Not. Ich bin schon froh, wenn ich über die Musik Bescheid weiß, die meine kleine Tochter für gewöhnlich hört.«
Jana nickte etwas zerstreut. Die Erinnerung an den Unfall hatte sie trotz Dr. Daniels Ablenkungsversuchen wieder eingeholt.
»Ich wollte