Irrlicht 68 – Mystikroman: Die Geisterstimmen
Von Joan Garner
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Fröstelnd rieb sich Alice mit den Händen über die Schultern. Sie fühlte sich plötzlich unwohl in ihrer Haut und sehnte sich nach Dannys Nähe. Da vernahm sie hinter sich tappende Schritte. Erschrocken wirbelte sie herum – und erstarrte. Eine schlaksige nachtschwarze Gestalt huschte durch die Eingangshalle und verschmolz im nächsten Moment mit einem Schatten. Alice glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Hatte sie da eben nicht eine der skurillen Koboldgestalten gesehen, die die Säulen und das Treppengeländer zierten? Sie taumelte rückwärts in das Empfangszimmer. Dabei stolperte sie über den Saum ihres Morgenmantels und schlug der Länge nach hin. Im selben Moment schwanden ihr die Sinne. Das letzte, was sie sah, war ein häßliches, verzerrtes Gnomengesicht mit rotglühenden Augen, die sie höhnisch anstarrten. Sie vernahm ein irres, gackerndes Gekicher. Dann wurde alles schwarz vor ihren Augen…
»Möchtest du lieber im Auto sitzen bleiben?« fragte Danny fürsorglich. Er sah Alice mit seinen hellbraunen Augen von oben bis unten verliebt an. Dann verharrte sein Blick auf Alices gewölbten Bauch, der sich deutlich unter dem Kleid abzeichnete.
In Dannys Augen spiegelte sich der wolkenverhangene graue Himmel, der seine Pupillen ein wenig trüber erscheinen ließ und ihnen das lebensfrohe Leuchten nahm, das Alice so sehr liebte.
Regen klatschte gegen die Windschutzscheibe und prasselte heftig aufs Autodach. Jetzt, da Danny den Motor ausgeschaltet hatte, konnte Alice die Regentropfen deutlich hören. Er hämmerte hektisch auf das Blech, als handelte es sich um unzählige kleine Kobolde, die anklopften und unbedingt hereingelassen werden wollten, weil sie sich draußen in dem schummerigen Zwielicht
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Irrlicht
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Irrlicht 68 – Mystikroman - Joan Garner
Irrlicht
– 68 –
Die Geisterstimmen
Ihr schauriges Gelächter raubt Alice den Verstand
Joan Garner
Fröstelnd rieb sich Alice mit den Händen über die Schultern. Sie fühlte sich plötzlich unwohl in ihrer Haut und sehnte sich nach Dannys Nähe. Da vernahm sie hinter sich tappende Schritte. Erschrocken wirbelte sie herum – und erstarrte. Eine schlaksige nachtschwarze Gestalt huschte durch die Eingangshalle und verschmolz im nächsten Moment mit einem Schatten. Alice glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Hatte sie da eben nicht eine der skurillen Koboldgestalten gesehen, die die Säulen und das Treppengeländer zierten? Sie taumelte rückwärts in das Empfangszimmer. Dabei stolperte sie über den Saum ihres Morgenmantels und schlug der Länge nach hin. Im selben Moment schwanden ihr die Sinne. Das letzte, was sie sah, war ein häßliches, verzerrtes Gnomengesicht mit rotglühenden Augen, die sie höhnisch anstarrten. Sie vernahm ein irres, gackerndes Gekicher. Dann wurde alles schwarz vor ihren Augen…
»Möchtest du lieber im Auto sitzen bleiben?« fragte Danny fürsorglich. Er sah Alice mit seinen hellbraunen Augen von oben bis unten verliebt an. Dann verharrte sein Blick auf Alices gewölbten Bauch, der sich deutlich unter dem Kleid abzeichnete.
In Dannys Augen spiegelte sich der wolkenverhangene graue Himmel, der seine Pupillen ein wenig trüber erscheinen ließ und ihnen das lebensfrohe Leuchten nahm, das Alice so sehr liebte.
Regen klatschte gegen die Windschutzscheibe und prasselte heftig aufs Autodach. Jetzt, da Danny den Motor ausgeschaltet hatte, konnte Alice die Regentropfen deutlich hören. Er hämmerte hektisch auf das Blech, als handelte es sich um unzählige kleine Kobolde, die anklopften und unbedingt hereingelassen werden wollten, weil sie sich draußen in dem schummerigen Zwielicht fürchteten.
Entschieden schüttelte Alice den Kopf, so daß eine Strähne ihres gewellten, dunkelbraunen Haares in ihr Gesicht fiel.
»Natürlich werde ich mitkommen«, meinte sie bestimmend und stupste Danny mit dem Zeigefinger gegen die Nase. »Oder glaubst du, ich lasse dich allein entscheiden, wo wir in Zukunft zusammenleben und unsere Kinder aufziehen werden?«
»Ich habe nur Angst, du könntest dich bei diesem Sauwetter erkälten«, entgegnete Danny. Seine Stirn zog sich in Falten. »In deinem Zustand mußt du besonders aufpassen.«
Alice lächelte glücklich. Sie fand es rührend, wie Danny sich um sie sorgte. Aber dadurch würde sie sich in ihrer Bewegungsfreiheit nicht einschränken lassen.
Versonnen schaute sie an Danny vorbei nach draußen. Hinter dem Vorhang aus rinnendem Regenwasser zeichneten sich undeutlich die Umrisse einer alten Villa ab. Aus dem Dach ragten zwei runde schlanke Türme, die jeweils mit einem Spitzdach versehen waren und lange gotische Fenster aufwiesen, die jedoch genauso dunkel und unbeleuchtet waren, wie all die anderen Fenster des Gebäudes. Tannen und Eichen umgaben das Haus und ließen es düster und abweisend aussehen. Nicht unweit der Villa erhob sich ein schwarzes Grabkreuz, das unheilverkündend und verwittert aus dem wildwuchernden Gras ragte.
Das Grabmal erinnerte Alice unwillkürlich daran, wie sie Danny kennengelernt hatte. Sie liebte diesen starken jungen Mann über alles. Zwar kannte sie ihn erst knapp ein Jahr, aber es kam ihr trotzdem so vor, als würde sie schon ewig mit ihm zusammenleben – so vertraut und lieb war er ihr in dieser kurzen Zeit geworden. Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne ihn wäre.
Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte Alice deutlich gespürt, daß Danny etwas ganz Besonderes war. Sie hatten sich in seltsamer Weise romantisch auf einem Londoner Friedhof kennengelernt.
Alice war eine leidenschaftliche Landschaftsmalerin. Sie liebte die besonderen Motive und hatte es mit ihrem Können schon so weit gebracht, daß ein angesehenes Londoner Atelier ihre Bilder ausstellte und verkaufte.
Auf den Friedhof hatte es sie gezogen, weil die Frühlingssonne die alten Grabmale und die frisch erblühten Blumen auf den Gräbern besonders zauberhaft und verklärt aussehen ließ.
Alice suchte sich einen geschützten Platz unter den tiefhängenden Zweigen einer Trauerweide und baute dort ihre Staffelei auf. Dann begann sie zu malen.
Alice bevorzugte Aquarellfarben, da sich mit den Pastelltönen dieser feinen Wasserfarben die Stimmungen, die Alice auf ihren Bildern einfangen wollte, am besten darstellen ließ.
Selbstvergessen und in ihre Arbeit vertieft saß sie da und malte. Die Strahlen der Frühlingssonne fielen schräg durch die Büsche und Bäume des alten Friedhofs und zauberten goldene Lichtflecken auf die moosbewachsenen Grabsteine.
Da tauchte plötzlich ein Trauerzug auf.
Alice war erst ein wenig erschrocken, da sie nicht damit gerechnet hatte, daß heute eine Beerdigung stattfinden sollte.
Vier Männer im schwarzen Smoking und mit weißen Handschuhen trugen den dunklen Eichensarg, der mit Blumenkränzen geschmückt war. Zwei junge Männer und ein Priester trotteten in schleppendem Gang hin-ter dem Sarg her. Ihre Gesich-
ter waren von Trauer gezeichnet und wirkten im goldenen Licht der Frühlingssonne sonderbar blaß.
Da hob einer der Männer plötzlich den Blick und schaute in Alices Richtung, gerade so, als hätte er bereits vermutet, daß da jemand unter der Trauerweide saß.
Alice zuckte kaum merklich zusammen, als sie der Blick aus den hellbraunen Augen des Mannes traf. In seinem schwarzen unbändigen Haar schimmerten einige verirrte Sonnenstrahlen. Die geraden Brauen waren zusammengezogen, so als würde der junge Mann trüben, finsteren Gedanken nachhängen.
Doch plötzlich hellte sich die Miene des jungen Mannes auf. Ein geheimnisvolles Leuchten trat in seine hellbraunen Augen, und ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seine Lippen.
Alice schlug unwillkürlich die Augen nieder. Ein eigenartiges prickelndes Gefühl ergriff plötzlich Besitz von ihr. Der Blick des Fremden war auf unerklärliche Weise tief in ihr Inneres gedrungen.
Plötzlich kam sie sich auf dem Friedhof fehl am Platze vor. Sie fühlte sich wie ein unerwünschter Voyeur.
Dieses Gefühl wurde noch verstärkt, als der Trauerzug plötzlich in ihrer unmittelbaren Nähe anhielt. Die Träger ließen den Sarg von ihren Schultern.
Erst jetzt bemerkte Alice, daß sich dort ein frisch ausgehobenes Grab befand.
»Wie konnte dir das nur entgehen?« flüsterte sie mit einem unbehaglichen Gefühl.
Alles in ihr drängte danach, die Staffelei und die Farben zusammenzupacken und den Friedhof so rasch wie möglich zu verlassen.
Doch da bemerkte sie, daß der junge Mann mit den hellbraunen Augen sich verstohlen zu ihr umsah, so als gehorche er einem inneren Zwang, dem er sich nicht widersetzen konnte.
Eine seltsame Erregung, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte, stieg in Alice auf. Sie stellte verwundert fest, daß sie sich zu dem Fremden sehr stark hingezogen fühlte.
»Unsinn!« flüsterte sie und schüttelte unwillig den Kopf. »Was ist bloß los mit dir, Alice?«
Aber ihre Gefühle waren stärker als ihr Verstand. Alice brachte es nicht fertig, ihren Platz einfach zu verlassen.
Im Gegenteil. Plötzlich wurde sie von einem wahren Schaffensfieber ergriffen. Und während der Priester seine Grabrede hielt, holte Alice ihren Skizzenblock hervor und