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Schatten der Vergangenheit
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eBook216 Seiten3 Stunden

Schatten der Vergangenheit

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Über dieses E-Book

Vermächtnis. Verführung. Verlangen. Verdammnis

Eines Abends steht eine fremde Frau mit
nichts als einem durchnässten, weißen Kleid
in Isabells Garten. Die Frau sieht aus wie
Isabells verstorbene Schwester.
Isabell erbarmt sich und gibt der Frau eine
trockene, warme Unterkunft. Während Isabell
versucht mehr über die Fremde, die sich
selbst Alesia nennt, zu erfahren, traut Isabells
Freund Alesia nicht.
Sein Verdacht scheint sich zu bestätigen,
als ihn seine schüchterne Schwester Olivia
traumatisiert von der Studentenparty
anruft und Alesia beschuldigt. Dabei
versucht Alesia einem alten und bösen Geschöpf
zu entkommen, das nach ihr trachtet.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Mai 2017
ISBN9783745037661
Schatten der Vergangenheit

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    Buchvorschau

    Schatten der Vergangenheit - Marius Hornisch

    Schatten der Vergangenheit

    Titel Seite

    Impressum

    Vermächtnis

    Verführung

    Verlangen

    Verdammnis

    EPILOG

    Danksagung

    Hinweis

    Schatten der Vergangenheit - Marius Hornisch

    Impressum

    Texte: © Copyright by Marius Hornisch

    Cover: © Copyright by Marius Hornisch

    Verlag: Marius Hornisch

    m.hornisch(a)t-online.de

    ISBN 978-3-7450-3766-1

    Vermächtnis

    Es war nach Mitternacht, als die alte Turmuhr nahe des Friedhofs mit ihrem tiefen Klang die Stille durchbrach. Am Firmament thronte der Blutmond und hüllte den Friedhof in eine trügerische Dunkelheit. Die alten Lindenbäume ragten mit ihren blattlosen Ästen wie dunkle Kreaturen in den Nachthimmel, als wollten sie die funkelnden Sterne verschlingen. Eine kalte Brise kam auf. Das Herbstlaub raschelte über den verwitterten Weg und verfing sich in nackten, mit Erde bekleideten Füßen. Wallend fiel das rotbraune Haar über ihren entblößten Körper und etwas schüchtern schaute sich die Frau um. Ihre Füße fühlten sich in der von Dunkelheit umspielten Nacht kalt an, während über ihr der Blutmond von tiefen Wolken verschleiert wurde und ein eisiger Regen auf ihre nackte Haut prasselte, an die sich ein durchscheinendes, weißes Kleid schmiegte.

    Isabell kuschelte sich unter die flauschige Decke und las in einem Buch, während von draußen der kalte Regen gegen die große Wohnzimmerfront prasselte. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie einen Schemen vorbeihuschen und schaute in die Nacht. Isabell wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Lektüre zu, als der Bewegungsmelder den Garten in einem grellen Licht erleuchten ließ. Sie zuckte zusammen, hob hastig den Kopf und keuchte vor Schreck. In ihrem Garten stand eine fremde Frau. Am liebsten hätte sie geschrien, aber sie war gelähmt vor Schock. Die Fremde verharrte regungslos und taxierte sie mit durchdringenden Blicken.

    Markus, ihr Freund, trat frisch geduscht in das Wohnzimmer, sah Isabells vor Angst geweitete Augen und erhaschte noch mit einem Blick, wie die Frau von den Schatten verschlungen wurde. Mit großen Schritten überquerte er den Weg zur Haustür, riss sie auf und brüllte der Fremden hinterher. Die Frau blieb stehen. Das Wasser rann von ihrer Haut und das Haar klebte in ihrem Gesicht. Schützend schlang sich Isabell um ihren kräftigen Freund Markus, der wie eine Felswand in der Tür stand. Mit quälender Langsamkeit drehte sich die Frau um und Isabell schnürte es erneut die Kehle zu, als sie die Gesichtszüge wiedererkannte. Auch Markus fluchte leise und hielt sich die Hand vor den Mund.

    Die fremde Frau sah Isabell zum Verwechseln ähnlich. Als wären sie Zwillingsschwestern. Nur in der Haarfarbe unterschieden sie sich. Während Isabell braunes besaß, war das der Frau rotbraun. Isabell konnte in dem Blick der Frau Trauer, aber auch Angst lesen. Die Frau wandte sich ab und wollte gerade gehen, als sich Isabell von ihrem Freund löste und durch den strömenden Regen zu ihr rannte. Die fremde Frau schreckte wie ein scheues Reh zurück, ließ sich aber von Isabell berühren.

    „Komm ins Trockene", verlangte Isabell bestimmend und schob sie mit sich, unwissend wie sich ihr Leben dadurch verändern würde.

    Ihr Freund kam hinzu und zusammen brachten sie die fremde Frau ins Haus. Die Wärme umspielte die Haut der Frau und hüllte sie ein. Monoton tropfte das Wasser ihres durchnässten Kleides auf den Parkettboden im Takt der großen Standuhr. Ein eisiger Kloß breitete sich jedes Mal in Isabells Magen aus, wenn sie die Frau anschaute und glaubte in ihr Spiegelbild zu blicken.

    War so etwas überhaupt möglich? Isabell wusste es nicht. Aber es war unmenschlich diese Frau in der Kälte und dem Regen ihrem Schicksal zu überlassen. Außerdem machte sie nicht den Eindruck als wäre sie gefährlich, überlegte Isabell.

    Markus holte der Fremden eine warme Decke und Isabell servierte ihr einen heißen Tee.

    Die Frau saß zusammengekauert in der Küche, hielt ihre Hände an die warme Tasse und nahm vorsichtig einige kleine Schlucke.

    „Wie ist dein Name?", fragte Isabell mit sanfter Stimme.

    Das scheue Geschöpf zuckte bei den Worten, die die Stille brachen, zusammen, schaute sich ängstlich um und schwieg.

    „Lass ihr noch etwas Zeit, flüsterte Markus zu Isabell und hielt ihr die Hand. „Gott weiß, was dieser armen Seele passiert ist.

    „Ich heiße Alesia", hauchte die Frau mit zarter Stimme, zuckte mit dem Kopf und starrte weiter auf ihren Tee.

    Isabell schaute die Frau geschockt an. Das musste ein Zufall sein. Ihre verstorbene Schwester hatte Alesia geheißen. Isabell wollte glauben, dass es sich um ihre Schwester handelte, aber sie hatte immer noch die Bilder des Mordes und der Trauerfeier in ihrem Kopf. Nein, es war unmöglich. Sie packte ihren Freund Markus am Arm und zog ihn aus der Küche.

    „Was ist los?", beschwerte er sich.

    Isabell räusperte sich und vergrub sich in ihrem Pullover. „Meine tote Schwester hieß Alesia. Nervös fuhr sie sich durch die Mähne. „Das ist doch verrückt. Sie sieht aus wie ich und heißt wie meine Schwester.

    „Das ist bestimmt nur ein Zufall, beschwichtigte Markus. „Sie scheint mir etwas verwirrt zu sein, vielleicht ist das nicht einmal ihr richtiger Name. Sie könnte doch dein Klon, wie in der Serie Orphan-Black, sein. Er grinste und beschwerte sich, nachdem Isabell ihn gegen den Oberarm schlug.

    „Das ist nicht lustig, schmollte Isabell und vergrub sich in den breiten Schultern ihres Freundes. „Diese ganzen Okkulten Reportagen wegen des Blutmonds haben meine Fantasie wohl etwas zu sehr angeregt. Aber mein Klon ist sie bestimmt auch nicht. Isabell zwang sich zu einem falschen Lächeln, bevor sie wieder zu Alesia in die Küche gingen.

    Alesia zog die Nase hoch und spielte ängstlich mit der Freundschaftskette. Mit großen Augen schaute sie Isabell an und nahm einen Schluck von dem Tee.

    „Wenn du deinen Tee getrunken hast, solltest du ein warmes Bad nehmen. Du musst völlig durchgefroren sein", bot Isabell an. Alesia nickte wortlos und wandte sich dann wieder ihrer Tasse zu.

    Alesia entledigte sich ihrer nassen Kleider und ließ sich in das warme Badewasser gleiten. Sie fuhr mit ihren Fingern über die Freundschaftskette, die sie und Sandra zusammen trugen. Eine weitere Seele, die ihretwegen den Tod gefunden hatte, dachte Alesia. Sie tauchte unter und genoss die Stille unter Wasser. Sie öffnete die Augen und schaute sich in dem trüben Badewasser um. Da tauchte vor ihr ein blasses Gesicht mit weit aufgerissenen Augen und durchgeschnittener Kehle auf. Alesia erschrak und hechtete nach oben. Sie klammerte sich mit aller Kraft am Rand der Badewanne fest und ihre Fingerknöchel traten weiß hervor. Sie atmete schwer und ihr Puls raste. Das Wasser in der Badewanne begann zu blubbern und schwarz wirkende Haare tauchten unter der Wasseroberfläche auf. Langsam erhob sich das Gesicht aus dem Nass. Die triefenden Haare umrahmten ihr blasses Gesicht. Mit einem hasserfüllten Blick schaute Sandra Alesia an. Alesia wollte aus der Badewanne springen, aber die Angst übermannte sie. Sie war wie festgefroren. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb und der Puls pochte in ihren Schläfen. Mit quälender Langsamkeit beugte sich Sandra über Alesia und flüsterte ihr ins Ohr. Ihr stinkender, verwesender Atem ließ Alesia schlecht werden.

    „Dachtest du wirklich, du könntest die Vergangenheit vergessen?", Sandra lachte und ihr nasses Haar streifte Alesias Gesicht und hüllte es ein.

    Isabell klopfte an die Badtür, aber niemand öffnete. Markus schlang seine Arme um Isabell und küsste sie hinters Ohr.

    „Sie scheint sich zu entspannen. Wir sollten uns auch entspannen. Er tippte mit dem Finger auf Isabells Kinn und zog sie zu sich. „Ich habe da schon eine gewisse Vorstellung, neckte er und biss Isabell spielerisch in die Lippe.

    „Lass mich erst nach ihr schauen", zögerte Isabell. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Vorsichtig öffnete sie die Tür und schrie. Alesia lag leblos in der Badewanne, mit dem Kopf unter Wasser.

    „Scheiße", fluchte Markus, während Isabell in das Bad stürmte, Alesia unter den Achseln packte und aus der Wanne zog.

    Selbstlos begann Isabell mit der Mund zu Mund-Beatmung, nachdem sie Alesias Puls nicht fühlen konnte. Isabell hatte panische Angst. Sie musste sich eingestehen, dass sie die Person, obwohl sie sie nicht kannte, beschützen wollte. Lag es daran, dass sie glaubte, es wäre ihre verstorbene Schwester? Das war unsinnig, denn so etwas wie das Übernatürliche gab es nicht. Und ihre Schwester war vor über zehn Jahren gestorben, drängte Isabell die Gedanken beiseite.

    „Komm zurück!, schrie sie und hämmerte auf Alesias Brustkorb. Keuchend und hustend schreckte Alesia nach oben und spuckte Wasser aus ihren Lungen. Isabell weinte vor Freude, strich Alesia das nasse Haar aus dem Gesicht und bettete sie in ihre Armbeuge. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.

    Während Alesia sich auf der Couch eingekuschelt hatte und ins Feuer starrte, lehnte Markus mit Isabell im Türrahmen „Ich habe ein ganz ungutes Gefühl bei dieser Frau, murmelte Markus. „Außerdem, was war das im Bad?

    „Ich weiß es nicht", flüsterte Isabell und ihr Blick wanderte zu Alesia, die im Bademantel auf der Couch das Züngeln der Flammen beobachtete.

    „Morgen kaufe ich ihr ein paar Kleider und frage auf dem Amt nach, ob es eine vermisste Person gibt, auf die ihre Beschreibung passt."

    „Das ist eine gute Idee", säuselte Markus und küsste Isabell.

    Die Sterne funkelten am Himmel und das silbrige Mondlicht schien durch die breiten Fenster herein. Die Temperaturen sanken unter den Gefrierpunkt und außen begann das Eis zu glitzern. Vorsichtig trat Isabell zu Alesia und setzte sich zu ihr.

    „Alles okay mit dir?", fragte Isabell.

    Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis Alesia es schaffte, den Blick von den Flammen zu lösen und Isabell anzuschauen. Mit krächzender, heiserer Stimme murmelte sie: „Es war naiv zu glauben, dass ich ihm entkommen könnte."

    Isabell verstand nicht. „Wem wolltest du entkommen?"

    Alesia kuschelte sich noch fester in den Bademantel und die Decke ein. Mit ihren blauen Augen, die wie das rauschende Meer aussahen, schaute sie Isabell an und hauchte mit gebrechlicher Stimme: „Ich bin nicht die, für die du mich hältst."

    „Woher…?", fragte Isabell.

    „Ich habe das Gespräch mit deinem Freund gehört. Deine Schwester ist vor über zehn Jahren gestorben. Ich bin jemand - anderes." Alesia senkte den Kopf und schwieg.

    Isabell schaute Alesia verwirrt an. Wie hatte Alesia das Gespräch hören können? Sie waren im Flur gewesen und hatten geflüstert. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie wollte Alesia glauben, dass sie nicht ihre Schwester war, aber etwas in ihr wollte es nicht wahrhaben und hangelte sich immer noch daran fest, dass ihre Schwester zurückgekommen war, überlegte Isabell.

    Die ersten Jahre nach dem Tod Isabells großer Schwester waren schwer gewesen und hatten ihre Familie auf eine harte Probe gestellt. Während sich ihre Mutter mehr und mehr zurückzog und sich seltsam verhielt und ihr Vater viel auf Reisen war, hatte sie mit zarten zwölf Jahren selber versuchen müssen, damit klar zu kommen. Isabell hatte sich so oft gewünscht, dass ihre Schwester wieder zurückkam und sie vor all dem beschütze. Aber das war unmöglich.

    Es war früh am Morgen, als die letzten Ausläufer der Dunkelheit von den ersten Sonnenstrahlen vertrieben wurden und vom Vogelgesang in das Land der Wünsche und Träume begleitet wurden. Markus hatte von seiner Schwester Olivia einen panischen Anruf bekommen. Normalerweise war seine Schwester nicht die Sorte Mensch, die sich auf solchen Partys herumtrieb und schon gar nicht bis zum nächsten Morgen. Aber diesmal musste es etwas Ernstes sein, so wie sie am Telefon geklungen hatte. Eilig war er aufgebrochen, hatte ein paar Kleider mitgenommen und war mit seiner Schwester anschließend weiter ins Krankenhaus gefahren. Isabell machte sich Sorgen. Olivia war eine zurückhaltende Persönlichkeit. Isabell mochte Olivia, aber ihre schüchterne Art machte es oft nicht einfach. Zudem musste sie sich eingestehen, dass sie noch nicht den richtigen Draht zu Olivia gefunden hatte. Würde sie sich mit Olivia gut verstehen, wäre es auch mit Markus leichter, dachte Isabell. Denn ihr Freund passte auf seine kleine Schwester auf, nachdem ihre Eltern geschieden waren und der Vater gegenüber Olivia ausfällig geworden war.

    Isabell trat gerade aus dem Schlafzimmer, als sie fast mit Alesia zusammenstieß. Ihre ‚Schwester‘ war die ganze Nacht wach gewesen und durch das Haus gegeistert. Isabell hatte kaum schlafen können und war durch die Schritte immer wieder aufgewacht. Isabell räusperte sich. Der Blick von Alesia war kalt, aber ihre Haltung war ängstlich und verschlossen.

    „Ich mache uns Frühstück, sagte Isabell und versuchte vergeblich das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie musste an die Worte von Markus denken, dass diese Frau ihm unheimlich war, und so langsam ging es ihr ebenso. Ungeschickt deckte sie den Tisch und versuchte sich mit etwas Smalltalk, aber Alesia war tief in Gedanken versunken. Was auch immer ihr passiert war, es musste sie tief bedrücken. „Wie hast du geschlafen?

    Alesia schüttelte den Kopf und wandte sich ihrem Frühstück zu. Langsam und scheu kaute sie auf dem aufgebackenen Brötchen herum, bis sie es hinunterwürgte. Isabell musste immer wieder an das alte Familienbild im Wohnzimmer ihrer Mutter Franziska Adelheit denken, das nun mit anderen Sachen auf dem Dachboden in Kartons verstaut war. Vielleicht fand sie dort oben noch weitere Andenken, die ihre Theorie um Alesia bestätigten.

    Isabell zuckte zusammen, als sie Alesias kalte Hand streifte. Alesia schaute sie mit einem gequälten Blick an, bevor sie die Hand hastig zurückzog. Danach verschwand sie im Wohnzimmer, kuschelte sich unter die Decke und beobachtete die Flammen.

    Isabell schwor sich herauszufinden, was es mit Alesias Verhalten auf sich hatte. Wieso war sie so verschlossen und abweisend? Sie öffnete die Falltür, stieg auf den Dachboden und suchte die Kiste heraus. Sie pustete den Staub vom Bilderrahmen und schaute sich das alte Familienbild an. Es war kurz vor Alesias Ermordung von einem Fotografen aufgenommen worden. Isabell stockte, als sie das Gesicht ihrer Schwester sah. Es waren zwar über zehn Jahre vergangen, aber es bestand kein Zweifel. „Alesia Sophia", flüsterte Isabell.

    Das war ihr Name. Sie strich über das Foto und zog ein Fotoalbum aus dem Karton, in dem chronologisch Bilder von Alesia eingeklebt waren. Das letzte Bild zeigte Alesia mit ihren Freundinnen Sandra und Petra und einigen Jungs. Isabell lief ein eisiger Schauer über den Rücken als ihr bewusst wurde, dass alle auf diesem Foto gestorben waren. Sie musste an die Presse und die Fotografen denken, die ihr Haus belagert hatten. Vor einem Jahr verunglückten ihre Eltern bei einem Autounfall. Ihr Vater Raphael wurde nie gefunden und ihre Mutter Franziska Adelheit lag im Wachkoma. Ein weiteres Kapitel, das Isabells Familie zerstört hatte.

    Sie hörte ein Knarren der Holzbodendiele und drehte sich ruckartig um. Sie ließ das Fotobuch fallen und schreckte zusammen. Vor ihr stand Alesia und schaute sie mit abweisendem Blick an. Ihre kalten saphirblauen Augen brannten sich in Isabells Seele. Ihr Schweigen war schlimmer als jedes Wort und Isabell stockte der Atem. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie wieder den Mut fand zu sprechen.

    „Bist du das auf dem Bild?"

    Alesia legte den Kopf schief und betrachtete das Familienbild. Alte Erinnerungen huschten vor Alesias innerem Auge vorbei. Sie schwieg, aber die Erinnerungen gingen nicht spurlos an ihr vorüber. Ihre Augen wurden gläsern und bevor eine Träne über ihre Wangen kullerte, wandte sie sich ab und ging.

    Isabell blieb zitternd zurück. Sie hatte gesehen, welche Reaktion das Bild bei Alesia ausgelöst hatte. Alesia hatte es wiedererkannt.

    Isabell schluckte und tastete auf dem Dachboden nach dem Fotobuch. Ihr Herz fing an zu rasen, als ihr Verstand begriff, was dies zu bedeuten hatte. Sie zog das Fotobuch an sich und räusperte sich. Der Schock über die mögliche Wahrheit ließ ihren Magen verkrampfen. Isabell schreckte zusammen, als ihr Smartphone vibrierte. Sie unterdrückte einen Schrei und starrte voller Entsetzen auf das Display. Es war ihr Freund Markus. Mit feuchten Händen nahm sie den Anruf entgegen und hielt es sich ans Ohr. Sie hatte Mühe, ihre Atmung ruhig zu halten und ihrem Freund nicht sofort hysterisch zu antworten. Markus bebte vor Wut und Isabell hörte die Traurigkeit in seinen Worten. Mit krächzender Stimme bat er sie, für Olivia ein warmes Bad einzulassen, das Gästezimmer einzuheizen und das Bett zu beziehen. Noch mehr Sorgen, dachte Isabell instinktiv und fragte sich, wann es endlich aufhören würde.

    Sie erkundigte sich, wie es Olivia ging, aber sie bekam keine Antwort. Schließlich beendete Markus das Gespräch und gab ihr mit knappen Worten zu verstehen, dass sie stark sein müssten und alles wieder gut werden würde.

    Isabell schlug das Smartphone frustriert auf den Boden. „Alles wird wieder gut." Alle sagten ihr das immer. Angefangen vom Pfarrer. Nichts war in Ordnung. Das

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