Irrlicht 42 – Mystikroman: Die Insel der sieben Gräber
Von Vivian Baker
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Priscilla stand vor der siebten Graböffnung. Der dumpfe Druck in ihrem Magen nahm zu. Ihr Blick richtete sich auf die siebte Kreuzinschrift, und sie meinte, der Schlag müsse sie treffen. Sie schrie gellend. Ihr Schrei hallte dumpf von der halbzerfallenen Schlossfassade wider. Auf dem Kreuz stand ihr Name! Priscilla Lloyd betrat das Büro und ging mit langen, federnden Schritten auf ihren Vorgesetzten zu. Ihre braunen Locken wippten im Rhythmus ihres Ganges. Die blauen Augen blickten nachdenklich. Unwillkürlich presste sie die vollen Lippen, die eine gehörige Portion Leidenschaft verrieten, fest zusammen. Harold Webster, der stellvertretende Manager der »Relax Computer Company«, neigte leicht den Kopf und sah die junge, attraktive Frau über die Brillenränder hinweg forschend an. Dann lehnte er sich zurück, während ein gewinnendes Lächeln seine Lippen teilte. Er strich über seinen kurzgestutzten Oberlippenbart, der ihm – nach seiner Meinung – einen Hauch von Verwegenheit gab. »Na, Kindchen«, sagte er jovial. »Haben Sie sich meinen Vorschlag überlegt? Ich würde Sie wirklich gern mit nach Paris zur Konferenz nehmen. Viel Arbeit fällt dort nicht an. Im Grunde genommen hätten Sie einige Tage Urlaub.«
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Irrlicht 42 – Mystikroman - Vivian Baker
Irrlicht
– 42 –
Die Insel der sieben Gräber
Eines ist für dich bestimmt, schöne Priscilla!
Vivian Baker
Priscilla stand vor der siebten Graböffnung. Der dumpfe Druck in ihrem Magen nahm zu. Ihr Blick richtete sich auf die siebte Kreuzinschrift, und sie meinte, der Schlag müsse sie treffen. Sie schrie gellend. Ihr Schrei hallte dumpf von der halbzerfallenen Schlossfassade wider. Auf dem Kreuz stand ihr Name!
Priscilla Lloyd betrat das Büro und ging mit langen, federnden Schritten auf ihren Vorgesetzten zu. Ihre braunen Locken wippten im Rhythmus ihres Ganges.
Die blauen Augen blickten nachdenklich. Unwillkürlich presste sie die vollen Lippen, die eine gehörige Portion Leidenschaft verrieten, fest zusammen.
Harold Webster, der stellvertretende Manager der »Relax Computer Company«, neigte leicht den Kopf und sah die junge, attraktive Frau über die Brillenränder hinweg forschend an.
Dann lehnte er sich zurück, während ein gewinnendes Lächeln seine Lippen teilte. Er strich über seinen kurzgestutzten Oberlippenbart, der ihm – nach seiner Meinung – einen Hauch von Verwegenheit gab.
»Na, Kindchen«, sagte er jovial. »Haben Sie sich meinen Vorschlag überlegt? Ich würde Sie wirklich gern mit nach Paris zur Konferenz nehmen. Viel Arbeit fällt dort nicht an. Im Grunde genommen hätten Sie einige Tage Urlaub.«
Webster stand auf und knöpfte die Weste über seinem stattlichen Bauch zu, ehe er um seinen Schreibtisch lief und vor Priscilla Lloyd stehen blieb.
»Das ist eine große Chance, Priscilla«, sagte er eindringlich. »Sie werden es auch nicht bereuen. Das verspreche ich Ihnen.«
Er ignorierte die steile Falte, die sich über Priscillas Nasenwurzel gebildet hatte. Und er schien auch den abweisenden Ausdruck in ihren schönen Augen zu übersehen.
Der ungefähr fünfzigjährige Mann griff nach der jungen Frau und zog sie zu sich heran. Priscilla war im ersten Moment so überrascht, dass sie wie gelähmt stehen blieb. Erst als seine Lippen ihren Mund suchten, stieß sie Harold Webster hart zurück.
Er konnte nur mit Mühe die Balance halten. Seine Hände ruckten in die Höhe, als wollte er einen Schlag abwehren. In seinen Augen lag ein fassungsloser Ausdruck.
Das dümmlich wirkende Lächeln war verschwunden. Er trat einen Schritt auf Priscilla zu, doch die junge Frau wich zurück.
»Wir sollten den Zwischenfall ganz schnell vergessen, Sir«, sagte sie kühl, ja, fast gelassen. »Sie haben sich in mir getäuscht, Mr Webster. Ich bin nicht die dumme Gans, für die Sie mich halten. Da läuft nichts – mit einem verheirateten Mann schon gar nicht, der nur ein flüchtiges Abenteuer sucht. Ich bin Ihnen als Sekretärin zugeteilt worden. Es genügt, wenn ich Ihnen hin und wieder Kaffee koche. Ich habe kein Interesse daran, mit Ihnen auch Kopfkissen und Frühstücksei zu teilen. Natürlich ist mir bewusst, dass meine Probezeit noch nicht beendet ist. Unter diesen Umständen ist es wohl am besten, wenn ich von mir aus kündige.«
»Aber, aber …«, würgte Harold Webster hervor und ließ sich schwer in seinen Schreibtischsessel fallen, der unter seinem Gewicht bedenklich ächzte.
Er fuhr über seine gerötete Stirn, auf der sich feine Schweißperlen bildeten. Noch immer sah er Priscilla Lloyd entgeistert an. Anscheinend hatte er nur selten in den letzten Jahren eine derartige Abfuhr erlebt.
»Sie … Sie … haben mich falsch … verstanden, Miss Lloyd«, stammelte er. »Ich … wollte …, äh …, ich meine …«
»Sparen Sie sich Ihre Ausreden, Sir. Schließlich sind Sie für derartige ›Missverständnisse‹ bekannt. Das wäre es wohl gewesen, Mr Webster.
Ich kündige hiermit. Leben Sie wohl!«
Harold Websters Gesicht rötete sich unheilverkündend. Zorn blitzte in seinen Augen auf. Die Finger der rechten Hand trommelten Unheil verkündend auf der Schreibtischplatte.
»Sie sollten vergessen, was hier …«
Priscilla Lloyd lächelte.
»Gewiss, Sir, gewiss.«
Priscilla wandte sich nach diesen Worten um und verließ das geräumige und großzügig eingerichtete Büro. Draußen atmete sie tief durch und trat zu ihrem Schreibtisch.
Dort begann sie, ihre wenigen privaten Dinge in ihre Handtasche einzupacken.
»Was ist denn los?«, fragte Jane Simmson, Priscillas Arbeitskollegin in Harold Websters Vorzimmer. Sie sah die junge Frau forschend an.
»Ich habe gekündigt. Das ist alles.
Ich suche mir einen anderen Job.
Mr Webster und ich sind in einigen Dingen grundsätzlich verschiedener Meinung.«
Die um ungefähr zehn Jahre ältere Kollegin nickte mehrmals, als wisse sie genau, was sich vor wenigen Minuten im Chefzimmer abgespielt hatte.
»Er kann’s einfach nicht lassen«, meinte sie. »Mich lässt er zum Glück in Frieden. Anscheinend bin ich ihm nicht attraktiv genug.«
Sie zuckte mit den Schultern. Fast schien es, als bedauere sie, dass sie ihrem Chef nicht gefiel.
»Was werden Sie tun, Priscilla?«
»Das alles zuerst einmal überschlafen und mich dann nach einem neuen Job umsehen, obwohl ich weiß, dass es damit nicht gerade rosig aussieht. Der Bedarf an Sekretärinnen ist nicht besonders groß.«
Priscilla Lloyd reichte ihrer Kollegin die Hand.
»Viel Glück«, wünschte Jane Simmson.
Priscilla nickte und verließ das Büro. Kurze Zeit später stand sie vor dem großen Verwaltungsgebäude. Sie warf keinen Blick mehr zurück, sondern beeilte sich sehr, um die U-Bahn-Station zu erreichen.
*
Priscilla Lloyd wohnte zur Untermiete bei Mrs Collins, der ein kleines Haus in einem Londoner Vorort gehörte. Das Zimmer war nicht groß, doch sehr gemütlich und vor allem mit viel persönlichem Geschmack eingerichtet.
Hier fühlte sich Priscilla wohl. Ihre Eltern waren vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Geschwister besaß die junge Frau keine. Und auch sonst gab es keine nähere Verwandtschaft.
Der Brief, den Priscilla auf dem Tisch vorfand, sah irgendwie sehr amtlich aus. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Priscillas Magen aus.
Sollte schon wieder eine unangenehme Neuigkeit auf sie warten?
Ihr Bedarf war für heute gedeckt.
Priscilla duschte und machte sich eine Tasse Tee, ehe sie entschlossen nach dem Brief griff und sich den Absender ansah.
»Rechtsanwalt Percy A. May, London.«
Das sagte Priscilla Lloyd überhaupt nichts.
Sie las die wenigen Zeilen:
Dear Miss Lloyd. In der Erbschaftsangelegenheit Ihres Onkels Samuel Henry Lloyd bitte ich Sie, mich in den nächsten Tagen in meiner Kanzlei aufzusuchen. Ich würde eine vorherige Terminabsprache sehr begrüßen. Hochachtungsvoll Percy A. May.
Priscilla starrte das Schreiben erstaunt an.
»Erbschaft? Onkel? Samuel Henry Lloyd?«
Sie las die wenigen Zeilen noch einmal.
Von einem Onkel dieses Namens hatte sie noch niemals gehört. Auch ihr Vater hatte von keinem Bruder erzählt. Das alles hörte sich sehr geheimnisvoll an.
Ein Irrtum, dachte Priscilla. Vielleicht eine Namensverwechslung. Immerhin war der Name Lloyd nicht gerade selten.
Es klopfte, und Sekunden später schob Mrs Collins den Kopf durch den Türspalt.
Ihr mütterlicher Blick traf Priscilla, die auch ein wenig Neugierde in dem rundlichen Gesicht ihrer Wirtin erkannte.
»Darf ich eintreten, Priscilla?«, fragte sie und wartete überhaupt keine Antwort ab, sondern schloss kurz darauf die Tür hinter sich. »Sie sind heute sehr früh nach Hause gekommen«, fuhr die fünfzigjährige Frau fort und setzte sich ihrer Untermieterin gegenüber auf einen Stuhl. »Hat es Ärger gegeben?«
Ihr neugieriger Blick richtete sich auf den Brief, der in Priscillas Schoß lag.
Priscilla lächelte sanft. Längst hatte sie Mrs Collins ihre Neugierde verziehen. Es tat ihr hin und wieder gut, sich mit ihr auszusprechen, denn sonst gab es niemanden, an den sie sich wenden konnte.
Mit Männern hatte sie wenigstens im Moment wenig im Sinn. Eine Enttäuschung steckte noch zu tief in ihr. Der Mann, den sie vor einigen Monaten zu lieben glaubte, hatte sich schon bald als ein leichtfertiger Schürzenjäger entpuppt, der zudem noch verheiratet war.
Doch daran wollte sie nicht mehr denken, obwohl James Rider immer noch anrief und sie auch mehrmals auf der Straße abgepasst hatte.
Sie hatte ihm aber erst vor acht Tagen unmissverständlich klargemacht, dass sie das nicht weiter wünschte. Das Lachen war ihm schnell vergangen, als sie ihm ankündigte, dass sie seine Frau aufsuchen werde, sollte er nicht endlich mit den Nachstellungen aufhören.
Seitdem hatte sie nichts mehr von James gehört – und war sehr froh