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Patagonien: Prosa
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Patagonien: Prosa
eBook117 Seiten1 Stunde

Patagonien: Prosa

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Über dieses E-Book

In über 100 Prosastücken widmet Jürg Amann sich dem Besonderen genauso wie dem Alltäglichen und stellt so seine Beobachtungsgabe und Einfühlsamkeit wieder einmal unter Beweis.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum30. Jan. 2014
ISBN9783709973189
Patagonien: Prosa

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    Buchvorschau

    Patagonien - Jürg Amann

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    Alte Möbel

    Wenn ich, wie eben jetzt, in diesem Buch, sagt er, lese: sie verschränkte ihre Beine, dann sehe ich tatsächlich einen alten Schrank, alte Möbel aus dunklem, fast schwarzem gefaserten Hartholz, eine Kredenz, eine hölzerne Fußbank, die ich als Kind bei meinen deutschen Verwandten, vielleicht auch nur Bekannten meiner Eltern oder Bekannten von Bekannten meiner Eltern gesehen habe, möglicherweise auf einem Sonntagsausflug oder einer kleinen, vielleicht mehrtägigen Reise, auf die mich Maria oder Fräulein O., die vielleicht eine Freundin des Vaters, jedenfalls aber eine Freundin des Hauses, wenn auch nicht gerade der Mutter gewesen ist, mitgenommen hat, auf die Reichenau, wie mir scheint, in den süddeutschen Raum jedenfalls, in eine Bodenseelandschaft.

    Die Personen in diesen Möbeln, die wir aber besuchten oder bei denen wir einkehrten, also wahrscheinlich meine Verwandten, bei denen es aus einer Karaffe eine Erfrischung gab, bevor es in der Sonne, die ich noch spüre, über staubige Wege, die ich noch sehe, weiterging, sehe ich nicht.

    Betrachtung

    Der breite, ruhige Entenbach, in seiner Kindheit. Die Mühle von Hegi, die eine Sägerei war. Das Wehr kurz davor, damit die Enten nicht in das Mühlrad gerieten. Sonnige Tage mit der Mutter, mit Brotbrocken in den Hosensäcken, um die Enten damit zu füttern. Der Bruder, der kleine Bruder. Das Foto von ihnen beiden, auf dem sie zusammen auf einem Gartenzaun sitzen. Das war einmal.

    Und die Erinnerung an das Knarren des Gartentors und an die näherkommenden Schritte auf dem Plattenweg durch den Garten, jeden Tag, wenn der Vater von der Arbeit nach Hause kam, manchmal verspätet, weil er den Bus verpaßt hatte. An dieses Warten, das ein unruhiges, freudiges Warten gewesen war. Dann durfte man ihm an die Türe entgegenspringen, ihm öffnen, ihm die Pantoffeln vor die großen Füße stellen, die dicht vor einem zum Stillstand gekommen waren. Dann gab es zu essen.

    Jetzt ist alles anders. Warum kann er ein Lied, das jemand singt, wenn es eine Einladung zum Mitsingen enthält, schon nicht mehr singen? Dagegen die Öffnung von Brust und Kehle, wenn er allein im Gebirge neben einem Wasserfall steht?

    Die Kirche

    Als ob von draußen die Rettung käme, tritt er immer wieder ans Fenster, läßt das Zimmer im Rücken, blickt durch das trübe Glas, in den kahlen, steil gegen den Himmel steigenden Garten, zur Kirche hinauf. Aber die Kirche ist nicht mehr die Kirche aus seiner Jugend. Dort sieht er sich, klein und weit weg, im gelben flackernden Kerzenlicht, in der halbdunklen Wärme des Raumes, während draußen die Winternacht einbricht, Ellbogen an Ellbogen mit fremden Menschen, zur Andacht versammelt, in Weihrauchschwaden gehüllt, den schlafwachen Blick nach innen gerichtet oder nach oben oder nach vorne oder nach links hinüber zu den Reihen der Mädchen, kniend, von etwas Großem erfüllt.

    Fronleichnam

    Das Wort Fronleichnam hat eine Spur hinterlassen, auf das er wieder gestoßen ist. Er hört seine Mutter, wie sie Peter und Paul sagt, er sieht seinen Großvater, wie er sich vor der Peter und Paul-, der uralten Stadtkirche, als Kreuz- oder Fahnenträger an die Spitze der Prozession stellt, die sich dann in Bewegung setzt, er sieht, wie er sich mitbewegt, sieht sich selbst, spürt die kurzen Hosen an seinen Beinen, wie er Schrittwechsel machen muß, weil er für den Trauermarsch noch zu klein ist, fühlt wieder das Pfadfinderhemd über der Brust, wie es kühlt, und dann die lange Hitze auf der Schützenwiese, wo sonst Fußball gespielt wird, die Langeweile und die Aufregung und den Kampf gegen den betäubenden Weihrauch während des Festgottesdienstes, sieht diesen Louis Engeler wieder, von dem er vieles gelernt hat, der älter gewesen ist als er, der nun schon tot ist, sieht sich in der Menge ein Mädchengesicht suchen, das ihm im Laufe des Spielnachmittags zulachen wird, während die Mütter vom Waldrand herab, bei Kaffee und Kuchen, die Aussichten ihrer Kinder betrachten (natürlich ist dann doch alles anders gekommen) – aber wo ist der Vater? Wo ist bei all dem immer sein Vater?

    Der junge Mensch

    Als ganz junger Mensch hat er als ganz junger Mensch sterben wollen. Wie Christus. Mit dreißig Jahren. Um blühend, auf seinem Zenith, rein in den Himmel zu kommen. Und dort so für immer zu bleiben.

    Als er älter geworden ist, will er auch älter werden. Je älter, desto älter. In der Weisheit des Alters sieht er sich jetzt noch immer am Leben. Aber am Ideal seiner Jugend kommt er nicht leicht vorbei.

    Die kritische Zeit hat er hinter sich. In seinem Alter war Christus schon tot. Und begraben und auferstanden. Und er, schon nach den ersten Zeichen des Alterns und des Verblühens und des Unrein-Werdens, hat Mühe weiterzuleben.

    Kinderangst

    Immer noch dasselbe Muster, denkt er. Die Kinderangst, die er hatte, daß ihm Gott, zu dem er gerade darum gebetet hatte, tatsächlich erscheinen könnte, nachts, in seinem Zimmer, in dem er allein war, aus der Wand heraus vor ihn hintreten, von der Decke zu ihm herabsteigen, in deren rauhem Bewurf er, wenn der Mond durch die geöffneten Läden hereinschien oder das Licht eines vorbeistreichenden Autoscheinwerfers darüberzuckte, seine tausend Gesichter sah, die freundlichen und die strafenden, tatsächlich ein Zeichen geben, tatsächlich das Wunder tun und ihn berufen. Er hat sie immer noch. Obwohl das Wunder, wie er Gründe hat anzunehmen, doch schon geschehen ist, die Berufung, wie er glauben muß, schon erfolgt. Nicht mehr davor, deshalb die

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