Sixties West Germany
Von Rolf Platho
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Buchvorschau
Sixties West Germany - Rolf Platho
Der Anfang von allem
Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem der Mensch nicht vertrieben werden kann.
Jean Paul
Und weiterhin:
Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Friedrich Nietzsche)
…de la musique avant toute chose – et tout le reste est litérature (Paul Verlaine)
[ja, ja, ich weiß schon …]
…brings me back to the days when life was good and things were simple. Listened on our transistor radio. Wish I could go back… (courtesy of 1Sparklecat2/youtube)
Eine nostalgische Erzählung für die Liebhaber der Beatmusik
„Sixties West Germany"
das ist die lust- und lehrreiche Geschichte/von Wolfgang und Birgit, gründlich erzehlet/und mit exempeln anmuthiger anglischer Verse untersetzt/nebenst etlichen Sinnreden und allerley Welt Geschichten/so sich in Teutschland begeben und zugetragen/verfertiget und vor ein kurtzweilig lesen lustigen Gemütern zu gefallen herausgegeben
von
Rolf Platho
Guten Tag, liebe Beat-Freunde.
Nun ist es endlich soweit. In wenigen Sekunden
beginnt die erste Show im Deutschen Fernsehen,
die nur für Euch gemacht ist.
Sie aber, meine Damen und Herren,
die Sie Beat-Musik nicht mögen,
bitten wir um Ihr Verständnis:
Es ist eine Live-Sendung mit jungen Leuten
für junge Leute
Und nun geht's los!
Es ist soweit. Endlich. Wir hatten schon nicht mehr geglaubt, dass wir das loswerden. Kann bitte mal jemand Margot Eskens und Freddy Quinn auf einen Frachter nach Surabaya setzen? Schickt die zwei kleinen Italiener auf die Fiesta Brasiliana, wo sie noch einmal den weißen Wolken nachschauen können, während sie in den Morgen tanzen. Und der Cowboy soll sich einen Tirolerhut kaufen, seinen Krimi im Bett lesen und vom Stadtpark die Laternen den Mondschein an der Donau machen lassen. Und Junge, komm bloß nicht bald wieder! (Ihr anderen auch nicht!)
Jetzt ist Schluss mit der Lustigkeit, dem Fernweh und den säuselnden Liebesträumereien. Weg mit dem Plüsch der lauen Gefühle, in den Orkus das weinerliche Fernweh, raus mit der albernen Komik. Aus den Augen die trällernden Mädchen und die Baritons in Krawatte mit dem melancholischen Gesichtsausdruck. Macht Platz für die Verstärker, her mit den zappeligen Jungs mit Gitarren, dreht das Transistorradio auf, jetzt ist Zeit für eine neue Generation, eine Musik, hart, eindeutig und klar, laut und fordernd, eine Musik, die zuschlägt, dafür ist das Schlagzeug ja da.
Deutschland war ein blauweißes Tütchen, auch wenn das Bild vorne keinen Matrosen, sondern einen ganz, ganz alten Mann zeigte, gefüllt mit einem unscheinbaren aber wirkungsmächtigen Pulver. Es enthielt den Respekt vor der Obrigkeit, die unantastbare Ordnung der Dinge, in der alles gut und richtig ist und alle die hergebrachten Werte wie der Diener der Jungs und der Knicks der Mädchen vor Älteren, die sich für junge Menschen gehörten. Es enthielt Zucht und Gehorsam in der Familie und die Keuschheit, die so rein und unantastbar war wie Maria, auch dafür sorgte die Kirche. Und plötzlich, es braucht nur ein wenig Feuchtigkeit, beginnt es in der Tüte zu gären und zu toben, es schäumt rosa oder grün und spritzt und zischt und das Brausepulver entfaltet ein Riesenspektakel, das man ihm nie zugetraut hat. Und es war der Beat, der in die Tüte spuckte.
Das Lied brach über ihn herein. Ein dreifaches Fanal, eine übermütige Aufforderung, Schlachtrufe. Der Sog erfasste ihn und zog ihn mit sich, dumpfe Schläge, klirrende Gitarrenakkorde, treibendes rhythmisches Scheppern im Hintergrund, alles beherrschend, vorwärts drängender Gesang, Triumphgeheul. Ihm wurde schwindlig, es war, als wäre er plötzlich mitten in diesem Dokumentarfilm, den er neulich im Kino gesehen hatte, als raste er in einem Boot durch einen schäumenden Wildbach, an Felswänden vorbeijagend, gefährlich und berauschend, unbeschützt und sicher, unvorstellbar aber wirklich.
Zum Mittagessen hatte es Eintopf gegeben, rote Rüben, Bratwurstscheiben, Kartoffeln. Ein Rest von dampfigem Gemüsearoma hing noch in der Luft der Wohnküche. Bevor er Hausaufgaben machte, trocknete er immer ab. Auf dem hellen Wachstuch bildeten sich Gruppen winziger Schaumbläschen, die auf kleinen Wasserflecken schwammen.
Der abgetrocknete Teller rutschte mit einem Klappern aus dem Handtuch auf den Stapel. Das Handtuch war nass.
Mach das leiser.
Der Refrain kam laut, ungehemmt, siegkündend. Fröhlichkeit, Unbekümmertheit, Selbstsicherheit, Siegesgewissheit spürte er. Ansteckend war es, er war auch gemeint, sie wollten ihn auch anstoßen, er sollte gefälligst selbst was unternehmen, Mut haben, sich bewegen, Spaß haben, genießen, frei sein. Eine freche Aufforderung zum fröhlich-unbeschwerten Leben, das hatte es noch nie gegeben.
Auf dem Küchenbüfett stand der Wecker, er zeigte 14 Uhr 25. Um ihn herum hatte sich gesammelt, was üblicherweise im Laufe eines Tages dort strandete: ein gehäkelter Topflappen, die blauweiße Niveadose, ein Kamm, Kleingeld.
Du sollst leiser machen, hab ich gesagt. Hörst du nicht?
Er