Bittere Bonbons
Von Milla Dümichen
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Über dieses E-Book
Milla Dümichen
Milla Dümichen ist eine deutsche Autorin mit russisch-georgischen Wurzeln. Ihr Lebensweg führte sie als Vierzigjährige mit ihrer deutschstämmigen Mutter nach Deutschland. In ihren ersten zwei Büchern "Bittere Bonbons" und "Pustekuchen und andere Delikatessen" schildert sie Berührendes und Amüsantes ihres bewegten Lebens in ihrer neu erlernten deutschen Sprache. Getreu ihrem Motto: Die besten Geschichten erzählt das Leben nimmt sie Leser und Zuhörer mit auf ihre Zeitreise. In ihrem dritten Buch "Herbstrauschen" begleitet sie ihre Freundin Ella hilfreich mit klarem Blick auf die häufig unbarmherzigen Alltäglichkeiten auf ihrer Suche nach dem passenden Partner. Mit der Lektorin von Herbstrauschen, Eva von Kleist, fanden sich schnell Berührungspunkte. Daraus entwickelte sich das gemeinsame Projekt Spätlese und Eiswein.
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Buchvorschau
Bittere Bonbons - Milla Dümichen
Inhaltsverzeichnis
Vorab
Bevor das Buch beginnt
Ein Leben in zwei Welten
Unsere Erinnerungen
Russische Wurzeln
Bittere Bonbons
Miroslawa
Wenn die Haare
Salzheringe
Erinnerungen an meinen Vater
Geweckte Sehnsüchte
Reise ins Schlaraffenland
Zwischen den Welten
Koriander
Meine ersten Schuhe
Wer glaubt, wird selig
Zwischen Glauben und Grauen
Ostern vor 90 Jahren
Verwunschener Ort
Verlorenes Paradies
Bis hier hin und nicht weiter
Mein Freund, das Buch
Angekommen
Deutsche Sprache – schwere Strafe
Rüstiger Rentner sucht Traumfrau
Selbstverteidigungskurs für Frauen
Im Frühtau zu Berge...
Berufswunsch Rentner
Einkaufen mit Enkel
Im Internet zuhause
Wer hat die Bank geklaut?
Zu jung für einen Rollator
Bei mir fängt es auch an
Abschied
Häppi Bösdey
Vorab
Bevor das Buch beginnt
Die Geschichten Milla Dümichens werden in diesem Büchlein in drei Abschnitten erzählt, einer Gliederung, die sich gleichsam von selbst ergibt:
Unter dem Titel Russische Wurzeln geht es um Episoden und Erlebnisse in ihrer ersten Heimat Russland, aus der sie beim Zusammenbruch der UdSSR als Vierzigjährige mit ihrer Mutter nach Deutschland kommt. Immer wieder spürt der Leser nicht nur die realistische Sicht der Autorin auf das verlassene Land, sondern auch einen Rest Sehnsucht, wenn sie darüberschreibt.
Im zweiten Teil geht es ebenfalls um das Land ihrer Kindheit, ihr Verlorenes Paradies, wie Milla eine dieser Erzählungen wehmütig überschreibt. Auch nach ihrem Weggang wecken manche Ereignisse, Beobachtungen oder Gedanken Erinnerungen an die alte Heimat. So entstehen Erzählungen Zwischen den Welten, Geschichten über ihr Russland, gespiegelt an Erfahrungen in Deutschland.
Der letzte Abschnitt, Angekommen, fasst Erzählungen aus dem ganz normalen Alltagsleben der Autorin hier in einer westfälischen Kleinstadt zusammen. Der schwierige Umgang mit der deutschen Sprache, Irritationen bei der Partnersuche und im Umgang mit den Enkeln, Unannehmlichkeiten des Alltags und der lockere Umgang ihrer Mutter mit dem Älterwerden – der Themenbogen ist weit gespannt. Man spürt einfach die Lust der Autorin, das, was sie bewegt, aufzuschreiben – auch wenn sie das hier in ihrer zweiten Heimat in einer erst spät erlernten Sprache tut. Und bevor sie in diesem Vorwort selbst erzählt, wie sie dazu gekommen ist, diese Geschichten aus ihrem Leben aufzuschreiben, möchte ich Milla Dümichen als Autorin etwas näher vorstellen:
Ein Leben in zwei Welten ...
... und doch wieder nicht. Ihre Geschichten, die Milla uns hier erzählt, spielen nur geografisch in unterschiedlichen Ländern: Anfangs in ihrer ersten Heimat Russland – in Sibirien und Georgien – und dann in Deutschland, dem Land, in dem sie sich jetzt heimisch fühlt.
Doch beim näheren Hinhören wird es immer deutlicher: Es ist im Grunde eine Welt, die in den kleinen Episoden entsteht, die Welt eines empfindsamen Herzens in einer starken Frau. Ob Milla von dem kleinen Mädchen berichtet, dessen Kindheit neben bitteren Bonbons auch schöne Momente für sie bereithält, ob ihr Vorgänge im engen Umfeld wie auch in der großen Politik zu denken geben oder ob sie das Leben ihrer Eltern nachdenklich und liebevoll betrachtet – immer hört man neben ihrem wachen Verstand vor allem ihr Herz sprechen.
Als ich von ihr gebeten wurde, die Texte auf übrig gebliebene Reste des russischen Satzbaus und die (wenigen) verlorenen Kämpfe mit der deutschen Grammatik durchzusehen, habe ich das sehr vorsichtig getan. Ich wollte möglichst wenig Originalton Milla verändern. Denn jede ihrer Geschichten ist eine Botschaft. Ihre Art zu erzählen, ihr Umgang mit der spät erlernten fremden Sprache, die warmherzig-spröde Information des Lesers, gerade das bringt ihr und ihren Geschichten bei uns am Autorenstammtisch und in der Füllhornredaktion so viel Sympathie und Ermunterung ein.
Ich sehe sie immer vor mir, wenn ich eine Geschichte von ihr lese. Mit dem munteren Lächeln im Gesicht, mit dem prüfend fragenden Blick, ob ich ihre Botschaft auch mitbekomme und dem befreiend glücklichen Lachen, wenn sie merkt, dass ich verstanden habe, um was es ihr geht.
Ich wünsche allen Lesern dieses Bändchens meine Freude an Millas Geschichten!
Rudolf Köster
Unsere Erinnerungen
Die Jugend ernährt sich von Träumen,
das Alter von Erinnerungen.
(Jüdisches Sprichwort)
Geht es Ihnen auch so, wenn Sie ein altes Foto oder einen alten Gegenstand in den Händen halten oder ein altes Lied im Radio hören, dass die Erinnerungen an diese Zeit und die Menschen in ihr ganz bestimmte Emotionen hervorrufen? Wir werden melancholisch, nachdenklich, manchmal bis zu Tränen gerührt oder auch heiter und vergnügt. Dann möchten wir es unseren Kindern, unseren Partnern oder Freunden mitteilen. Warum brauchen wir das? Und warum ist das gerade im Alter so stark ausgeprägt? Weil der größte Teil unseres Lebens vorbei und die Zukunft begrenzt ist? Haben wir jetzt mehr Zeit, um in dem alten Krempel zu wühlen?
Früher, als Berufstätige, hatten wir viele Verpflichtungen: Arbeit, Familie, Haushalt. Jetzt sind die Kinder aus dem Haus, die Rente kommt pünktlich zum Ersten des Monats. „Das bisschen Haushalt" für zwei Personen ist schnell gemacht. Einmal in der Woche kommt die Putzfrau, ab und zu hilft uns ein Gärtner, und manchmal gehen wir auswärts essen. Was machen wir mit dem Rest des Tages? Erinnern.
Doch wer will die alten Kamellen hören?
Unsere erwachsenen Kinder werden vom Berufsleben beansprucht, das heute ganz anders aussieht als zu unserer Zeit. Qualifiziert, flexibel und leistungsfähig sollen sie sein, mehrere Fremdsprachen oder mindestens Englisch müssen sie können. Auch der Umgang mit dem Computer ist ein Muss.
Und wenn sie das alles beherrschen, dann haben sie es vielleicht geschafft. Doch dann lesen sie wahrscheinlich lieber Shades of Grey als unsere Schnulzen.
Und die Kindeskinder kommen in dieser neuen Welt auch schon ganz gut zurecht. Wenn mein 11-jähriger Enkelsohn bei mir zu Besuch ist, läuft er den ganzen Tag mit dem Brett (Tablet) vorm Kopf herum, aus dem ständig das Rattern eines Maschinengewehrs dringt. Das Geräusch klingt grässlich in meinen Ohren. Doch ich halte mich mit Kritik zurück. Jede Zeit hat ihre Musik und Idole.
Als ich elf war, war Elvis Presley der vergötterte Superstar unserer Generation. Seine Auftritte, seine extravagante Garderobe und besonders sein legendärer Hüftschwung wurden unter uns Jugendlichen zum Kult. Ich erinnere mich sehr gut an diese Zeit. In unserem Wohnzimmer grölte Musik von Elvis, und mein Bruder kniete mit seiner Gitarre auf dem Boden. Er imitierte den King. Meine 16-jährige Schwester machte mit, und ich zappelte daneben. Mama hielt sich die Ohren zu. Mit Kirchenmusik vom Blasorchester ihres Vaters aufgewachsen, war ihr dieser vulgäre, rebellische Musikstil fremd. Unser Vater schüttelte nur den Kopf und eilte nach draußen.
Doch der Aufstieg von Elvis war nicht aufzuhalten. Seine Ohrwürmer wie It`s Now Or Never, Blue Suede Shoes oder In The Ghetto bleiben mir unvergessen. Und mein Vater hat die Rechnungen für die Platten ohne Widerrede bezahlt. Deswegen erdulde auch ich heute das Rattern und die lauten neuesten Songs meines Enkels.
Wenn ich ihm von früher erzählen möchte, hört er mir eine Weile zu, dann unterbricht er mich mit dem Anspruch: „Danach spielen wir aber am PC mein Spiel. Okay Oma?" Ich verstehe, er hört mir aus Höflichkeit zu. Der kleine Charmeur!
Also für wen möchten wir diese Vergangenheit lebendig halten? Weil kein wirkliches Interesse bekundet wird, rennen wir in Workshops und Schreibwerkstätten, um mit Gleichgesinnten die Vergangenheit aufzuarbeiten. Vor kurzem hörte ich, dass Kinder einer verstorbenen alten Dame, die jahrelang ehrenamtlich Beiträge für ein Magazin geschrieben hatte, in der Redaktion nach diesen Beiträgen gefragt haben. Jetzt, da die Dame tot ist, möchten die Kinder wissen, womit sich ihre Mutter tagsüber beschäftigt hat, worüber sie sich Gedanken gemacht hat. Sie möchten mit diesen Geschichten gerne ihre Mutter wieder ein Stück lebendig werden lassen. Vielleicht hatten sie früher nicht genug Zeit oder Interesse, ihre Texte zu lesen? Vielleicht ging es den Kindern nicht anders als uns – damals, als wir unsere Verpflichtungen hatten?
Ich gebe zu, mir geht es ähnlich. Seit dem Tod meiner Mutter hat alles einen anderen Wert. Jede Notiz, jedes Foto, jeder Gegenstand aus ihrer Wohnung ist jetzt ein Zipfelchen gewesenen Lebens eines geliebten Menschen. Soll ich es weggeben, in einen Container werfen, unter Bedürftige verteilen? Ich bin noch nicht so weit, vielleicht bald, vielleicht irgendwann.
Die Kraft unserer Erinnerungen ist gewaltig. An glückliche Erlebnisse denkt man schließlich immer wieder gerne zurück. Heute, beim Frühstück, höre ich das alte Lied Voyage, Voyage, das in den 80-er Jahren zum internationalen Nummer-Eins-Hit wurde. Und schon tauche ich in meine eigene Vergangenheit und die damit verbundenen schönen Erlebnisse. Ich bin wieder Anfang Dreißig