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DAS HAUS OHNE TÜR - ERZÄHLUNGEN: Im Dunkel der Nacht - Krimis aus der DDR, Band 2
DAS HAUS OHNE TÜR - ERZÄHLUNGEN: Im Dunkel der Nacht - Krimis aus der DDR, Band 2
DAS HAUS OHNE TÜR - ERZÄHLUNGEN: Im Dunkel der Nacht - Krimis aus der DDR, Band 2
eBook295 Seiten4 Stunden

DAS HAUS OHNE TÜR - ERZÄHLUNGEN: Im Dunkel der Nacht - Krimis aus der DDR, Band 2

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Über dieses E-Book

Der Band Das Haus ohne Tür, zusammengestellt und herausgegeben von Christian Dörge, erscheint in der Reihe Im Dunkel der Nacht – Krimis aus der DDR im Apex-Verlag und enthält die folgenden spannenden Krimi-Erzählungen: Das Haus ohne Tür von Arne Leonhardt (1966), Späte Rechnung von Peter Niemann (1981), Gesucht wird Erzsébet Labró von János Fülöp (1979), Kennwort Laubenspringer von Günter Teske (1965) und Alarm in der Nacht von Kurt Letsche (1966).

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum4. Okt. 2019
ISBN9783748717089
DAS HAUS OHNE TÜR - ERZÄHLUNGEN: Im Dunkel der Nacht - Krimis aus der DDR, Band 2

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    Buchvorschau

    DAS HAUS OHNE TÜR - ERZÄHLUNGEN - Christian Dörge

    Das Buch

    Der Band Das Haus ohne Tür, zusammengestellt und herausgegeben von Christian Dörge, erscheint in der Reihe Im Dunkel der Nacht – Krimis aus der DDR im Apex-Verlag und enthält die folgenden spannenden Krimi-Erzählungen: Das Haus ohne Tür von Arne Leonhardt (1966), Späte Rechnung von Peter Niemann (1981), Gesucht wird Erzsébet Labró von János Fülöp (1979), Kennwort Laubenspringer von Günter Teske (1965) und Alarm in der Nacht von Kurt Letsche (1966).

    DAS HAUS OHNE TÜR von Arne Leonhardt

    Es war 20 Uhr 10, als der graue EMW mit dem VP-Kennzeichen in schneller Fahrt in die Fasanenstraße einbog. Oberleutnant Gruhl, Leiter der Morduntersuchungskommission, registrierte diesen Zeitpunkt ganz automatisch. Die Meldung des Unfalles war 19 Uhr 50 eingegangen.

    Sie hielten vor dem Hause Fasanenstraße 12 dicht hinter dem am Fußweg parkenden Rettungswagen. Vor dem Hauseingang stand trotz des Nieselregens eine Gruppe Menschen. Ein Mann in der grauen Uniform des Sanitätsdienstes ging auf die Kriminalisten zu.

    »Es ist im ersten Stock, bei Lissner«, sagte er halblaut. »Der Arzt ist oben, aber es ist nichts mehr zu machen.«

    Das Treppenhaus war nur schwach erleuchtet und roch muffig. Neben einer Tür ohne Namensschild führte eine ausgetretene Steintreppe nach oben. Im ersten Stock stand eine der Wohnungstüren halb offen, gedämpfte Stimmen waren zu hören.

    Ein gnomenhaft aussehendes Männchen mit Brille und schütterem Haar füllte im Lichtschein einer Taschenlampe ein Formular aus. Es war der Arzt. Er drehte sich um und musterte die Eintretenden. »Ach, Sie sind es, Oberleutnant«, sagte er. »Ich schicke den Rettungswagen gerade wieder weg. Die Frau war sofort tot. Stromschlag, der elektrische Heizofen ist ihr in das Badewasser gefallen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Unfallort.« Er erhob sich, trat auf den Korridor hinaus und wies auf eine offenstehende Tür.

    Oberleutnant Gruhl winkte Wachtmeister Nötzold und dem Fotografen zu, der im Korridor stand, mit Kamera, Blitzlicht und einem Koffer ausgerüstet. »Nehmen Sie den Unfallort auf«, befahl Gruhl. Nötzold und der Fotograf folgten dem Arzt ins Badezimmer.

    Am Ende des Korridors stand ein Mann mit verstörtem Gesicht. Er trug Hausschuhe, in der Hand hielt er krampfhaft eine Taschenlampe. »Lissner, Klaus Lissner«, stieß er hervor, als ihn Oberleutnant Gruhl anblickte.

    »Wo können wir ungestört sprechen?«, fragte Gruhl.

    Klaus Lissner beleuchtete den Weg ins Wohnzimmer. Wie nach einer schweren Anstrengung ließ er sich dort in den Sessel fallen, legte die Taschenlampe auf den Tisch und griff nach einer Zigarette. Beim Anzünden brach er zwei Hölzer ab.

    Oberleutnant Gruhl nahm ihm gegenüber Platz und zog ein Notizbuch aus der Tasche. »Ich möchte Sie meines Mitgefühls für diesen tragischen Unfall versichern, Herr Lissner. Trotzdem muss ich einige Fragen an Sie richten. Die Verstorbene ist...«

    »Margarete Halbach, meine Schwiegermutter.«

    In diesem Augenblick flammte die Deckenbeleuchtung auf. »Meine Kollegen haben die Sicherung erneuert«, erklärte Oberleutnant Gruhl. Er begann zu notieren. »Wer gehört außer ihrer Schwiegermutter noch zur Familie?«

    »Detlev und Steffen, meine Jungen, fünf und acht Jahre alt. Meine Frau starb vor vier Jahren, ein Verkehrsunfall.«

    »Schildern Sie mir bitte ganz ausführlich den Verlauf des heutigen Abends.«

    Klaus Lissner löschte die Taschenlampe und drückte die angerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. Es hatte Mühe, sich zu konzentrieren. »Ich kam heute gegen halb sechs nach Hause, mein Freund begleitete mich, Axel Trepte heißt er. Wir unterhielten uns hier im Wohnzimmer über den Bau seiner Garage. Ich will ihm dabei helfen. Er ist nach ungefähr einer Stunde wieder gegangen. Ich habe danach in dem Zimmer im Erdgeschoss Abendbrot gegessen, dabei Nachrichten und anschließend ein Hörspiel gehört. Es muss kurz nach halb acht gewesen sein, als plötzlich das Licht ausging. Ich nahm die Taschenlampe, sah oben in der Wohnung nach den Sicherungen und rief meine Schwiegermutter. Sie antwortete nicht, ich suchte nach ihr und fand sie schließlich im Badezimmer. Sie lag in der Wanne... tot. Bei unserer Nachbarin habe ich die Rettungsstelle angerufen.«

    »Sie hielten sich demnach zur Zeit des Unfalles gar nicht in der Wohnung auf?«

    Klaus Lissner sah den Oberleutnant schweigend an, als müsse er erst den Sinn dieser Frage ergründen. »In der Wohnung hier oben nicht, nein. Ich war in dem Zimmer im Erdgeschoss, gleich neben der Treppe, es gehört noch zur Wohnung. Sonst schlafen meine Jungen dort.«

    »Sind Ihre Jungen jetzt nicht zu Hause?«

    Klaus Lissner zögerte. Die Frage war ihm sichtlich unangenehm. »Ich habe die Jungen vor drei Tagen weggebracht, zu den Eltern von Fräulein Ermisch. Fräulein Ermisch und ich wollen heiraten. Deshalb bin ich auch in das Zimmer im Parterre gezogen, es gab in der letzten Zeit Zerwürfnisse zwischen meiner Schwiegermutter und mir.«

    Oberleutnant Gruhl bedankte sich für die Auskünfte, steckte das Notizbuch ein und erhob sich. Er ging in das Badezimmer, einem mittelgroßen, grüngekachelten Raum. Die Tote war weggebracht worden, die Badewanne entleert; den Heizofen hatte einer der Kriminalisten mitgenommen. Von der Tragödie zeugten nur noch eine breite Wasserlache vor der Wanne und Frau Halbachs Kleider an einem Haken.

    Wachtmeister Nötzold stand am Fenster und musterte den Raum. Als er den Oberleutnant eintreten sah, fragte er ihn: »Wohin würdest du einen Heizofen stellen, wenn du hier baden wolltest und der Raum wäre dir zu kühl?«

    Oberleutnant Gruhl schaute sich um. Die Badewanne hatte einen schmalen, gewölbten Rand, auf dem man nichts abstellen konnte. Außer einem niedrigen Schränkchen standen keine Möbel im Raum. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagte er. »Entweder stelle ich den Heizofen auf den Schrank da oder auf den Fußboden.«

    Wachtmeister Nötzold nickte. »Ich überlege schon die ganze Zeit, wie der Heizofen vom Schrank oder auch vom Fußboden in die Wanne gekommen sein kann.«

    Oberleutnant Gruhl sah sich nochmals um. Die Steckdose befand sich zwischen der Tür und dem Badeofen. »Vielleicht hat sie von der Wanne aus den Heizofen hochgenommen, um auf diese Art den Stecker aus der Dose zu ziehen«, mutmaßte er.

    »Dazu ist die Schnur des Heizofens zu lang«, widersprach Wachtmeister Nötzold. »Sie hätte in diesem Fall an der Schnur gezogen und den Ofen stehengelassen.« Er griff nach seinem Mantel, den er auf einem Haken neben Frau Halbachs Kleider gehängt hatte. »Ich habe schon alles ausprobiert, Siegfried. Es gibt keine Möglichkeit, den Heizofen aus Versehen in die Wanne fallen zu lassen. Ich halte einen Unglücksfall für ausgeschlossen.«

    »Also Selbstmord.« Es war nicht genau zu hören, ob Oberleutnant Gruhl diese Worte als Frage oder als Feststellung aussprach.

    Wachtmeister Nötzold knöpfte den Mantel zu. »Das wäre erklärbar. Wir werden wohl erst mal die Ergebnisse der Spurensicherung abwarten müssen.«

    »Ein Mensch heizt einen Badeofen«, sagte Gruhl nachdenklich, »lässt die Wanne voll Wasser laufen, legt Seife, Schwamm und Handtuch zurecht und begeht dann Selbstmord. Eigenartig.«

    Wachtmeister Nötzold saß am Schreibtisch seines Vorgesetzten. Er las zum wiederholten Male den Bericht des Arztes, in dem als Zeitpunkt für Frau Halbachs Tod die Zeit zwischen 19 Uhr 15 und 19 Uhr 45 angegeben wurde. Dieses »zwischen« störte ihn. Er war ein gründlicher Arbeiter, bei einem solch mysteriösen Todesfall wollte er den Zeitpunkt des Todes exakt, möglichst auf die Minute bestimmt haben.

    Oberleutnant Gruhl kam ins Zimmer und warf achtlos die Tür hinter sich zu. Er blieb vor dem Schreibtisch stehen und überflog einen Zettel, den er in der Hand hielt. »Von der Daktyloskopie«, bemerkte er.

    Nötzold nickte. »Das ging ja diesmal ziemlich flott.«

    »Kein Wunder. Die Fingerabdrücke auf dem Heizofen sind noch nicht bestimmt, und der Stecker macht wenig Arbeit. Er enthält keine Fingerabdrücke.«

    »Was denn?« Wachtmeister Nötzold sah den Oberleutnant entgeistert an.

    »Es sind keine Fingerabdrücke auf dem Stecker; weder die der Frau Halbach noch andere. Demnach ist er gestern entweder mit Handschuhen in die Dose gesteckt oder nachträglich gesäubert worden.«

    »Also auch kein Selbstmord!«

    »Da ich keinen Selbstmörder kenne, der seine Fingerabdrücke beseitigt, nehme ich an, dass Frau Halbach ermordet wurde.«

    Wachtmeister Nötzold schob den Arztbericht in die Mappe zurück und stand auf. »Und wie jetzt weiter?«

    »Mach dich fertig und besorge einen Wagen, wir fahren zur Fasanenstraße. Ich rufe vorher noch die Redaktion der Zeit im Bild« an. Mal sehen, in welcher Nummer die Notiz über den Fall Nowack stand. Ich entsinne mich, dass die Schauspielerin Alice Nowack ebenfalls durch einen Stromschlag in der Badewanne starb. Eine seltsame Parallele!«

    Wachtmeister Nötzold klingelte zum zweiten Male. In Lissners Wohnung rührte sich nichts. Schließlich wurde die Tür zur gegenüberliegenden Wohnung geöffnet, und eine etwa dreißigjährige Frau trat in das Treppenhaus. »Herr Lissner ist heute zeitig weggegangen, er will im Betrieb freinehmen und einige Formalitäten wegen des Todesfalles erledigen«, erklärte sie. »Er wird aber bald zurückkommen.«

    Oberleutnant Gruhl sah auf das Namensschild an der Tür. »Wir hätten gern einige Auskünfte von Ihnen, Frau Windisch, ist das jetzt möglich?«

    Er zeigte der Frau seinen Dienstausweis.

    Sie wurden in ein behaglich eingerichtetes Wohnzimmer geführt. Gegenüber der Couch stand an einer freien Wand ein Fernsehgerät. Frau Windisch schickte ihre beiden Mädchen in die Küche und kam ins Wohnzimmer zurück.

    »Sie kannten doch Frau Halbach«, begann Oberleutnant Gruhl im Plauderton, und Wachtmeister Nötzold bereitete sich zum Protokollieren vor.

    Frau Windisch nickte. »Natürlich, Frau Halbach wohnt seit vier Jahren hier. Es war damals die einzige Lösung, als Herr Lissner mit den beiden Kindern plötzlich allein dastand.«

    »Frau Halbach ist erst nach dran Tode ihrer Tochter eingezogen?«

    »Ja, aber sie war auch vorher fast jeden Tag hier. Frau Lissner arbeitete als Telefonistin. Ihre Mutter versorgte den Haushalt und die Kinder.«

    »Wie kamen Frau Halbach und Herr Lissner miteinander aus, seitdem sie zusammen wohnten?«

    »Es war ein recht harmonisches Verhältnis, bis...« Frau Windisch blickte vor sich hin, unentschlossen, wie sie sich ausdrücken sollte. »Herr Lissner hat vor einem halben Jahr in seinem Betrieb eine Frau kennengelernt, Ermisch heißt sie wohl. Seitdem vertrugen sich Herr Lissner und seine Schwiegermutter nicht mehr.«

    »Gab es wegen der Kinder Streit?«, fragte Oberleutnant Gruhl.

    »Es gab um alles Streit. Wissen Sie, Frau Halbach hat vier Jahre lang die Kinder versorgt und erzogen wie eine Mutter, sie hat die Wirtschaft geführt, und nun sollte sie plötzlich alles aufgeben, die Kinder, den Haushalt, sollte sich mit einem Male einer fremden jungen Frau unterordnen.« Frau Windisch sah jetzt richtig empört aus. »Man lässt sich doch nicht mit einem Schlage alles aus der Hand nehmen.«

    Oberleutnant Gruhl blickte zu Wachtmeister Nötzold hinüber, doch der schrieb mit unbewegtem Gesicht. »Es ist ja wohl auch verständlich, dass Herr Lissner wieder heiraten will'«, wandte Oberleutnant Gruhl vorsichtig ein.

    Frau Windisch hob abwehrend die Hände. »Ich will doch gar nichts gegen Herrn Lissner und Fräulein Ermisch sagen, ich kann sie verstehen. Ich wäre auch nicht einverstanden, wenn ich mich in meiner Familie in der Erziehung der Kinder, in der Kleidung und all den vielen Dingen nach einer fremden Frau richten sollte.«

    »Hat denn das Frau Halbach verlangt?«

    Frau Windisch schüttelte den Kopf. »Verlangt wohl nicht, aber sie kümmerte und sorgte sich um alles in der Familie, und das war ihr Lebensinhalt, sie besaß nichts anderes. Sie hat jahrelang für diese Familie gearbeitet und fühlte sich nun abgeschoben.«

    »Wie sollte denn das in der Familie Lissner jetzt weitergehen?«

    »Herr Lissner hat einen Antrag auf Wohnungstausch gestellt, eine größere Wohnung für sich und eine kleinere für seine Schwiegermutter erbeten. Sie können sich denken, welcher Schlag das für Frau Halbach war. Noch vor einer Woche sagte sie mir, dass sie nicht umziehen würde, vorgestern aber war sie dann plötzlich einverstanden, weil ihr Schwiegersohn sie so hasserfüllt anblicke, dass sie sich vor ihm fürchte.«

    »Hat das Frau Halbach so zu Ihnen gesagt?«

    »Ja, das hat sie gesagt.«

    Es war nach diesen Worten still im Wohnzimmer, nur Wachtmeister Nötzolds Stift raschelte noch über das Papier. Plötzlich waren im Treppenhaus deutlich Schritte zu hören, auf der Höhe des Zimmers verhielten sie.

    »Herr Lissner kommt zurück«, erklärte Frau Windisch. »Man hört in diesem Zimmer jedes Geräusch von draußen, wir haben deshalb schon das Schlafzimmer nach hinten verlegt.«

    »Haben Sie sich gestern Abend zwischen neunzehn und zwanzig Uhr hier im Wohnzimmer aufgehalten?«, fragte Oberleutnant Gruhl.

    Frau Windisch überlegte. »Ich habe kurz vor der Sendung des Sandmännchens den Fernsehapparat für die Kinder eingeschaltet, das war so zehn Minuten vor sieben. Um diese Zeit hörte ich Herrn Lissner mit einem Bekannten nach unten gehen. Wir haben Abendbrot gegessen und halb acht die Aktuelle Kamera angesehen, ungefähr eine Viertelstunde später kam Herr Lissner, um nach dem Rettungsdienst zu telefonieren.«

    »Hörten Sie ihn nicht vorher wieder nach oben kommen?«

    Frau Windisch schüttelte den Kopf. »Während wir Abendbrot aßen, ist er nicht heraufgekommen. Nach halb acht haben wir es wohl überhört, der Fernseher lenkt doch ab.«

    »Schade«, sagte Oberleutnant Gruhl zu Wachtmeister Nötzold.

    Klaus Lissner zeigte weder Erstaunen noch Erschrecken, als er die Tür öffnete und die beiden Kriminalisten vor sich sah. Sein Gesicht war müde, beinahe ausdruckslos, unter den Augen lagen tiefe Schatten.

    »Warten Sie bitte im Wohnzimmer«, sagte er, »ich will mich erst waschen.«

    Oberleutnant Gruhl setzte sich in den Sessel am Tisch und gab Wachtmeister Nötzold Anweisungen. »Du siehst dich in der Wohnung um, während ich mit Herrn Lissner spreche. Suche vor allem die Illustrierte Zeit im Bild, Heft dreiunddreißig dieses Jahrgangs.«

    »Zeit im Bild, Heft dreiunddreißig«, wiederholte Wachtmeister Nötzold mechanisch und blickte dabei wie in Gedanken an Oberleutnant Gruhl vorbei. »Sechs Minuten nach halb acht«, sagte er dann ohne jede Erklärung.

    Oberleutnant Gruhl folgte verwundert dem Blick des Wachtmeisters und entdeckte an der Wand eine elektrische Uhr. Die Zeiger standen auf sechs Minuten nach halb acht.

    »Sie ist gestern Abend stehengeblieben, als die Sicherungen durchschlugen, und nicht wieder angesprungen, nachdem die Sicherungen erneuert wurden«, kombinierte Wachtmeister Nötzold. »Demnach wäre neunzehn Uhr sechsunddreißig der genaue Zeitpunkt von Frau Halbachs Tod.«

    »Vorausgesetzt, dass die Uhr wirklich erst gestern Abend stehenblieb«, wandte Oberleutnant Gruhl ein. »Und selbst wenn das der Fall war, ist noch nicht erwiesen, dass die Uhr auf die Minute genau ging.«

    Klaus Lissner trat ins Zimmer, und bevor er etwas sagen konnte, fragte ihn Wachtmeister Nötzold: »Haben Sie genaue Zeit, Herr Lissner?«

    Klaus Lissner schaute auf seine Armbanduhr und dann vergleichend nach der elektrischen Uhr an der Wand. »Bei mir ist es genau drei Viertel elf, die Uhr da drüben ist sicherlich gestern Abend stehengeblieben.«

    »Sie sagen sicherlich«, können Sie sich nicht erinnern, ob die Uhr gestern noch lief, als Sie mit Ihrem Freund hier saßen?«

    Klaus Lissner sah verwundert Oberleutnant Gruhl an. »Wahrscheinlich lief sie noch, ich habe jedenfalls nicht bemerkt, dass sie gestanden hätte.«

    »Haben Sie etwas dagegen, wenn sich Wachtmeister Nötzold inzwischen im Zimmer umsieht, während wir uns unterhalten?«, fragte Oberleutnant Gruhl. »Vielleicht lassen sich noch Dinge finden, die den tragischen Vorfall klären helfen.«

    »Bitte, sehen Sie sich alles an«, sagte Klaus Lissner mit einer Handbewegung zu Wachtmeister Nötzold. Dann wandte er sich an den Oberleutnant. »Ich war vorhin bei Doktor Wenke, wegen des Totenscheines. Er sagte mir, ich müsse mich um die Freigabe zur Bestattung an die Staatsanwaltschaft wenden und dort...«

    »Deshalb will ich mit Ihnen sprechen«, unterbrach ihn Oberleutnant Gruhl. »Wir können Frau Halbach noch nicht zur Bestattung freigeben, Herr Lissner. Es gibt da einige Dinge, die einen Unfall fraglich erscheinen lassen.«

    Klaus Lissner wurde plötzlich wachsbleich. »Sie meinen...«. Er schluckte heftig. »...hat sie Selbstmord begangen?«

    »Wir haben noch kein klares Bild des Vorganges.«

    »Selbstmord«, wiederholte Klaus Lissner tonlos, »ich hätte das nie für möglich gehalten.« Er sah eine Weile vor sich hin, dann begann er auf einmal zu reden, hastig und eindringlich, als müsse er sich vor dem Oberleutnant rechtfertigen. »Ich wollte wegziehen von hier, mit den Kindern, ein Mann vom Wohnungsamt hat sich deswegen vor einer Woche die Zimmer angesehen. Seitdem sprach meine Schwiegermutter überhaupt nicht mehr mit mir. Detlev fragte mich eines Abends, warum die Tante Inge nicht mehr kommen dürfe, und Steffen sagte zu mir, wir sollen doch die Oma nicht fort jagen. Die Jungen bedrückte dieser Zustand. Steffens Lehrer fragte mich auch schon, warum der Junge in letzter Zeit in der Schule so still und unkonzentriert sei. Ich konnte nicht mehr bis zum Umzug warten. Vor drei Tagen habe ich die Jungen zu Fräulein Ermischs Eltern gebracht. Ich sehe jetzt noch das enttäuschte Gesicht meiner Schwiegermutter, aber sagen Sie, Herr Oberleutnant, was sollte ich anderes tun?«

    Diese Frage galt nicht dem Oberleutnant und Kriminalisten, sie war an den Menschen Siegfried Gruhl gerichtet. »Ich glaube, Sie haben richtig gehandelt in den Dingen, die Sie mir eben erzählten«, sagte er. »Trotzdem musste auch Frau Halbach geholfen werden. Sie brauchte vor allem eine Aufgabe außerhalb der Familie, die sie ausfüllen konnte.«

    »Ich habe deswegen mit dem Kaderleiter meines Betriebes gesprochen. Ich arbeite im Schleifscheibenwerk. Sie ist aber nicht hingegangen.« Klaus Lissner zuckte ratlos die Schultern. »Sie war schon sechsundfünfzig Jahre alt und ist noch nie berufstätig gewesen, früher war das ja anders.«

    »Hatte Ihre Schwiegermutter sonst noch nahe Verwandte, Kinder oder Geschwister?«

    »Nein, ein Bruder von ihr ist gestorben, meine Frau war ihr einziges Kind.«

    Wachtmeister Nötzold kam vom Schreibtisch herüber und legte einen länglichen Kassenzettel vor Oberleutnant Gruhl auf den Tisch. »PGH Elektrik« stand am Kopf des Zettels, darunter handgeschrieben: Heizofen rep. - Spirale erneuert - gepr. Das Datum lautete deutlich lesbar auf den 11. Oktober.

    »Der Heizofen wurde erst vor drei Tagen von einer Reparatur abgeholt«, bemerkte Oberleutnant Gruhl beiläufig.

    »Ja, meine Schwiegermutter hatte mich gebeten, ihn in Ordnung bringen zu lassen.«

    »Sie haben ihn selbst hingeschafft und auch wieder abgeholt?«

    »Ja.«

    Oberleutnant Gruhl schaute auf den Zettel. »Die Produktionsgenossenschaft befindet sich in einem ganz anderen Stadtteil als ihr Betrieb. Sind Sie da zweimal nach ihrer Arbeitszeit hingefahren?«

    »Es war umständlich, aber ich wollte mich nicht noch wegen des Heizofens streiten.«

    »Ich werde die Rechnung mitnehmen«, sagte Oberleutnant Gruhl und schob den Zettel in sein Notizbuch. »Wachtmeister Nötzold möchte sich jetzt mal in der Küche umsehen, vielleicht können wir...«

    »Aber ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Ihnen die Wohnung zur Verfügung steht«, unterbrach Klaus Lissner ärgerlich.

    Wachtmeister Nötzold verließ das Zimmer. Oberleutnant Gruhl blätterte in seinem Notizbuch. »Ich wiederhole noch einmal ihre gestrigen Angaben, Herr Lissner. Sie unterhielten sich in diesem Zimmer mit Ihrem Bekannten, Herrn Trepte, von siebzehn Uhr dreißig bis gegen achtzehn Uhr dreißig. Als Herr Trepte gegangen war, aßen Sie in dem separaten Zimmer Abendbrot, hörten Nachrichten und ein Hörspiel. Plötzlich verlöschte das Licht, sie gingen nach oben, fanden Ihre Schwiegermutter tot im Badezimmer und riefen von der Wohnung der Familie Windisch den Rettungsdienst an.«

    »So war es«, bestätigte Klaus Lissner.

    »Wie hieß denn das Hörspiel?«

    Lissner überlegte einen Augenblick, »Das Haus mit, nein Das Haus ohne Tür

    »Ein komischer Titel.«

    »Es handelte sich um einen älteren Mann und seine Frau, die sich in vielen Jahren ein eigenes Häuschen auf bau ten, um darin geruhsam und abgeschieden zu leben. Gerade mit dieser Ruhe und Abgeschiedenheit kamen sie dann nicht zurecht. Ich weiß nicht, wie die Geschichte ausging, ich hörte ja nur einen Teil der Sendung.«

    »An Ihrer Wohnungstür ist ein Sicherheitsschloss«, sagte Oberleutnant Gruhl ohne jede Verbindung zu seiner letzten Frage. »Wie viele Schlüssel gibt es dazu?«

    Klaus Lissner machte die scheinbar wahllose Fragerei des Oberleutnants nervös. »Zwei, einen besitze ich, der andere gehörte meiner Schwiegermutter, und der hängt draußen am Schlüsselbrett.«

    Oberleutnant Gruhl stand auf und steckte das Notizbuch ein. »Das wäre erst mal alles, Herr Lissner. Im Laufe des Nachmittags wird ein Kollege von uns kommen und sich das Türschloss ansehen.«

    »Was hat denn das Türschloss mit einem Selbstmord zu tun?«, fragte Klaus Lissner. »Ihre Untersuchungen erscheinen mir sehr eigenartig.«

    »Zum Präsidium«, sagte Oberleutnant Gruhl. Der Fahrer des Dienstwagens legte den Gang ein. Wachtmeister Nötzold zog einen Bogen Papier aus der Aktentasche und klappe ihn auseinander. »Bitte, die gewünschte Zeit im Bild, Heft dreiunddreißig.«

    »Wo hast du sie gefunden?«

    »Im Küchenbüfett.«

    »Lagen da noch andere Zeitschriften?«

    »Nein, nur diese. Sechs Nummern der Zeit im Bild steckten in einem Ständer im Flur. Ich habe sie alle mitgebracht.« Oberleutnant Gruhl blätterte die Illustrierte auf, wobei er nur die dünnen Kanten der Seiten berührte. Er wies auf eine kleine Notiz unter dem Porträt einer jungen Frau. »Da, lies mal!«

    »Ein tragischer Unfall riss die bekannte Schauspielerin Alice Nowack aus ihrem glanzvollen Beginn in der neuen Theatersaison. Alice Nowack hatte beim Baden auf den Rand der Wanne einen elektrischen Heizofen gestellt, der ins Wasser stürzte und sie durch elektrischen Schlag sofort tötete. Das Theater und der Film erleiden durch den Tod der jungen Darstellerin einen großen Verlust...«

    »Die Sache kenne ich«, murmelte Wachtmeister Nötzold. »Wer hat mir denn davon erzählt?«

    »Genosse Dröge leitete die Untersuchungen«, sagte der Fahrer, ohne den Blick von der Straße zu wenden. »Ich habe die MUK damals zur Wohnung der Nowack gefahren.«

    »Richtig, Dröge erzählte mir das. Die Notiz in der Illustrierten kannte ich allerdings nicht.«

    »Mir fiel sie sofort ein, als ich gestern den Tatbestand erfuhr«, sagte Oberleutnant Gruhl. »Ich war überzeugt, dass wir die Zeitschrift finden würden.«

    »Du meinst, dass diese Notiz die Idee geliefert hat?«

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