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AUF DÜNNEM EIS: Der klassische München-Krimi!
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eBook316 Seiten4 Stunden

AUF DÜNNEM EIS: Der klassische München-Krimi!

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Über dieses E-Book

Als Irmgard Rübsam, vorzeitig aus dem Urlaub zurück, die Münchener Wohnung der von Aucks betritt, wo sie zur Untermiete wohnt, macht sie eine grauenvolle Entdeckung: Auf dem Teppich des Wohnzimmers liegt Mischa, der Sohn ihrer Vermieterin, auf dem Hemd große, dunkle Flecke. Und auf dem Sofa seine Mutter, Frau von Aucks, leblos wie der Sohn, ebenfalls dunkle Flecke auf der hellen Bluse.

Und das Radio spielt Tanzmusik...

 

Ernestine Wery (* 21. April 1909 in München als Ernestine Fentsch; † 26. November 1997) war eine deutsche Schauspielerin sowie Drehbuch- und Romanautorin. Nach ihrer Heirat mit dem Schauspieler Carl Wery zog sie sich von der Schauspielerei zurück und schrieb ab 1943 Filmdrehbücher. Auch als Autorin blieb sie häufig dem bayerischen Lokalkolorit verbunden. Mit ihren insgesamt 22 Drehbüchern, von denen 16 verfilmt wurden, trug sie einen nicht unwesentlichen Teil zum Charakter des bundesdeutschen Kinos der 1950er Jahre bei. In späteren Jahren verlegte sie sich auf die Schriftstellerei. Sie schrieb mehrere Romane, insbesondere Kriminalromane, die teilweise ihre Drehbücher für die Krimiserie Tatort als Grundlage haben.

Der Roman Auf dünnem Eis erschien erstmals im Jahr 1979.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum20. Mai 2021
ISBN9783748783398
AUF DÜNNEM EIS: Der klassische München-Krimi!

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    Buchvorschau

    AUF DÜNNEM EIS - Ernestine Wery

    Das Buch

    Als Irmgard Rübsam, vorzeitig aus dem Urlaub zurück, die Münchener Wohnung der von Aucks betritt, wo sie zur Untermiete wohnt, macht sie eine grauenvolle Entdeckung: Auf dem Teppich des Wohnzimmers liegt Mischa, der Sohn ihrer Vermieterin, auf dem Hemd große, dunkle Flecke. Und auf dem Sofa seine Mutter, Frau von Aucks, leblos wie der Sohn, ebenfalls dunkle Flecke auf der hellen Bluse.

    Und das Radio spielt Tanzmusik...

    Ernestine Wery (* 21. April 1909 in München als Ernestine Fentsch; † 26. November 1997) war eine deutsche Schauspielerin sowie Drehbuch- und Romanautorin. Nach ihrer Heirat mit dem Schauspieler Carl Wery zog sie sich von der Schauspielerei zurück und schrieb ab 1943 Filmdrehbücher. Auch als Autorin blieb sie häufig dem bayerischen Lokalkolorit verbunden. Mit ihren insgesamt 22 Drehbüchern, von denen 16 verfilmt wurden, trug sie einen nicht unwesentlichen Teil zum Charakter des bundesdeutschen Kinos der 1950er Jahre bei. In späteren Jahren verlegte sie sich auf die Schriftstellerei. Sie schrieb mehrere Romane, insbesondere Kriminalromane, die teilweise ihre Drehbücher für die Krimiserie Tatort als Grundlage haben.

    Der Roman Auf dünnem Eis erschien erstmals im Jahr 1979.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    AUF DÜNNEM EIS

    Erstes Kapitel

    In München goss es, eiskalt war’s an diesem Augustabend, und Taxi stand auch keins am Bahnhof. Für Irmgard Rübsam, Heimkehrerin aus einem missratenen Urlaub, zählte das nicht – sie war zu Hause. Geduldig mühte sie sich mit ihrem Gepäck, Träger: schien auch ein ausgestorbenes Gewerbe. In einer Hand einen großen Koffer, in der anderen Reisetasche, Handtasche, Waschbeutel und Zeitschriften, so trat sie hinaus in den mittleren Wolkenbruch und holte sich, weil sie nicht wusste, mit welchem Körperteil sie noch einen Schirm hätte tragen sollen, nasse Haare. Auch egal, sie war zu Hause.

    Weit vorne an der Zufahrt, wo ihr der Fang eines Taxis aussichtsreich schien, postierte sie sich, und jetzt spannte sie auch ihren Knirps auf. Ganz schön klatschig, ihre Haare.

    Irmgard Rübsam, 48, Bankangestellte, ein Sand-am-Meer-Korn, das niemandem abging und auch so aussah. Zum ersten Mal in ihrem ereignislosen Leben hätte sie sich von einem Werbeprospekt in den angeblich sonnigen Süden locken lassen, und was gefunden? Regen, eine mit einem Bett zweckentfremdete Abstellkammer, und ein Essen, zu dem ihre Galle nein sagte. Nach einem Disput mit den Banditen, die sich Reisebüro nannten, erfolglos natürlich, reiste sie ab. Eine Woche früher. Da vertat sie den Rest ihres Urlaubs besser in ihren behaglichen vier Wänden daheim.

    »Taxi... Hallo, Taxi...«

    Sie schwenkte den Schirm. Eine gelbe Lichtwarze, die über der Buckelflut nasser Autodächer schwamm, scherte aus. Andere liefen nun auch, wollten ihr das Taxi wegschnappen; sie war schneller, kriegte die Tür auf, noch ehe es richtig zum Halten kam, warf ihr Gepäck hinein. Äh, stank das nach Rauch da hinten.

    Sie setzte sich zum Fahrer. »Widenmayerstraße.«

    Er nickte. »Ich fahren – du sagen.«

    Ausländer; auch gut. Sie machte sich’s bequem. Grüß dich, München! Grieche, Türke: von da unten mochte der Dunkelgesichtige her sein. »Erst mal Odeonsplatz«, wies sie, »den werden Sie doch wissen, dann Richtung Isar.«

    Er verstand. »Isarr – Fluss?«

    »Ja, Fluss. Wenn sie Wasser hat.«

    Zähne hatten die noch, richtige Hauer. Wenn sie da an ihre Restbestände dachte! Nur unten noch. Der Mund von dem Burschen, sie beguckte ihn von der Seite: fast negroid. Und darüber ein Bärtchen. Sinnlich. Ein Altjungfernschauder huschte ihr nicht nur unangenehm über die Haut. Nein, sie wollte lieber nicht versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen – diese Orientalen, was wusste man.

    Sie sah durch die Scheiben und erfreute sich ihrer frischgewaschenen Heimatstadt. Leere Straßen schon nach dem Stachus. Bei dem Wetter fuhr nur noch, wer musste. Als sie in die Prinzregentenstraße einbogen: ein verlassener Schwarzwasserstrom, auf dem bloß noch ein einzelnes Auto vor ihnen her pflügte, und am Ende des Stroms, schwebend über den Wassern, der von Scheinwerfern angestrahlte Friedensengel. Ihr gefiel er. Manche taten ihn ja als Kitsch ab. Wer schon: die jungen und brutalen, die alles verändern wollten. Nur gut, dass die auch alt wurden, und schneller, als sie dachten.

    »Nummer?«, fragte der Fahrer.

    Sie fuhren jetzt an der Isar entlang.

    »An der nächsten Seitenstraße, das Eckhaus.«

    Ah ja, sie freute sich auf ihre Wohnung. Einer der wenigen Glücksfälle, die ihr unterlaufen waren, Untermiete zwar nur, aber ein regelrechtes Appartement innerhalb einer großen Wohnung. Und erschwinglich.

    Der Fahrer hielt und machte Licht. Beim Bezahlen sah sie seine Augen. Unerwarteter Kontrast: ein melancholischer Blick über dem leichtsinnigen Bärtchen.

    Er stieg mit aus. »Ich tragen.«

    Er nahm ihr Gepäck heraus, als seien es leichte Tüten. Sie sperrte die Haustür auf und stieg mit ihm die Stufen zum Lift hinauf. In einer Anwandlung, die sie selbst wunderte, gab sie ihm fünf Mark Trinkgeld.

    »Danke, Madam! Danke särr.«

    Eine beinahe ritterliche Verbeugung, und er sprang die Stufen hinunter. Schmale Hüften hatte er und einen geschickten Körper. Einsam war er wohl auch.

    Sie fuhr mit dem Lift hoch. Madame! Vielleicht wäre sie ihm noch nicht zu alt gewesen, Einsame sind nicht wählerisch. Aber dazu hätte sie ihren eigenen Schatten überspringen müssen.

    AUCKS stand an der Tür, die sie aufschloss.

    RÜBSAM klein darunter.

    In der Diele, weitläufig und still wie ein klösterlicher Kreuzganz, brannte Licht. Es roch wie immer ein wenig nach Ölfarbe und Firnis, und wie immer fühlte sich das späte Mädchen von diesem Entree erhoben. In der Diele hätte eine ganze Neubauwohnung Platz gehabt. An der Stirnwand stand ein Sekretär, eine honigfarbene Beauté aus einem verflossenen Jahrhundert, den Boden bedeckte ein Teppich, auf den die Untermieterin Rübsam lange nicht fest aufzutreten gewagt hatte.

    An der Ecke der Diele ging’s noch einen Korridor hinter zu ihr. Den Korridor hätte sie abschließen können, eine schwere Filzportiere hing da, aber sie zog nie zu, man hörte und sah auch so nichts voneinander.

    Im Vorbeigehen begegnete sie ihrem Gesicht im Spiegel der Ablage vor ihrem Zimmer. Sie sah ja aus: Verregnete Spitzmaus! Aber erst mal die Koffer rein...

    Sie öffnete die Tür, knipste das Licht an – es flammte auf und erlosch mit einem kleinen Knall. Kurzschluss.

    Auch ein Empfang. Wo hier wohl die Sicherungen waren? Stolpernd über Koffer suchte sie in ihrem finsteren Zimmer Kerze und Streichhölzer, zündete an und ging in die Diele zurück. Wie in einem Spukfilm: Überlebensgroß ihr Schatten, der bis zum Plafond hinaufragte.

    Sie öffnete Türen. Aber das war die Garderobe. Die andere ein Wandschrank. Der Kuckuck mochte wissen, wo sich in dieser vieltürigen Wohnung der Zähler verbarg. Sie drehte sich um – und sah Licht schimmern im Türspalt der vorderen Zimmer. Na also! Die Aucks waren noch wach.

    Sie klopfte.

    »Frau von Aucks...«, rief sie leise, als niemand antwortete, »ich bin’s – Rübsam. Bin schön zurück. Der Stromkreis bei mir – ich hab’ kein Licht...«

    Musik war von drinnen zu hören; das Radio.

    Sie klopfte noch einmal. »Entschuldigen Sie die Störung, aber ich hab’ Kurzschluss...«

    Keine Antwort.

    Schlief Frau von Aucks?

    »Tut mir leid, dass ich Sie belästigen muss...«Sie bewegte die Klinke. Die Tür gab nach, ging aber nur spaltbreit auf. Etwas hemmte. Mit einigem Nachdruck und dem unguten Gefühl ihrer Zudringlichkeit verschaffte sie sich Eintritt- dann setzte ihr Herzschlag aus. Sie spürte, dass sie weiß wurde bis in die Mundwinkel.

    Das Hemmnis war ein Fuß.

    Der Fuß gehört dem jungen Aucks.

    Er liegt auf dem Boden und rührt sich nicht, sein Hemd hat große, dunkle Flecke. Gegenüber auf dem Sofa liegt seine Mutter, ebenso leblos wie der Sohn, ebensolche Flecke auf der hellen Bluse. Eine Pistole liegt auch da. Das Radio spielt Tanzmusik.

    Die Rübsam tut einen taumelnden Schritt hinaus in die Diele – und rennt zum Ausgang. Will sie weg? Sie fängt sich und steht da. Alles dunkel bis auf die Kerze, die sie vor jenem Zimmer abgestellt hat. Ihr Herz rast jetzt. Ein Rest funktionsfähigen Verstandes sagt ihr, dass sie nicht davonlaufen darf.

    Wie sie ans Telefon kommt, weiß sie nicht. Es steht in der Diele. Mit der Kerze sucht sie die Nummer der Polizei, wählt, verwählt sich, kann kaum sprechen, weiß auch nicht, was sie spricht. Kommen sollen sie, kommen! Sie wirft den Hörer auf die Gabel und stürzt aus der Wohnung hinaus, lässt die Tür weit offen, drückt den Lichtknopf draußen und kauert sich auf die Stufen der Treppe. So erwartet sie die Polizei.

    Es dauerte nur Minuten. Sirenen heulten, gleich darauf waren Lift und Treppenhaus voller Polizisten.

    »Haben Sie angerufen?«

    Sie ging voran in die Wohnung und deutete auf die halboffene Tür, aus der Licht herausquoll. Mit hineinzugehen, hätte sie sich geweigert. Es wurde auch nicht verlangt. Sie wollten nur ihre Personalien. Einer, der keine Uniform trug, fragte, wer die Aufgefundenen seien, Namen und so weiter. Sie sagte es.

    »Vorname des Sohns?«

    »Mischa. Michael von Aucks.«

    Der Nichtuniformierte schrieb es auf. Fürs erste genügte es. »Bleiben Sie aber da, wir brauchen Sie noch.« Er ging in das Zimmer und sah vor der Schwelle die Kerze stehen. »Warum brennt denn kein Licht?«

    »Kurzschluss.«

    Sie versuchte zu erklären, dass sie nicht wisse, wo der Zähler sei. Der Blick, den er ihr zuwarf, registrierte ihren Zustand. »Schau einer nach dem Licht«, hörte sie ihn sagen, ehe er verschwand. Die Tür blieb angelehnt.

    Sie drehte sich weg. Nicht hinsehen! In den Kniekehlen spürte sie, dass sie vor der großen Truhe stehen musste. Sie hievte sich hinauf und saß mit hängenden Beinen einer Gliederpuppe. Schlecht war ihr.

    Polizisten mit Scheinwerfern machten sich über die Wohnung her und fanden den Zähler rasch. In der Kofferkammer war er. Es wurde hell.

    Kofferkammer, dachte sie.

    Hätte sie eigentlich wissen müssen. Diese Kammer durfte sie mitbenützen, und hinter der Tür, dass ihr das nicht eingefallen war, hing die schwarze Tafel.

    Sie trampelten durch die Wohnung, riefen Hallo, trampelten hinunter und wieder herauf, dazwischen ständig ihr Hallo, brachten Sachen – nur nicht hinschauen! Ihr Magen schlingerte.

    »Hallo! Sie! Ja, Sie meine ich.«

    Galt das ihr? In dem Zimmer winkte jemand.

    »Kommen Sie mal!«

    Es war der Arzt.

    »Halten Sie!« Er reichte ihr eine Infusionsflasche. »Hier ist jeder beschäftigt. Hochhalten!« Der Arzt kniete bei dem jungen Aucks und klebte eine Nadel in dessen Armvene fest; die Schläuche eines Stethoskops hingen ihm aus den Ohren.

    »Nicht auf den Kreidestrich!«

    Auch das galt ihr. Ein Polizist schob sie zurück. Um den Liegenden war ein Rand mit Kreide gezogen. Die Rübsam suchte sich an der Wand oben einen Punkt, auf den sie starren konnte, aber die Wand gleißte in Blitzlichtern, mit denen sie fotografierten, da war kein Punkt. Sie begann zu schwanken.

    »Was machen Sie denn?«

    Der Arzt sah hoch. »Warum sagen Sie denn nichts?!« Erstand auf und verfrachtete sie auf eine Sitzgelegenheit, drückte ihr die Flasche in die rechte Hand, nahm ihren linken Arm, schob den Ärmel zurück und gab ihr eine Spritze. »Werden Sie gleich spüren.« Dann kniete er wieder bei dem Toten, »Es läuft nicht! Halten Sie das Ding hoch und kontrollieren Sie! Laufen muss es.«

    Infusion, ging es ihr durch den Kopf; mit Spätzündung brachte sie das zusammen. Wenn er noch eine Infusion bekam, dann war er nicht tot?

    Sie wollte fragen, aber der Arzt machte eine Handbewegung. Mund halten, hieß das, er konnte sonst nichts hören.

    Eine Bahre kam.

    »Das wär’s.« Der Arzt stand auf und nahm ihr die Flasche weg. »Können sich wieder raussetzen.«

    In der Diele ließ sie sich in einen der Sessel fallen. Wolkiges schwamm heran, die Spritze wirkte, die Geräusche ertranken in Watte. Sie strich sich die strähnigen Haare aus dem Gesicht, am Ärmel sah sie, dass sie immer noch im Mantel war. Nein, jetzt stand sie nicht auf, um ihn auszuziehen, sie war so angenehm müde jetzt, und von dem Zustand wollte sie sich nicht trennen.

    Sie trugen den jungen Aucks weg; der Arzt ging nebenher und hielt die Infusion hoch. Danach trugen sie die zweite Bahre weg; sie war zugedeckt. Die Rübsam sah es vorübergleiten wie eine Kinosequenz.

    Dann war sie an der Reihe.

    Der Mann, der sie nach den Personalien gefragt hatte, setzte sich zu ihr und stellte sich vor. Kündig hieß er, war Leiter des Morddezernats, Oberinspektor – alles keine Begriffe für sie. Wohltuend gleichgültig.

    »Ein Schock so was«, begann er, »tut mir leid, dass ich Ihnen die Fragerei nicht ersparen kann. Zuerst zu Ihnen.« Er holte sein Notizbuch hervor und wollte, angefangen vom Geburtsdatum, so Ungefähr ihren ganzen Lebenslauf wissen.

    Ruhig gab sie Auskunft.

    Dann hatte auch sie Fragen. »Was ist passiert? Was ist mit Frau von Aucks, was mit ihrem Sohn?«

    »Was passiert ist, müssen wir erst, und ich hoffe, mit Ihrer Hilfe, klären. Und was ist: Tot die Frau, der Sohn – das bleibt abzuwarten. Reflexe, sagt der Arzt, sind noch da, Herztöne nicht mehr. Nun zum Hergang: Wann haben Sie beide gefunden, Uhrzeit, und wie?«

    Wieder gab sie ruhig Auskunft.

    »In Italien waren Sie?«

    »Ja.«

    »Können Sie das nachweisen?«

    Sie schaute irritiert. Nachweisen? Sie konnte natürlich das Hotel angeben. Auch die Reisegesellschaft.

    »Um wieviel Uhr kamen Sie an?« Er streckte ihr die Hand entgegen: »Ihre Fahrkarte.«

    »Fahrkarte?«

    Sie erschrak. Ja, hatte sie die nicht abgegeben? Sie griff in die Manteltaschen – da war sie wieder, die Erregung. Schlagartig weg die Wirkung des Medikaments. Ihre Hände flogen. »Ja, hab’ ich die... Ich weiß nicht... Musste doch auf mein Gepäck aufpassen... Hab’ ich die nicht abgegeben... Aber wozu brauchen Sie die Fahrkarte? Glauben Sie mir etwa nicht?«

    Glauben darf ein Kriminalist grundsätzlich nichts, auch wenn ihm der geübte Blick sagt, dass er ein einfältiges Huhn vor sich hat. »Es besteht kein Grund zur Aufregung, Ihre Angaben sind ja nachzuprüfen.«

    »Das meine ich doch auch!« Sie spürte, dass sie rote Flecke im Gesicht bekam. »Ich weiß auch noch das Taxi. Das heißt, den Fahrer. Ich kann ihn beschreiben.«

    Sie beschrieb.

    »Sie saßen neben ihm?«, warf Kündig ein.

    »Vorne, ja.«

    »Und haben ihn so genau gesehen? Im dunklen Auto? Auch die Körpergröße?«

    »Er ist doch ausgestiegen! Hat mir die Koffer getragen. Und ich gab ihm ein Trinkgeld. Fünf Mark.«

    »Für das bisschen Tragen. Nobel.«

    Ironie vertrug sie nicht. »Und wenn! Es waren ja meine fünf Mark. Ich sag’ das alles doch nur, weil ich auf einmal dastehe – ja, wie? Als müsste ich erst beweisen, dass ich aus Italien kam. So schauen Sie mich doch an!« Sie sprang auf und zeigte auf ihren Mantel. »Ich habe ja noch nicht mal abgelegt! Und mein Haar! Es hat doch gegossen. Und da – bitte...« Sie lief durch den Korridor nach hinten zu ihrem offen gebliebenen Zimmer: »Da stehen meine Koffer noch!«

    Kündig war ihr gefolgt.

    »Hier wohnen Sie?«

    Sie wühlte in ihrer Handtasche – und da war sie, die Fahrkarte. »Na, bitte.« Sie reichte sie ihm mit einem Blick des Vorwurfs.

    »In Ordnung.« Er gab sie zurück.

    »Von mir aus behalten Sie sie.«                       

    Sie war gekränkt jetzt.

    »Das ist Ihr Zimmer?« Kündig sah sich um.

    Sie nickte. Kein Wort mehr als unbedingt nötig würde sie noch von sich geben. »Wohnzimmer.« Mit dem Kopf wies sie. »Schlafzimmer. Bad. Küche.« Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Muss ich zeigen?«

    »Wenn Sie die Güte hätten.«

    Ungnädig öffnete sie die Türen, ließ ihn hineinsehen. »In der Kofferkammer habe ich Mitbenützung. Wollen Sie die auch sehen?«

    »Nein.« Er sah, dass sie eingeschnappt war. »Sie nehmen das so persönlich. Das sind Dinge, damit hat doch jeder Staatsbürger mal zu tun.«

    »Ich nicht. Ich bin noch nie vernommen worden.«

    »Daran liegt’s wohl. – Hätten Sie was dagegen, wenn wir Platz nehmen?«

    Sie deutete wortlos auf einen Sessel.

    Er trat hinter sie, um ihr aus dem Mantel zu helfen. »Na, wie wär’s?«

    »Ach so.« Auf den Mantel hatte sie wieder vergessen. Sie schlüpfte heraus. »Anbieten«, sagte sie patzig, »kann ich nichts. Hab’ noch nichts im Haus.«

    Er hielt ihr Zigaretten hin.

    »Bin Nichtraucherin.«

    »Dachte ich.«

    »Aber wenn Sie wollen...«

    Er steckte die Zigaretten wieder weg. »Tut auch mir gut, wenn ich Ihnen die Bude nicht verqualme. Eine bemerkenswert schöne Bude.« Er blickte herum. Eine alte Kommode, die echt schien, ebenso ein Intarsien-Schrank. »Ihre Sachen?«

    »Wohne möbliert.«

    »Eigentlich eine Wohnung für sich.«

    »Weiß ich auch zu schätzen.«

    »War die Wohnung immer so? Oder ist sie erst für Sie geteilt worden?«

    »Hier wohnte die Mutter.«

    »Mutter von wem?«

    »Von Frau von Aucks.«

    Er holte sein Notizbuch aus der Jackentasche. »Wo wohnt sie jetzt?«

    Es lag ihr auf der Zunge, zu sagen: Im Waldfriedhof. Sie fand es unschicklich und sagte schicklich: »Sie ist tot.«

    »Besten Dank für die freiwillige Auskunft. Und jetzt schlage ich vor, Fräulein Rübsam, wir vertragen uns wieder, sonst sitzen wir um Mitternacht noch da. – Wo waren wir stehengeblieben: Sie kamen an mit dem Taxi, sperrten auf – weiter? Erzählen Sie der Reihe nach.«

    Sie erzählte, und es war gut, dass sie es endlich konnte. Sie erzählte nicht nur der Reihe nach, sie erzählte, da sie mehr und mehr das Gefühl hatte, dass der Polizeimensch ihr glaubte und von der absurden Idee, sie zu verdächtigen, abgerückt war, schließlich auch von sich. Wie das für sie war! Dieser unbeschreibbar grässliche Schrecken! Nicht viel hätte gefehlt, und sie wäre davongerannt. »Aber nun sagen auch Sie mir: Was ist – Ihrer Meinung nach – passiert? Ich frag’ doch nicht aus Neugierde, schließlich wohne ich hier, und Sie müssen verstehen, wie mir zumute ist.«

    Damit hatte sie nicht unrecht. Als Zurückbleibende in dieser Wohnung brauchte sie jetzt Nerven, und die schienen ihre Stärke nicht. »Raubmord«, sagte Kündig vorsichtig, »da kann ich Sie beruhigen, ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Dafür fehlt jedes Indiz. Selbstverständlich muss das Spurenmaterial erst ausgewertet werden. Wie es nach dem ersten Eindruck aussieht, könnte – ich betone: könnte es Selbstmord gewesen sein.«

    Selbstmord? Unbegreiflich für sie. »Wie denn Selbstmord – und beide tot?«

    »Es sieht so aus – Betonung wieder: auf den ersten Blick –, als hätte der Sohn die Mutter erschossen und dann die Waffe gegen sich gerichtet.«

    »Mischa? Ausgeschlossen!«

    »Haben Sie die Familie näher gekannt?«

    »Was heißt kennen?« Als Untermieterin hat Irmgard Rübsam in dem Jahr, das sie hier wohnt, Worte gewechselt, man grüßte sich, wenn man sich auf der Diele begegnete. »Aber kennen?« Oft sah man sich tagelang nicht. Sie ging früh aus dem Haus, um die Zeit schlief Frau von Aucks sicher noch, und wenn sie abends nach Hause kam – es waren doch zwei Wohnungen: »Wir hatten«, so definiert sie es, »ein gutes Verhältnis und störten uns gegenseitig nicht.«

    »Kontakt bestand also keiner?«

    »Kaum, möchte ich sagen.«

    Ein mageres Ergebnis für den Polizisten, der selbst zugeben musste: In dieser raumverschwenderischen Altbauwohnung war es möglich, dass zwei Parteien nebeneinander her lebten. »Wie alt«, fuhr er weiter, »war Frau von Aucks? Fünfzigerin?«

    »Würde ich auch sagen. Genau weiß ich es nicht.«

    »Und der Sohn?«

    »Anfang zwanzig. Schätze ich.«

    »Wovon lebte die Familie?«

    Darüber hatte die Untermieterin nie nachgedacht. Vermögen, nahm sie an. »Und dann lebten sie ja sehr zurückgezogen und, was ich so sah, auch sparsam. Gingen nie aus, hielten keine Putzfrau.«

    »Und der Sohn? Hatte er einen Beruf?«

    »Musikstudent ist er – war er, soviel ich weiß. Manchmal hörte ich ihn spielen, wenn ich über die Diele ging.«

    »Welches Instrument?«

    »Klavier. Und dann auch Saxophon. Oder Klarinette, ich kann das nicht auseinanderhalten. Außerdem hörte ich auch Schlagzeug.«

    »Moderne Musik also.«

    »Ja, Jazz. Aber auch Klassisches. Es hörte sich schön an. Das hat er von ihr, das Künstlerische. Sie hat ja gemalt. Und Geschmack hatte sie. In ihrer Jugend war sie Schauspielerin.«

    »Haben Sie irgendwelche Differenzen bemerkt?«

    »Zwischen beiden? Nie. Mischa hat seine Mutter vergöttert. So was von Sohn, wo gibt’s das noch!«

    Kündig steckte sich nun doch eine Zigarette an. »Ich denke, Sie hatten keinen Kontakt?«

    »Das merkt man. Er hat doch alles für sie getan. Den Haushalt geführt, gekocht, eingeholt; sooft ich ihm begegnet bin, immer kam er mit Taschen an. Staub gesaugt hat er, den großen Teppich, wissen Sie, auf der Diele, und die Polstermöbel.«

    Kündig überlegte: Eine Fünfzigerin? »Warum hat sie das nicht selbst gemacht?«

    »Ich weiß es zwar nicht sicher, aber ich hatte den Eindruck, ihre Gesundheit war nicht in Ordnung, öfter scheint sie gelegen zu haben. Sie war ja sehr, sehr zart. In jungen Jahren muss sie eine Schönheit gewesen sein. Das Bild in Mischas Zimmer, das große Porträt über dem Bücherregal, das ist sie.«

    »Und der Mann von ihr?«

    »Kenn ich nicht. Sie war geschieden.«

    »Hat sie Ihnen das erzählt?«

    »Nein. Das...« musste sie eingestehen, und es war ihr nicht ganz angenehm, sie wurde ein wenig rot, »...das habe ich vom Hausmeister.«

    Kündig tat, als sehe er ihre Verlegenheit nicht. »Machen wir Schluss für heute.« Er steckte sein Notizbuch ein und stand auf. »Wir sprechen uns noch mal.«

    Sie geleitete ihn hinauf.

    Stille lag wieder über der Wohnung, die Polizisten waren verschwunden.

    »Wissen Sie«, sagte die Rübsam im Hinausgehen, »Frau von Aucks war noch, das gibt es ja heute nicht mehr, sie war eine Dame. Und auch der Sohn – vielleicht finden Sie’s altmodisch und lachen Sie mich aus –, so was von wohlerzogen, ein Kavalier.«

    Der Polizist lachte nicht, warum auch. Er hatte die alte Jungfer längst eingereiht. Pechvogel, hineingetappt und Erster am Tatort – als Zeugin eine komplette Niete.

    Er ging zu den drei vorderen Zimmern

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