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EMILYS ALPTRAUM: Der klassische München-Krimi!
EMILYS ALPTRAUM: Der klassische München-Krimi!
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eBook273 Seiten3 Stunden

EMILYS ALPTRAUM: Der klassische München-Krimi!

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Über dieses E-Book

Emily Haunschilds Ehe ist nicht glücklich - obwohl sie einen Mann geheiratet hat, der blendend aussieht, sich rührend um seine Frau bemüht und genügend Geld verdient, um Emily mit Luxus zu umgeben.

Aber womit verdient Bert Haunschild eigentlich derart viel Geld? Und ist er wirklich der charmante, besorgte Ehemann?

Emily behauptet, dass er ein Mörder ist und auch ihr nach dem Leben trachtet. Doch dafür gibt es kaum Indizien, geschweige denn Beweise...

 

Ernestine Wery (* 21. April 1909 in München als Ernestine Fentsch; † 26. November 1997) war eine deutsche Schauspielerin sowie Drehbuch- und Romanautorin. Nach ihrer Heirat mit dem Schauspieler Carl Wery zog sie sich von der Schauspielerei zurück und schrieb ab 1943 Filmdrehbücher. Auch als Autorin blieb sie häufig dem bayerischen Lokalkolorit verbunden. Mit ihren insgesamt 22 Drehbüchern, von denen 16 verfilmt wurden, trug sie einen nicht unwesentlichen Teil zum Charakter des bundesdeutschen Kinos der 1950er Jahre bei. In späteren Jahren verlegte sie sich auf die Schriftstellerei. Sie schrieb mehrere Romane, insbesondere Kriminalromane, die teilweise ihre Drehbücher für die Krimiserie Tatort als Grundlage haben.

Der Roman Emilys Alptraum erschien erstmals im Jahr 1979 (unter dem Titel Die Warnung).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum16. Juni 2021
ISBN9783748785767
EMILYS ALPTRAUM: Der klassische München-Krimi!

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    Buchvorschau

    EMILYS ALPTRAUM - Ernestine Wery

    Das Buch

    Emily Haunschilds Ehe ist nicht glücklich - obwohl sie einen Mann geheiratet hat, der blendend aussieht, sich rührend um seine Frau bemüht und genügend Geld verdient, um Emily mit Luxus zu umgeben.

    Aber womit verdient Bert Haunschild eigentlich derart viel Geld? Und ist er wirklich der charmante, besorgte Ehemann?

    Emily behauptet, dass er ein Mörder ist und auch ihr nach dem Leben trachtet. Doch dafür gibt es kaum Indizien, geschweige denn Beweise...

    Ernestine Wery (* 21. April 1909 in München als Ernestine Fentsch; † 26. November 1997) war eine deutsche Schauspielerin sowie Drehbuch- und Romanautorin. Nach ihrer Heirat mit dem Schauspieler Carl Wery zog sie sich von der Schauspielerei zurück und schrieb ab 1943 Filmdrehbücher. Auch als Autorin blieb sie häufig dem bayerischen Lokalkolorit verbunden. Mit ihren insgesamt 22 Drehbüchern, von denen 16 verfilmt wurden, trug sie einen nicht unwesentlichen Teil zum Charakter des bundesdeutschen Kinos der 1950er Jahre bei. In späteren Jahren verlegte sie sich auf die Schriftstellerei. Sie schrieb mehrere Romane, insbesondere Kriminalromane, die teilweise ihre Drehbücher für die Krimiserie Tatort als Grundlage haben.

    Der Roman Emilys Alptraum erschien erstmals im Jahr 1979 (unter dem Titel Die Warnung).

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    EMILYS ALPTRAUM

    ERSTER TEIL

      Erstes Kapitel

    War es ein Traum - oder was sonst?

    Emily schlief.

    Nach einem unguten Abend mit Bert war sie aufgestanden und gegangen. Nein, sie ließ sich nicht provozieren. Gute Nacht! Getrunken hatte er wieder einmal, doch nicht so viel, um betrunken zu sein. Herausfordern wollte er sie, quälen und reizen, nur der Teufel mochte wissen, warum. Aber sie tat ihm den Gefallen nicht. Sie ging, ehe der Streit, der von ihm gesuchte, losbrach.

    Sie schliefen getrennt.

    Als sie das gesehen hatte bei ihrem Einzug damals - jeder sein eigenes Schlafzimmer -, war sie bestürzt und gekränkt gewesen. Indessen hatte sie das eigene Zimmer als Zufluchtsort begreifen gelernt, und den Schlüssel, mit dem sie sich einschließen konnte, als ihren Freund.

    Im Hinaufgehen hörte sie ihren Mann noch unten rufen, jenen alkoholisierten Befehlston, der sie beordern sollte, den nächtlichen Whiskydialog fortzusetzen. Ruf du nur! Sie sperrte hinter sich zu, zog sich aus und nahm ihr Schlafmittel. Zwei heute, sonst drehte sich die Spindel der Gedanken die ganze Nacht weiter. Sie ließ die Tabletten in einem Glas Wasser zerfallen, so wirkten sie schneller.

    Vierundzwanzig Jahre jung, gesund - und jede Nacht Barbiturate. Anders fand sie nicht mehr in den Schlaf.

    Sie trank das Glas aus und kroch ins Bett.

    Bald danach er. Türenknall unten, das Wuchten seiner Schritte auf der Treppe. Sie kannte das. Hatte er keinen mehr zum Streiten, verzog auch er sich ins Bett, und stand er unter Alkohol, war nichts mehr übrig von der fast tänzerischen Eleganz seiner Bewegungen, die sie einmal entzückt hatte. Ein Bleifüßiger stapfte. Tür zu gegenüber, und Stille. Aber nur kurz. Minuten später würde der schöne, junge Mann namens Engelbert, genannt Bert, in den lärmenden Schlaf der Promille fallen. Auch das kannte sie. Wie viele Nächte sie ihn schon schnarchen gehört hatte durch die Mauern - sie zählte sie nicht mehr. Und morgen früh ging es weiter: ein unbegreifbar Veränderter, Geliebter einst und gegen alle Widerstände Ertrotzter - ihr Peiniger heute. Warum sie ihm nicht schon weggelaufen war - ja, wohin? Das war das Problem. Zu den Eltern? Sie konnte es nicht. Zugeben müssen, eingestehen, dass der Pappa recht gehabt mit dem Schönling, Abbitte leisten für das hingeschmissene Studium, Abbitte für den Spießer, den kleinkarierten Tyrannen, den sie Pappa genannt hatte - sie brachte es nicht über sich. Wissend, dass der Posten verloren war, verloren im Grunde schon seit dem sehr kurzen Traum der Hochzeitsreise - auch dieser Traum schon nicht mehr ganz unbeschädigt -, harrte sie noch aus und schob die Kapitulation vor sich her.

    Nein, nicht denken. Bloß nicht ins Denken kommen. Sie überließ sich der Betäubung. Willkommen, ihr Barbiturnebel, macht euch heran. Hineinfallen lassen - fallen - fallen...

    Ja, Traum - oder was?

    Als sie schlief, sprach eine Stimme sie an.

    »Emily...«

    Es war eine leise Stimme, die einer Frau.

    »Emily...«

    Modulationslos die Stimme, unlebendig.

    »Emily...«

    Die Schlafende bewegte sich, ohne aufzuwachen. Sie wollte nicht wach werden, wurde er auch nicht.

    »Ich muss dir etwas sagen, Emily.«

    »Mh, müde...«

    »Ich bin’s, Judith.«

    »Kenn’ ich nicht.«

    »Natürlich kennst du mich; du hast mein Bild.«

    Ach so, diese Judith. Die Schlafende drehte sich zur Seite. Judith, seine erste Frau. Ihr Porträt, auf dem Speicher gefunden, hing bei ihr im Schlafzimmer. Das Bild hatte ihr gefallen, die Frau auch.

    »Judith ist tot«, murmelte sie.

    »Auch Tote leben«, antwortete die Stimme. »Das weißt du doch, Emily. Erinnerst du dich nicht? Ich habe mich doch schon einmal gemeldet.«

    »Mh, lass mich in Ruhe...« Gequält warf sich die Schlafende zurück. Solch scheußlicher Tag gewesen heute, sie brauchte ihren Schlaf!

    »Ich nehm’ ihn dir ja nicht, nur zuhören sollst du. Emily - du gehst denselben Weg wie ich.«

    »Was denn für ’n Weg? Judith starb mit Vierzig an einem Gehirnschlag, und jetzt hör auf.«

    »Achtunddreißig war ich«, berichtigte die Stimme, »und Gehirnschlag steht auf dem Totenschein.«

    Schweigen. War nun Ruhe?

    Nur Pause.

    »Ich war eine lohnende Partie«, begann die Stimme wieder. »Das bist du auch, Emily.«

    »Unsinn, was hab’ ich schon?«

    »Es summiert sich. Du brachtest ein Grundstück mit, ich das Haus, in dem du jetzt lebst.«

    »Das gehört Bert, und nun lass mich endlich.«

    »Jetzt gehört es ihm. Aber zuerst«, stellte die Stimme klar, »gehörte es mir. Er erbte es. Wie er auch dein Grundstück erben möchte. Und vor allem die Versicherung.«

    Versicherung? Die Schlafende begriff nicht.

    »Du hast doch eine Lebensversicherung, Emily.«

    Ach so, die.              

    »Was dachtest du damals: Vierundzwanzig - und lässt dich lebensversichern von deinem Mann?«

    Was sollte sie sich gedacht haben, nichts. Ihr Mann versicherte sich auch, sie fuhren beide Auto.

    »Aber die Höhe, Emily: zweihunderttausend!«

    Und? Die Schlafende begriff noch immer nicht. Bert hatte sich genauso hoch versichert.

    »Eben nicht, Emily.«

    »Das weiß ich nun genau. Ich hab’s gelesen.«

    »Den Antrag hast du gelesen, die Police nicht. Eine Null weniger, Emily. Er hat die Versicherungssumme nachträglich geändert. Sein Trick, das. Den wandte er auch bei mir an. Auf zwanzigtausend ist er versichert.«

    Die Schlafende oder Träumende, oder was sie war, versuchte nachzudenken, sie bekam es nicht zusammen. Ihr Kopf war nicht fähig, zu denken. Sie wälzte sich wieder zur Seite. »Warum quälst du mich bloß, was willst du?«

    »Emily...«, sagte die Stimme jetzt ganz nahe, »es war kein Gehirnschlag. Medizinisch war es einer, aber kein natürlicher. Er hat ihn herbeigeführt.«

    »Wer er?«

    »Bertie. - Aber überzeuge dich erst, damit du mir glaubst. Steh auf und tu, was ich dir sage. Schlaf ruhig weiter, die paar Schritte findest du auch im Schlaf.«

    Aufstehen sollte sie?

    Eigentlich sträubt sie sich, gehorcht aber trotzdem, tut, was die Stimme verlangt, steht wie betrunken von dem Schlafmittel auf, geht hinaus, schwankend etwas, vorbei an der Tür gegenüber, aus der die Atemzüge des Hausherrn die Nachtstille zersägen, hinunter die Treppe, und spürt ganz real unter den Fußsohlen die borstig weiche Wolle des Teppichbelags, der ihre Schritte lautlos verschluckt.

    Traum - oder Wirklichkeit?

    Die Stimme leitet.

    »In den Wohnraum.«

    Emily drückt die Klinke, spürt auch das kühle Messing real in der Hand, geht hinein.

    Ganz dunkel ist es hier nicht, vor den Fenstern, die mit Vorhängen bedeckt sind, bleicht eine Mondnacht. Auf dem Tisch stehen noch die Gläser und sonstigen Hinterlassenschaften des Abends: Flaschen, Aschbecher, das große Feuerzeug, es riecht widerlich beizend nach kaltem Rauch.

    Und die Stimme leitet.

    »Geh an den Sekretär - schönes, altes Möbel, gefällt dir, ich weiß, stammt noch aus meiner Familie - und zieh das vierte Schublädchen rechts auf.«

    Emily tastet. Viertes Schublädchen rechts.

    »Greif in die Öffnung, du spürst eine Feder. Drück sie. Dahinter ist ein Fach.«

    Emily greift hinein, fühlt etwas Metallenes.

    Ein Fach, unerkennbar von außen, öffnet sich.

    »Nimm den Inhalt heraus. Zwei Plastiktüten. Sieh dir an, was drin ist. Ampullen in der einen. Stimmt’s?«

    Es stimmt. Emily fühlt Glas.

    »Nimm sie heraus und zähle. Wie viele sind’s?«

    Emily zählt. Acht sind es.

    »Geh ans Fenster und lies, was draufsteht.«

    Mit ihren unsicheren Schritten bewegt sich die Schlafende hin ans Fenster, zieht ein Stück des Vorhangs zurück, der Mond fällt in voller, weißer Bahn herein. Das Licht ist jedoch zu diffus, als dass sie die Aufschrift auf den Glasphiolen entziffern könnte.

    »Schwer zu lesen, wie?« Die Stimme hilft. »Insulin.«

    Ja, so könnte es heißen. Heißt es auch.

    Insulin.

    »Und jetzt schau in den zweiten Beutel. Was ist da drin? Spritzen. Stimmt’s?«

    Auch das stimmt.

    »Neue Einmalspritzen«, kommentiert die Stimme. »Auch die Ampullen sind nicht alt. Zähle die Spritzen.«

    Emily zählt. »Vier.«

    »Und jetzt leg alles wieder in das Fach zurück, mach es zu und geh in dein Bett.«

    Verfilzt in ihren tiefen Schlaf, unwillig und doch gehorsam, tut Emily, was ihr gesagt wird, und begreift nichts.

    Insulin?

    Sie geht wieder hinauf, geräuschlos über Teppichstufen, vorbei an der Tür, hinter der ihr Mann schnarcht, hinein in ihr Zimmer, schließt zu, legt sich ins Bett - und hat das Gefühl, dass dies, verdammt noch mal, kein Traum sein kann. Insulin? Davon hat sie schon gehört. Ist es nicht ein Medikament? Für Zuckerkranke, wie?

    »Diabetes«, bestätigt die Stimme. »Acht Ampullen und vier Spritzen. Du kanntest das Fach nicht?«

    »Nein.«

    »Insulin«, fährt die Stimme fort, »einem Nichtdiabetiker in Überdosis gespritzt, bewirkt Gehirnschlag. Und ist im Körper nicht nachzuweisen. Das war mein Tod, Emily. Ich war genauso wenig zuckerkrank, wie du es bist.«

    Die Schlafende spürt, wie ihr der Schweiß ausbricht. »Dann hätte er dich - umgebracht?«

    »Das hat er.«

    »Aber warum?«

    »Um mich zu beerben. Und die Versicherung zu kassieren. Das, was er auch mit dir will, Emily.«

    »Aber er hat mich doch geliebt!«

    »Zu keiner Zeit, Emily. Er hasst dich, wie er mich gehasst hat. Er kann gar nicht Heben.«

    Emily, schwitzend in ihrem nicht definierbaren Schlaf, greift sich an den Hals und fühlt es wieder real an den Fingern - nass und kalt. Und die Stimme in diesem Angsttraum, oder was es ist, rinnt und rinnt -

    »Es ging mir wie dir«, erzählt sie, »ich liebte ihn und glaubte mich wiedergeliebt. Schon auf der Hochzeitsreise begann es. Ironisch erst und leise, Kritik, Nadelstiche. Ich konnte ihm nichts mehr recht machen. Als wir zurückkamen in dieses Haus, ging es los. Szenen, Auftritte. Bagatellen wurden hochgespielt zu Katastrophen. Ich kannte ihn nicht wieder.«

    »Mein Gott«, Emily wischt sich den Schweiß vom Hals, »das ist ja genau meine Geschichte.«

    »Ja, er wiederholt sich«, sagt die Stimme, »sehr viel Phantasie hat er nicht. Er will dich nach demselben Rezept fertigmachen wie mich. Bei mir ging die Rechnung auf, ich konnte mich nicht beherrschen wie du, ich schrie zurück, erregte mich. Ich wurde krank. Und das wollte er. Eine Herzsache, zu der ich die Anlage hatte. Jetzt zeigte er sich besorgt. Um Gottes willen, sein ungeduldiges Temperament, so hätte er es doch nicht gemeint; er bat um Verzeihung. Ich glaubte ihm, fand es rührend, dass er mir den ständigen Weg zum Arzt ersparen wollte und sich erbot, mir die Injektionen zu machen. Und du weißt ja, das kann er.«

    Emily weiß. »Er hat Medizin studiert.«

    »Hat er nicht. Sanitäter war er.«

    »Er sagt, er hätte ein paar Semester Medi...«

    »Kein einziges. Er hat nicht mal das Abitur. Ja, und so kam es zur Injektion. Ein Herzmittel, dachte ich.«

    Emily hat begriffen. »Und Insulin war es?«

    »Ja. Zwei große Ampullen. - Ich muss gehen jetzt, Emily. Merk dir noch ein paar Namen. Vor mir gab es eine Frau, Amina hieß sie. Amina Stillberg. Mit ihr lebte er zusammen; verheiratet waren sie nicht. Und der zweite Name, den du dir merken sollst, ist Laubhain. Wie der Hain und das Laub. Von dort kommt er. Sein Vater war ein anständiger Mann. Auch Amina Stillberg findest du in Laubhain.«

    Die Stimme bricht ab.

    »Judith...«

    Keine Antwort.

    »Judith...«

    Keine Antwort.

    »Judith...«

    Die Schlafende will rufen und kann den Mund nicht offnen. Bleib, will sie rufen. Ich muss dich noch fragen, Judith! So antworte doch, Judith...

    Aber jetzt schwemmte Wasser heran, eine steil aufgeworfene, hohe Woge, und diese Woge kannte sie. Jetzt wusste sie mit Sicherheit, dass es ein Traum war, denn von der Woge träumte sie schon lange, es war immer das gleiche: Die Woge erfasste und verschüttete sie, und hinunter ging es in eine unendliche Tiefe, grün, sehr grün - tintengrün - dunkelgrün - schwarz...

    Zweites Kapitel

    Am nächsten Morgen erwachte Emily vom Rollen einer schweren Türe. Das Garagentor! Sie fuhr hoch im Bett und lief taumelig ans Fenster.

    Vorm Haus unten stand Berts Auto.

    »Entschuldige«, rief sie, »ich hab’ verschlafen.«

    Bert kam von der Garage und ging zu seinem Wagen, er sah nicht hinauf zu ihr. »Ich kann mir das Frühstück auch allein machen.« Es klang sarkastisch, war auch so gemeint. Er stieg ins Auto und fuhr weg.

    Sie trat vom Fenster zurück und registrierte im Moment nur eines: Der Kopf tat ihr weh. Zwei Schlaftabletten - morgens bezahlt man die Zeche.

    Ihr Blick fiel auf das Bild von Judith.

    Tagesfrühe, helles Licht, im Garten draußen pfeifende Vögel. Ein Bild, nichts weiter. Porträt einer dunkelhaarigen Frau, älter als sie und, so fand Emily, schöner. Judith ohne jedes Geheimnis.

    Träume...

    Am Morgen lächelt man darüber.

    Duschen jetzt, Wasser!

    Im Bad begegnete sie sich im Spiegel. Danke, kein Bedarf. Sie schaute vorbei. Dass sie hübsch sein sollte, ein apartes Persönchen, und was manche so fanden, hatte sie schon früher nur selten geglaubt. Sie genügte ihren Ansprüchen nicht. Persönchen, das war’s. Diminutiv. Zu klein das Ganze. Die Heutigen im Zeitalter des Wassermanns begannen bei 1,75. Sie hatte bei 1,60 aufgehört. Seit ihr morgens die Barbitursäure unter den verquollenen Augen hing, mochte sie auch ihr Gesicht nicht mehr. Wenn sie jetzt schon wie ihre Mutter aussah, dachte sie mit der ihr eigenen Übertreibung in den Belangen ihrer Person, was kam ihr dann aus dem Spiegel entgegen, wenn sie mal über Dreißig war! Sie stopfte ihr messingfarbenes Haar , - dass es schön war, ihr Haar, konnte nicht mal sie leugnen, ein seltenes, echtes Silberblond - unter die Badekappe und drehte die Brause auf, kalt, wie’s aus der Leitung kam.

    Das half. Danach fand sie sich wenigstens ähnlich. Beim Frisieren war der Blick in den Spiegel unvermeidbar. Die Säcke unter den Augen hatten sich verzogen. Es war aber nicht mehr ihr Gesicht, und das ausnahmsweise war keine Übertreibung. Es stimmte nicht mehr, das Gesicht. Ein lustig angelegtes Gesicht, dem das Lachen abhandengekommen war. Gesicht mit Bruch. Das war ja auch ihre Situation: Bruch. Sie fuhr in Hosenröhren und stülpte einen Pulli über. Den Spuk der Nacht hatte sie hinter sich, ein neuer Tag konnte beginnen. Ein guter Tag wohl kaum.

    Während sie noch mal mit dem Kamm durch das helle Haar fuhr, wandelte sie Neugier an. Ansehen wollte sie sich den geträumten Sekretär ja doch -

    Unten war schon aufgeräumt, die Fenster im Wohnraum standen offen, Vorhänge wehten ihr entgegen, als sie eintrat - zum Teufel, heute war ja Freitag! Der Tag der Putzfrau Sedlacek. Unangenehm für Emily, dass sie ausgerechnet heute verschlafen musste. Nun hatte die alberne Henne wieder was zu tratschen, und der Schein mochte ihr recht geben. Schläft in den Tag hinein, die junge Frau, macht dem Mann nicht mal das Frühstück.

    Emily ging an den Sekretär.

    Barock, Hölzer in Bernsteintönen. Intarsien. Die Seitenteile gewölbt. Ein nobles, altes Stück.

    Viertes Schublädchen rechts.

    Emily zog es heraus - und da war es: die Feder, das Geheimfach, der Inhalt.

    Warum fängt jetzt ihr Herz zu rasen an? Hatte sie denn erwartet, nichts zu finden?

    Was heißt erwartet: Sie hat Dinge der Nacht in der Helligkeit des Morgens abgetan, und nun stellt sich heraus, dass diesem sogenannten Traum mit Lächeln nicht beizukommen ist. Einen Moment lang ist sie versucht, das Fach zuzustoßen und wegzulaufen, aber dann zwingt sie sich, in die Plastiktüten hineinzugreifen und herauszufingern, was drin ist. Es sind, sie weiß es ja, Spritzen, und es sind Ampullen, auf denen in weißlicher Aufschrift Insulin steht - nur, da hat sich etwas verändert.

    Es sind nur noch sechs Ampullen und drei Spritzen.

    Sie zählt, zählt noch mal - es bleibt dabei.

    Sechs Ampullen, drei Spritzen.

    Es waren aber - sie weiß es doch genau - acht Ampullen und vier Spritzen? Jemand muss zwei Ampullen und eine Spritze herausgenommen haben, und das an diesem Morgen, und dieser Jemand kann nur Bert gewesen sein.

    So etwas wie Panik kriecht ihr über den Rücken und hinauf in den Hinterkopf, sie muss sich befehlen, ruhig zu bleiben, Ruhe, Ruhe, auch wenn ihre Knie plötzlich keinen Halt mehr haben. Warum, so überleg doch, warum hat der Jemand die Ampullen und die Spritze herausgenommen? Sie kann den Gedanken nicht bis ans Ende fädeln, Angst greift wie die Arme von einem Kraken nach ihr und löst den blinden Rettungsmechanismus aus: Weg hier!

    Mit fahrigen Händen steckt sie alles wieder hinein, schließt das Fach und setzt sich ohne Frühstück ins Auto.

    Jäger heißt der Arzt, bei dem sie in der nächsten Viertelstunde landet. Dr. Jens Jäger, Internist, nahezu lebenslänglicher Arzt der Familie Bley, aus der Emily stammt, trotz Fließbandpraxis noch so viel Mensch, dass er sich auch mal ein paar Minuten mehr Zeit nimmt, wenn es nötig ist.

    »Doktor - bin ich eine Hysterikerin?«

    Die Frage gerade von ihr fände der Arzt komisch, sähe er nicht, dass sie sich in einem für sie ungewöhnlichen Erregungszustand befindet. Er kontrolliert ihren Puls, den Blutdruck, horcht ihr Herz ab.

    »Was ist mit Ihnen los, Emily?«

    Sie deckt keine Karten auf. »Gibt es das«, sagt sie und versucht Kurzatmigkeit zu kaschieren, »ich meine, was sagen Sie als Arzt - Wachträume, Wahrträume, oder wie man’s nennen will? Dass man Dinge träumt, von denen man nichts weiß, Dinge, die dann... Realität sind?«

    Dr. Jäger

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