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DIE BRAUT TRUG SCHWARZ: Thriller
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eBook223 Seiten3 Stunden

DIE BRAUT TRUG SCHWARZ: Thriller

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Über dieses E-Book

Vier Männer sterben. Vier Männer, die nichts miteinander verbindet, außer, dass sie auf eigenartige Weise den Tod fanden – und zuvor eine junge, hübsche Frau kennengelernt haben....

Der Thriller-Klassiker Die Braut trug Schwarz von Cornell Woolrich – erstmals im Jahr 1940 veröffentlicht – ist ein düsteres Noir-Lesevergnügen von einem Meister der Suspense. Der Roman wurde 1968 von François Truffaut unter dem Titel La Mariée était en noir verfilmt – in den Hauptrollen: Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Jean-Claude Brialy und Charles Denner.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum22. März 2019
ISBN9783748700173
DIE BRAUT TRUG SCHWARZ: Thriller

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    Buchvorschau

    DIE BRAUT TRUG SCHWARZ - Cornell Woolrich

    Das Buch

    Vier Männer sterben. Vier Männer, die nichts miteinander verbindet, außer, dass sie auf eigenartige Weise den Tod fanden – und zuvor eine junge, hübsche Frau kennengelernt haben....

    Der Thriller-Klassiker Die Braut trug Schwarz von Cornell Woolrich – erstmals im Jahr 1940 veröffentlicht – ist ein düsteres Noir-Lesevergnügen von einem Meister der Suspense. Der Roman wurde 1968 von François Truffaut unter dem Titel La Mariée était en noir verfilmt – in den Hauptrollen: Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Jean-Claude Brialy und Charles Denner.

    DIE BRAUT TRUG SCHWARZ

    Erster Teil: BLISS

    1. Die Frau

    »Julie! Oh, mein Gott - Julie!«

    Die eindringlich, verzweifelt geflüsterten Worte folgten der Frau, die eilig die Treppe hinunterging. Doch sie zögerte nicht den Bruchteil einer Sekunde. Nur ihr Gesicht war einen Hauch blasser, als sie aus dem Haus trat.

    Das junge Mädchen, das auf der Straße neben dem Koffer gewartet hatte, starrte sie ungläubig an, so, als hätte es bis zum letzten Augenblick daran gezweifelt, dass diese Frau wirklich die Kraft haben würde, ihren Entschluss durchzuführen. Sie schien die Gedanken des jungen Mädchens zu erraten und beantwortete die unausgesprochene Frage. »Du kannst mir glauben, dass mir das Lebewohlsagen nicht leichter als Ihnen gefallen ist - der Unterschied ist nur, dass ich daran gewöhnt bin und Sie nicht. Für Sie war es neu, und ich habe in meinem Leben schon so oft Abschied nehmen müssen...« Sie räusperte sich. »Ich glaube, ich werde eine Taxe nehmen. Dort drüben steht gerade eine.« Sie winkte über die Straße.

    Als die Taxe vorgefahren war, schaute das junge Mädchen die Frau fragend an.

    »Wenn du magst, kannst du mich begleiten«, murmelte die Frau mit müdem Lächeln und wandte sich dann an den Fahrer. »Zum Bahnhof, bitte.«

    Sie warf nicht einen einzigen Blick auf das Haus zurück, in dem sie gelebt hatte. Weil sie die vertrauten Straßen der Umgebung nicht mehr sehen wollte, hielt sie während der ganzen Fahrt den Kopf gesenkt.

    Am Fahrkartenschalter mussten sie einen Augenblick warten. Das Mädchen ließ hilflos die Schultern hängen und schaute die Frau mit großen Augen an: »Wohin wollen Sie fahren?«

    »Darüber habe ich überhaupt noch nicht nachgedacht.« Sie klappte ihre Handtasche auf, zog ein zusammengerolltes Bündel Dollarnoten hervor und warf achtlos ein paar Scheine auf die Platte vor dem Schalter. »Wie weit komme ich damit?«

    Der Fahrkartenverkäufer schaute sie gleichgültig an. »Bis Chicago - dann würden Sie noch neunzig Cents zurückbekommen.«

    »Also - einmal Chicago.«

    Die Frau warf dem jungen Mädchen einen raschen Seitenblick zu. »Wenn du nach Hause kommst, kannst du ihnen wenigstens das berichten.«

    »Wenn Sie es nicht wollen, Julie, werde ich kein Wort sagen.«

    »Es ist mir egal. Von mir aus können Sie ruhig den Namen der Stadt wissen - ich komme doch nicht wieder.«

    »Komm her, Kleine, lass dich zum Abschied küssen«, sprach die Frau leise.

    »Was soll ich nur sagen, Julie?« stammelte das Mädchen.

    »Nichts weiter als Lebewohl. Das muss man irgendwann im Leben zu jedem Menschen einmal sagen.«

    »Ich hoffe so sehr, Julie, dass ich Sie bald wiedersehe.«

    »Du wirst mich nie Wiedersehen.«

    Das junge Mädchen entfernte sich zögernd, mit schleppenden Schritten.

    Allmählich füllte sich der Bahnsteig. Der Zug fuhr mit quietschenden Bremsen in die Bahnhofshalle ein. Ehe er zum Halten kam, quäkte eine Stimme aus dem Lautsprecher: »Fünf'n'zwanzigste Straße.« Türen wurden aufgerissen, und die Reisenden stolperten lärmend mit ihrem Gepäck die hohen Stufen der Wagen hinunter.

    Die Frau, die einen Schlussstrich gezogen hatte und für immer gegangen war, hob ihren Koffer auf und begab sich mit dem Schwarm der Ausgestiegenen auf die Sperre zu, so, als sei sie am Ende ihrer Reise und nicht am Anfang.

    Während sie langsam die Stufen zur Bahnhofshalle hinunterging, fuhr der Zug donnernd weiter. Sie kaufte sich am Kiosk eine Tageszeitung. Als sie die Seiten mit den Anzeigen aufgeklappt hatte, fuhr ihr Zeigefinger suchend über die Spalten, bis sie zu den möblierten Zimmern gekommen war.

    Sie machte sich nicht die Mühe, die Angebote zu lesen; bei einer x-beliebigen Annonce grub sich ihr Fingernagel in das weiche Papier. Dann ergriff sie, die aufgeklappte Zeitung unterm Arm, ihren Koffer und winkte vor dem Bahnhofsgebäude einem Taxi.

    »Fahren Sie mich dorthin«, sagte sie und tippte auf die Annonce.

    Die Wirtin, die das möblierte Zimmer zu vermieten hatte, stand abwartend da. Die Frau drehte sich nach einem flüchtigen Rundblick zu ihr um.

    »Ja, das gefällt mir recht gut. Ich werde es nehmen.« Sie öffnete ihre Handtasche. »Hier - die Miete für die ersten vierzehn Tage.«

    Die Wirtin zählte das Geld nach und kritzelte eine Quittung. »Wie war doch Ihr Name?«, fragte sie und schaute auf.

    Die Augen der Frau flackerten unmerklich. Ihr Blick huschte über die abgenutzten Initialen JB auf ihrem Koffer. »Josephine Bailey«, murmelte sie.

    »Hier ist Ihre Quittung, Miss Bailey. Ich hoffe, dass Sie sich bei mir wohlfühlen. Das Badezimmer ist nur zwei Türen...«

    »Vielen Dank, vielen Dank, ich werde schon alles finden.« Die Frau schloss hastig die Tür und verriegelte sie von innen. Sie zog den Mantel aus, warf den Hut aufs Bett und klappte den Koffer auf, den sie erst vor einer knappen Stunde gepackt hatte und mit dem sie ganze fünfzig Häuserblocks weit gereist war.

    Als sie sich suchend umschaute, fiel ihr Blick auf das alte Badezimmerschränkchen über dem Waschbecken. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Welch ein Glück, im obersten Fach lag eine verrostete Rasierklinge, die wohl von einem männlichen Zimmermieter stammte.

    Damit entfernte sie die Initialen von ihrem Koffer. Sie tat es sehr gründlich. Danach trennte sie diese beiden Buchstaben, die einmal die Anfangsbuchstaben ihres Namens gewesen waren, auch aus einigen Wäschestücken, einem Morgenrock und einer Bluse.

    Nachdem sie die Kennzeichen ihrer Vergangenheit ausgelöscht hatte, warf sie die Rasierklinge in den Papierkorb und wischte sich die Fingerspitzen ab.

    Aus dem Fach auf der Innenseite des Kofferdeckels zog sie ein Bild. Sie betrachtete es lange. Es zeigte einen jungen Mann, der weder besonders hübsch noch besonders intelligent aussah. Nichts Außergewöhnliches ging von ihm aus. Augen, Mund und Nase - ein Dutzendgesicht. Sie schaute das Bild sehr lange an.

    Dann entnahm sie ihrer Handtasche eine Schachtel Streichhölzer und hielt das Foto übers Waschbecken. Ein Streichholz flammte auf.

    »Auf Wiedersehen«, murmelte sie.

    Sie drehte den Wasserhahn auf und wartete, bis der letzte Rest Asche hinuntergespült war. Dann ging sie zum Koffer zurück. In der Innentasche waren noch fünf Zettel, auf die Namen gekritzelt waren; Namen, die sie mühsam zusammengesammelt hatte.

    Sie holte die Zettel hervor, mischte sie wie Spielkarten. Als sie sie mit den unbeschriebenen Seiten nach oben aufs Bett legte, umspielte ein eigentümliches Lächeln ihre Lippen. Tastend fuhr sie mit den Fingern über die verschiedenen Zettel. Plötzlich hob sie einen Zettel hoch und schaute auf die Rückseite. Danach raffte sie alle zusammen und verbrannte sie ebenfalls im Waschbecken.

    Sodann trat sie ans Fenster, öffnete es ruckartig. Sie schaute hinaus und stützte dabei ihre Hände auf die äußersten Enden des Fensterbretts. Ihre Schultern strafften sich, sie schien der Stadt, die zu ihren Füßen lag, den Kampf anzusagen. Als sie sich weit vorlehnte, waren ihre Lippen schmal, und in ihren zusammengekniffenen Augen leuchtete wilde Entschlusskraft.

    2. Bliss

    Das Taxi hielt derart ruckartig vor dem Eingang des Apartmenthauses, dass Bliss auf seinem Sitz nach vorne rutschte. Der Alkohol in seinem Magen rebellierte. Nicht dass er zu viel getrunken hätte, aber er hatte die letzten Drinks erst vor wenigen Minuten in sich hineingeschüttet.

    Als er sich aufrichtete, um aus dem Taxi zu steigen, stieß er mit dem Kopf gegen die Tür. Brummend rückte er seinen Hut zurecht. Dann durchwühlte er sämtliche Taschen nach Kleingeld, wobei einige Münzen auf den Bürgersteig kollerten. Trotzdem - er war nicht total betrunken. Das passierte ihm nie. Er wusste immer genau, was man zu ihm sagte, und er wusste auch, was er selber sagte. Ihm war nicht eigentlich übel - das heißt, ein bisschen schon. Er dachte intensiv an Marge. Das half für gewöhnlich. Es half auch jetzt.

    Als er endlich den Taxifahrer entlohnen konnte, kam Charlie, der Nachtportier, aus der Tür gestürzt. Charlie entledigte sich seiner Pflichten nicht gerade am schnellsten; aber das war verständlich, wenn man wusste, dass er die meiste Zeit seines Nachtdienstes damit verbrachte, in der Halle auf einer Bank zu hocken und über einem todsicheren Lotto-System zu brüten. Außerdem war es jetzt schon halb drei Uhr morgens - und, du lieber Gott, kein Mensch ist perfekt!

    Bliss drehte mit einiger Anstrengung den Kopf zur Seite und nuschelte: »Servus, Charlie.«

    »Guten Morgen, Mr. Bliss«, antwortete Charlie und riss die Eingangstür auf. Er folgte Bliss ins Haus, erfüllt von dem Gefühl, seine Pflichten mehr oder minder zufriedenstellend erfüllt zu haben. Er gähnte herzhaft. Woraufhin Bliss, der sein Gähnen gewiss nicht hatte sehen können, ebenfalls den Mund weit aufriss - eine Tatsache, die, so belanglos sie auch erscheinen mag, einen Seelenforscher zu tiefschürfenden Überlegungen veranlassen dürfte.

    Bliss konnte nie an dem Spiegel in der Halle Vorbeigehen, ohne sich eingehend zu betrachten. Auch jetzt blieb er leicht schwankend vor dem Spiegel stehen. Bliss hatte zwei verschiedene Gesichter: das forsche Was-kostet-die-Welt-Gesicht, wenn er das Haus verließ, und das Gott-geht's-mir-schlecht-endlich-bin-ich-wieder-zu-Hause-Gesicht, wenn er zurückkam.

    Aus dem Spiegel schaute ihn ein junger Mann von siebenundzwanzig Jahren an. Seine Haare waren so kurzgeschoren, dass sie an den Schläfen silbern schimmerten. Dieser Mann hatte braune Augen, war schlank und mittelgroß und wusste alles über ihn - über Bliss. Nein, er war nicht gerade schön. Aber wer wollte heutzutage noch einen schönen Mann? Selbst Marge Elliot war es egal, ob er hübsch war oder nicht. Sie hatte es mit den Worten formuliert: »...solange du der Ken Bliss bist, den ich liebe.«

    Er seufzte und gab der welken weißen Nelke, die traurig im Knopfloch baumelte, einen Klaps. Sie löste sich daraufhin in ihre Bestandteile auf.

    Dann holte Bliss eine zerknitterte Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche und fummelte eine Zigarette heraus. Als er vermittels tiefsinnigem Blick in die Packung feststellte, dass sich in einer Ecke doch noch eine Zigarette befand, bot er sie Charlie an. »Geteilte Freude ist doppelte Freude«, murmelte er.

    Charlie nahm sie mit dankbarem Lächeln an. Ein besseres Trinkgeld würde er in dieser Nacht wahrscheinlich nicht mehr bekommen. Seine Spezialität war es zwar nicht, die ganze Halle auf Hochglanz zu polieren - es reichte ihm, wenn die Eingangstür und der Weg durch die Halle zum Fahrstuhl vor Sauberkeit blitzten -, aber er verstand es besonders gut, mit Betrunkenen umzugehen. Er war hier schon Nachtportier gewesen, als Bliss einzog. Bliss mochte ihn. Und Charlie mochte Bliss. Bliss hatte ihm zu Weihnachten zwei Dollar geschenkt und hatte ihm während des Jahres zwei weitere Dollar nach und nach zukommen lassen. Aber darum ging es gar nicht. Charlie mochte Bliss einfach.

    Als die Zigaretten brannten und Bliss mit leicht schwankenden Schritten auf den Fahrstuhl zuging, hörte er Charlies Stimme: »Das hätte ich fast vergessen, Mr. Bliss. Heute Abend war eine junge Dame da, die Sie sehen wollte.«

    »Sooo? Wie hieß sie denn?« Seine Stimme klang ziemlich gleichgültig. Da es nicht Marge gewesen sein konnte, interessierte es ihn nicht sonderlich - nicht mehr. Er blieb stehen und drehte sich nur halb um, um die Antwort zu hören.

    »Das weiß ich nicht«, brummte Charlie. »Sie hat ihren Namen nicht genannt. Ich habe sie zwei- oder dreimal danach gefragt, aber...« Er zuckte die Achseln. »Sie wollte ihn offensichtlich nicht sagen.«

    »Ist auch egal«, murmelte Bliss. Und es war ihm wirklich egal.

    »Ich glaube, sie wäre am liebsten in Ihre Wohnung gegangen und hätte oben auf Sie gewartet«, fügte Charlie hinzu.

    »Oh, nein, oh, nein!« Bliss wurde etwas lebhafter. »Die Zeiten sind vorbei! Lassen Sie keine Frau mehr in meine Wohnung!«

    »Ich weiß! Nein, das würde ich nie mehr tun! Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Bliss«, schmetterte Charlie mit treuherzigem Blick. Mit einem Kopfschütteln fügte er hinzu: »Sie hat auch bestimmt nichts Gutes im Schilde geführt.«

    Bliss, der inzwischen seinen Weg zum Fahrstuhl fortgesetzt hatte, blieb ruckartig stehen. Etwas in Charlies Stimme zwang ihn, sich umzudrehen und ihm voll ins Gesicht zu sehen. »Was wollen Sie damit sagen?«

    »Na ja...«, begann Charlie zögernd. »Sie stand dicht neben mir, als ich vergeblich zu Ihnen hinaufgerufen hatte, und fragte: Kann ich oben auf ihn warten?

    Ich sagte: Tja, Fräulein, ich weiß nicht recht. Das darf ich eigentlich nicht. Wissen Sie, so in der Art, um ihr einen guten Abgang zu verschaffen. Aber sie ging nicht, sondern klappte ihre große Handtasche auf und wühlte darin herum, als suchte sie ihren Lippenstift. Aber ganz obenauf lag ein Hundertdollarschein und starrte mich an. Vielleicht glauben Sie mir das nicht, Mr. Bliss, aber ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen...«

    Bliss lächelte gutmütig. »Und Sie haben gedacht, dass diese Dame Sie damit bestechen will, nicht wahr? - Charlie, kommen Sie wieder zu sich!« Er knuffte den anderen kameradschaftlich in die Seite.

    Doch Charlie ließ sich nicht beirren. »Es kann überhaupt keinen Zweifel geben, Mr. Bliss, die Art, wie sie mich den Geldschein sehen ließ, war absolut eindeutig. Während sie in der Tasche herumwühlte, war sie bemüht, die Lage der Hundertdollarnote nicht zu verändern. Sosehr sie auch den Inhalt der Tasche durchstöberte, der Schein blieb immer sichtbar. Schließlich hob sie den Blick zu mir. Dann starrte sie sekundenlang auf den Geldschein und dann wieder auf mich. Es war mir völlig klar, was sie meinte. Glauben Sie mir, Mr. Bliss, ich bin wirklich lange genug im Geschäft, um alle Tricks zu kennen!«

    Bliss fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Und Sie sind ganz sicher, Charlie, dass es nicht zehn Dollar waren?«

    Charlies Stimme überschlug sich fast vor Eifer. »Mr. Bliss, Sie werden mir doch glauben, dass ich einen Zehndollarschein von einem Hundertdollarschein unterscheiden kann!«

    »Verdammt«, brummte Bliss und biss sich auf die Lippen. Er schaute Charlie scharf an. Er musste erfahren, was das alles zu bedeuten hatte.

    Charlie schien dafür vollstes Verständnis zu haben. »Ich bin gleich wieder da, Mr. Bliss«, sagte er und trabte hinaus, weil er gehört hatte, dass ein Wagen vorgefahren war. Kurz darauf riss er dienstbeflissen die Tür auf und geleitete einen Mann und eine Frau in die Halle. Die Frau hatte ein Abendkleid an, das um halb neun noch die wahre Pracht gewesen sein musste. Jetzt schlotterte es zerknittert und leicht verschmutzt um ihren Körper.

    Das Paar nickte Bliss im Vorübergehen flüchtig zu, und Bliss nickte flüchtig zurück. Man lächelte sich mit der eiskalten Herzlichkeit an, die Nachbarn in einer Großstadt eigen ist. Dann stieg das Paar in den Fahrstuhl und schwebte nach oben.

    Sobald der schwachbeleuchtete Käfig, der sich großspurig Fahrstuhl nannte, ihren Blicken entschwunden war, setzten die beiden ihr Gespräch fort. »Wie sah sie denn aus?«, fragte Bliss. »Haben Sie sie vorher schon einmal gesehen? Sie müssten eigentlich die Mitglieder der weiblichen Truppe, die bei mir ein und ausgegangen sind, recht gut kennen...«

    »Das kann man wohl sagen«, nickte Charlie. »Aber die Frau bringe ich nirgends unter. Ich bin ganz sicher, dass ich sie noch nie gesehen hab'. Die wäre mir bestimmt aufgefallen, denn, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, das war ein besonders feines Dämchen.«

    »So, so...«, murmelte Bliss. »Und wie sah dieses Dämchen aus?«

    »Tja...« - in Charlies Augen trat ein verklärter Ausdruck - »...sie war blond. Wissen Sie - so echt blond. Nicht das verwaschene Platinblond mit den Silberstreifen, mit dem sie jetzt alle herumlaufen. Ihre Haare glänzten wie - wie frischer Honig.«

    »So, so, frischer Honig«, meinte Bliss geduldig.

    »Und sie hatte blaue Augen«, fuhr Charlie schwärmerisch fort. »Wissen Sie, solche Augen... Und sie war...« - er hielt seine Hand in Schulterhöhe - »...ungefähr so groß. Dicklich war sie nicht, weiß Gott nicht, aber alles andere als knochig. Sie wissen schon, was ich meine. Genau das, was man gern im

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