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Der Fluch des Gnomen: Fantasy-Roman
Der Fluch des Gnomen: Fantasy-Roman
Der Fluch des Gnomen: Fantasy-Roman
eBook425 Seiten5 Stunden

Der Fluch des Gnomen: Fantasy-Roman

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Über dieses E-Book

Fantasyroman


Das Coverbild malte Nicole Fabert.

„In seinem mittlerweile zweiten Roman schildert Jürgen Müller die Geschichte der beiden Zwillinge Naruleh und Jorele - im Stile eines Märchen, gespickt mit humorvollen Wendungen und Charakteren, mit im Laufe der Erzählung härter werdenden Umständen und ständiger Aufrechterhaltung der Hoffnung, das alles gut ausgeht. Der Fluch des Gnomen ist zwar meiner Meinung nach nicht unbedingt als Einschlaflektüre für Kinder gedacht, dafür sind einerseits manche Szenen zu hart und andere zu komplex, jedoch haben sicher ältere Kinder ihre Freude dran. Erwachsene, die sich ihr Kindsein im Herzen behalten haben, werden neben vergnüglichen, für sie gedachten Einfällen, durch den Roman Jahrzehnte zurück versetzt. Auch für Nicht-Fantasy-Geübte ein begeisterungsfähiger Roman.“

(aus einer Rezension von Jürgen Eglseer)

Der Fluch des Gnomen ist ein interessanter Fantasyroman mit teilweise wunderbaren Ideen und verrückten Wendungen. Und damit der Humor nicht zu kurz kommt sorgt der Drache mit seinen drei Köpfen Links, Mitte und Rechts oder der Dämon Vielmaul.“

(aus einer Rezension von Rupert Schwarz)

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum21. Mai 2019
ISBN9783730951064
Der Fluch des Gnomen: Fantasy-Roman

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    Buchvorschau

    Der Fluch des Gnomen - Jürgen Müller

    Zum Buch

    Fantasyroman in drei Teilen: Invasion im Feenreich – Dämon Vielmauls maritime Phase – Mundlos.

    Das Coverbild malte Nicole Fabert.

    1. INVASION IM FEENREICH

    Als wollten sie das drohende Unheil der kommenden Wochen ankündigen, trieben zwischen dem Drachengebirge und dem Düsteren Reich dunkle Wolkenberge dahin.

    Fernab auf der Sonnenlichtung blickten die Elfenschwestern Sillronn und Krisand, kleingewachsen und zierlich, kaum größer als Sillronns Töchter Naruleh und Jorele, mit schrägstehenden blauen Katzenaugen ein letztes Mal zu einem hellen, freundlichen Himmel empor. Mit einem bedauernden Achselzucken betrat Sillronn wie jeden Tag die Bockwindmühle.

    »Komm! Wir helfen Mutti.« Naruleh zog Jorele ins Innere des Bauwerks, während Krisand gespannt davor wartete.

    Rauschend nahmen die Flügel Fahrt auf.

    »Faszinierend!« Mit aufgerissenem Mund beobachtete Krisand, wie der Seilzug einen Sack Zauberkorn empor hievte. »Menschenwerk! Wer soll es begreifen?«

    Sie schnalzte mit der Zunge. Magisch knisternd hob der nächste Sack von alleine ab und überholte den Vorgänger.

    Einige Zeit später koppelte Sillronn im zweiten Obergeschoss den Aufzug von der Königswelle ab und schüttete die letzten Körner in den Mahltrichter. Sie rutschten hinab zum Steinboden, wo der Rüttelschuh sie mit mühlentypischem Klappern in das Mahlsteingehäuse beförderte.

    Leichtfüßig sprang Sillronn hinunter zum Mehlboden und half Krisand beim Abfüllen des gemahlenen Feenstaubs.

    Auch ihre Töchter waren dort am Werken. Die Wangen der Zwillinge glühten vor Eifer. Geschickt tupften sie sämtliche neben dem Holzbottich herabgesunkenen Staubkörnchen vom Fußboden auf.

    »Das wären sieben Scheffel«, meinte Sillronn, als über ihnen ein Glöckchenläuten verkündete, das gesamte Korn sei gemahlen. »Die Gäste nahen. Lassen wir das vom Sichter aussortierte Schrot durchlaufen, das ergibt noch drei Scheffel, und machen Feierabend. Dann ist für die Festwoche Mahlpause angesagt. Zehn Scheffel: Damit kommst du doch ein Jahr hin, Krisand?«

    »Zehn Scheffel? So viel kann ich nie verzaubern!«

    Erneut klapperte der Rüttelschuh, stäubte der Feenstaub auf den Mehlboden, läutete das Glöckchen.

    Eine beiläufige Handbewegung Sillronns: Magie reffte die Segel der vier Windmühlenflügel; eisenbeschlagene Bremsbacken glitten zwischen die halbmeterlangen Eichenholzzähne des Kammrades. Ein letztes Ächzen; die Mühle stand still.

    Sillronn trat an ein Fensterchen. Schweiß rann an ihren hohen Wangen herab, als sie sich erschöpft gegen das Mauerwerk lehnte. Mit einer Verbeugung dankte sie dem Gott des Windes.

    »Menschen haben eine seltsame Vorstellung von uns. Angeblich tanzen, singen und musizieren wir den ganzen Tag, verführen ihre Männer und treiben Schabernack. Schön wärs.«

    »Und ›Tarnkappen‹ wären es, die uns die Unsichtbarkeit verleihen.« Kopfschüttelnd befühlte Krisand den Feenstaub im letzten, noch unverschnürten Sack. »Gute Qualität!«, lobte sie. Eine Vielzahl Stäubchen blieb an ihren schlanken Fingern haften; sie blies sie fort und – PLOPP! – war verschwunden. Lediglich die Luft flirrte an der Stelle, wo sie stand.

    Ein unsichtbarer Finger strich erneut durch den Feenstaub. Etwas pustete und – PLOPP! – Krisand war wieder da. »Ausgezeichnete Qualität!«, lobte sie. »Du hast es drauf, Schwester.«

    Die Zwillinge hatten nicht einmal aufgeschaut – so etwas Alltägliches!

    »Ich sagte, es ist Feierabend«, mahnte Sillronn. »Tupft morgen weiter.«

    »Hier, liebste Muhme«, sagte Naruleh und hielt Krisand stolz die halbgefüllte Schale entgegen, »so viel Feenstaub habe ich für dich aufgelesen.«

    »Oh, du warst aber fleißig!« Zärtlich strich Krisand der strahlenden Kleinen übers lange gelockte blonde Haar und schüttete den Inhalt der Schale in den Sack. »Hab vielmals Dank!«

    »Ich auch«, rief Jorele hastig, »ich hab genauso viel!« Erwartungsvoll hielt sie der Muhme die Schale entgegen. »Willst du sie nicht ausschütten?«

    »Nein, mein Schatz. Diesen Feenstaub dürft ihr behalten!«

    »Oh! Das sind doch bestimmt sieben Lot!« Jorele staunte, als wäre Weihnachten und Doppelgeburtstag zugleich.

    »Für uns?«, fragte Naruleh fassungslos. »So viel?«

    »Verwöhn sie nicht«, mahnte Sillronn, »sonst wollen sie noch bei dir wohnen.«

    Schmunzelnd beobachtete sie, wie die Zwillinge miteinander mauschelten.

    »Helft uns die Säcke ins Lager zu bringen«, schlug sie vor, »und tobt euch dann draußen aus; da habt ihr freie Bahn.«

    »Danke, Mama!« Sie fixierten jede einen Sack. Naruleh schnalzte, Jorele zuckte mit der Hand: Der eine Sack fiel um, der andere stellte sich auf den Kopf.

    »Wir lernen das nie«, klagte Jorele. »Wie schafft ihr das?«

    »Ein Elfenzauber ohne fokussierende Flügelwölbung gleicht dem Flug eines unbefiederten Pfeils«, dozierte Krisand, »die Magie geht daneben.«

    »Aber euch gelingt es sogar mit anliegenden Flügeln!«

    »Nur bei kleinen Zaubern und dank steter Übung. In euerm Alter erging es uns nicht anders. Aber lernen müsst ihr es; für billige Tricks darf man keinen Feenstaub vergeuden! Auch müsst ihr gegen mögliche Übergriffe der Schwarzelfen gewappnet sein.«

    »Krisand! Erzähle keine Schauergeschichten; dazu sind sie viel zu jung.«

    »Dazu ist es nie zu früh! Seht her, Kinder. Solltet ihr einmal von ihnen umzingelt werden – Schwarzelfen sind feiges Pack, das sich nur als Bande an eine ehrbare Weißelfe heranwagt –, so konzentriert eure Kraft auf eine der schwächlichen Kreaturen und fegt sie mit dem Breschen-Zauber beiseite. Etwa so!« – neben ihr schrie Sillronn auf und wirbelte, Salti schlagend, davon. »Anschließend durchschreitet ihr würdevoll die Lücke. Niemand wird sich mehr an euch heranwagen.«

    »Noch mal!«, bat Naruleh.

    Weit hinten zog Sillronn den Kopf ein.

    »Klasse! Als stündest du in einer aufgerichteten Muschelschale, Muhme«, lobte Naruleh.

    »Nein, als wäre sie ein Pfau mit weißen Federn!«, widersprach Jorele.

    »Nun, man kann auch sagen: Ein Elfenzauber ohne muschelschalenförmig gekrümmtes Flügelpaar entspricht dem Balzerfolg eines Pfaus ohne geschlagenes Rad«, nahm Krisand die Vergleiche auf. »Schaut her; so ist es richtig. Versucht es!«

    Voller Stolz sah Sillronn aus sicherem Abstand auf die blütenweißen Schwingen der Zwillinge, dem Kennzeichen Guter Feen, schüttelte aber nachsichtig den Kopf über die bucklig gewölbten Flügel, die vielen Dellen ...

    Naruleh und Joreles Hände zuckten vor: Zwei Säcke taumelten die Stiege hinunter; Sillronn bangte um das Treppengeländer.

    »Folgen wir ihnen«, schlug Krisand vor. »Ich bin diese Enge nicht gewöhnt.«

    Sie schnippte mit den Fingern. Die restlichen Säcke bildeten eine akkurate Reihe und schwebten den Kindern hinterher.

    Der Lagerraum war gefüllt bis unters Dach.

    »Dreihundert Wispel! Die versprochenen fünf Lot Feenstaub gratis pro Gast sind gesichert.«

    Entsetzt schaute Krisand die Schwester an. »Sag mal: Wann hast du in den letzten Wochen geschlafen?« Sie schüttelte den Kopf. »Dieser Haufen und dazu die üblichen Aufträge ...«

    »Schlafen? Heute Nacht bestimmt nicht. Diese Nacht werde ich durchtanzen. Und die andern auch!«

    Krisand lachte. »Ich schließe mich an!« Schwungvoll lief sie zur Mühle voraus. Gespielt aufseufzend, lehnte sie sich gegen den langen, geschwungenen Sterz, der dazu diente, die Mühle in den Wind zu drehen.

    »Menschenwerk! Anstatt Äolus einfach anzuweisen, von welcher Seite und wie stark er zu wehen hat, konstruieren sie eine komplizierte Drehvorrichtung. Technik! Wer soll das begreifen?«

    Selbstvergessen betrachtete Krisand die Umgebung. »Idyllisch ist es hier. Habs fast vergessen.«

    Sie begutachtete das schmucke Haus, Heimstätte einer unbeschwerten, glücklichen Kindheit, die blumenbestandene Lichtung, den sanft plätschernden Bach. Wie oft hatten sie und Sillronn darin geplanscht, sich schreiend nassgespritzt? In einer Dickung hatten sie Verstecken gespielt und sich nicht um zerkratzte Arme und Füße gekümmert; jetzt schwebten Naruleh und Jorele an gleicher Stelle über Stangenholz.

    Versonnen umrundete sie die Mühle.

    Verwunderung schwang in ihrer Stimme. »Hat die Stellung der Windmühlenflügel nicht eine Bedeutung?«

    »Ja, hast du denn alles vergessen!«, entfuhr es Sillronn. »Jede Ausrichtung des Flügelkreuzes signalisiert nahenden Mahlgästen, was Sache ist; das wissen bereits die Kleinen. Man unterscheidet zwischen der ... Jorele, erkläre es der Muhme!«

    »Man unterscheidet«, sprudelte das Kind los, »zwischen der ›Freudenschere‹, der ›Trauerschere‹, der ›Kurzen Arbeitspause‹, die übrigens auch bei aufziehenden Gewittern gewählt wird, weil der obenstehende Flügel beim ›Kreuz‹ zwei Meter höher in den Himmel ragen würde ... dass heißt, die von den Menschen bei Gewittern gewählt wird – den Blitz möchte ich sehen, der es wagt, in unserem Grund und Boden einzuschlagen!«

    »Ah, ich glaube, ich erinnere mich. Das Kreuz – so nennt sich die augenblickliche Flügelstellung, nicht wahr, Sillronn?«

    »Korrekt! Du machst dich.«

    »Was bedeutet es?«

    »Nun: ›Lange Arbeitspause‹ oder auch: ›Die Tagesarbeit ist beendet; die Arbeit beginnt am nächsten Morgen‹.«

    »Morgen? Seltsam ... Sagtest du nicht, für die Festwoche sei Mahlpause angesagt!«

    »Musst du mich immer so auf den Arm nehmen, Krisand! Daran ist nur der Alltagstrott schuld, stets die gleichen Handgriffe ... Es ist nun einmal das erste Sommerreigenfest, das auf der Sonnenlichtung stattfindet.«

    Sillronns Hand zuckte zu einer magischen Bewegung vor – und wurde von Jorele umklammert.

    »Darf ich? – Bitte, Mama!«

    »Gut, versuch dein Glück.«

    »Ich denke, es hat nichts mit Glück zu tun, sondern mit Zielgenauigkeit?«, entgegnete naseweis die Kleine und stellte sich in Positur. Ihre rechte Hand zuckte vor. Am Horizont zerbarst ein Schäfchenwölkchen.

    »Sehr effektvoll«, sagte Naruleh trocken. »Nur haben sich die Flügel keinen Millimeter bewegt. Lass mich mal!«

    Auch ihre Rechte zuckte vor. Einmal, zweimal, dreimal ...

    »Die Wirkung schlecht gezielter Magie gleicht dem Klangbild einer Gitarre ohne Schallkörper«, erklärte Krisand unter Kichern, »die Magie verpufft im Raum.«

    »Was ist das: eine Gitarre?«

    »Menschenwerk, Naruleh. Seltsame Musikinstrumente. Die Harmon haben einige importiert.« (Gemopst – Elfen besitzen viele Dinge, die man bei diesem Naturvolk kaum vermuten würde, stellen aber das wenigste davon selbst her.)

    »Aha. Dürfen wir jetzt los?«

    »Ja. Aber schaut beim Fliegen immer schön nach vorn! Nicht dass ihr euch Beulen um Beulen stoßt und wegen Kopfweh klagt.«

    »Keine Sorge, Mama; wir passen auf. Beim Fliegen immer nach vorn schauen – das haben wir nun wirklich gelernt; du hast es uns oft genug gepredigt. Außerdem bilden die Beulen sich ja sofort zurück.«

    Vorsichtig, als handele es sich um einen Bienenschwarm, schüttete Jorele die Hälfte des Schaleninhalts in die hohle Hand der Schwester. Ein synchrones Pusten und – PLOPP!-PLOPP! – schon schwirrten sie inmitten einer flirrenden Wolke aufgewirbelten Feenstaubs einträchtig zum Waldrand. Das Letzte, was die Frauen von ihnen sahen, waren die kurzen im Luftstrom flatterten Seidenröckchen.

    Sillronns rechte Hand zuckte leicht. Kurzzeitig glitten die Bremsbacken aus den Zähnen des Kammrades, die Flügelwelle drehte sich ein Stück.

    Unzufrieden betrachtete Sillronn ihr Werk.

    »Nun bewundern wir die so genannte Freudenschere«, erklärte Krisand schmunzelnd. »Sie signalisiert dem Nahenden eine Feier in der Familie des Müllers: Hochzeit, Geburt oder ähnliches. – Wie viele Gäste erscheinen durchschnittlich beim jährlichen Sommerreigenfest, sagt man? Vierzehntausend? Oho! Haben wir eine große Familie!«

    »Verschone mich mit deiner Ironie.«

    Noch einmal gab Sillronns Hand magische Energie frei; die Flügel ruckten ein Stückchen weiter und bildeten ein exakt ausgerichtetes x.

    »Schon besser. Aber fehlt nicht etwas?«

    Sillronn langte bereits in den Brustbeutel und blies die Backen auf. Nach dem PLOPP prangten Blumensträuße in den Segelgattern der Windmühlenflügel, und von Flügelspitze zu Flügelspitze schillerten Girlanden.

    »Besser?«

    »Nun ja ... Wenn du nicht gerade den Anti-Verwelk-Zauber vergessen hast, ist das Fest gerettet!«

    »Jorele! Naruleh! Kommt her und schaut euch das an! Hallo ...? Wo sind die Kinder?«

    »Über dem Lärchenwipfel dort drüben«, beruhigte Krisand. »Lass sie.«

    »Schau!«, rief Naruleh und deutete nach unten, wo ein Fuchs zwischen Birkenstämmen entlangschnürte. »Das ist Spitzschnauze.«

    »Rotpelz«, widersprach Jorele. »Spitzschnauze säugt bestimmt die Jungen.«

    Sie setzten zur Landung an. Durch dichtes Buschwerk konnten sie den Fuchsbau sehen. Rotpelz, eine Maus in der Schnauze, äugte aus senkrechten Pupillen zu ihnen herüber.

    »Er hat uns entdeckt«, seufzte Jorele.

    »Schon lange. Kein Wunder, so wie das Laub unter den Füßen raschelt. Zum Glück haben sie sich schon an uns gewöhnt; wir sind ja jeden Tag hier. Da, ihr Wurf!«

    »Sind die süß!«

    Erschrocken verschwanden die vier Welpen im verlassenen Dachsbau.

    »Psst, Naruleh! Jetzt hast du sie verschreckt.«

    Schon schaute wieder eines heraus, tapste sogar unbeholfen ins Freie.

    »Muss ein Mädchen sein«, sagte Naruleh altklug, »die sind immer so vorwitzig.«

    Etwas Glitzerndes huschte knapp über den Baumkronen hinweg. Der Rüde stieß ein helles, langgezogenes Warnbellen aus, während die Fähe den Welpen vorsichtig am Genick packte und in den Bau trug.

    Die Zwillinge strahlten. »Die ersten Festgäste kommen!«

    Vor Joreles Augen verwoben sich rosa Schlieren zu einem eindringlichen Bild.

    Naruleh stieß die Schwester an. »Ich hatte eben eine VISION!«

    »Ja«, nuschelte Jorele mit verschleiertem Blick, »wir sollen zu Mama kommen.«

    »Du hast es auch gesehen?« Naruleh war enttäuscht. »Vorwarnzeit?«

    »In einer halben Stunde müssen wir daheim sein, sonst gibt es Schelte! Und kein Feenstaub mehr; wir müssen laufen. Oh, warum können wir ohne Magie nur unbeholfen flattern; unsere Flügel sind doch so viel größer als die der Vögel! Erwachsene brauchen auch keinen Feenstaub und sind schwerer; das ist ungerecht. Wenn sie sich enorm konzentrieren, können sie sich sogar ohne Feenstaub unsichtbar machen, an andere Orte versetzen und in andere Gestalten verwandeln. Bei uns hingegen klappt nichts, nicht mal mit Feenstaub. – Tschüß, Rotpelz! Tschüß, du süße Spitzschnauze! Wachst schön, ihr Kleinen!«

    Empört über die neuerliche Störung keckerte Rotpelz hinter ihnen her.

    Schnurgerade führte eine Schneise vom Fuchsbau in Richtung Mühle. Die Mädchen sprangen über Wurzeln und Stubben, duckten sich vor tiefhängenden Ästen. Nach zehn Minuten erreichten sie die Sonnenlichtung.

    »Sieh nur, Naruleh!«

    Eine Vielzahl buntgewandete Elfen kühlte im ruhigströmenden Bach die zierlichen Füße. Seiner sprudelnden Quelle im Hochwald entstiegen mit saumnassen Gewändern drei Wasserfrauen. Hangabwärts an der Mündung des Baches in den Teich rekelten sich drei goldhaarige Nixen auf dem angeschwemmten, sonnengewärmten Schluff. Die Sonnenlichtung, größtenteils blumenbestandene Gebirgswiese, füllte sich allmählich. Wohin schauen?

    Zuerst schien es, als hätte die große Familie der Nymphen die Überzahl – überall sahen sie Wasser-, Berg- und Waldnymphen –, dann erst bemerkten die Zwillinge die unzähligen Schmetterlingsgroßen, die vergnügt auf den rosa Scheinähren des Wiesenknöterichs wippten oder, einander haschend, um die Blütenglocken der Soldanellen schwirrten. Einige standen gar in den trichterförmigen dunkelblauen Blüten des Stengellosen Enzians; nur ihre freudestrahlenden Köpfchen schauten heraus. Mühle und Wohnhaus aber waren umringt von staunenden Blumen- und Baumelfen, die ansonsten ganzjährig in Blütenkelchen, Wurzeln, auf Zweigen und Blättern lebten.

    »Wir werden aufpassen müssen, wohin wir treten.« Bezeichnend deutete Jorele auf die Sippe der Spannenlangen, die auf Wiesenchampignons saßen und zufrieden mit den Füßen baumelten.

    An einem weiß marmorierten Birkenstamm lehnte eine Waldfee. Eine Groll (kein druckfehlerbehafteter Troll, sondern ein Mitglied eines cholerischen Elfen-Stammes) stritt auf sie ein.

    »Ich finde es unerhört, diesen Winzlingen genauso viel Feenstaub zu schenken wie unsereins«, schrie sie mit hochrotem Kopf. »Fünf Lot sind für die eine kaum tragbare Last; für uns ist es so gut wie nichts! Ich verlange meine Willkommensgabe ebenfalls in Höhe des Körpergewichts!«

    Zornig schaute sie auf zwei Schmetterlingsgroße, die den Feenstaub Lot für Lot in Säckchen gefüllt und zu zweit wegschleppen mussten.

    Naruleh drängte sich vor. »Niemand ist mehr wert als der andere«, rief sie, »und jedem steht das Gleiche zu. Keiner kann dafür, wie groß oder klein er gewachsen ist.«

    »Gut gesprochen!«, lobte die Waldfee.

    »So sagt es unsere Mama«, bekräftigte Jorele. »Fünf Lot ergibt bei jedem maximal zwei PLOPPs, und die armen Kleinen müssen sich dabei beinahe die Lungen aus dem Leibe pusten!«

    »Steigt auf« – Naruleh hielt den beiden eine Handflache hin –, »ich bringe euch zur Muhme. Sie soll euch den Schwebe-Zauber beibringen; dann braucht ihr euch nicht so abzuplagen.«

    »Zustände sind das ...« Die Groll betrachtete das Häuflein Feenstaub. »Ich hätte es verweigern sollen.« Maulend zog sie ab.

    »Schau mal: die Nordlandcombo der Harmon!«, rief Naruleh, als sie vom Haus zurückkehrte. »Vielleicht haben sie diese Gitarren dabei. Das muss ich mir ansehen!«

    »Warte auf mich!« Jorele lief hinterher – und prallte gegen etwas Unsichtbares, Glitschiges.

    »Hoppla! Muhme Krisand ...? Warst du baden?«

    »Entschuldige«, sprach die Durchscheinende mit schmerzverzerrter Stimme, »ich wollte dich nicht erschrecken; vertrage nur kein Tageslicht. Hallo: Wie einladend euer Teich ausschaut. Tschüß, kleine Fee. Man sieht sich!«

    »Ja ... wie denn?«, meinte Jorele und kratzte sich hinterm Ohr.

    Engelsgleiche Harmonien schwangen in der Luft. »Oh, die Generalprobe des gemischten Berg- und Wassernymphen-Chores!«, rief Naruleh. Harmon und Gitarren waren vergessen. »Nichts wie hin!«

    Obwohl helllichter Tag war, schwebten erste Elfen, in weiße, durchscheinende Gewänder gehüllt, mit wehenden Schleiern, Blumenkronen und vielerlei flatternden Bändern angetan, in einem ausgelassenen Reigen dahin.

    Glückselig inmitten der Zuhörer sitzend, beim Flechten von Blumenkränzen, beim Zuschauen der Tänze, riss die Zwillinge ein erboster Ausruf in die Wirklichkeit.

    »Hab ich euch endlich!«

    »Auwei!» Naruleh hielt sich erschrocken den Mund. »Das ist Mama! Jetzt gibts Schelte!«

    »Und nicht zu knapp. Wenn ihr in einer halben Stunde daheim sein sollt, dann seid ihr nach einer halben Stunde daheim! Haben wir uns verstanden? – Kommt mit!«

    Sillronn knallte die Tür zu. »Erstmalig ist unsere Familie Ausrichter des Sommerreigenfestes. Solch eine Ehre wird uns in zehntausend Jahren nicht wieder zuteil! Meine Töchter aber laufen in verschmutztem Alltagszeug umher. Muhme Krisand und ich möchten uns nicht die ganze Zeit wegen euch schämen müssen. Zieht das an!«

    »Buh – langer Kleider! Immer diese Trippelschritte, man kommt nicht von der Stelle.«

    »Vielleicht, wenn du an der Seite einen langen Schlitz hineinzauberst ...«

    »Ich werde euch gleich was zaubern! Und so möchte ich euch gehen sehen: gemessenen Schrittes wie eine ... Fee.«

    Sillronn ließ die Kinder hinaus und unterstützte Krisand beim Verteilen des Feenstaubs.

    Die Zwillinge zog es sogleich wieder zu den Tänzerinnen.

    Ein Raunen ging durch die Menge. Vom Waldrand näherte sich auf gichtigen Füßen ein ... Schreckgespenst. Ein Kreis von misstrauischen Elfen bildete sich um eine Alte mit dem Teint von Dachpappe.

    »Wer von euch ist Naruleh? Du?« Ein dürrer langer Finger stach nach Jorele, die erschrocken zurückwich. Dann sah sie die gütigen Augen, vernahm die warme Stimme.

    »Nein, ich!«, sprach Naruleh mutig ... und versteckte sich hinter dem Rücken der Schwester.

    »Gut, gut«, murmelte die Alte, »hör gut zu, was ich dir zu berichten habe ...«

    Aufgebracht erzählte währenddessen Sillronn der Schwester von »aufmüpfigen Verlangen« der Kinder.

    »Sieh mal: deine Töchter, wie sie ›gemessenen‹ Schrittes daherschreiten ... ganz Grazie!« Krisand brach in Gelächter aus.

    »Sie haben doch nicht wieder den alten Plunder übergestreift?« Auf alles gefasst, wandte Sillronn den Kopf. Fast wäre es ihr lieber gewesen, sie hätten es gewagt. Die Kleider bis zur Hüfte gerafft, mit blankem Hintern, so schritten die Zwillinge »elegant« dahin. Die Mienen der Umstehenden wagte sie sich nicht vorzustellen.

    Mit ganz und gar nicht gemessenen Schritten drängte sie sich vor.

    »Naruleh wurde von der Vorsehung als künftige Feenkönigin erwählt«, erklärte Jorele ehrfurchtsvoll. »Jungfer Xanthippe hat es in der Kristallkugel gesehen!«

    Erst jetzt bemerkte Sillronn die bucklige Alte.

    »Ihr habt Euch sicher verlaufen. Hier ist kein Platz für Euch, Hexe. Verschwindet, und setzt unschuldigen Kindern keine Flausen in den Kopf!«

    Wie nur konnte jemand von solchem Aussehen es wagen, sich unter ihr Volk zu mischen. Allein der Riechkolben war eine Zumutung für das anspruchsloseste ästhetische Empfinden: Auf ihm prangte nicht die obligatorische Warze – nein! ein grobporiges Stück Nasenspitze ragte aus einem übel beharrten Warzenklumpen heraus.

    Angewidert versetzte Sillronn dem wabbligen Buckel der Alten einen Schubs.

    »Habt Dank für die Unterstützung, Gute Fee!«, knurrte diese. »Aber noch kann ich selbst gehen!«

    Brabbelnd humpelte sie zum Wald zurück. »Über unvorstellbare magische Kräfte wirst du verfügen, Naruleh«, rief sie über die Schulter. »Mögest du damit alle Welt glücklich machen!«

    »Das werde ich!«, sagte Naruleh leise, aber bestimmt. »Versprochen.« Ihre Augen glänzten. »Wartet, ich stütze Euch!«

    Naruleh rannte los und bot der Alten ihre schwache Schulter.

    »Das war nicht schön von dir, Mama«, sagte Jorele mit blassem Gesicht, »wie du Jungfer Xanthippe behandelt hast. Sie ist so nett.« Böse musterte sie umstehende Elfen, die Jungfer Xanthippes Abgang mit Schmähworten kommentierten.

    »Um das zu beurteilen, fehlt es euch an Lebenserfahrung«, erwiderte Sillronn.

    Sie ging der zurückkehrenden Naruleh entgegen und sah sie eindringlich an. »Am besten, du vergisst jedes ihrer Worte. Hörst du!«

    »Hast du das gesehen?«, fragte sie wenig später Krisand. »Diese alte Vettel ... hier bei uns! Nächstens tauchen noch Trolle und Orks auf.«

    »Die letzten fünfhundert Säckchen kann ich allein verteilen. Reagiere dich besser ab«, riet ihr Krisand, »sonst verwechselt man dich noch mit einem Ork. Die Mimik stimmt bereits!«

    Lächelnd schaute sie Sillronn nach, die zur Schneise zum Fuchsbau stürmte.

    Sillronn nahm weder Bergahorn noch fruchttragende Gemeine Birken wahr. Selbst die geliebten Eiben würdigte sie keines Blickes. Einmal hin und zurück, dachte sie, und bin ich wieder die Ruhe in Person. Na ja, vielleicht auch zweimal ...

    Es hätte ihr nichts genützt, wenn sie das Augenmerk wenigstens auf den Boden zu ihren Füßen gerichtet hätte – der ausgelegte Stolper-Zauber war unsichtbar. Auf dem Bauch liegend, spürte sie kleine Fäuste schmerzhaft auf Hinterkopf und Rücken eintrommeln.

    »Kobolde!«, rief sie. »Wer sonst wagt es, einer Fee triumphierend auf dem Rücken herumzuspringen.«

    »Mupuk, Trupuk und Wupuk, die drei Puks, man uns nennt. Und noch viel mehr wir wagen. Wirst noch denken an uns, an vielen vielen Tagen ...«

    »Ihr seid das! Hat man euch endlich vom Holdagipfel vertrieben.«

    »Niemand uns vertreibt! Wir wandern nur zum Zeitvertreib.«

    »Schluss jetzt«, rief Sillronn. »Redet vernünftig – und kommt ja nicht in meine Reichweite, sage ich euch!«

    Die drei verschwanden in die Unsichtbarkeit und bedachten Sillronn mit Schmähworten.

    »Ph! Ich lasse mich nicht provozieren. Nicht von euch!« Achselzuckend kehrte sie um.

    Von knotigen Spinnenfingern herausgerissene Grasbüschel samt erdbehafteten Wurzelballen flogen auf sie zu. Auf Ähnliches gefasst, hatte sie vorsorglich die Flügel ausgebreitet und einen leichten Abprall-Zauber aufgebaut. Die Wurfgeschosse trafen auf die unsichtbare Barriere und fielen wirkungslos zu Boden.

    Die Kobolde schrieen Zetermordio. Laubrascheln und das Knacken dürrer Zweige ließen erkennen, dass Sillronn beiderseits der Schneise eine unsichtbare Eskorte folgte.

    Sillronn kniete nieder und befreite die Hände im Bachlauf vom Matsch zerdrückter Pilze. Die Grasflecken allerdings waren hartnäckiger.

    Vom Waldrand drang vielstimmiges Gekicher. »Vergiss uns nicht, Elfe.« Gehässig wispernd wurden die Kobolde sichtbar und verzogen die schwärzlichen Gesichter zu diabolischen Fratzen: eine reife Leistung bei einer Haut, die besser als Borke an Bäume gehörte; aber es hatte wohl keiner großen Wandlung bedurft. »Und denk dran: Man sieht sich!« Zum Abschied drehten sie ihr lange Nasen.

    »Ich hoffe es nicht ... für euch«, murmelte Sillronn.

    Die folgenden Stunden tanzte sie sich die Wut aus dem Bauch, obwohl immer noch helllichter Tag war ...

    Erwartungsvoll lagen die Kinder im Doppelbettchen. Sillronn nahte zur geliebten Märchenstunde.

    »Setz dich zu uns auf die Bettkante, Mama.« Gespannt richteten sie sich auf.

    Sanft wurden sie in die Kissen zurückgedrückt. »Augen zu! Die heutige Gute-Nacht-Geschichte heißt: ›In der Bäckerei‹ und geht so:

    Frühmorgens, wenn alle Menschen noch schlafen, betritt der fleißige Bäcker bereits die Backstube. Er bereitet aus am Vortage angerührten Sauerteig durch Beigabe von Gewürzen, Meersalz und weiteren Zutaten den Hauptteig zu. Nach einstündigem Kneten und einer längeren Quellpause in der Knetmaschine formt er die einzelnen Laibe und legt sie in die Gärkörbchen, bis sie Ofenreife haben. Dank unbegreiflicher Zauberkünste schiebt er jeden Laib im einzig richtigen Moment in den vorgeheizten Steinbackofen. Ein leckeres Brot nach dem anderen fördert er mit dem Schieber zu Tage ...«

    »Was ist das: ein Brot?«

    »Ein seltsames Naschwerk der Menschen.«

    »Mama?«

    »Ja, Jorele?«

    »Was sind Schwarzelfen?«

    »Furchtbar böse Tanten.« Sillronn seufzte. »Hat euch die Muhme Angst eingejagt? Ihr könnt beruhigt schlafen: Nie werdet ihr einer Schwarzelfe begegnen. Sie leben im Düsteren Reich unter der Erde. Bei Tageslicht sind sie so gut wie blind. Sonnenstrahlen bereiten ihnen so unerträgliche Qualen, dass man sie nur nachts oder inmitten des fernen Dunkelwaldes antrifft.«

    »Aber wenn sie Feenstaub benutzen und sich nachts zu uns ins Zimmer zaubern?«

    »Keine Angst, mein Fratz: Schwarzelfen besitzen keinen Feenstaub.«

    »Aber wenn sie sich welchen besorgen ...«

    »Das ist völlig ausgeschlossen! Noch nie in der Geschichte der Elfenrasse gelangte auch nur ein Lot davon in ihre schmutzigen Hände! Das wäre der Anfang vom Ende!«

    »Wieso sind sie so böse?«

    »Das ist eine traurige Geschichte. Einst gab es nur uns Weiß- oder Lichtelfen. Dann kam ein kleines Elfchen zur Welt, das ... nun ... anders (das Wort »mutiert« ist den Elfen unbekannt) war. Yamiras Flügel waren zerfleddert, nicht fähig, sie zu tragen, konnten nicht einmal vollständig entfaltet werden; die einzelnen Federn hingen schlapp herunter oder standen sperrig ab. Jeder Magie schlug im Ansatz fehl. Sie wurde ausgelacht, verspottet und mehr und mehr gemieden. Verbittert zog Yamira sich fern aller Lebenden in eine Erdhöhle zurück. Von Menschensöhnen, zwielichtigen Gestalten, bekam sie im Laufe der Jahrhunderte Dutzende Töchter mit ebensolch nutzlosen Flügelresten. Sie und ihre Nachkommen, von wärmenden Sonnenstrahlen, Freude und Ausgelassenheit isoliert, können das Glück anderer nicht ertragen, und haben sich geschworen, alle Wesen ebenso unglücklich zu machen wie sie es sind.«

    »Sie tun mir leid!«

    »Mir auch, Jorele. Dennoch möchte ich keiner begegnen.«

    »Mama ...«

    »Ja, Naruleh?«

    »Was muss eine Feenkönigin können?«

    Sillronn seufzte auf. »Es gibt keine Feenkönigin! Lichtelfen respektieren einander, niemand besitzt ein Vorrecht. Reicht das? Es hat nie eine gegeben, und es wird hoffentlich nie eine geben. Das wäre furchtbar schlimm.«

    »Wieso wäre Naruleh als Feenkönigin schlimm? Sie ist genauso lieb wie ich!«

    »Jede Feenkönigin wäre schlimm, Jorele«, seufzte Sillronn. »Egal, wer sie ist. Es hat nichts mit der Person zu tun. Um Königin zu werden, bedarf es Macht. Mehr Macht, als jede Fee besitzt. Naruleh müsste mit einer Elfe kämpfen und deren Zauberkraft rauben. Dabei würde sie die Flügel der Gegnerin zerstören, und die arme Elfe hätte nicht nur die Magie verloren, sondern auch die Unsterblichkeit. Wollt ihr das?«

    »Aber Jungfer Xanthippe hat –«

    »– eine uralte Legende erzählt. Sie ist eine böse alte Hexe. Böse alte Hexen juckt es nicht, dass ein unschuldiges Elfenleben verwirkt werden muss, damit eine Königin entsteht. Schon vor zwölfhundert Jahren, als ich so alt war wie ihr, erzählte Großmama davon – und sie hat es im gleichen Alter von Urgroßmama erfahren. Und du, Naruleh, wirst davon dereinst deinen Töchtern und Enkeltöchtern berichten. Hoffentlich bist du dann so klug und verschweigst, dass du als kleines Mädchen der Märe einer Hexe glaubtest und dich für die künftige Feenkönigin gehalten hast!«

    »Erzähle uns die Legende. Bitte, bitte.«

    »Oh ja. Bitte!«

    »Ihr Quälgeister. Ich sage gleich der Unersättlichen Bestie Bescheid, dass sie euch holen und fressen soll, wenn ihr nicht gleich schlaft, ja! Gut ... Aber dann herrscht Ruhe! Versprochen?«

    »Versprochen«, erklang es zweimal.

    »Augen zu! Hört nun die Legende der künftigen Feenkönigin:

    Reift die zukünftige Feenkönigin zur Frau, werden ihre Schwingen einen leichten Goldton annehmen, das Zeichen kommender großer Macht. Nach einem erbarmungslosen Zweikampf mit einer nahestehenden Person, der sie Flügel, Macht und Unsterblichkeit raubt, wird sie ... Na endlich!«

    Sillronn hatte keinesfalls vorgehabt, Naruleh mit aufregenden Einzelheiten der alten Sage aufzuregen, und hatte einen Einschlaf-Zauber über die Zwillinge gelegt. Bereits nach dem zweiten Satz schlummerten sie friedlich.

    Sillronn schloss die Augen. Es galt, Kraft für die nächtlichen Reigen zu gewinnen ...

    Stunden später wachte Jorele auf und stieß die Schwester an. »Du, Mama liegt bei uns im Bett. Ich denke, sie wollte mit den andern durchtanzen? Ob wir sie lieber wecken?«

    Naruleh gähnte. »Lass sie. Sie wird sich gestern Nachmittag müde getanzt haben. Hast ja gesehen, wie sie stundenlang herumwirbelte.«

    »Wenn du meinst ...« Zweifelnd legte Jorele das Köpfchen in den Schoß der Mutter und schlief ein.

    Missmutig betrat Sillronn am Morgen die Sonnenlichtung. Überall lagen sie schlafend im Sonnenschein, all die Feen und die Kleinen Verwandten, welche die Nacht zum Tag gemacht hatten. Nur sie hatte alles verpasst.

    Wenn sie die selig lächelnden Gesichter mancher Elfe betrachtete, kam ihr leicht der Verdacht, dieser oder jener schöne Menschenjüngling müsse letzte Nacht hierher gelockt worden sein. Schöne Menschenjünglinge waren ein guter Grund, sich ganze Nächte voller monotoner Reigen um die Ohren zu schlagen. Wenn sie es sich recht überlegte, der einzige Grund. Sie begann zu ahnen, wie einer Nixe mit Fischunterleib zumute sein musste. Jedenfalls kannte sie keine Elfe, die Kinder von einem Elf bekommen hätte. Wann hatte sie überhaupt zuletzt einen Elfen gesehen? Es war bestimmt Jahrzehnte her. Männerangelegenheiten debattierend, standen sie bestimmt wieder reglos im Walde herum und verwandelten sich je nach Größe unaufhaltsam in Bäume oder Bonsais. Nicht einmal zum Sommerreigenfest waren sie gekommen. Und eine neue Generation gab es nicht. Seit Jahrtausenden war kein Elf mehr geboren worden; von schönen Menschenjünglingen bekamen Elfen ausschließlich Töchter.

    Verdrossen wandte sie sich ab ...

    »Bezaubernde Zwillinge habt Ihr, Gastgeberin!«

    Dies versicherte Sillronn am frühen Abend mit etwas Neid in der Stimme eine Flötenspielerin der Harmon.

    »Ja, wer meine Mädchen erblickt, für den geht die Sonne auf. Wenn es Not tut, ziehen einige Regenwolken auf, gewiss. Aber Bodennebel? Gewitterwolken? Ach was! Die Sonne pustet alles beiseite, um einen Blick auf den Liebreiz meiner Kleinen zu erhaschen. Sich ärgern? Streiten? Unmöglich, wenn sie dabei sind.«

    »Ihr müsst rundum glücklich sein. Wenn ich da an meine Rangen denke. Wenn sie mir nicht so ähnlich sähen, also wirklich ... manchmal würde ich mich fragen, ob nun wir den Menschen Wechselbälge in die Wiege legen oder sie uns!«

    »Seid getrost; hier auf der Sonnenlichtung vergesst Ihr Eure Sorgen. Nicht ein einziges Mal während der letzten fünf Jahre war der Himmel düster.«

    »Deshalb nahmen wir den weiten Weg aus dem Norden auf uns«, antwortete die Harmon, »um Tag um Tag im Sonnenschein zu ruhen und in mondhellen Nächten zu tanzen. Hüpft und springt mit uns, Elfe! Ihr da oben auch! Nur keine Scheu: Mitmachen heißt die Devise.«

    Zögernd flatterten einige Kleindrachen, gutmütige Vertreter ihrer Art, von den Bäumen herab und mischten sich mit rhythmisch wiegendem Leib in den Elfenreigen.

    Wind kam auf. Sturm! Düsternis verbreitend, glitt eine schwarze Wolkenwand heran, Blitze zuckten, Sturzbäche brachen aus den Wolken. Die Tänzerinnen prallten gegen Bäume, klammerten sich an Stämme und Äste. Die Laubdächer, unter welche die Zuschauer geflüchtet waren, hielten der Sintflut nur kurz stand. Die Temperatur sank rapide. Wassernymphen und Flussfrauen hechteten in den Bach und schwammen sich warm.

    Der Sturm erreichte Orkanstärke, wurde zum Zyklon und bahnte sich, ehe Sillronn sich aus der Erstarrung reißen und eine magische Schutzhaube um die Mühle errichten konnte, eine Schneise der Vernichtung durch den Mischwald, riss selbst Baumriesen um.

    »Befindet sich unter uns eine Wetterfee?«, rief sie gegen das Brausen an, nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte. »Hallo?«

    Gut. Also nicht. Der Feenstaub im Brustbeutel war klamm geworden, ploppte aber noch. In der selben Sekunde stand sie auf einem frischen Kahlschlag dicht neben der wirbelnden Säule der Vernichtung und schauten ins Auge des Zyklons.

    Eine herrische Handbewegung – die wirbelnden Wolkenmassen verhielten auf der Stelle. Ein aus dem Zyklonauge kommender und immer schriller werdender

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