Dark Justice - Am Abgrund
Von Carla Miles
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Über dieses E-Book
Wenn du denkst, du hast alles unter Kontrolle, auch dein Herz …
Sie ist fast zerbrochen, doch sie konnte der Hölle entkommen. Jetzt hat sie nur ein Ziel: Rache! – selbst wenn der Preis fast zu hoch ist. Denn um zu überleben, wird Clarice McNeill die Geliebte eines mächtigen Anführers der Yakuza.
Detective Cole Hawkins soll den gefährlichsten Mann Vancouvers überführen. Plötzlich steht er selbst unter Verdacht. Er hat nur eine Chance, seinen Ruf wiederherzustellen. Aber die Frau, die ihm dabei helfen soll und zu der er sich unwiderstehlich hingezogen fühlt, könnte sein Untergang sein.
Taro Matsuda regiert seinen Yakuza Clan nach drei einfachen Gesetzen: Nur wer erbarmungslos gegen seine Feinde ist, erhält den nötigen Respekt. Seinen Schutz verdient nur, wer ihm bedingungslose Loyalität schwört. Wer sich an seinem Eigentum vergreift, hat sein Leben verwirkt.
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Dark Justice - Am Abgrund - Carla Miles
1
Vancouver, BC, 3. März 2001
Du wirst dich heute Abend bereithalten«, sagt Taro.
Er nickt mir kurz zu. Wer ihn nicht ganz genau kennt, hätte diese winzige Geste kaum bemerkt. Ich signalisiere ihm, dass ich ihn verstanden habe, indem ich den Kopf noch tiefer senke und meinen Blick nach unten richte. Ich sitze bereits seit über einer Stunde auf dem Boden und warte auf seine Rückkehr. Dass er mich warten lässt, ist nicht ungewöhnlich, auch nicht, dass er mir nicht Bescheid sagt, weil er sich verspäten wird.
Ich überlege, ob ich aufstehen soll, um den Tee frisch zuzubereiten – zum vierten Mal an diesem Nachmittag. Aber da er mir nicht die Erlaubnis erteilt hat, mich von meinem Platz zu erheben, verharre ich auf dem Tatami.
Heute Abend werde ich wieder die Fesseln an meinem Körper spüren – zum ersten Mal seit dem Vorfall, wie ich den brutalen Überfall auf mich insgeheim nenne. Die vergangenen Tage habe ich mich oft gefragt, wie ich mich fühlen werde, wenn er mir sagt, dass es wieder so weit ist.
Jetzt weiß ich es. Ich habe Angst, dass mich die Erinnerung lähmen wird, und gleichzeitig beschleunigt sich mein Atem bei dem Gedanken daran, wie sich das Seil auf meiner nackten Haut anfühlen wird, und meine Nippel werden hart. Taro hat mich darauf konditioniert, so zu empfinden, und ihm bleibt meine Reaktion nicht verborgen. Ihm gefällt es, mich zu erregen. Doch heute bin ich fast wütend auf meinen verräterischen Körper.
Ich gehöre nur Taro, auch wenn er mich manchmal an wichtige Geschäftspartner ausleiht. Aber das ist okay.
Nein, das ist gelogen. Es ist nicht okay. Ich habe es nur zugelassen – aus Respekt und Dankbarkeit –, weil Taro mich darum gebeten hat. Doch nach dem Vorfall weiß ich nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Ist es vielleicht zu früh?
Taro sieht mich abwartend an. Unter der Oberfläche seiner beherrschten Züge erkenne ich Ungeduld. Wenn ich ihm von meinen Zweifeln erzählen will, muss ich es jetzt tun und darf nicht länger zögern.
»Matsuda-sama«, spreche ich ihn ehrfurchtsvoll an. »Ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin.«
»Doch, das bist du, Clarice.«
Sein Ton duldet keine Widerrede und ich werde mich fügen. Denn ich weiß, wo mein Platz ist, und bin froh über meine privilegierte Stellung. Die anderen Mädchen, die für Taro Matsuda arbeiten, genießen diese Freiheiten nicht, die er mir gewährt.
Heute Abend.
Ich frage nicht, wo, und ich frage nicht, wann. Taro wird mir sagen, was ich wissen muss. Er wird auch dafür sorgen, dass mich eins seiner Mädchen im Shinjuku vertritt. Auch dort, in seinem noblen Herrenclub, genieße ich als Hostess eine Sonderstellung. Ich kümmere mich um die reichen, meist japanischen Gäste, sorge dafür, dass sie sich wohlfühlen. Dafür bekomme ich ein gutes Gehalt und meine Trinkgelder darf ich behalten und frei darüber verfügen.
Ich spüre, wie seine Blicke auf mir ruhen, und warte auf seine nächste Anweisung. So ist das, wenn man die Geliebte des mächtigsten Oyabun in Vancouver ist und in den inneren Kreis dieser Yakuza-Familie vordringen konnte. Ich brauchte einen mächtigen Beschützer und habe ihn in Taro gefunden, auch wenn er meine wahre Identität nicht kennt. Und nun lebe ich unter einem Dach mit dem Anführer einer gefährlichen und straff organisierten Verbrecherbande, deren Kerngeschäft Waffenhandel und Prostitution ist, beides unter dem Deckmantel von Sushi-Bars, traditionellen Tattoo-Studios und Nightclubs.
In einem dieser Clubs hat mich Taro vor über zwei Jahren entdeckt. Damals war er nur der Sohn und Erbe des amtierenden Oberhauptes der Inagawa-gumi, so lautet der Name seiner Organisation, und mein Ticket in diese Parallelwelt. Ich wusste, wer er war, und auch, dass er als Stammgast in dem Club verkehrte, in dem ich damals arbeitete. Und ich kannte seine Vorlieben. Taro steht auf Shibari, eine japanische Art des Bondage, und er legt gerne selbst Hand an.
Ich wurde seine gelehrige und devote Schülerin. Er mietete mir ein möbliertes Apartment nahe der Granville Street und kaufte mir schöne Kleider. Damals war ich siebzehn und noch leicht zu beeindrucken.
Einige Monate, nachdem ich sein Spielzeug geworden war, übernahm er die Führung des Yakuza-Clans. Zum Glück hat er mich behalten und mir so ermöglicht, unter seinem Schutz zu leben und mein Ziel weiter zu verfolgen. Doch meine Position ist nicht gesichert. In seinem Haushalt bin ich immer noch eine Außenseiterin. Es gibt Neid und Missgunst unter den anderen Mädchen, die im Shinjuku arbeiten und gerne meine Stelle einnehmen würden. Diese Mischung ist brandgefährlich, denn sie führt zu Intrigen. Die meiste Zeit gelingt es mir ganz gut, diese Tatsache auszublenden. Ich darf mich nicht ablenken lassen und muss immer meine Rache im Auge behalten. Sie ist mein einziger Lebenszweck und nur dafür habe ich all das auf mich genommen. Weil ich Glück gehabt habe. Ich konnte meinem vorbestimmten Schicksal entkommen und habe Beschützer gefunden. Taro Matsuda ist einer davon. Ein anderer ist Hank Lassiter, mein Ersatzvater, meine Familie.
»Du darfst dich jetzt entfernen«, reißt mich Taros Stimme aus meinen Gedanken.
Mit einer geschmeidigen Bewegung erhebe ich mich.
»Danke, Matsuda-sama«, murmle ich und husche zur Tür.
Dort lasse ich mich wieder auf die Knie sinken und schiebe die Shoji auf. Taro hat inzwischen sein iPhone aus der Innentasche seines eleganten Sakkos hervorgezogen und gibt der Nummer zwei innerhalb des Clans, dem Waka-gashira, einige Befehle. Er spricht so schnell, dass ich ihm kaum folgen kann, obwohl ich inzwischen recht gut Japanisch verstehe. Anscheinend geht es um eine Lieferung, die in einigen Nächten im Hafen eintreffen soll. Ich muss nicht lange raten, um zu wissen, dass es sich um eine Ladung Waffen handelt. Schnellfeuergewehre, die noch in der gleichen Nacht über die Grenze geschafft werden. Bevor Taro bemerkt, dass ich versuche, ihn zu belauschen, rutsche ich über die Schwelle und schiebe die Tür von außen zu. Einige Wörter schnappe ich noch auf: Rasuto chansu!
Das ist nicht gut. Taro hat gerade ein Ultimatum ausgesprochen. Nein, nein, das wollte ich alles nicht hören. Ich erhebe mich und eile zu meiner Kammer. Auch wenn der Raum nur klein ist und nichts weiter als meinen aufgerollten Futon und ein Regal enthält, ist er doch mein persönliches Reich, mein Rückzugsort. Und er hat eine Tür mit einem Riegel, den ich nachts vorschieben kann.
Ich kauere mich mit fliegendem Atem in eine Ecke. Ich muss mich unbedingt beruhigen, vorher kann ich das Haus nicht verlassen. Auf dem Weg hinaus könnte mich einer von Taros Shatei sehen und da darf ich nicht durch ungewöhnliches Verhalten auffallen.
Allmählich normalisiert sich mein Puls wieder. Ich schließe die Augen und stelle mir mein Krafttier vor, den Phönix. Ich bin wie diese mythische Gestalt, ich wurde zerstört und habe mich neu erschaffen. Eines Tages werde ich in einen von Taros Tattoo-Parlors gehen und mir einen wunderschönen Phönix stechen lassen. Bis es so weit ist, werde ich versuchen, meine Narben mit dem Stolz einer Überlebenden zu tragen.
Die Wintersonne scheint durch das Fenster und erinnert mich daran, dass meine freie Zeit begrenzt ist. Schließlich bin ich nicht hierhergekommen, um mich auszuruhen. Ich habe noch einige Stunden für mich und die will ich nutzen, um nach Hank zu sehen. Anders als die anderen Mädchen durfte ich mich bis vor Kurzem frei und ohne Bewacher in der Stadt bewegen. Nur zu meiner Arbeit im Club brachte mich immer einer von Taros Bodīgādo und wartete dort unauffällig im Hintergrund, bis ich mit meiner Schicht fertig war. Seit dem Vorfall vergangene Woche hat sich das geändert.
Hat sich alles geändert.
Ich spüre, wie das Zittern wieder beginnt und mich die Bilder überfallen. Ich darf mich der Panik und dem Ekel nicht ergeben und dränge die Erinnerung zurück.
Ich stehe auf und streife den Kimono ab, den ich im Haus zu tragen habe. Anschließend schiebe ich die Tür zu dem begehbaren Kleiderschrank auf, ignoriere all die teuren Designerkleider und feinen Dessous, die Taro für mich ausgesucht hat, und schlüpfe in ein Paar Jeans und einen grauen Sweater. Nachdem ich meine Haare in dem kleinen Duschbad gerichtet habe, ist nur noch eines zu tun, bevor ich aufbrechen kann.
Zielstrebig angeln meine Fingern nach einem der Päckchen mit gerollten Geldscheinen, das in einem schmalen Spalt zwischen einer Tatami-Matte und der Wand steckt. Mittlerweile müssen es mehrere Tausend Dollar sein, die ich dort verborgen habe. Die Gäste im Shinjuku sind sehr wohlhabend. Das Trinkgeld, das mir zugesteckt wird, bedeutet mir nichts und dient nur einem Zweck: Hank die Unterstützung zu geben, die er