Die Sehnsucht trieb sie zurück: Fürstenkinder 80 – Adelsroman
Von Christine Weyden
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Über dieses E-Book
Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit.
Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann.
Nur flüchtig hatte Markus von Hohenkamp das Bild in sich aufgenommen: eine dichte Staubwolke, die sein eigener Wagen noch verstärkt hatte, darinnen eine kleine Gruppe von Menschen und einige Meter weiter ein kleiner Wagen, am Straßenrand geparkt. War ein Unfall geschehen? Wurde Hilfe gebraucht? Er hielt seinen Wagen an und ließ ihn dann die abfallende Straße zurückrollen, vorbei an dem kleinen Auto, das keineswegs das neueste Modell war, bis zu der Menschengruppe, die, wie er jetzt sehen konnte, aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern bestand. Der Staub hatte sich noch immer nicht verzogen. Hatte es denn hier schon monatelang nicht geregnet? Bei dem Zustand der Straße! einen Unfall deutete zum Glück gar nichts hin. Trotzdem fragte er: »Kann ich helfen?« Es gab ganz sicher hier nichts zu helfen, aber er stellte die Frage sogar noch ein zweites Mal. Warum? Um einen Grund zu haben, einige Augenblicke länger hier stehenbleiben zu können, gab er sich selbst offen zu. Denn da waren zwei blaue Augen... Gab es das wirklich, ein solches Blau? Da war langes Blondhaar, das aus Sonnenstrahlen gesponnen zu sein schien. Er verspottete sich selbst im stillen wegen dieses allzu poetischen Vergleichs. Und da waren zwei kleine Hände, die schützend ein Mädelchen an sich drückten, das Gesichtchen des Kindes im Kleid bergend. »Es tut mir wirklich schrecklich leid«, sagte eine junge Männerstimme, und Markus von Hohenkamp wandte sich unwillkürlich dem Sprecher zu. »Ja, es tut uns schrecklich leid«
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Buchvorschau
Die Sehnsucht trieb sie zurück - Christine Weyden
Fürstenkinder
– 80 –
Die Sehnsucht trieb sie zurück
Unveröffentlichter Roman
Christine Weyden
Nur flüchtig hatte Markus von Hohenkamp das Bild in sich aufgenommen: eine dichte Staubwolke, die sein eigener Wagen noch verstärkt hatte, darinnen eine kleine Gruppe von Menschen und einige Meter weiter ein kleiner Wagen, am Straßenrand geparkt.
War ein Unfall geschehen? Wurde Hilfe gebraucht?
Er hielt seinen Wagen an und ließ ihn dann die abfallende Straße zurückrollen, vorbei an dem kleinen Auto, das keineswegs das neueste Modell war, bis zu der Menschengruppe, die, wie er jetzt sehen konnte, aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern bestand.
Der Staub hatte sich noch immer nicht verzogen. Hatte es denn hier schon monatelang nicht geregnet? Bei dem Zustand der Straße!
Jetzt war er bei dem Menschen-
trüpplein angekommen, hielt an, stieg aus, kam sich aber im nächsten Augenblick etwas überflüssig vor, denn auf
einen Unfall deutete zum Glück gar nichts hin.
Trotzdem fragte er: »Kann ich helfen?«
Es gab ganz sicher hier nichts zu helfen, aber er stellte die Frage sogar noch ein zweites Mal. Warum? Um einen Grund zu haben, einige Augenblicke länger hier stehenbleiben zu können, gab er sich selbst offen zu. Denn da waren zwei blaue Augen... Gab es das wirklich, ein solches Blau? Da war langes Blondhaar, das aus Sonnenstrahlen gesponnen zu sein schien. Er verspottete sich selbst im stillen wegen dieses allzu poetischen Vergleichs. Und da waren zwei kleine Hände, die schützend ein Mädelchen an sich drückten, das Gesichtchen des Kindes im Kleid bergend.
»Es tut mir wirklich schrecklich leid«, sagte eine junge Männerstimme, und Markus von Hohenkamp wandte sich unwillkürlich dem Sprecher zu.
»Ja, es tut uns schrecklich leid«, kam das Echo einer Kinderstimme, und Markus sah hinunter, woher sie gekommen war, sah wieder zum Sprecher zurück und hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Denn einer solchen Ähnlichkeit, die sich nicht nur auf die Gesichtszüge beschränkte, sondern sich auch in einer gewollten Gleichheit des Haarschnittes – einer Pagenfrisur von brandroter Farbe – ausdrückte, war er noch nie begegnet. Daß er darüber den Kopf schüttelte, wußte er gar nicht.
Der junge Mann neben ihm, den er auf Mitte der Zwanzig schätzte, nickte aber dazu nur sehr verständnisvoll, als ob er sagen wollte: Dein Erstaunen erstaunt uns nicht, daran sind wir schon gewöhnt. Laut aber gab er von sich:
»Wenn Sie sich über unsere Ähnlichkeit wundern, dann sehen Sie sich erst das mal an!« Und er deutete auf das Kindergesicht, das sich jetzt aus den Kleiderfalten der jungen Frau mit blinzelnden Augen löste.
Markus schaute gehorsam und konnte nur wieder den Kopf schütteln: nochmals ganz unwirklich blaue Augen, nochmals blonde Locken wie gesponnenes Gold, eine Zug für Zug gleiche Miniaturausgabe der jungen Frau, an die sich das Mädelchen jetzt mit dem Rücken drückte. Mit offenem Mäulchen und großen Augen staunte es dann, wie eben Markus noch gestaunt hatte. Und dann lachten sie plötzlich alle fünf, froh, herzlich und ohne jede Spur von Mißverständnis und Gekränktsein, zu dem vielleicht der junge Mann und sein kleines Ebenbild schon öfter Grund gehabt haben mochten.
»Till eins und zwei!« stellte der kleine Mann sich und seinen Begleiter vor.
»Vater und Sohn!« meinte Markus von Hohenkamp.
»Nein! Wäre nicht ganz aufgegangen«, lachte Till eins ein so jungenhaft fröhliches Lachen, daß man nur mehr die lustigen wasserblauen Augen sah und nicht mehr den brandroten halblangen Haarschopf und die dicht gesäten Sommersprossen auf Wangen und Nasenrücken. »Zweiundzwanzig und neun.
Rechnen Sie selbst! Der hoffnungsvolle Knabe hier heißt eigentlich Hans-Friedrich. Stell dich vor, mein Sohn!«
»Till zwei von Hohenkamp!« sagte der Kleine mit einer artigen Verbeugung, daß der rote Haarschopf in der Sonne funkelte.
»Nein!« sagte Markus und schüttelte den Kopf.
Der Kleine bezog das Nein auf seinen von ihm selbst aus abgöttischer Liebe zum großen Bruder gewählten Vornamen und korrigierte ein bißchen seufzend:
»Hans-Friedrich von Hohenkamp. Aber Till zwei ist mir lieber!« Ein Blick grenzenlosen Stolzes ging zu Till eins.
Der fuhr ihm mit der Hand über das Haar, zog sie aber rasch wieder zurück, als ob er sich dieser Bezeugung von Zärtlichkeit schämte.
»Ich habe mich nicht über deinen Vornamen, sondern über deinen Nachnamen gewundert«, erklärte Markus. »Ich heiße nämlich wie du, nur statt Till Markus: Markus von Hohenkamp.« Die Verbeugung, die den Namen begleitete, galt dem Goldhaarmädchen.
»Liliane von Ruyk«, war die Erwiderung. Ein kleines Lächeln zu dem Mädelchen hinab: »Liliane eins und zwei.«
»Schwestern!« sagte Markus überzeugt.
»Nein. Diesmal Mutter und Tochter.«
Nun hielt es Till aber für an der Zeit, die Situation zu klären.
»Mein Esel hat sich schlecht benommen.«
»Esel?« fragte Markus und sah sich nach einem Grautier um.
Doch Till deutete die Straße entlang zu seinem kleinen Wagen hin.
»Mein Esel hat einen derartigen Sandsturm auf dieser wunderschönen Straße entfesselt, daß die kleine Dame hier« – ein bedauernder Blick ging zu dem Mädelchen – »die Augen und wohl auch den Mund voll Sand bekam und zu weinen und zu husten begann. Wir sahen es im Rückspiegel.«
»Es tat uns schrecklich leid!« beteuerte Till zwei nochmals.
»Mein Wagen tat leider das gleiche«, bedauerte Markus. »Ich sah zu spät, daß Fußgänger auf der Straße waren, um das Tempo noch verringern zu können. So habe ich den Sandsturm noch verstärkt.«
»Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich mit dem Kind nicht zu Fuß gegangen«, erklärte Liliane. »Am Bahnhof bekam ich kein Fahrzeug irgendwelcher Art, dafür sagte man mir, die Straße sei einmalig schön und romantisch und kaum befahren, ich würde keinem einzigen Wagen begegnen. So wagte ich den Fußmarsch, denn wir gehen gern und viel, Lili und ich. Jetzt tut es mir leid.«
»Ist ja schon wieder gut, Mami!« tröstete der kleine blonde Engel, rieb sich aber doch noch einmal die Augen. »Es tut gar nicht mehr weh.«
»Wirklich nicht?« fragte Markus und hob das Kind auf seine Arme.
»Wirklich nicht!« beteuerte Lili und strahlte den großen, eleganten Mann aus ihren sommerhimmelblauen Augen an.
»Wohin soll Ihr Weg denn führen, Frau –?«
»Ruyk«, ergänzte Liliane. »Zur Burg.« Sie wandte den Kopf und sah zu der Turmspitze hinauf, die in der Ferne gerade noch über die Baumwipfel hinausragte.
»Zur Burg?« Tills zwei Stimme schnappte vor Erstaunen über. »Zur Burg Hohenkamp?«
»Ja, zur Burg Hohenkamp.« Liliane sah Till eins nachdenklich an. »Sie heißen auch Hohenkamp«, stellte sie noch einmal fest. »Meine Großmutter erzählte mir öfter von einem Cousin, mit dem sie als Kind gespielt hatte. Er hatte solches Haar wie Sie, erinnerte sie sich. Sie hatte ihn später ganz aus den Augen verloren und dies sehr bedauert. Sie liebte ihn sehr. So sagte sie mir. Meine Großmutter hieß mit ihrem Mädchennamen auch Hohenkamp.«
»Ja, gibt’s denn das?« wunderte sich Till eins. »Haben wir hier ein Verwandtentreffen veranstaltet? Wenn Sie von einem Cousin sprechen, einem Cousin Ihrer Frau Großmutter, auch Hohenkamp mit Namen und einem Feuerschopf wie dem meinen, dann kann es sich doch nur um meinen Großvater handeln – gehandelt haben.«
»Er hieß auch Till«, erinnerte sich Liliane.
»Till der Große! So nannten wir ihn. Er war zwei Meter hoch, aber nicht nur groß an Gestalt.« Till drückte den Jungen kurz, aber innig an sich. Ein liebevoll mitleidiger Blick auf das Kind, einige Sekunden Pause, dann fuhr Till fort, aber seine Stimme schien jetzt nicht ganz fest zu sein: »Wenn wir einander vor ein paar Monten begegnet wären, hätte ich ihn noch fragen können. Jetzt bin ich Hans-Friedrichs Vormund.«
Mit diesem einen kurzen Satz war sehr viel gesagt.
Er ist allein wie ich, dachte Liliane, hat wahrscheinlich nur den Jungen, so wie ich Lili habe, und sonst niemanden mehr auf der Welt.
Sie sah den scheuen Blick, den das Kind, anscheinend ganz ungewohnt, Hans-Friedrich genannt zu werden, auf den Bruder heftete.
Irgendwie schien sich das Leben für ihn zu verändern, empfand der kleine Till. Das hatte schon mit dem Tag begonnen, da sie ihren abgöttisch geliebten Großvater verloren hatten, der ihnen Vater und Mutter, eine ganze Familie ersetzt hatte. Der große Till hatte dann wie ein Löwe um die Vormundschaft über den Kleinen gekämpft und sie auch erhalten.
Seither waren sie ganz und gar unzertrennlich, die beiden Brüder. Till schmuggelte sogar den Kleinen in die Abendvorlesungen in die Hochschule hinein – er konnte sie nur am Abend weiterbesuchen, bei Tag arbeitete er in einem Büro, um für sich und den kleinen Bruder einen besseren Lebensunterhalt zu verdienen. Dort saß dann Hans-Friedrich mit schmunzelnd wohlwollender Miene von Tills Kollegen betrachtet, nicht auf, sondern unter der Bank, von wo ihn Till öfter schon schlafend am Ende der Vorlesung hervorzog.
»Hallo! Noch weit bis zur Burg?« kam von der Straßenmitte eine Stimme.
Sie wandten sich alle um und staunten den Radfahrer an, der seinerseits die Gruppe bestaunte. Das hätte er besser nicht getan. Ein Buckel, eine Rinne – und da lag der kühne Sportler, der anscheinend bis jetzt die Steigerung der Straße nicht neben, sondern auf dem Fahrrad bewältigt hatte.
Der kleine Till stürzte hilfsbereit auf ihn zu und hob erst einmal das Fahrrad auf, unter das der junge Mann zu liegen gekommen war.
»Haben Sie sich weh getan?«
Statt einer Antwort auf diese Frage stellte der Mann fest:
»Bis gestern hat mein Gehirn noch richtig funktioniert. Solle sich das geändert haben?« Er sah zwischen dem großen und dem kleinen Till hin und her. Als dann noch Liliane mit Lili neben ihm auftauchte, blieb er einfach auf der Straße sitzen.
»Da spukt’s!« stellte er fest. »Läuft hier jeder in einer großen und