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Seemafia: Starnberg-Krimi
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eBook333 Seiten3 Stunden

Seemafia: Starnberg-Krimi

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Über dieses E-Book

Im Grand München Hotel wird ein Gast ermordet aufgefunden. Kevin Finsterer, ehemaliger Enthüllungsjournalist und jetziger Kunsthändler, kam durch eine Garrotte zu Tode. Die Kommissare Maximilian Wagner und Mona Nallinger nehmen die Ermittlungen auf und stoßen dabei auf einen groß angelegten Fall von Kunstfälschungen und Kunstraub, der bis in die Nazi-Zeit zurückreicht. Wo sind die beiden wertvollen Gemälde abgeblieben, die Finsterer entdeckt hatte und an den Mann bringen wollte? Was wissen seine verführerische Freundin oder sein aalglatter Geschäftspartner? Wagner und Nallinger merken bald, dass sie es mit sehr mächtigen Gegnern zu tun haben, die im Verborgenen die Fäden ziehen...

SpracheDeutsch
HerausgeberSchardt Verlag
Erscheinungsdatum3. Dez. 2015
ISBN9783898418706
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    Buchvorschau

    Seemafia - Günter Reiß

    1. Kapitel

    1

    Es war früh, noch sehr früh an jenem Ostersonntagmorgen, als Edward, der dunkelhäutige Türsteher des Grand München Hotel, schon sekundenlang nur noch in eine Richtung starrte. Breitbeinig stand er unter dem Vordach des Luxushotels und beäugte prüfend den grünen VW-Bus, der sich langsam näherte. Es war ein uraltes Modell, verbeult und schmutzig. „Oh man, what’s that, a rattle trap", murmelte er, die Stirn runzelnd. Edward trug eine Livree im leuchtenden Karminrot mit zwei aufgesetzten Brusttaschen, auf denen sein Vorname in großen weißen Lettern eingestickt war.

    Einige der Hotelgäste spöttelten, mit der blutroten Mütze und den weißen Handschuhen sehe er wie einer vom Zirkus aus. Aber gerade deshalb und weil er die Figur eines Rugbyspielers hatte, sei er sogar das aufregendste Detail des vor kurzem eröffneten Designhotels, meinten wiederum andere.

    Doch die meisten hielten Edward für einen PR-Gag des Investors, von dem es hieß, er residiere in der Dachterrassenwohnung im achten Stock.

    Und weil den Investor namens Sokolow kaum einer sah und er mit fast niemandem redete, zerriss man sich natürlich auch über ihn das Maul. Irgendeiner behauptete, der Mann würde von irgendwoher aus dem Osten kommen und habe sein Vermögen mit staatlichen Aufträgen gemacht. Jemand anderes glaubte zu wissen, dass er auch für die olympischen Winterspiele in Sotschi gebaut und dabei kräftig abkassiert habe, und wieder jemand anderes vermutete, er müsse deshalb ein schwerreicher Russe sein. So entstand das weitere Gerücht, er habe das Grand München Hotel nach seinem Geschmack erbauen lassen und bar bezahlt.

    Wer auch immer dieser Mann war, Edward jedenfalls stand an jenem Ostersonntagmorgen breitbeinig vor dem Grand München Hotel und betrachtete finster, wie der grüne VW-Bus langsam unter das Vordach fuhr und auf dem rotlackierten Parkverbotsbereich abgestellt wurde. Demonstrativ blieb er stehen, die Arme vor der Brust, und musterte den Fahrer, der aus dem Bus sprang und auf ihn zukam. Allenfalls für den Lieferanteneingang bestimmt, wenn überhaupt, dachte er. Verwaschene Jeans, dunkelblauer Troyer, darunter ein schwarzes T-Shirt, dazu noch unrasiert. „Fuck, dieser Schnösel kommt mir gerade recht", sagte er zu sich und breitete demonstrativ die Arme aus. Die weißen Handschuhe ließen seine Hände wie Schaufelbagger erscheinen.

    „Kann ich helfen, Mister?", rief er. Er bemühte sich, höflich zu sein, was ihm aber nicht ganz gelang. Seine Stimme klang ziemlich schroff.

    „Ja. Wenn’st an Schritt auf’d Seit’n gehn kann’st", antwortete der Fahrer leicht angefressen.

    Edward ließ seine Arme ausgebreitet. „No, no, no, no. Nix I can. Get off, zischte er. „Schleich di, setzte er im derben Bairisch dazu.

    „Hey, was soll das denn, guter Mann, knurrte der Fahrer gereizt. „Ich werde erwartet, also lass den Quatsch. Okay?

    Dies schien Edward nur zu amüsieren. Er lachte kurz auf und ließ seine schneeweißen Zähne aufblitzen. „And I am Nelson Mandela, grinste er. „Wer soll warten for you?, fragte er in weichem Bairisch-Amerikanisch.

    „Ihr Hoteldirektor", antwortete Maximilian Wagner und hielt ihm den Dienstausweis unter die Nase.

    Edward nahm den Ausweis in die Hand, studierte ihn eine Weile. „Aha, ein Cop san’S also. Seine Stimme veränderte sich und wurde extrasanft. „It’s crazy, ein Kommissar. Tut mir leid, sorry, Herr Wagner. Really.

    Wagner nickte versöhnlich. „Schon gut, Kumpel. Ist ja nichts passiert."

    Ein breites Grinsen trat auf Edwards Gesicht. Er führte seinen weiß behandschuhten Zeigefinger an die Mütze. „Alles klar, Bruder", sagte er und trat zur Seite.

    Wagner beschränkte sich auf ein Lächeln und ging durch die Drehtür.

    Die Empfangshalle, riesig und düster, hatte das kühle Ambiente einer Leichenhalle, und es roch auch so, wie Wagner feststellte. Der beklemmende Duft des Weihrauchs zog ihm in die Nase. Ringsum war alles schwarz. Der marmorne Fußboden, die Sofas, die zum Verweilen einluden, der Konzertflügel, der Marmor der Rezeption und auch die Uniformen der zwei Gepäckträger, die gelangweilt in einer Ecke standen. Nur einige Spotlights erhellten die Halle. Sie waren wie Speere auf gerahmte Bilder gerichtet, die rot wie mit Blut bemalt an den dunklen Wänden hingen.

    Wagner verspürte nichts von der prickelnden Atmosphäre, die die Werbung des Designhotels versprach: „Schon der Tag wird zur verführerischen Nacht, wenn man das Grand München Hotel betritt." Eher wird einem schwermütig, dachte er, während er sich umschaute.

    Plötzlich hörte er eine sanfte Stimme, dicht hinter ihm. „Hallo Max. Maximilian Wagner drehte sich um. Veilchenaugen strahlten ihn mit einem herzlichen Lächeln an. „Danke, dass du so schnell gekommen bist, sagte Eva Schwalbe. Sie begrüßte ihn mit einer Umarmung, und er drückte sie für eine Weile fest an seine Brust. Eva überragte Maximilian um ein Stück, war weit jünger, schlank und hatte kastanienbraunes, gelocktes Haar, das ihr über die Schultern fiel.

    „Nicht der Rede wert, mein Engel, erwiderte Maximilian. Lächelnd sah er sie mit seinen grün-braunen Augen an. „Evi, du weißt doch, als Polizist bin ich vierundzwanzig Stunden im Dienst, aber wenn du mich rufst, hänge ich gerne noch ein paar Überstunden dran. Auf die Schnelle musste ich mir nur noch etwas überziehen. Seine Stimme war wohlklingend dunkel, leicht vom bairischen Akzent geprägt.

    Sie lachten beide.

    „Bist immer noch wie früher, lachte Eva weiter. „Ein großer Junge, der nur langsam erwachsen werden will. Nur den Dreitagebart kenne ich noch nicht. Steht dir aber blendend zu deinem dunkelbraunen Haar.

    „Evi, du hast dich aber verändert."

    „Oh je, meinst du das wirklich?"

    „Ja. Um die Wahrheit zu sagen, du bist noch hübscher geworden, meine Kleine. Du siehst einfach klasse aus."

    „Lügst du auch nicht?"

    „Warum sollte ich? Es stimmt doch."

    „Ach Max, du verrückter Kerl, du. Wie beneide ich deine Frau Gabi. Wie lange ist’s mit uns her?"

    „Äh ... schätze so fünf oder sechs Jahre?"

    „Max, du bist schrecklich, lachte Eva und stupste ihn gegen die Brust. „Am Ostermontag, morgen vor genau vier Jahren war es doch. Dann stieß sie einen kleinen Seufzer aus. „Weißt du noch? Unten an der Isar?"

    „Kann man das vergessen, Evi?"

    „Jammerschade, dass es mit uns beiden nichts geworden ist."

    „Evi, sei mir nicht bös, aber ich ..."

    „Verstehe, Max. Jetzt willst du von mir endlich wissen, warum ich dich angerufen habe. Nur im Augenblick kann ich dir nicht mehr sagen als vor zehn Minuten. Ich hatte an der Rezeption Nachtdienst und wollte gerade nach Hause gehen. Da kam der Hoteldirektor zu mir. ‚Frau Schwalbe‘, sagte er ganz aufgeregt, ‚rufen Sie schnell die Polizei an. Im Zimmer 669 gibt es mit einem Hotelgast ein kleines Problem.‘ Und da habe ich halt an dich gedacht. Etwas Besseres fiel mir in diesem Moment nicht ein. Du bist doch noch Polizist?"

    Maximilian nickte. „Bin jetzt sogar bei der Mordkommission. Aber wie es ausschaut, bin ich für das kleine Problem nicht zuständig. Außerdem habe ich mir für drei Tage Urlaub genommen. Oder hast du mir nicht alles erzählt?"

    „Doch, Wort für Wort. Mehr weiß ich wirklich nicht. Tut mir leid, wenn ich dich an deinem freien Tag geweckt haben sollte. Nur mein Gefühl sagt mir, dass es vielleicht etwas mehr als nur ein kleines Problem sein könnte. Mein Chef ist zwar ein Schweizer, aber keiner von den Hundertfünfzigprozentigen. Nur mit der Diskretion nimmt er es halt genau, sehr genau sogar. Die achtet er mehr als alle zehn Gebote zusammen. Nach der Polizei rief er zum Beispiel vor vier Wochen selbst dann nicht, als ein russisches Ehepaar das Mobiliar einer Suite zertrümmert hatte."

    Maximilian lachte leise und sagte: „Du meinst also im Ernst, deswegen muss jetzt mindestens eine zerstückelte Leiche im Zimmer 669 liegen?"

    „Sei doch nicht so albern, Max."

    „Okay, Evi, damit du besser schlafen kannst. In welchem Stock liegt das Zimmer?"

    „Im siebten, es ist eine Suite. Ich dank dir schön."

    „Selbstredend mach ich das für dich. Sehen wir uns noch? Wie es ausschaut, dauert es sowieso nicht lange."

    „Aber klar."

    „Also bis bald."

    Der Liftboy in einer hübschen karminroten Uniform öffnete einen der beiden Fahrstühle. Wagner fuhr zur siebten Etage hoch, ging nach rechts den Hinweisschildern nach, und während er im teppichbelegten Flur nach der Nummer 669 suchte, beäugte ihn misstrauisch ein älteren Herr, der am Ende des langen Flurs stand. „Was zum Teufel, suchen Sie hier oben, raunzte er ihn zornentbrannt an. Sein rosig überzogenes Gesicht verfärbte sich dunkelrot. „Machen Sie, dass Sie von hier verschwinden, und zwar sofort.

    Maximilian verstand ihn kaum, denn er sprach das „Züridütsch", dazu mit einem starken Akzent. Er war etwas gedrungen, recht korpulent und hatte ein Menjoubärtchen zu graumelierten Schläfen. In seinem dunkelblauen Anzug mit Weste und mit einem zur Krawatte passenden rosafarbenen Einstecktuch wäre er, auch wenn seine Nase etwas zu lang und zu spitz war, zwar keine Schönheit, aber doch eine vorzeigbare Erscheinung zu nennen gewesen. Aber jetzt war sein Gesicht angespannt, seine Arme hingen schlaff herab, und er schaute wie jemand aus, der vor Angst die Hose voll bis obenhin hatte.

    Wagner hob beschwichtigend die Hände. „Bin von der Polizei, rief er beruhigend, ging weiter auf ihn zu, und als er vor ihm stand, stellte er sich vor: „Wagner von der Kriminalpolizei München. Er zeigte ihm den Dienstausweis.

    Der bleiche Mann strich sich mit dem rechten Zeigefinger über sein Menjoubärtchen, einmal nach rechts, einmal nach links, dann stellte er sich vor: „Stöckli. Ich bin der Hoteldirektor. Als Wagner nichts erwiderte, fügte er hinzu und nickte bei jedem Wort: „Sie sind also ein Kommissar.

    „So ist es. Heute früh nach dem Aufstehen war ich es jedenfalls noch. Eva Schwalbe hat mich angerufen, weil es im Zimmer 669 ein kleines Problem mit einem Hotelgast geben soll."

    „Ganz richtig. Gott sei Dank sind Sie so schnell erschienen. Und entschuldigen Sie bitte, junger Mann, dass ich Sie so angeschrien habe. Ich dachte, Sie wären ... Ich hielt Sie ... Mit Verlaub, Sie sehen ganz und gar nicht wie ein Polizist aus, sagte Stöckli stockend, und gleich darauf lächelte er plötzlich, aber nur eine Sekunde lang. „Wenigstens tragen Sie edle Schuhe, dazu sogar noch frisch polierte.

    „Jetzt halten Sie mal die Luft an, Herr Stöckli. Sie haben mich ja nicht zu einem Vorstellungsgespräch rufen lassen. Also was soll’s."

    Der Hoteldirektor murmelte noch ein höfliches Bedauern, aber mehr als ein schwaches Begrüßungslächeln brachte er nicht zustande, das aber sofort wieder aus seinem ängstlichen Gesicht verschwand.

    Plötzlich piepste es. Wagner wusste zunächst nicht, woher das Geräusch kam, bis er verstand, dass sein Handy sich in der Hosentasche meldete und eine SMS anzeigte. „Entschuldigung."

    „Kein Problem", sagte Stöckli.

    Wagner las die eingegangene Mitteilung seiner Frau Gabi. Sie fragte an, wo er sei, und wann er denn endlich nach Hause käme. Der kleine Franz drängelte schon und wollte gerne die Ostereier suchen.

    Wagner schrieb, Fränzchen soll sich noch etwas gedulden. Es könne nicht mehr lange dauern.

    „Entschuldigung", sagte er wieder, als er fertig war.

    „Bringen wir also das Problem hinter uns", flüsterte Stöckli, schloss die Tür mit einer Generalschlüsselkarte auf und trat voraus in einen fast dunklen Flur.

    Maximilian Wagner blickte auf seine Armbanduhr. Zehn Minuten nach halb acht. Dann folgte er dem Hoteldirektor etwas widerwillig mit einem unguten Gefühl. Während er die Tür hinter sich zuzog, steckte Stöckli die Karte in den matt beleuchteten Hauptschalter. Licht kam von einer Lampe mit einem Schirm aus Zebrafell, die in einer Zimmerecke neben einem schwarzen Sessel stand. „Kommen Sie, kommen Sie", flüsterte Stöckli geheimnisvoll. Mit raschen Schritten eilte er durch den dämmrigen Salon, der in Schwarz und Weiß gehalten war und den Charme einer eisigen Tropfsteinhöhle hatte. Lautlos wie ein Schatten verschwand er in einem Raum, der im Dunkeln lag.

    Wagner ging ihm nach, blieb vor der Türöffnung des hinteren Raumes stehen und wartete so lange, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann trat er ein. Der Duft von schwerem Parfüm drang zu ihm – und noch etwas, je weiter er in das Zimmer kam. Etwas Undefinierbares. Es roch seltsam, irgendwie widerlich, penetrant urinös, fast wie in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt. Er hörte, wie Stöckli einen schweren Vorhang zur Seite schob. Gleißendes Licht fiel herein und flutete über ein Doppelbett, auf dem ein etwa fünfzigjähriger kahlköpfiger Mann ausgestreckt auf dem Rücken lag.

    Noch geblendet vom Licht, glaubte Wagner, der Mann, zugedeckt bis zu den schmalen Hüften, schlafe nur seinen Rausch aus. Er war nicht besonders groß, eher klein und zierlich, und hatte ein schmales, habichtähnliches Gesicht mit einer wuchtigen Nase. Wagner räusperte sich, während er auf ihn zuging. Doch der Mann auf dem Bett blickte nicht auf und rührte sich keinen Millimeter. Wagner brauchte sich nicht einmal zu ihm herabzubeugen. Auch so stand für ihn fest: Er konnte dies nicht und würde dazu nie mehr in der Lage sein. Glasige Augen unter halbgeschlossenen Lidern blickten zur Decke, und noch etwas bemerkte er. Auf dem Gesicht des Toten lag ein überraschter Ausdruck, als wolle er nicht glauben, was mit ihm geschehen war. Oberhalb des Kehlkopfes war ein schmaler Streifen zu sehen. Das Fleisch war dort tief eingeschnitten, das Blut schon getrocknet. Maximilian Wagner kam sich wie in einem Mafiafilm vor. Ermordet durch eine metallene Schlinge, durch eine Garrotte, war sein erster Gedanke. Langsam drehte er sich um. „Der Gast ist erwürgt worden, und das schon vor einer Weile", sagte er tonlos.

    „Um Himmels willen, eine Katastrophe für das Haus", stöhnte Stöckli auf. Kreidebleich ging er zum Fenster und sah über die Dächer zu den zwei Türmen der Frauenkirche. In der Ferne ragte der Olympiaturm in den blauen Himmel.

    „Sie wussten doch bestimmt, dass hier im Zimmer ein Toter lag", sprach Wagner zu ihm über die Schulter, während er den Leichnam weiter untersuchte.

    „Ja, sicher, und deshalb habe ich durch Frau Schwalbe sofort die Polizei rufen lassen."

    „Wie erfuhren Sie von dem Toten?"

    Stöckli drehte sich vom Fenster weg. „Durch Herrn Sewald vom Zimmerservice."

    „Wann war das?"

    „Vor einer halben Stunde."

    Maximilian Wagner richtete sich auf und sah Stöckli an. Dessen Gesicht wirkte nun angestrengt, war fast schon grünlich gefärbt. „Was hat Ihnen Herr Sewald erzählt?", fragte er ihn streng.

    „Dass gestern Nacht für die Suite mit der Nummer 669 ein Frühstück für zwei Personen bestellt worden sei. Zur gewünschten Zeit um Punkt sieben habe er aber niemanden angetroffen. Er habe die Tür erst geöffnet, nachdem er dreimal geklopft und gefragt habe, ob er hereinkommen dürfe. Von der Tür aus habe er wieder mindestens dreimal gerufen, ob er servieren dürfe, und als auch dann niemand geantwortet habe, sei ihm die Sache komisch vorgekommen. Daraufhin hat er mich angerufen."

    „Es war keine ,Sache‘ und ,komisch‘ erst recht nicht, es war Mord. Mord, Herr Stöckli. Warum wussten Sie das nicht?" Wagners Worte klangen wie eine dröhnende Anklage.

    Stöckli zupfte an seiner Nase, strich sich mit zwei Fingern sorgsam über sein Bärtchen. „Nun ... ich ..., fing er stockend an. „Ich sah den Gast nur im Dunkeln auf dem Bett liegen, alleine und auf dem Rücken. Er rührte sich nicht, auch nicht, als ich ihn anschrie und seinen Namen nannte. Erst dachte ich, er schlafe seinen Vollrausch aus, aber bald darauf ahnte ich, dass er tot sein müsse.

    „Untersucht haben Sie ihn also nicht, oder?"

    „Nein, wenn Sie damit meinen, ob ich seinen Puls gefühlt habe. Aber ich habe mich über ihn gebeugt und seine toten Augen gesehen."

    „So, so, seine toten Augen haben Sie gesehen. Und daraufhin haben Sie die Polizei rufen lassen?"

    „Das sagte ich doch schon."

    „Und warum sprachen Sie gegenüber Frau Schwalbe von einem kleinen Problem auf Zimmer 669?"

    „Ich wollte zunächst die Angelegenheit auf kleiner Flamme halten."

    „Ich darf also zusammenfassen: Sie haben die Polizei rufen lassen, weil Sie den Gast für tot, aber nicht für ermordet hielten."

    „Richtig."

    „Halten Sie das für besonders überzeugend?"

    „Nein."

    „Also was?"

    „Herr Kommissar, glauben Sie etwa, ich lüge? Ich bitte Sie. Weiß Gott, nicht jeder tote Gast in einem Hotel wurde ermordet. Ganz selten wird doch in einem Hotel gestorben, und dann in den allermeisten Fällen so, dass niemand nachhilft. Wer zum Kuckuck denkt denn bei einem Toten in einem Hotelzimmer sofort an einen Mord? Sie vielleicht, ich jedenfalls nicht."

    „Sie müssen aber zugeben, dass es eindeutig Mord ist, wenn ein Gast mit einer Garrotte erwürgt wird. Sie müssten die blutigen Striemen gesehen haben."

    „Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, antwortete Stöckli unwirsch und zupfte an seiner Nase. „Dann könnten Sie mich auch gleich fragen, ob ich den Mann hier ermordet habe.

    „Das habe ich doch glatt vergessen, erwiderte Wagner ein bisschen spöttisch. „Haben Sie?

    „Unverschämt."

    „Zugegeben, aber manchmal hat man Glück mit einer Frage ins Blaue. Nur eines müssen Sie mir schon noch erklären. Warum haben Sie die Polizei rufen lassen und nicht einen Arzt, wenn Sie kein Verbrechen vermuteten?"

    „Das habe ich mich inzwischen selbst gefragt. Ich war aufgeregt, verwirrt, und es war die erste Leiche, die ich in meinem Leben aus der Nähe sah. Ich weiß es einfach nicht."

    Maximilian Wagner schwieg, vielleicht drei Sekunden lang, bevor er sagte: „Aha, na schön. Sehen wir es so: Der Mensch kann sich irren, auch ein Hoteldirektor. Okay? Aber wenn Sie zu dieser Frage eine Antwort gefunden haben, rufen Sie mich an. Das möchte ich schon schriftlich, mit Protokoll und so. Nun zu etwas anderem. Wer weiß von dem Toten?"

    „Nur Sie und ich. Im Hotel wird sonst niemand davon erfahren, nicht einmal der Hausdetektiv. Das verspreche ich Ihnen. Darf ich auch mit Ihrer Diskretion rechnen, Herr Kommissar?"

    „Wie darf ich das verstehen?"

    „Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Kommissar. Die Diskretion ist für ein Luxushotel lebenswichtig."

    „Aha. Sie meinen also, ich soll die Leiche nicht an die große Glocke hängen?"

    Stöckli nickte heftig. „So ähnlich wäre meine Bitte an Sie. Für den Toten und auch für die Polizei ist es doch egal, wenn der Leichnam durch den Lieferanteneingang abtransportiert wird. Als Maximilian schwieg, fügte er schnell hinzu: „Aber natürlich respektiere ich auch jede andere Entscheidung von Ihnen.

    Wagner lüftete die Bettdecke. Der Schwall eines urinösen Gestanks drang zu ihm nach oben, und er sah, dass der Tote bis zu den Zehenspitzen nackt war und das Bettlaken unter ihm feucht. In seiner Todesangst hatte er sich offensichtlich entleert.

    Maximilian ließ die Bettdecke fallen. „Nicht gerade prickelnd, so ein Anblick", bemerkte er, und als er Stöcklis Mienenspiel beobachtete, versuchte er, ein Grinsen zu unterdrücken.

    Der Hoteldirektor blieb stumm, wollte sich nichts anmerken lassen, aber sein Gesicht wurde zunehmend grüner vor Ekel. Schließlich wimmerte er: „Was dagegen, wenn ich die Balkontüre öffne? Schwacher Magen, verstehen Sie? Sowas habe ich noch nie erlebt. Das ist einfach zu viel für mich." Plötzlich fing er an zu würgen, und ohne die Antwort abzuwarten, stürzte er auf den Balkon.

    Dies ist also das „kleine Problem", von dem Evi sprach, sinnierte Maximilian sarkastisch. Eigentlich wollte ich doch um diese Zeit mit Fränzchen Ostereier suchen und anschließend mit ihm und Gabi zu seinen Großeltern zum Starnberger See fahren. Daraus wird also definitiv nichts werden. Während er überlegte, wie er das Gabi schonend beibringen könnte, begannen irgendwo in der Ferne Glocken zu läuten. Das Osterglockengeläut, das zum Kirchgang mahnte.

    Er hörte noch eine Weile zu, bis er sich im Schlafbereich umsah. Alles war in Schwarz gehalten und hatte den Charme einer Dunkelkammer. Nur das zerwühlte Bettzeug war weiß, und zerwühlt war es auch rechts neben der Leiche. Doch kein einziges Kleidungsstück oder sonst etwas konnte er entdecken, was auf eine Frau hindeutete. Komisch, dachte er. Wenn der Tote nicht schwul war, musste trotzdem eine Frau hier gewesen sein, und wenn das der Fall war, dann bestimmt nicht die Ehefrau. Und wenn das so ist, muss es einen bestimmten Grund gegeben haben, warum diese Frau den Toten verließ, ohne die Polizei zu rufen.

    Mit diesen Gedanken ging Wagner weiter und durch eine Tür, die in den gleißend weißen Bad- und Wellnessbereich führte. In den vier Spiegeln, an jeder Wand einer, konnte er sich von allen Seiten sehen. Auch von hier aus hatte er den weiten Blick bis zu den Alpen, wo die schneebedeckten Bergspitzen in den tiefblauen Himmel ragten. Vor dem Whirlpool lagen zwei Badetücher mit „Grand München Hotel" monogrammiert und daneben auf dem weißgefliesten Boden zwei Flaschen Champagner der Marke Dom Perignon. Zwei Gläser standen auf dem Wannenrand, eins mit roten Lippenstiftabdrücken, eins noch halb voll.

    Maximilian Wagner ging aus dem Raum und sah Stöckli, wie er durch die Balkontür kam. Die grüne Farbe in seinem Gesicht war verschwunden, wenn auch noch nicht vollständig. Aber immerhin, zwischen grün und rosig war nun sein Teint.

    „War der Tote schon mal hier Gast?", fragte ihn Wagner.

    „Ja, wenn auch nur gelegentlich und in unregelmäßigen Abständen."

    „Wer war er?"

    „Ein Journalist namens Kevin Finsterer. Er wohnt, wohnte, in Feldafing am Starnberger See. Mehr ist mir nicht bekannt. Ach ja, früher habe ich mal einen Artikel von ihm im Münchner Merkur gelesen."

    „Und die Frau, die mit ihm zusammen war?"

    Stöckli zupfte eine Weile an seiner Nase, bis er verkniffen lächelnd antwortete: „Vielleicht glauben Sie mir nicht, aber ich habe keine Ahnung, wer die Dame ist."

    „So, so, eine Dame für Sie. Meine Nase sagt mir aber etwas anderes. Duldet Ihr Hotel Nutten, oder vermittelt es sogar welche?"

    Stöckli blickte bestürzt. „Ich bitte Sie, Herr Wagner. Ich führe ein Hotel der Luxusklasse und kein Freudenhaus", schnaubte er. Er schaute pikiert, als hätte man ihn persönlich beleidigt. Sein Gesicht war jetzt wieder rosig überzogen.

    „Aha, na dann Edelflittchen, Call-Girls, meinetwegen auch Gesellschaftsdamen?"

    „Auch nicht."

    „Dann muss ich noch präziser fragen. Führt Ihr Hotel eine Liste solcher Damen, die sich der Herren annehmen, die in Ihrem Hotel trotz des ganzen Luxus nicht alleine bleiben möchten?"

    Hoteldirektor Stöckli schüttelte vage den Kopf. „Dafür wäre ich nicht zuständig, antwortete er ausweichend. „Ich weiß nur eines: Der Ruf des Hotels dürfte darunter niemals leiden.

    „Würden Sie bitte eine Zusammenstellung dieser Damen machen und mir die Liste aushändigen?"

    „Tut mir leid. Jedes Hotel der Spitzenklasse hat dazu ein streng gehütetes Geheimnis. Unser Ruf wäre mit einem Schlag ruiniert, wenn das publik würde", antwortete Stöckli unfreundlich. Dann drehte er sich um und stapfte durch die offene Tür des Schlafbereichs.

    Maximilian Wagner lief ihm nach und fasste ihn hart am Arm. „Ich kann auch anders, Herr Stöckli. Könnte die

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