Das kleine Buch der guten Gedanken
Von Helmut Zöpfl
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Buchvorschau
Das kleine Buch der guten Gedanken - Helmut Zöpfl
Kostbare Augenblicke
Gedanken zum Glück im Alltag
Nur ans Heute denken
Heut will ich nur ans Heute denken
und nicht ans Morgen mich verschenken.
Denk weder vor mich noch zurück,
heut leb ich nur im Augenblick.
Heut will ich nicht mein Sein zerteilen,
nur in der Gegenwart verweilen.
Heut find ich nur drin, dass ich bin,
im Atmen, Leben meinen Sinn.
Heut kümmert mich kein Fluss der Zeit!
Heut ist mein Jetzt die Ewigkeit.
Das Kostbare
Arthur Vanderbilt, der amerikanische Schriftsteller, schreibt: »Wenn der Sommer sich dem Ende zuneigt, beschleicht uns das Gefühl, so eigenartig, dass es dafür kein Wort gibt. Dass der Sommer vergeht, sehen wir am Einfall der Sonnenstrahlen; wir hören dies an den Grillen, die im Chor von der Wiese zirpen: sechs Wochen bis zum Frost, sechs Wochen bis zu Frost. Auf einmal wird jeder Tag kostbar – etwas, das man horten muss, wie ein Kind die Bonbons in seiner Tasche.«
In der Tat zeigt sich sehr häufig der Wert von etwas dann, wenn wir schon den Abschied spüren. Ich erinnere mich, dass ich als kleiner Bub, wenn ich eine Tüte Eis bekam, je mehr dieses zu Ende geschleckt war, den letzten Rest besonders genossen habe. Ähnlich ist es übrigens auch im Urlaub, in dem man zunächst einmal in einem Meer von Zeit schwimmt und gerade die letzten Tage, ja Stunden nochmals ganz besonders, meist melancholisch, auskostet. Oft wird uns geradezu beim Abschied erst klar, wie schön, wie gut die Zeit an einem Ort oder mit einem Menschen war.
Hans Carossa hat das so großartig zum Ausdruck gebracht, als er sagte: »Was einer ist, was einer war, beim Abschied wird es offenbar. Wir hören nicht, wenn Gottes Weise summt, wir schaudern erst, wenn sie verstummt.«
Vielleicht sollten wir aber nicht erst dann, wenn etwas zu Ende geht, genießen, sondern uns öfter fragen, wie gut es ist und wie dankbar wir sein dürfen, dass wir dieses oder jenes, diesen oder jene erleben dürfen. Gewiss gehört es zur Traurigkeit des menschlichen Daseins, dass die Zeit vergeht und wir, auch wenn wir ihr zurufen, »Geh weiter Zeit, bleib steh!«, sie dennoch nicht festnageln können.
Macht aber geradezu diese Vergänglichkeit nicht auch irgendwie das Glück des Augenblicks aus? Wäre es nicht langweilig, wenn alles beliebig wiederholbar wäre? Ist das Kostbare nicht gerade dadurch kostbar, dass wir uns daran nicht voll- oder gar überessen, sondern eben nur davon kosten?
Die Zeit wieder spüren
Auf den ersten Blick ist sie vielleicht das Abstrakteste in unserem Leben, das am schwersten Fassbare. Der heilige Augustinus sagt von ihr, dass wir zwar ständig von ihr reden, wenn wir nach ihr gefragt werden, aber doch nicht wissen, was sie ist. – Gemeint ist die Zeit.
Unsere Zeit meint nun, dass sie die Zeit immer besser in den Griff bekommen hat. Man kann sie in Tausendstelsekunden messen. Im Sport spielen heute oft nicht einmal mehr Zehntel-, sondern sogar Hundertstelsekunden eine Rolle. Kleine Kinder haben schon Terminkalender.
Neulich habe ich mich mal gefragt, wie es eigentlich möglich war, dass man früher erst zur Firmung eine Uhr bekam. Aber ist es nicht so, dass, je mehr wir die Zeit durch Zahlen in den Griff zu bekommen scheinen, sie uns in ihrem Wesen immer mehr entgleitet? Wir rechnen ständig mit der Zeit, aber wissen, spüren, fühlen, ahnen immer weniger, was sie ist.
Wie so oft spüren oder ahnen Kinder das Wesentliche mehr als wir Erwachsenen, weil wir im Laufe unserer so genannten Entwicklung auch sehr viel verlernen. Vor Jahren hat mir einmal eine Kindergärtnerin erzählt, was Kinder alles empfinden, wenn sie das Wort Zeit hören. Da ist die Zeit das Warten, dass man vor einer Tür sitzt und sich freut, bis jemand kommt, den man gern hat, oder das Geschenk: »Die Zeit bekommen wir geschenkt wie die Kleider von der Oma.« Oder: »Die Zeit wächst auf dem Baum und man kann sie pflücken wie eine süße Frucht.«
Weil wir aber immer weniger Zeit für die Zeit haben, ist es vielleicht notwendig, sich hin und wieder einmal zu besinnen, wie wir die Zeit nicht nur intellektuell berechnen können – jedenfalls meinen wir, wir könnten sie berechnen –, sondern sie einmal wieder sinnlich erfahren. Aber ist das überhaupt möglich, ist die Zeit nicht etwas Unfassbares, Abstraktes? – Darf ich ihnen ein paar meiner Zeiterfahrungen anbieten?
Ich sitze am Bach, hänge die Füße hinein, das Wasser gleitet langsam vorbei. Ich spüre die wohlige Frische und schaue einem kleinen Grashalm nach, der in den Bach gefallen ist. Zeit ist Fließen, sie fließt durch mich hindurch und ich fließe mit ihr.
Ich liege im Gras und schaue in den blauen Himmel, ein paar Wölklein sind da, es ist warm, »bacherlwarm«. Eine kleine Wolke schwebt vor die Sonne, gleich wird es ein wenig kühler. Auch das tut gut, aber ich bin froh, wenn die Wolke wieder die Sonne freigibt. Ich erlebe die Zeit mit meiner Haut als Wärme, als Kälte und ich erlebe sie, als ein kleiner Windhauch aufkommt, der mir zart über die Haut streichelt.
Von fern höre ich ein Geräusch, das Brummen eines Fliegers. Es kommt näher und verschwindet wieder. Ein Ton verhallt. Auch das ist Zeit.
Ich suche mir ein paar Blumen im Gras und »rieche« die Zeit. Ich rieche das frische Grün, den sanften Duft der Wiesenblume. Bald ist die Zeit dieser Blume vorbei, dann werde ich den unvergleichlichen Duft des frischen Heus riechen.
Ich spüre die Zeit, indem ich den Finger an einem glatten Halm entlanggleiten lasse. Ein kleiner Käfer klettert an mir hoch. Es kitzelt und krabbelt. Auch da spüre ich die Zeit. Ich koste eine reife Beere. Sie ist weich und süß, sie ist in der Fülle ihrer Zeit. Vor einer Woche war sie noch hart und hätte ein wenig sauer geschmeckt.
Von fern höre ich ein leises Grollen des Donners. Es wird zu einem Gewitter kommen. Ich erinnere mich, als ich diese Zeit des Gewitters als Kind so ängstlich gespürt habe und zwischen Blitz und Donner gezählt habe, wie weit das Gewitter noch weg ist. Ja, da ist die Zeit Erinnerung. Wie viel weiß man von ihr, nur weil man noch immer irgendwie schmeckt, fühlt, riecht, sieht und hört, wie es damals war, und die Zeit mit allen Sinnen aufgenommen hat.
Wie leer ist demgegenüber eine Zeit, in der man vor dem Bildschirm sitzt und die Bilder vorbeijagen lässt. Wie viel schöner ist es, sich Bilder, plastische Gemälde der Zeit, selber zu machen.
Da spüre ich die ersten Tropfen auf meiner Haut. Das Grollen kommt näher, es wird höchste Zeit, mit meinen Zeitspintisierereien aufzuhören, damit ich nicht patschnass werde und möglicherweise die nächste Zeit im Bett verbringen muss.
Morgengedanken
Interessant wäre es schon, zu wissen, wie viele Kinder noch ein Morgen-, ein Tisch- oder ein Abendgebet sprechen.
Ich gebe unumwunden zu, dass ich noch immer die für manche Ohren naiven Zeilen aus meiner Kindheit in Erinnerung habe und meinen Tag hie und da mit einem »Zu dir erwach ich, liebster Gott …« beginne oder den Abend mit einem »Bevor ich mich zur Ruh begeb, zu dir, o Herr, mein Herz ich heb …« beende. Das bedeutet nicht, dass ich nicht sowohl morgens als auch abends noch andere spontane Gebete spreche. Vorgefertigte Gedichte sind leider aber immer mehr aus der Mode gekommen. Man wollte die Denkkraft des Kindes fordern und hat sehr häufig nur eines erreicht: dass die Kinder gar nicht mehr beten.
Dabei ist so ein Morgengebet nicht nur eine religiöse Angelegenheit, sondern auch etwas, durch das wir von vornherein mehr Lebenskraft, Lebensfreude, Gespür für uns und für andere bekommen können, wenn wir uns beispielsweise Folgendes überlegen: Gibt uns nicht jeder Morgen, an dem wir erwachen, Grund zur Dankbarkeit und Freude? Denn es ist alles andere als selbstverständlich, wie Sigi Sommer so schön schrieb, dass der Mensch, der ja aus vielen Millionen Einzelteilen besteht, dieselben wieder in der Früh zusammenbringt und dass die Sonne ihren gewohnten Lauf nimmt.
Der Münchner Journalist Dagobert Dohn hat mir vor nicht allzu langer Zeit einen denkenswerten Gedanken mitgegeben: »An jedem Tag möchte ich bis in mein hohes Alter irgendetwas Neues erfahren, was ich bis dato noch nicht wusste.« – Wie wär’s mit der Morgenüberlegung, heute wieder Augen, Ohren und alle Sinne zu öffnen und etwas Schönes zu entdecken, was ich vielleicht bisher noch nicht bemerkt habe, und ein bisschen darüber nachzudenken? Wie wär’s aber auch mit dem Vorsatz, gut aufzupassen, dass ich wenigstens irgendwie und irgendwo Freude in mein Leben und das der anderen bringe? Das geschieht mit einem netten, frohen Wort, einem ansteckenden Lächeln, ohne zu glauben, die ganze große Welt verändern zu können. Wie wär’s mit dem Versuch, in meine kleine Welt ein wenig Leben hineinzubringen?
Einer der