Ich schau' den weißen Wolken nach...
Von Birgit Bohrer
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Buchvorschau
Ich schau' den weißen Wolken nach... - Birgit Bohrer
Die Protagonistin
Es war einmal vor sehr, sehr langer Zeit …
so müsste eigentlich die Geschichte beginnen, da all die Dinge, die mich heute als Mensch ausmachen und geprägt haben, tief in mir, wie in einem Märchen schlummernd verborgen sind und sich bereits vor vielen Monden zugetragen haben. Wohl verwahrt haben diese Erinnerungen dort eine sichere Bleibe gefunden und werden vor dem Vergessen geschützt aufgehoben. Jetzt allerdings, warten sie sehnsüchtig darauf, dass man sie wieder hervorholt, um einen kleinen Teil meiner Kindheit in all ihrer Farbig- und Lebendigkeit noch einmal zum Leben zu erwecken. Manchmal ist es nur ein kaum spürbarer Hauch eines Duftes, der überraschend kitzelnd meine Nase findet und dadurch einen bunten Bilderreigen in meinem Kopf auslöst, um mich mit kosmischer Schnelligkeit an Plätze zu führen, an denen ich schon sehr lange nicht mehr war, ich mich aber trotzdem sicher bewege, genau wie zu der Zeit als ich noch real dort lebte. Oder eine bekannte Melodie, die im Alltag rein zufällig an mein Ohr dringt und mich direkt in längst vergangene Zeiten entführt, lassen für einen ganz kleinen Augenblick eine Wehmut aufkommen, die erahnen lässt, wie sehr mich diese Empfindungen berühren und in ihren Bann ziehen. Es ist ein Gefühl von unbeschreiblicher Intensität, das blitzartig wieder das Kind zum Vorschein bringt, das ich vielleicht einmal war.
In diesen kostbaren Momenten, taucht eine versunkene Welt aus dem Nichts auf, die eigentlich nur Kinderaugen und Kinderseelen zugänglich ist. Diese wundervollen Geschenke, wo sie auch immer herkommen mögen, wer sie mir auch immer sendet, zählen zu meinen tiefsten, innigsten Empfindungen. Das überwältigende Gefühl von „Mir gehört die Welt", aus längst vergangenen Kindertagen, ist auch der Anlass, noch einmal das Wagnis einzugehen, in die Vergangenheit zu reisen, um in dem schier endlos gefüllten Hochregallager meines Lebens zu stöbern. Tagträume, die mich entfliehen lassen, aus einem Erwachsenen-Alltag, der weit entfernt ist von kindlicher Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Ich bin der Wächter eines wertvollen Schatzes, den ich erneut, wenn auch nur in Bruchstücken, ans Licht holen kann. Ich habe nicht damit gerechnet, was hier, bei genauerem Hinsehen alles auf mich wartet. Aber ich lasse mich mit einer Selbstverständlichkeit auf dieses Abenteuer ein, wie ich es täglich als Kind ohne groß zu überlegen getan und eine grenzenlose Freude dabei empfunden habe. Damals wusste ich auch nicht, wie eine Sache, die ich begonnen hatte, letztendlich ausgehen wird. Heute nun, bin ich 67 Jahre alt und die Zeit ist wie in einem Zeitraffer an mir vorübergezogen. Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte reißen mich gedankenlos in ihrem Sog mit. Unaufhaltsam geht es vorwärts, es bleibt kaum Zeit zum Atemholen. Auf großen Schwingen treibe ich unruhig durch die Zeit und in meinem Lebensrucksack sind immer noch Wünsche und Träume verstaut, die nur darauf warten, endlich ausgepackt zu werden. Immer schneller, immer ruheloser, als gäbe es kein Morgen, laufe ich den fernen, vermeintlich wichtigen Zielen entgegen. Renne durch die grellen, lauten Lebensstraßen und die Jahre begleiten mich stumm, um plötzlich unbemerkt Stück für Stück hinter einem dichten Schleier, des Vergessens zu verschwinden. Das Leben ist eine schier endlose Aneinanderreihung von Einzelereignissen, die nur im Rückblick noch einmal bewertet werden können. Vielleicht hängt es mit dem stetig steigenden Alter zusammen, dass ich immer mehr von einer Sehnsucht heimgesucht werde, die mir allzu gerne längst verschüttete Dinge zeigen möchte und ich habe mir vorgenommen, mich nicht dagegen zu wehren.
Jetzt mit 67 Jahren, bin ich alt genug, um die Dinge im richtigen Licht zu sehen und immer noch jung und frisch, bevor die eine oder andere Gedächtnislücke, das Unterfangen Sie in meine Kindheit mitzunehmen, ins Wanken gerät. Ich muss ehrlich gestehen, ein bisschen erschrocken bin ich schon vor dieser gewaltigen Zahl, ich fühle mich nämlich in meinem Innern, noch um ein Vielfaches davon entfernt. Die Zeit, die jetzt anbricht, ist sicherlich ein guter Anlass, mich noch einmal auf den langen Weg in eine Welt aufzumachen, die bereits von Dunkelheit umhüllt und nur in einer weit entlegenen, fremden Galaxy zu existieren scheint.
Aus der Sicht eines Kindes, erzähle ich meine kleinen, einfachen, alltäglichen Geschichten, untermalt mit Bildern, Gedichten, Rezepten „unn e bisselsche Gebabbel uff Pälzisch", wie ich sie damals erlebt und empfunden habe, als die Welt für mich noch voller Abenteuer, grenzenlos und unbeschreiblich schön, wie ein geheimnisvolles Buch mit sieben Siegeln war.
Wir leben nur im Hier und Jetzt,
wir haben Wünsche, wollen träumen.
Es gibt ein ehernes Gesetz,
wir sollten nicht die Zeit versäumen,
die uns geschenkt und zur Verfügung steht;
Vielleicht ist’s morgen schon zu spät.
In all den langen Nächten, Tagen,
wenn wir eine Menge Sorgen mit uns tragen,
zerrinnt die Zeit wie Sand in unsren Händen,
es gibt kein Mittel dieses abzuwenden.
Es ist als ob ein steter Tropfen fällt,
auf uns, die Zeit und auf die Welt.
Ein Schritt folgt zügig einem andern,
so müssen wir auf Erden wandern.
Wir laufen, rennen und wir eilen,
wo es doch schön wär’ zu verweilen.
Wir finden keine Rast noch Ruh’
und wandern fleißig immerzu.
War das schon immer so in unserem Leben,
kennen wir nur dieses eine Streben?
Oder gab’s mal eine andre Zeit,
sie scheint so fern, so endlos weit.
Doch manchmal bringt uns, welch ein Glück,
die Erinnerung ein Stück davon zurück.
Am Firmament zieh‘n duftig-weiße Wolken,
ich lieg im Gras, kann ihnen folgen.
Es weht ein Sommerlüftchen über Wald und Flur,
um mich herum das Leben pur.
Lass den Gefühlen freien Lauf
und schau zum blauen Himmel auf.
Die Blumen rings um mich herum,
sie biegen sich im Wind ganz krumm.
Ich liege nur zufrieden da,
nehm’ warme Sonnenstrahlen wahr.
Hab’ keine Sorgen, keinen Frust,
nur eine nie gekannte Lust.
Ich träume einfach in den Tag,
hab Freude dran, auf das was kommen mag.
Ein Zirpen, Brummen, Summen, Sirren,
die Luft um mich herum fängt an zu flirren.
Ein Vogel kreist am Himmelszelt,
wie wunderschön ist doch die Welt.
Mein Herz ist jung und ohne Kummer,
da fliegt ein richtig dicker Brummer,
direkt mir auf die kleine Hand,
ich leg ihn sacht ab in den Sand,
schau glücklich seinem Treiben zu
und find in mir die selig‘ Ruh.
Auch in der Nacht, wenn Sterne leuchten ohne Zahl,
wenn Mond und großer Wagen, ziehen majestätisch
ihre Bahn,
wenn ich dem Schauspiel schenke meinen
traumverwobenen Blick,
schickt mir der Himmel freudig einen Gruß zurück.
Er kommt aus weiter Ferne, aus den Tiefen unserer Zeit,
empfängt auch gerne meinen und trägt ihn
in die Ewigkeit.
Ich möchte‘, dass das Gefühl für immer bleibt,
dass niemals Trübsal meine Seele reibt.
Dass ich den Blick auch nicht verlier,
zum Mensch, zur Zeit und auch zu mir.
Jetzt kommen mir die Bilder wieder in den Sinn,
es zieht mich magisch die Erinnerung dorthin.
Ich reise in der Zeit zurück,
wo ich umfangen war von unbegrenztem Glück.
Zu jenem wunderschönen Tag,
als ich in dieser Wiese lag
und Pläne für das Leben mir hab‘ ausgedacht,
mein Herz war froh und hat gelacht.
Genau an diesen Punkt will ich noch einmal kommen,
will taumeln und vom Glück benommen,
möcht’ nochmal frei und ungezwungen,
Lieder singen, die schon lang verklungen.
Möcht’ mit den Wolken um die Wette reisen,
will alle Töne um mich hören, die lauten und die leisen.
Will niemals mehr vergessen, was da einst mein Plan
und denk jetzt immerzu daran.
Wie schnell die Jahre doch vergehen,
die Zeit sie hält nicht an, sie bleibt nicht stehen.
Aus diesem doch so wichtigen Grund,
schließ’ mit dem Schicksal ich den Bund
und hol‘ auf meinem letzten Lebensstück,
das Glücksgefühl für mich,
soweit dies geht, nochmal zurück.
Heute ist es endlich soweit !!!
Die Nachbarin von der Tankstelle gegenüber
Der Tag meines Geburtstermins, ist da. Daran kann ich mich zwar beim besten Willen nicht mehr erinnern, aber die Nachbarin, die gegenüber dem Hause meiner Großeltern eine Tankstelle besaß, berichtete, dass der Bäckermeister an diesem besonderen Tag, wie auf der Flucht vor etwas Gefährlichem, unzählige Male das Haus im Laufe des Tages umrundet hat und ständig zur einen Türe hinein um gleich darauf wieder zu einer anderen herauszukommen. Meinem zukünftigen Vater, erging es da nicht wesentlich besser. Er hatte eigentlich bei meiner Geburt dabei sein wollen, was für damalige Zeiten, ziemlich revolutionär gewesen wäre, die Hebamme den armen Kerl allerdings ins Treppenhaus auf die Stufen verbannte, da er viel zu nervös und aufgeregt war, um wirklich eine Hilfe für meine Mutter in diesen Stunden zu sein. Die beiden Männer, die einen Krieg überlebt hatten, waren angeblich, nicht in der Lage, ihre Unruhe vor diesem Ereignis abzulegen. Vor Freude, oder aus Angst, dass, hoffentlich alles gut geht. Dabei sollte doch nur ich auf die Welt gebracht werden. Was für ein Aufhebens um so ein kleines Menschlein.
In den Abendstunden dieses kalten Wintertages, am 10. Dezembers 1952, habe ich dann im Hause meiner Großeltern, nach einer langen, schmerzlichen Geburt, allerdings nur für meine Mutter, endlich das Licht der Welt erblickt. Besser gesagt: Ich habe in den kalten, klaren Sternenhimmel geschaut und sofort begriffen, dass so ein Geborenwerden, etwas ganz Besonderes sein muss. Mein Dank gilt hier meiner Mutter, die mir erst dadurch die Möglichkeit eröffnet hat, all die berauschenden Dinge, die so ein Leben bietet, herausfinden zu können. Natürlich danke ich auch meinem Vater, der ebenso seinen Teil, wenn auch nur einzigen möglichen, zu meiner Entstehung beitragen konnte, diesen aber sicherlich mit Freude geleistet hat. Unser Hausarzt, der mich, gemeinsam mit der Hebamme in dieser frostigen Nacht im Dezember auf die Welt brachte, war angeblich von meiner Erscheinung so angetan, dass er mich als einen Teil der sieben Schönheiten bezeichnete. Allerdings glaube ich, dass diese Äußerung nur durch die Schwere der Geburt zustande kam und nicht nur meine Mutter, sondern auch den Herrn Doktor, an seine Belastungsgrenze brachte. Also, lassen wir diese Aussage einfach unkommentiert so im Raume stehen. Meine ersten drei Nächte als neuer Mitbewohner der Familie verbrachte ich schlummernd und der Welt noch weit entrückt, im Obergeschoß des Hauses, in dem ich auch noch viele schöne Augenblicke meiner Kindheit verleben sollte, zwischen meinen seligen Großeltern, Erna und Otto, die im unteren Teil einen kleinen Bäckerladen und eine Backstube betrieben. Ich war ihr erstes Enkelkind und heute erst kann ich nachempfinden, welches Glücksgefühl in jenen Nächten, in dieser kleinen Schlafstube zugegen war. Auch wenn danach noch einige Kinder in die Familie geboren wurden, so war und blieb ich doch der Liebling meines Großvaters. Dass meinen Großeltern dieses besondere, nicht alltägliche Geschenk zuteilwurde, dass ich die ersten drei Nächte zwischen ihnen im Bett verbrachte, war auch dem Umstand geschuldet, dass das Zusammenleben zu jener Zeit räumlich wesentlich enger war als heute und meine Mutter sich in ihrem Elternhaus, nach den Geburtsanstrengungen erholen musste. Über meiner ersten Schlafstätte hing ein großes Bild mit einem aufwendigen goldenen Holzrahmen. Darauf war ein Engel abgebildet, der schützend die Hand über zwei kleine Kinder hielt, die gerade einen Holzsteg überqueren wollten, welcher über einen reißenden Bach führte. Wenn ich später bei meinen Großeltern übernachtet habe, hat dieser geheimnisvolle und wunderschöne Engel, immer sorgsam über meinen Schlaf und meine Träume gewacht.
Mein Schutzengel, der über dem Bett im „Schloofzimmer" meiner Großeltern hing
In einer der Schubladen, im Kleiderschrank in jenem Schlafzimmer, lagen bereits die für mich in mühevoller Kleinarbeit, angefertigten Babysachen, die während der Wartezeit gehäkelt, gestrickt oder