Flauschnacht Rauschnacht: Gedichte
Von Hellmuth Opitz
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Über dieses E-Book
Es war die Zeit, als die Termine aus den Kalendern verschwanden, als wären sie mit Tinte geschrieben, die wie von Zauberhand auf einmal unsichtbar wird.
Erzählerischer sind sie geworden, die neuen Gedichte, gegenwartsnäher, schärfer und pointierter. Aber gleichzeitig kombinieren sie das Hellwache mit traumwandlerischer Sprachmagie und der scheinbaren Mühelosigkeit schwereloser Bilder.
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Buchvorschau
Flauschnacht Rauschnacht - Hellmuth Opitz
Hohelieder aus den Zeiten des hohen C
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen
ist dem Tode schon anheimgegeben.
August von Platen
Replay
Es hätte besser laufen können
beim allerersten Mal an jenem
Nachmittag in deinem Zimmer.
Wir steckten fest im Nesteln
unterm Pappschnee der Bettdecke.
Nicht mal der Tonarm hob ab
von der Platte, die Nadel hakte
störrisch in der Auslaufrille des
Joni-Mitchell-Albums, obwohl
es in deinem Lieblingssong
doch ums Abheben ging.
Da standst du auf, liefst nackt
zum Plattenspieler, drehtest dich
um mit diesem unverschämten
Grinsen, das sagte: Ich drück mal
auf Repeat, kamst dann zurück:
mit dem wunderbar wippenden
Gang, der mir heute noch nachgeht,
wenn ich diesen Nachmittag
auflege und der Tonarm knisternd
das Erinnern berührt: Es hätte
besser nicht laufen können.
Jedes Mädchen hat ein Gedicht verdient,
eins, das nur ihm gehört, zugesteckt wie ein Kassiber,
ein klein gefalteter Zettel mit Kästchen, darauf
ein Gedicht, das ihm auf Anhieb peinlich war,
die ungelenke Schrift, die unbeholfenen Komplimente,
der ungeheure Mut, es ihm zu geben auf dem Hof,
wo es stand, inmitten eines Pulks von Freundinnen,
kichernd in der großen Pause, einen Herzaussetzer
lang Stille und natürlich wollten es dann alle lesen.
Das Mädchen aber zeigte es den anderen nicht,
weil es an etwas rührte und noch heute treibt es ihm
die Röte ins Gesicht, oben auf dem Dachboden,
fünfzig Jahre später, wo es in einer Kiste wühlt,
auf diesen Zettel stößt und wo zur gleichen Zeit
in einem anderen Leben der Schreiber sich durch
einen Ordner seiner frühen Werke blättert und
vor Scham versinken möchte in der Erkenntnis:
Nicht jedes Gedicht hat ein Mädchen verdient.
Die Queen jenes Sommers
Ihre Schulterblätter sind das, was mir noch vor Augen steht
aus diesen hechelnden Hundstagen im unteren Jura der Jugend,
ihre blassen Schulterblätter, auf denen ein später Juli
viele Sommersprossen ausgesät hatte.
Ich sah den Wassertropfen zu, die sich dazwischen
entlang schlängelten, gespeist aus einem wilden Rotschopf,
wie sie Tempo aufnahmen, wenn sie die Schultern bewegte,
und ihren Rücken weiter hinunter liefen.
Mein Blick lief ihnen nach bis zum Rand der Bikinizone,
während wir hier lagen zum Trocknen auf den
sonnenwarmen Planken dieses Stegs am See, ihr riesiges
Handtuch mit dem Union Jack, fast hätte ich salutiert
vor dieser Queen aus Swindon.
Wie überlegen sie mir war, einen halben Kopf größer,
vom Größenunterschied im Kopf gar nicht zu reden.
Sie war gut in Physik, ich nur in Physis, ihr Thema:
Energie und wie sie verschwendet wird.
Könnte man mit der Kraft, die notwendig ist, um eine
Brandschutztür aus Stahl zu öffnen, nicht gleichzeitig
ein paar Orangen auspressen, fragte sie. Was da
verloren geht! Ich hatte keinen blassen Schimmer,
ganz im Gegensatz zum See.
Ich hatte nur Augen für ihren Mund, aus dem
diese Versuchsanordnungen nur so sprudelten,
ihre rauen, rissigen Lippen, die nach Zimt schmeckten
oder Holunder, da verschwimmt die Erinnerung.
Später, als wir aufstanden, blieb ihr Blick an meiner
Badehose hängen. Abklingbecken, sagte sie, grinste
und ich weiß bis heute nicht, woher sie die Vokabel hatte.
Nur den Klang habe ich noch im Ohr, den weichen
Wiltshire-Akzent einer Austauschschülerin.
Damals aber verstand ich nicht mal, was sie meinte.
Wochen später, als sie längst weg war, ging es mir auf,
in einer Physikstunde, als es um Kraftwerke