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Ehre und Macht: Historischer Roman
Ehre und Macht: Historischer Roman
Ehre und Macht: Historischer Roman
eBook677 Seiten9 Stunden

Ehre und Macht: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Die Faszination für das Mittelalter ist auch im 21. Jahrhundert noch ungebrochen. Wir tauchen ein in eine Zeit als ritterliche Ehre, große Schlachten und die Minne zu den Tugenden gehörten.
Ehre und Macht ist die Geschichte eines Meißnischen Ritters, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts an der Seite von Kaiser und Königen um Ehre und Anerkennung kämpft. In seiner Jugend schweren Prüfungen unterzogen, findet er letztendlich an die Seite König Ottokars von Böhmen. Aber der Verrat seiner Feinde droht ihn zu vernichten. Durch die Liebe einer Frau wird er vor dem Tod gerettet. Doch wird sein Leben fortan eine Wendung nehmen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Apr. 2017
ISBN9783742790385
Ehre und Macht: Historischer Roman
Autor

Julia Fromme

Die Autorin arbeitet als Historikerin, freie Journalistin sowie als Grafikdesignerin und Dozentin. Nach dem Studium der Geschichtswissenschaften folgten lange Jahre der Forschung und Lehre zur Mittelalter- und Industriegeschichte, bevor sie mit dem Schreiben von Romanen begann Julia Fromme lebt in einem alten Haus am Rande der Großstadt zusammen mit ihrem Ehemann und zwei Katzen.

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    Buchvorschau

    Ehre und Macht - Julia Fromme

    Liste der handelnden Personen

    Julia Fromme

    Ehre und Macht

    Historischer Roman

    Der reinste Schatz in diesem ird`schen Lauf,

    was anders ist`s als unbefleckte Ehre.

    (William Shakespeare, Richard II.)

    (* historische Personen)

    Mark Meißen

    Schellenberg

    Falk von Schellenberg

    Peter von Schellenberg, Falks Vater*

    Alina von Schellenberg, Falks Mutter

    Wolfram von Schellenberg, der Bruder Peters und Falks Onkel*

    Krystina von Hauenstejn, Falks Ehefrau, Nichte des Herrn von Hauenstejn

    Tilda, ehemalige Zofe von Tyra, die jetzt Krystina umsorgt

    Marthe, Wirtschafterin auf Schellenberg

    Tankmar von Rauenstein, Burghauptmann auf Schellenberg

    Jiri von Bezno, zunächst Knappe Falks, später Ritter, Sohn eines böhmischen Landadeligen

    Jost von Senkenberg Jun., Knappe Falks, später Ritter auf Schellenberg

    Milek von Slavetin, ehemaliger Knappe Miros von Louny, später Falks Schützling und Ritter auf Schellenberg

    Lichtenwalde

    Tyra von Lichtenwalde, Schwester von Falk

    Nicolas von Lichtenwalde, Ehegemahl von Tyra, früherer Erzfeind von Falk

    Burg Meißen und Bischofssitz

    Albrecht von Wettin, 1190-1195 Markgraf von Meißen*

    Sophie von Böhmen, 1190-1195 Markgräfin von Meißen *

    Dietrich von Wettin, 1195-1221 Markgraf von Meißen*

    Dietrich von Kittlitz, Bischof von Meißen*

    Hanns von Slynitz (Schleinitz), meißnischer Adliger und Ministeriale*

    Conrad von Canitz (Kanitz), meißnischer Adliger im Dienste Albrechts*

    Hugo von Sconenberg (Schönberg), Berater Albrechts*

    Hugold, Leibdiener Albrechts von Wettin *

    Jost von Senkenberg, Hauptmann im Dienste Albrechts

    Wulf von Eschefeld, Ritter des Markgrafen, erster Gemahl Tyras

    Ralf Blutaxt, Knappe, später Ritter auf der Burg Meißen

    Gero von Melsungen, Knappe in Meißen und einziger Jugendfreund von Falk

    Böhmen

    Heinrich Bretislav, Bischof von Prag und Herzog von Böhmen bis 1197*

    Vladislav Heinrich, Herzog von Böhmen und Markgraf von Mähren*

    Heinrich Ottokar, Herzog von Böhmen, seit 1198 böhmischer König*

    Boheslav von Louny, Gaugraf*

    Miro von Louny, Gaugraf, Sohn des Boheslav

    Marisa, Friedrichs Frau, Falks Tante

    Frantek von Chomotau, Falks böhmischer Cousin

    Kaspar von Hauenstejn, Krystinas Onkel*

    Dobec von Holubov, entfernter Cousin Kaspars

    Zdenek von Neubergk, Raubritter und Busenfreund von Falks Cousin

    Heinrich von Kinsberg, Freund von Falk, Lehnsmann der Staufer*

    Ludek von Vildstejn, Freund von Falk

    Andris, Freund von Falk, ein böhmischer Bauernjunge, der Falk und Krystina bei ihrer Flucht unterstützt

    Vicos, ein Waffenknecht auf Louny

    Jorge, ein Wolfsjäger im Dunkelwald, Falks Freund

    Heiliges Römisches Reich deutscher Nation

    Otto von Braunschweig, deutscher König 1198-1218 und 1209-1218 römisch- deutscher Kaiser*

    Philipp von Schwaben, deutscher König*1198-1208

    Heinrich VI., römisch-deutscher Kaiser* 1190-1197

    Friedrich II., ab 1212 deutscher König, 1220-1250 römisch-deutscher Kaiser*

    Teil 1

    Das Blutgericht

    Kapitel 1

    Louny

    November 1209

    „...wird zum Tode durch das Schwert verurteilt."

    Vor seinen Augen hatte sich ein dichter Nebel gebildet, der seinen Blick verschleierte. Für einen Moment drehte sich der gesamte Raum um ihn und drohte über ihm einzustürzen. Die Worte des Richters drangen nur aus weiter Ferne in sein Bewusstsein. Falk atmete tief durch und straffte die Schultern. Diese Mörderbande würde es nicht erleben, dass er schwach und gebrochen vor ihnen stand. Und wenn der Preis dafür der Tod wäre.

    Er hob den Blick und schaute seinem Ankläger fest in die Augen. Miro von Louny reckte fast störrisch sein Kinn. Doch Falk sah, dass ihm sichtlich unwohl war.

    „Und so ergeht im Namen Gottes und des Königs von Böhmen folgendes Urteil. Fast schien es, als würde der Kirchendiener mit den Lippen schmatzen, als er das Strafmaß verkündete. „Der Angeklagte wird in der neunten Stunde des morgigen Tages im Jahre des Herrn 1209 auf dem Richtplatz von Louny wegen Wegelagerei und Raubes mit dem Henkersschwert vom Leben zum Tode befördert. Ihm bleibt das Recht verwehrt, beim König der böhmischen Lande um Gnade zu ersuchen. All seine böhmischen Besitzungen gehen an die Krone.

    Miro von Louny versuchte ein zynisches Lächeln, das ihm aber nicht recht gelingen wollte. Der kalte Blick Falks ließ ihn erschaudern. Tief im Innersten keimte in ihm die Ahnung auf, dass er eines Tages der Rache Falks anheimfallen würde, und sei es aus dessen Grab heraus.

    Der Prälat des Bischofs von Passau, dem der Distrikt Louny kurioserweise unterstand, faltete seine Hände theatralisch über seinem fetten Bauch und begann mit näselnder Stimme das Vaterunser zu beten, in das alle Anwesenden einfielen. Er fungierte in diesem Prozess als Richter der Krone. Im Grunde genommen ließ es ihn vollkommen kalt, dass er gerade einen Ritter dem Tod ausgeliefert hatte. Er tat hier nur im Namen des böhmischen Königs und der Heiligen Römischen Kirche seine Pflicht. Falk von Schellenberg kannte er nicht. Er hatte sich lediglich auf die Anklage des Gaugrafen Miro von Louny gestützt, der als Stellvertreter des böhmischen Königs als Kläger aufgetreten war. Und für Mord sah das Gesetz nun einmal den Tod vor. Ganz gleich, ob der Schuldige ein Edelmann oder ein armer Schlucker war. Der einzige Unterschied bestand in der Art, wie der Verurteilte zu Tode befördert wurde. Und als Ritter stand Falk das Richtschwert zu.

    „Führt den Mann hinaus, wies der Prälat die Gerichtsknechte an, seine stechenden Augen auf den Delinquenten gerichtet. „Soll er die Zeit, die ihm noch vom Leben bleibt, nutzen und durch Zwiesprache mit unserem Herrn um Vergebung für seine Sünden flehen, fuhr er mit vor Sarkasmus triefender Stimme fort.

    Falk blickte starr vor sich hin und ließ sich widerstandslos von den Bütteln aus dem Saal bringen. Sie schoben ihn grob vor sich her, dass er fast ins Stolpern geraten wäre, da ihn Fußfesseln am Laufen hinderten. Im Untergeschoss des Gerichtshauses stießen sie ihn in eine kleine feuchte Kammer.

    Die Tür fiel mit einem lauten Krachen hinter ihm zu. Falk blieb für einen Moment in der Mitte des Raumes stehen. Sein Blick verharrte auf einem stinkenden Haufen in der Ecke. Eine Ratte, aufgeschreckt durch den Knall der Tür, huschte unter das faulige Stroh. Der Ritter ließ sich an der gegenüberliegenden Wand des Raumes langsam zu Boden sinken. Falk zog die Knie ganz eng an seinen Körper und legte den Kopf darauf. Sein schwarzes Haar, sonst glänzend wie Rabenflügel, nun stumpf und zerzaust, fiel ihm in langen Strähnen über die Beine. Das war nun das Ende. Sein ganzes Leben hatte er versucht, irgendein Glück zu finden, doch Gott meinte es wahrscheinlich nicht besonders gut mit ihm. Was nützten Rang, Macht und Geld, wenn es andere, mächtigere, ihm wieder nehmen konnten? Es stieß ihm bitter auf, dass er Miro von Louny nun doch den Triumph überlassen musste, seinen Widersacher beseitigt zu haben. Denn Falk hatte alle Hoffnung verloren, dass sich sein Schicksal bis zum Morgen noch ändern würde. Kurz schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit. Er sah sich als Zwölfjährigen in der Burg des Gaugrafen Boleslaw, dem Vater Miros. Grölend fiel eine raue Horde von Rittern und Waffenknechten über eine wehrlose Frau her. Doch Falk, ein Knappe des Gaugrafen, konnte ihr nicht helfen und sie schlugen ihr armes Opfer tot. Nie würde er vergessen, wie er sich damals gefühlt hatte. Schnell schob Falk die Gedanken von sich. Die Gespenster der Vergangenheit sollten ihn nicht auf dem Weg vor seinen Schöpfer begleiten.

    Inzwischen war es fast vollkommen dunkel in dem kleinen Raum. Das ohnehin sehr winzige Fenster, das jede Flucht unmöglich machte, ließ nur noch einen vagen Schein des Dämmerlichtes herein. Es wurde schon zeitig finster und die Nacht würde lang werden. Schritte auf dem Gang vor der Kammer ließen ihn aufhorchen. Es mussten erst wenige Minuten vergangen sein, die er hier unten saß. Oder hatte er geschlafen und der Morgen kam bereits? Falk richtete seinen Blick auf die Tür. Mit einem schleifenden Geräusch wurde der schwere Riegel zurückgeschoben. Die Fackel auf dem Gang warf schwach ihr unruhiges Licht in sein Gefängnis. Ein Mann mittleren Alters betrat langsam den Raum. Geschockt vom Anblick des Gefangenen blieb er nach wenigen Schritten stehen. Seine stattliche Gestalt sackte sichtlich zusammen. Falk sah erstaunt auf und erhob sich hastig, doch die jähe Bewegung riss an seinen Fesseln. Er taumelte nach hinten, den bestürzten Blick auf den Mann geheftet.

    „Ihr hättet nicht herkommen sollen, Onkel", entfuhr es ihm rau. Falk atmete mühsam. Seine Stimme drohte, ihm zu versagen. Sein Onkel war der letzte gewesen, den er jetzt noch zu sehen erhoffte.

    Friedrich von Chomotau fasste sich wieder und ging auf seinen Neffen zu. Er schloss Falk in die Arme, ohne sich am heruntergekommenen Aussehen des Ritters zu stören. Seine blauen Augen, die denen Falks so ähnlich waren, ruhten voller Mitleid auf dem Jüngeren, seine edlen Züge eingefallen vor Traurigkeit. Falks Tunika wies etliche Risse auf. An mehreren Stellen war sie von Blut durchtränkt, durchaus nicht nur sein eignes.

    Immer wieder spulten sich in Falks Kopf die Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht ab. Eine Woche war es jetzt her, dass er sich mit seinem Cousin Frantek und dessen Kumpan Zdenek von Neubergk auf dem Rückweg von Prag befunden hatte. Sie waren in einer Mission der Grenz- und Gaufürsten unterwegs gewesen. Diese erhofften sich von König Ottokar weitreichende Zugeständnisse hinsichtlich der Selbstverwaltung ihrer Lehen. Im Gegenzug dazu erklärten sie sich bereit, die südböhmischen und mährischen Adligen für die Politik des Königs zu gewinnen.

    Allerdings war es den drei Rittern nicht gelungen, bei Ottokar eine Audienz zu erhalten. Bereits auf dem Rückweg hatten sich Zdenek und sein Cousin lautstark über den König und seinen Marschall, Dlugomil von Strakonicz, ausgelassen, denn Dlugomil hatte sie nicht zum König vorgelassen.

    „Dieser Bastard, der sich königlicher Berater nennt, soll mir nochmals unterkommen, schrie Frantek wichtigtuerisch. „Wie kann er es wagen, die Vertreter des Adels und des deutschen Königs abzuweisen? Mit Sicherheit wusste Ottokar gar nichts davon!

    „Dass du dich da mal nicht gewaltig irrst, war ihm Falk ins Wort gefallen. „Der böhmische König ist verärgert darüber, dass die Grenzfürsten die Besiedlung der slawischen Gebiete durch deutschstämmige Kolonisten vorantreiben. Und was die Rechte der Fürsten betrifft, da machte uns Dlugomil auch deshalb nur zögerlich Zugeständnisse, weil er ansonsten seine eigne Macht als Berater bedroht sieht.

    „Ich denke eher, ihm war es ein Dorn im Auge war, dass unsre Abordnung von dir, einem Vasallen des meißnischen Markgrafen, angeführt wurde, mischte sich Zdenek ein. „Ich möchte bloß wissen, was sich der Gaugraf dabei gedacht hat? Noch sind die Narben, die das Verhalten des Markgrafen Dietrich bei unserem König hinterlassen hatten, nicht verblasst. Warum musste dieser Bastard auch den deutschen König Philipp überreden, Ottokar die böhmische Krone abzusprechen? Es war reine Rache.

    „Findest du es etwa in Ordnung, dass Ottokar seine Gemahlin nach fast zwanzig Jahren Ehe verstoßen hat? Nur damit er sich eine jüngere ins Bett holen kann?, fragte Falk, nun seinerseits aufgebracht. „Dazu hätte es keines Eheversprechens bedurft.

    „Was geht mich der Meißner an?, konterte Zdenek bissig. „Ich bin ein Mann des Böhmen. Und ich sage dir nochmal, es ging Dietrich nur darum, sich für diese Schmach bitter zu rächen, weil es sich dabei um seine Schwester handelt. Klar, ist es später wieder zur Aussöhnung mit Philipp gekommen. Ottokar konnte sich die Krone erneut auf seinen Schädel setzen. Aber das Verhältnis zu Dietrich bleibt dennoch angespannt.

    „Kaiser Otto hat Premysl Ottokar doch endgültig in seinen Königsrechten bestätigt. Was will er denn noch? Und, um nochmal auf Dlugomil zurückzukommen. Der Marschall ist seinem König treu ergeben und vertritt dessen Position uneingeschränkt. Seine Reaktion bei unserem Erscheinen wundert mich nicht allzu sehr."

    „Dann hättest du ja auch zu Hause bleiben können", stänkerte Frantek und sah Falk herausfordernd an.

    „Ach ja? Und du hättest mit Sicherheit eine Audienz beim König erhalten, was?", höhnte Falk.

    „Allerdings würde es mich auch interessieren, warum Miro gerade dich, seinen ‚liebsten’ Gefährten, für diese Angelegenheit ausgewählt hat." Zdeneks Stimme triefte vor Sarkasmus.

    „Das musste ja schiefgehen. Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Ein gemeines Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Was soll`s, so können wir die Schuld wenigstens auf dich abwälzen, wenn er uns zur Rechenschaft zieht wegen unserer missglückten Mission.

    Frantek wieherte vor Lachen.

    „Scht. Halte die Klappe. Ich hör etwas. Zdenek lauschte angestrengt. „Da vorn. Eine Wagenkolonne! Er wies mit der Hand in die Dunkelheit.

    „Was meint ihr, ob das Bewaffnete sind?", fragte Frantek dümmlich.

    „Ich glaube eher, es sind Kaufleute, die nach Louny ziehen. Lasst uns vorbeireiten", forderte Falk seine Kumpane auf.

    „Welch prächtige Gelegenheit, unsere Kasse ein wenig aufzufüllen!, rief Zdenek seinen Begleitern zu. Frantek grinste höhnisch und nickte zustimmend. „Und was ist mit dir, Falk?, fragte Zdenek in provozierendem Ton.

    „Lasst es. Wir haben Wichtigeres zu tun", versuchte der Ritter die rauflustigen Kerle von ihrem Vorhaben abzuhalten.

    „Ach nein, ich eigentlich nicht, antwortete Zdenek gelangweilt. „So ein paar Pfeffersäcke kommen mir gerade recht, um mich nach unserer eher enttäuschenden Mission ein bisschen auszutoben. Was sagst du, Frantek?, wandte er sich an den anderen. Frantek reckte das Kinn auffordernd in Richtung seines Cousins. „Hast du deinen Mumm verloren, Vetter? Oder wirst du jetzt langsam zu alt für derlei Vergnügen?" Er zog sein Schwert, das mit lautem Scharren aus der Scheide fuhr und schwang es wie ein Sarazene den Krummsäbel, so dass pfeifende Luftgeräusche die Stille der Nacht durchschnitten.

    Auch Zdenec hielt seine Streitaxt abwägend in der Hand, ein böses Lächeln auf den Lippen. Schnell näherten sie sich den Kaufleuten. Falk hatte für sich beschlossen, einfach an den Händlern vorbeizureiten, ganz gleich, was seine Kumpane machen würden. Doch als er den Zug passierte, zog einer der begleitenden Waffenknechte das Schwert und ging damit auf Falk los. Die düstere Erscheinung des Ritters veranlasste ihn wahrscheinlich zu der trügerischen Annahme, dass Falk, wie seine Kumpane, ein Raubritter sei, mit der Absicht, die Kaufleute zu überfallen. Falk sah sich gezwungen, blitzschnell sein Schwert zu ziehen, wollte er nicht selbst von der Waffe des erfahrenen Kämpfers niedergestreckt werden. Letztlich stieß er ihm dennoch das Schwert in die Brust. Der Mann fiel tot zu Boden, bevor er überhaupt bemerkt hatte, dass er getroffen war. Frantek floh angesichts der Überzahl der Waffenknechte, die den Zug geleiteten, bereits bei den ersten Anzeichen von Kampfhandlungen. Zdenec erschlug einen der Wagenbegleiter und riss eine große Schatulle, die womöglich Münzen enthielt, vom Wagen. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt hinter seinem feigen Kumpan her. Auch Falk gelang es, zurück zur Burg seines Onkels zu reiten. Doch einer der Kaufleute erkannte in ihm den Neffen des Herrn von Chomotau und erhob beim Magistrat der Stadt Louny, aus der die Händler stammten, Anklage. Da die Stadt dem Gaugrafen unterstand, wurde die Sache diesem übertragen und Miro staunte nicht schlecht, als ihn der Name von Schellenberg unterkam.

    Eine Bewegung Friedrichs brachte Falk wieder in die Gegenwart zurück.

    „Was wollt Ihr hier, Onkel?, fragte Falk mit bitterer Stimme. „Mir kann niemand mehr helfen. Der König selbst hat Anklage erhoben und mir das Recht auf Gnade verwehrt.

    „Es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist, Falk", sagte Friedrich mit leiser Stimme.

    „Es war ja schon immer die Rede davon, dass Raubritter ihr Unwesen treiben. Und dass Zdenek von Neubergk dahintersteckt, wundert mich nicht allzu sehr. Schade nur, dass ihm keiner etwas nachweisen kann. Friedrich schwieg nachdenklich. „Doch wusste ich nicht, dass Frantek so weit gehen würde, gegen dich auszusagen. Dieser Taugenichts Neubergk hat einen schlechten Einfluss auf ihn. Aber leider ist auch der Charakter meines Sprösslings nicht viel besser als der seines Kumpans. Es ist ein Unglück, dass ich gerade nicht zu Hause war, sondern in Angelegenheiten des Königs unterwegs in Mähren. Ausgerechnet... Friedrich schnaubte verächtlich. Er schüttelte fassungslos den Kopf. „Es bricht mir das Herz, dich hier so zu sehen. Gern würde ich zu König Ottokar gehen und ihn ob des Unrechtes, was er begehen lässt, zur Rede stellen. Immerhin hast du nur dein nacktes Leben verteidigt. Aber ich fürchte, die Zeit wird uns nicht reichen."

    „Nein, meine Zeit ist abgelaufen. Falk drohte, die Stimme zu versagen. „Onkel, betet zu Gott und bittet ihn um Gnade für meine arme Seele. Ich glaube, mir zürnt er zu sehr wegen der vielen schlechten Taten, die ich begangen habe. Und sendet einen Gruß an meine Schwester. Falk schluckte, als ihm Tränen in die Augen traten. Er holte ein paarmal tief Luft, bevor er weiterredete. „Sie soll mir vergeben. Ich hätte sie selbst gern darum gebeten, aber leider bleibt mir das versagt."

    „Ich werde ihr eine Nachricht senden, antwortete Friedrich mit bewegter Stimme. Er atmete tief durch und versuchte, seine Fassung zurückzugewinnen. „Doch wird es ihr wenig Trost sein.

    Falk presste seine Lippen aufeinander. „Was glaubt Ihr, war der wahre Grund, dass der König die Anklage nicht verhindert hat?", fragte er unvermittelt.

    „Möglicherweise waren es Angst und Gier zugleich, die ihn bewogen, nur dem Gaugrafen Gehör zu schenken. Louny ist mächtig und mit vielen böhmischen Ministerialen des Kaisers verbandelt. Ottokar hat Angst, dass er seine Königskrone wieder verlieren könnte. Eventuell schenkt der deutsche Kaiser seinem Dienstadel Gehör, falls dieser der Meinung ist, Ottokar hätte die Krone nicht verdient. Es wäre ja nicht das erste Mal. Friedrich schaute Falk traurig an. „Doch vielleicht war er es auch gar nicht persönlich, der den Befehl zu deiner Hinrichtung unterschrieben hat, mutmaßte er. „Es könnte auch ein niederträchtiger Schachzug Miros gewesen sein."

    „Und Louny, warf Falk sarkastisch dazwischen, „wird sich vor lauter Glück nicht eingekriegt haben, als er eine Anklage gegen mich auf dem Tisch hatte. Das gab ihm die einmalige Gelegenheit, sich an uns zu rächen. Er hat es nie verwunden, dass der Tod seines Vaters ungestraft blieb.

    Wieder zogen die Geister der Vergangenheit herauf. Würden sie ihn nie aus ihren Klauen lassen?

    „Dein Vater hat damals bei Kaiser Heinrich zwar erreicht, dass du nicht bestraft wurdest, als du Miros Erzeuger, den alten Gaugrafen Boheslav, erstochen hast. Aber heute, nach so vielen Jahren, ist es König Ottokar lieber, wenn er die Pfeiler seiner Macht nicht wackeln sieht, zumal er mit der Sache damals gar nichts zu tun hatte. Es war ja noch der Bischof von Prag, der in Böhmen herrschte."

    Friedrich blickte nachdenklich auf Falk. „Nur, weil es nicht möglich war, dich für dein Vergehen von vor fast zwanzig Jahren anzuklagen, hat Miro die Raubrittersache aufgebauscht, fuhr Friedrich mit trauriger Stimme fort. „Und mein missratener Sohn, Gott möge ihn bestrafen, hat sich dazu hergegeben, als Zeuge gegen dich auszusagen, obwohl er selbst beteiligt war. Doch das Schlimmste ist, dass Zdenek von Neubergk wieder einmal vollkommen straflos davongekommen ist.

    „Mir tut es nicht leid, dass ich Boheslav damals erschlagen habe. Und wenn ich jetzt dafür sterben muss, dann soll es so sein. Der Kerl hat mir meine Kindheit genommen, mir und vielen anderen Jungen, die sich nicht wehren konnten. Lasst die Vergangenheit ruhen, Onkel. Es ist jetzt nicht mehr zu ändern. Gott bestraft mich nicht dafür. Nein, er bestraft mich, dass ich meiner Schwester so viel Leid gebracht habe. Möge sie mir wenigstens verzeihen, wenn es der HERR schon nicht kann. Dann werde ich mit Freuden meinen Kopf auf den Richtblock legen. Tränen liefen über Falks Antlitz. Doch er schämte sich ihrer nicht. Mit dem schmutzigen Ärmel seiner Tunika wischte er sich über das Gesicht, so dass sichtbare Spuren zurückblieben. „Ich weine nicht um meiner selbst willen, Onkel, sondern darum, dass ich so viel Unrechtes tat im Leben und keine Gelegenheit mehr habe, es zu ändern, sagte er mit fast unhörbarer Stimme.

    Friedrich wusste nicht, was er antworten sollte, und so drückte er Falk nur die Hand. Aber ganz so ohne Abschied, wollte er Falk nicht verlassen. „Und trotzdem, Gott ist mit dir auf deinem letzten Gang. Vertraue darauf."

    „Ich hoffe, Ihr behaltet recht, Onkel. Und nun lebt wohl." Lange schaute er Friedrich ins Angesicht, der den Blick seines Neffen voller Zuneigung erwiderte. Dann löste er seine Hand aus dessen Griff und Friedrich verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzublicken.

    Im düsteren Saal der Veste von Louny flackerten einige rußende Fackeln in ihren Halterungen an den Wänden. Das unruhige Licht gab nur einen vagen Blick auf die verwahrloste Halle frei. Hunde balgten sich unter den vor Dreck starrenden, speckig glänzenden Tischen, auf denen die Reste eines vorangegangenen Mahles in Laken verschütteten Bieres sich mit den unappetitlichen Abfällen des Gelages vermengten.

    „Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache, raunte Frantek mit lallender Stimme seinen Spießgesellen zu, voller Angst, dass unbefugte Ohren ihn hören könnten. „Was, wenn herauskommt, dass wir auch an dem Überfall beteiligt waren? Der Blick aus seinen eng zusammenstehenden Augen wirkte gehetzt. Miro von Louny saß mit seinen Kumpanen Zdenek von Neubergk und Frantek von Chomotau in seiner Halle. Vor jedem stand ein Humpen, den sie sich schon zum wiederholten Male von einer Magd mit Bier hatten vollschenken lassen.

    „Wer sollte das bezeugen?, fragte Miro und verdrehte ungeduldig die Augen. „Es sei denn, du Jammerlappen wirst schwach und ziehst deine Aussage zurück, setzte er höhnisch hinzu und sah Frantek herausfordernd an. Sein etwas hageres, von hohen Wangenknochen betontes Gesicht hätte man als hübsch bezeichnen können, wäre da nicht dieser grausame Zug um seinen schönen Mund gewesen. Seine bemerkenswerten, hellblauen Augen blickten kalt.

    „Der Kaufmann hat Falk schließlich auch erkannt, oder?, konterte dieser beleidigt. „Was, wenn er sich an mich erinnert, schließlich ist Falk mein Cousin?

    „Das wird nicht passieren, mischte sich Zdenek in das Gespräch. „So schnell, wie du das Weite gesucht hast, haben sie nicht einmal bemerkt, dass du dabei warst.

    „Was willst du damit sagen?, brauste Frantek auf und beugte sich drohend über den Tisch, was ihn ins Schwanken brachte. Unwillig strich er eine Strähne seines schütteren schwarzen Haares, das ihm in die bleiche Stirn gefallen war, zurück. „Unterstellst du mir, dass ich ein Feigling bin?

    Zdenek, ein vierschrötiger Kerl, dessen kahlgeschorener Schädel im Fackelschein glänzte, und ihm schon fast etwas Diabolisches verlieh, wich keinen Zentimeter zurück, denn die schmächtige Gestalt seines Gegenübers jagte ihm keine Angst ein. Er würdigte seinen Kumpan keiner weiteren Antwort, doch sein Blick verriet, wie wenig er von diesem hielt. Mit herablassender Miene zog er seinen Pelzumhang, den er lässig über die Schulter geworfen hatte, zurecht.

    „Hör zu, Frantek, mein Freund, ergriff Miro wieder das Wort, wobei er sich zu seinem Komplizen hinüberbeugte und ihn herausfordernd in die Augen sah. „Wenn du schwach wirst und deine Aussage, dass wir Falk auf frischer Tat ertappt und erkannt hätten, zurücknimmst, dann wirst du genauso dran sein wie Falk. Denke dran, es ist uns leider nicht gelungen, ihn an seiner Flucht zu hindern. Denn mir wird der König mehr Glauben schenken als dem vollkommen bedeutungslosen Sohn eines meißnischen Dienstadligen. Also überlege es dir sehr genau, was du gesehen haben willst. Seine Augen funkelten warnend und sein Blick durchbohrte sein Gegenüber regelrecht.

    Wütend ließ sich Frantek zurück auf seinen Stuhl sinken. Mit zitternden Händen griff er nach seinem Humpen, nur um festzustellen, dass dieser leer war. Miro und Zdenek grinsten hämisch.

    „Verdammt, entfuhr es Frantek. Er knallte seinen Becher auf den Tisch. „Lenka, schrie er nach der Magd, die sich ängstlich in der Nähe der Tür herumdrückte, in der Hoffnung, den betrunkenen Rittern nicht ins Blickfeld zu geraten. Das Mädchen zuckte zusammen. Doch beeilte sie sich, dem Ruf des Mannes schnell nachzukommen, außer sich vor Angst, dass der Gaugraf sie später bestrafen würde, falls sie nicht flink genug den Befehlen Folge leistete. Doch die Männer kümmerten sich nicht weiter um Lenka.

    „Verschwinde", schnauzte Miro sie an, als diese sich anschickte, auch ihm erneut einzuschenken. Das Mädchen wich scheu zurück und verschmolz mit den Schatten der Wand hinter sich, froh, der Aufmerksamkeit der Gesellen zu entgehen.

    „Am besten du reitest noch heute Nacht nach Chomotau, riet Miro seinem Kumpan. „Dann kannst du keinen Fehler machen. Sein verschwörerischer Blick ging zu Zdenek.

    Frantek wollte protestieren, doch der Gaugraf hob abweisend die Hände. „Nein, sag nichts. Ich weiß, dass es dir nicht passt, nach Hause zurückzureiten. Friedrich wird dich sicher nicht freudig an sein Vaterherz drücken, nachdem du daran schuld bist, dass sein geliebter Neffe hingerichtet wird. Aber wir müssen in der Tat jetzt aufpassen, dass niemand misstrauisch wird. Zdenek, auch du reitest nach Hause, wandte er sich an seinen anderen Spießgesellen. Der Neubergker starrte missmutig auf den Tisch. „Ich weiß, du hättest gern gesehen, wie Falks schöner Kopf vom Rumpf getrennt wird. Er lachte böse. „Aber glaube mir, es ist besser, wenn ich morgen allein zu der Hinrichtung gehe. Falks Onkel wird mit Sicherheit versuchen, seinen Neffen in letzter Minute zu retten. Ich will nicht Gefahr laufen, dass euer Erscheinen noch irgendeinen Tumult hervorruft." Er machte eine kurze Pause. Seine Miene erstarrte zu einer rohen Maske.

    „Der Mörder meines Vaters soll endlich verrecken", setzte er voller Hass hinzu.

    Kapitel 2

    Louny

    November 1209

    Wie in Trance stieg Falk unter dem lauten Rufen und Johlen des versammelten Mobs die Stufen zum Blutgerüst hinauf. Ein Priester hielt ihm ein Kruzifix entgegen und plapperte unaufhörlich das Vaterunser vor sich hin, ohne den Verurteilten dabei wirklich anzublicken. Nachdem sein Onkel gegangen war, hatte er die gesamte Nacht auf dem Boden gesessen und vor sich hingestarrt, jegliche Gedanken vollkommen aus seinem Bewusstsein ausschließend. Er spürte nicht, wie die Kälte sich in seine Knochen fraß.

    Sein Inneres war regelrecht eingefroren und nicht mehr empfänglich für irgendwelche Reize von außen. Als sie ihn am Morgen aus seiner Zelle holten, ließ er sich widerstandslos nach draußen führen. Er hatte mit der Welt abgeschlossen und sämtliche Gefühle aus seiner Brust verbannt.

    Die Waffenknechte zerrten an seinen Stricken, mit denen man ihm Hände und Füße zusammengebunden hatte. Sie stießen ihn vor einen Holzblock, der bereits von tiefen Scharten gezeichnet war. Nikel Jobst, der Amtmann des Gaugrafen, stand in einiger Entfernung vom Richtblock. Mit einem kurzen Wink seiner rechten Hand gebot er einem Gerichtsdiener die Trommel zu schlagen, so dass die Menge langsam verstummte.

    „Habt Ihr noch etwas zu sagen, Falk von Schellenberg?", fragte er mit dröhnender Stimme, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Ohne den Mann anzusehen, schüttelte Falk stumm den Kopf. Langsam ließ er unter gesenkten Lidern heraus den Blick über den Platz schweifen. Die Hinrichtungen in Louny fanden auf dem Marktplatz des Fleckens statt, der von einfachen Fachwerkhäusern begrenzt wurde. Bei einem steinernen Haus, dass, etwas losgelöst von den anderen, direkt gegenüber der Richtstätte stand, verharrte er. An einem geöffneten Fenster im oberen Stockwerk des Gebäudes erkannte Falk Miro. Hier residierte der Gaugraf, wenn er zu Geschäften in Louny weilte. Langsam kam wieder Leben in Falk. Er hob stolz den Kopf und starrte seinen Erzfeind so eindringlich an, dass diesem ein Schauer über den Rücken lief. Ärgerlich gab Miro dem Amtmann ein Zeichen, endlich mit der Hinrichtung fortzufahren. Er wollte die Sache hinter sich bringen. Es schien ihm gefährlich, noch länger zu warten, denn mit Sicherheit würde Falks Onkel alles versuchen, seinen Neffen doch noch vor dem Tod zu bewahren. In seiner Angst, dass zu guter Letzt etwas schiefgehen könnte, hatte er nicht bemerkt, dass Friedrich von Chomotau in der Menge stand und traurig das Geschehen beobachtete, ohne Hoffnung, dass doch ein Wunder eintreten und Falk die Rettung bringen würde.

    Die Knechte stießen den Ritter nach vorn und zwangen ihn, sich vor dem Richtblock niederzuknien. Wieder fuchtelte der Pfaffe mit dem Kreuz vor dessen Gesicht herum.

    „Lass es, zum Teufel", zischte Falk mit drohender Stimme. Der Geistliche sprang erschrocken zurück und schlug mehrmals hintereinander das Kreuz.

    „Heilige Mutter Gottes. Der Böse hat bereits Besitz von ihm genommen, stieß er mit heiserer Stimme hervor. „Ihr solltet Euch sputen, Henkersmeister, bevor er uns alle verflucht. Hektisch flog sein von Panik gezeichneter Blick zwischen dem Scharfrichter und dem Amtmann hin und her.

    „Waltet Eures Amtes, Meister Peter", wies nun auch der Büttel den Henker an. Der Mann trat hinter Falk und ließ sich von seinem Gehilfen das Richtschwert reichen. Gerade hub er an, den Verurteilten um Vergebung zu bitten für sein Tun, da kam Bewegung in die Menge. Eine junge Frau zwang sich durch die Reihen und rannte direkt auf das Schandgerüst zu.

    „Haltet ein!", rief sie. Ihr Schleier war vom schnellen Laufen verrutscht. Lange glänzende Flechten fielen ihr über den Rücken. Mit einer Hand die Kopfbedeckung haltend, mit der anderen den Rock raffend, erklomm sie die Stufen des Schafotts. Die Waffenknechte wollten nach ihr greifen, doch wich sie ihnen geschickt aus. Nikel Jobst war zu verblüfft von dem Geschehen, als dass er der Sache Einhalt gebieten konnte. Oben angekommen, warf sich das Mädchen vor dem Scharfrichter auf die Knie und deutete auf Falk.

    „Es ist mein gutes Recht, diesen armen Sünder vom Halsgericht loszubitten, wenn ich ihn zum Manne wähle." Demütig senkte sie den Kopf.

    Meister Peter war ratlos. So etwas hatte er in seinen ganzen Jahren als Henker noch nicht erlebt. Doch wusste er, dass es Brauch war, den Verurteilten mittels Heirat freikaufen zu können. Aber eigentlich ging das nur, wenn der Henker selbst einer Delinquentin die Ehe antrug, eventuell konnte die Tochter des Scharfrichters einen Mann erbitten. Aber ein vollkommen fremdes Mädchen? Doch eigentlich war er es leid, sein ganzes Leben lang Menschen zu Tode zu befördern und für immer aus der Gesellschaft der ehrbaren Menschen ausgeschlossen zu sein. Er hatte sich seinen Beruf nicht ausgesucht, sondern ihn von seinem Vater übernommen. Die Gesetze forderten, dass der älteste Sohn des amtierenden Henkers bei dessen Tod diese Pflicht übernahm. Und so musste auch Peter bereits in jungen Jahren die „Geschäfte" seines Vaters weiterführen. Welch wunderbare Gelegenheit, einmal etwas Gutes zu tun und sich wenigstens von einer Sünde reinzuwaschen, dachte er bei sich.

    Durch die Menge ging ein Raunen. „So ist es Brauch!"

    „Ja, lasst ihn frei!"

    „Nein, wir wollen den Hurensohn sterben sehen!"

    „Er muss büßen. Er hat unsre Kaufleute überfallen."

    „Das hat sich der Gaugraf bestimmt nur ausgedacht!"

    Die Rufe wurden immer lauter. Es bildeten sich zwei Lager heraus, die einen wollten, dass Falk freikam, die anderen zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Sache. Nikel wies den Henker an, mit seiner Arbeit zu warten.

    Miro von Louny beobachtete mit erstarrter Miene das Geschehen. Das durfte doch nicht wahr sein. Was sollte das nun schon wieder? Bekam er seine Rache nie? Er trat in den Raum zurück und rief nach seinem Diener. „Hole mir den Amtmann herauf", wies er diesen barsch an, als der Bursche seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.

    Nikel Jobst klopfte zaghaft an die Tür. Er wusste nicht, ob es Rechtens war, dass das Mädchen um das Leben des Verurteilten bat. Doch wollte er die Sache nicht allein entscheiden, das war Aufgabe des Gaugrafen.

    „Kommt rein, Nikel, rief Miro. „Und schließt die Tür. Ich brauche keine unliebsamen Zeugen unserer Unterhaltung.

    Der Amtmann trat vorsichtig in die Kammer, seine Kopfbedeckung nervös mit den Händen knetend. Ängstlich blickte er seinen Herrn an.

    „Was wisst Ihr von so einem Brauch, Nikel Jobst?", fragte der Gaugraf ungehalten, sah er doch jetzt seine gesamten Pläne in Gefahr.

    „In meiner langen Zeit als Amtmann hatten wir so einen Fall noch nicht, begann Nikel unsicher. „Doch in Prag ist es vor Jahren dazu gekommen, dass der Sohn des Stadtvogts, der wegen Todschlags auf das Rad geflochten werden sollte, von der Henkerstochter zum Manne gewählt wurde. Daraufhin ließ man ihn frei. Allerdings wurden beide aus der Stadt gejagt. Nikel atmete tief durch. „Auch hatte man ihm die Knochen von Armen und Beinen schon mit einem Hammer zerschlagen, so dass ich nicht weiß, ob er die Sache überhaupt überlebt hat, setzte er hinzu. „Das Weib hat ihn in einem Karren fortgebracht.

    „Von der Henkerstochter, was?, fragte Miro listig. „Und, ist es die Henkerstochter, die um Falks Leben bittet? Höhnisch schnaubend verzog er die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.

    „Ich weiß nicht, Herr", antwortete der Amtmann vorsichtig.

    „Dann bringe es in Erfahrung, schnauzte der Gaugraf den Mann an. „Und ist sie es nicht, dann weise den Scharfrichter an, endlich seine Sache zu Ende zu bringen. Miro war sich vollkommen sicher, dass es nur noch kurze Zeit währen würde, bis sein ärgster Feind vom Leben zum Tode befördert wurde.

    Falk hatte die Angelegenheit nur von Ferne wahrgenommen und es dauerte einige Zeit, bis er registrierte, dass das Mädchen gerade um sein Leben bettelte. Verwundert drehte er sich um, soweit es seine Fesseln zuließen, und betrachtete sie. Die junge Frau mochte ungefähr zwanzig Jahre zählen. Sie war eher von kleiner Gestalt, schlank und zierlich.

    Genau ließ sich das nicht sagen, da ihr Gewand unförmig und zerschlissen war. Ein dunkelblauer Schleier verdeckte ihr Haar nur zum Teil und die ersten Strahlen der sich über den Platz erhebenden Sonne ließen es rotgolden aufleuchten. Falk meinte sogar einen hellen Schein über ihrem Kopf wahrzunehmen. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und so etwas wie Hoffnung begann in seiner Brust aufzukeimen. Er betrachtete sie genauer. Er konnte sich nicht erinnern, dieses Mädchen schon einmal gesehen zu haben und dennoch kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Das schmale blasse Gesicht mit den riesigen grauen Augen, die zierliche kleine Stupsnase und der im Vergleich dazu relativ große, hübsch geschwungene Mund, der ihrem Gesicht einen energischen, wenn auch etwas herben Zug verlieh. Nein, direkt schön war sie nicht. Und dennoch faszinierte ihn ihre Erscheinung.

    Meister Peter beugte sich zu der am Boden Knienden herab und zog sie beinahe liebevoll auf die Beine. Sie drohte zu straucheln und hielt sich am Arm des Henkers fest. Die Menge, welche bis jetzt regelrecht den Atem angehalten hatte, stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Niemand wagte es, den Henker zu berühren. Das galt als vollkommen unmöglich, da man dadurch selbst zu einem unehrlichen Menschen wurde und fortan aus der Gesellschaft ausgeschlossen war. Wer war diese Frau? Noch nie hatte sie jemand in Louny gesehen. Stimmte es wirklich, dass sie den Delinquenten vom Henker freibitten konnte? Mit Spannung harrten die Menschen, wie sich die Angelegenheit wohl weitergestalten würde und sie warteten ungeduldig auf die Rückkehr des Amtmanns.

    Nikel Jobst eilte über den Platz und erklomm das Blutgerüst. In einem angemessenen Abstand blieb er vor Meister Peter stehen. Er fixierte das Mädchen mit einem strengen Blick, der allerdings seine ganze Unsicherheit offenbarte. Der Henker lauerte gespannt darauf, welche Nachricht der Amtmann verkünden würde. Er glaubte nicht daran, dass Miro von Louny sich von einem Mädchen davon abbringen ließ, seinen Kontrahenten zu beseitigen. Meister Peter wusste nur zu gut aus zuverlässiger Quelle, dass Miro an Falk ein Exempel statuieren wollte, gewissermaßen als Demonstration seiner Macht. Wieso aber gerade Falk, selbst ein Ministeriale des Königs, in die Fänge des Gaugrafen geraten war, das entzog sich seiner Kenntnis. Doch insgeheim bewunderte er die gelassene Haltung seines Gefangenen, über den er selbst noch nie etwas Negatives gehört hatte. Er wäre nicht gerade böse darüber, dieses eine Mal sein Handwerk nicht ausüben zu müssen, denn Miro von Louny war ein übler Geselle, der mit großer Grausamkeit in seinem Gebiet herrschte.

    „Was willst du, Mädchen?, begann der Amtmann ungehalten. „Wer bist du überhaupt, dass du es wagst, dieses Halsgericht zu stören? Weißt du nicht, dass dieser Mann hier ein berüchtigter Raubritter ist, den Gott nun seiner gerechten Strafe zuführt? Er schaute das Mädchen streng an. Fast hätte der Henker gelacht, denn das Weib starrte nur herausfordernd zurück, ohne die geringste Ehrfurcht vor dem Amt des Büttels an den Tag zu legen. Die Sache begann ihm Spaß zu machen. Er schaute kurz zu Falk, der etwas verwirrt dreinblickte. Doch schien der Ritter gefasst und Meister Peter zweifelte nicht daran, dass dieser ganz genau registrierte, welche Gelegenheit sich ihm hier bot, sein Leben behalten zu können.

    „Es gilt von alters her, dass ein Verurteilter vom Halsgericht freikommen kann, wenn sich jemand dazu bereit erklärt, den armen Sünder zu ehelichen", sagte die junge Frau trotzig mit fester Stimme. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Meister Peter sehen, dass Falk mühsam schluckte. Ob aus Angst davor, vom Regen in die Traufe zu kommen, weil diese Maid ihn zum Manne wollte, oder aus der verzweifelten Hoffnung heraus, nun doch sein Leben behalten zu können, das vermochte er nicht zu sagen. Aber er nahm an, dass Falk mit Sicherheit unter allen Umständen das Leben wählen würde, selbst wenn die Frau alt und hässlich gewesen wäre.

    „Weißt du nicht, dass nur der Henker selbst oder dessen Tochter einen Verurteilten heiraten können?, hörte er den Amtmann fragen. „Und, bist du die Tochter des Henkers? Wir haben dich hier noch nie gesehen. Triumphierend schaute Nikel Jobst in die Menge, die das Spektakel begeistert verfolgte. Der Henker sah, dass die junge Frau blass wurde und verzweifelt nach Argumenten suchte. Irgendwie tat sie ihm leid. Und so beschloss Peter, dem Mädchen zu helfen und die ganze Angelegenheit ein wenig zu beschleunigen.

    „Sie ist meine Tochter", sagte er mit fester Stimme.

    Die Brauen des Amtmannes fuhren in die Höhe. „Eure Tochter...?", fragte er verblüfft. Auch die junge Frau schaute ihn mit fragendem Blick an, war aber schlau genug, den Mund zu halten.

    „Wieso ist sie Eure Tochter?", fragte Nikel Jobst etwas dümmlich.

    „Nun, wie wird sie wohl meine Tochter sein, fuhr Meister Peter belustigt fort. „Meine Frau, Gott hab sie selig, und ich...

    „Ja, ja. Es reicht. Was ich meinte, war, dass hier bisher niemand wusste, dass Ihr eine Tochter habt."

    „Nun, was das betrifft, so habe ich es auch nie an die große Glocke gehangen. Das arme Kind ist auch so schon gestraft genug, mit niemandem reden zu dürfen, keine Freundin unter den anderen Mädchen zu haben und nur mit Blut und Tod in Berührung zu kommen. Deshalb halte ich sie immer im Haus und sie hat nur mit wenigen Menschen Kontakt." Peter hoffte inständig, dass seine dreiste Lüge nicht auffliegen würde. Er gefiel sich in der Rolle, selbst einmal über Leben und Tod entscheiden zu können, nicht immer nur der Ausführende zu sein.

    „Ach was?", war das Einzige, was dem Amtmann zu diesem vollkommen neuen Umstand zu sagen einfiel.

    „Und, wie es meine Tochter schon richtig kundtat, hat sie das Recht, unter dem Halsgericht ihren zukünftigen Gemahl zu wählen. Auch wenn es mir selbst nicht unbedingt gefällt", fügte er vorsichtshalber hinzu.

    Die junge Frau erkannte sehr schnell, dass es ihre einzige Chance war, nicht davongejagt zu werden und damit Falk seinem Schicksal zu überlassen, indem sie auf die Behauptung des Henkers einging. Nun war es gleich, ob sie diesen Mann nochmals berührte oder nicht. Sie fasste Meister Peter am Arm, den Anschein erweckend, dass sie Unterstützung bei ihrem Vater suchen würde.

    „Bitte gebt mich diesem Mann dort zur Frau", deutete sie auf Falk, der die ganze Farce mit zunehmender Neugier verfolgte. Bot sich hier etwa eine Gelegenheit, doch mit dem Leben davonzukommen? Er sollte verflucht sein, wenn er auf diese Scharade nicht eingehen würde. Seine Lebensgeister kehrten mit allen ihren Sinnen zurück und er warf dem Mädchen einen flehenden Blick zu, diese unglaubliche Geschichte weiter mitzuspielen.

    „Ich liebe ihn, von ganzem Herzen", hörte er sie mit leiser Stimme sagen, und fast hätte es ihn amüsiert, zu sehen, wie sie ob ihrer Worte leicht errötete, wäre er nicht in so einer misslichen Lage gewesen.

    „Und woher kennst du den Ritter, Weib?", fragte der Amtmann nun etwas gereizt, da er der ganzen Sache keinen rechten Glauben schenken mochte.

    „Er hat mir im Wald von Lounisky einmal das Leben gerettet, als ich beim Kräutersammeln von einem wilden Eber angegriffen wurde. Der Ritter wusste nicht, wer ich bin", beeilte sie sich zu sagen, um Falk wenigstens etwas Ehre bei der ganzen Angelegenheit zu lassen. Das war natürlich glatt gelogen, denn Falk hatte sie nie in diesem Wald getroffen, kannte sie gar nicht. Zumindest war er sich dessen nicht bewusst, denn sie selbst wusste von ihm bereits ihr ganzes Leben.

    „Doch, ich habe mich auf der Stelle in ihn verliebt, kann ohne ihn nicht mehr leben", fügte sie voller Theatralik hinzu.

    Die Menge johlte begeistert und schrie: „Heiraten, heiraten!"

    „Das Mädchen hat Recht, mischte sich nun auch der Priester ein. „Es ist seit Jahrhunderten Brauch, einen Verurteilten unterm Blutgerüst freizukaufen. Wie sah das aus, wenn der Vertreter der Kirche hier nur stumm beiseite stand, ohne in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen zu haben. Das war eine Sache Gottes, hier wurde über Tod und Leben entschieden. Zu schnell schien er vergessen zu haben, dass er gerade noch Falks schnellen Tod gefordert hatte. Aber zu wichtig war es ihm, als Unterstützer eines Wunders angesehen zu werden. Die meisten Menschen hier sahen die Geschichte als Gottesurteil und es würde der Kirche nur zum Vorteil gereichen, wenn sie den angeblichen Willen des himmlischen Herrschers nicht in Frage stellte. Und deshalb forderte er nun auch das Leben des Verurteilten für das Mädchen.

    „Ich werde mich mit dem Prälaten in dieser Sache beraten. Aber ich glaube, auch er sieht es als Willen Gottes an, dass dieser Mann und diese Frau das Sakrament der Ehe erhalten."

    „Nun gut, meldete sich Nikel Jobst wieder zu Wort. „Ich werde die Sache mit dem Gaugrafen besprechen. In der Zwischenzeit sperrt die beiden zusammen in das Verlies, wies er mit einem sarkastischen Lächeln seine Waffenknechte an. Sollte das dumme Mädchen ruhig spüren, was es hieß, gesetzlos zu sein.

    „Meister Peter, ich glaube, wir benötigen Eure Dienste im Moment nicht mehr, wandte er sich an den Scharfrichter. „Aber erwartet nicht, dass Ihr einen Lohn erhaltet. Schließlich habt Ihr mit Eurer Brut selbst dazu beigetragen, dass der Raubritter nicht gerichtet wird.

    Meister Peter verbeugte sich schweigend vor dem Amtmann. Letztlich war er froh, nicht weiter befragt worden zu sein, was seine Verwandtschaft mit dem Mädchen anging. Zum Glück interessierte sich niemand weiter für die Familienverhältnisse eines Henkers, der als unrein und damit als unehrenhaft galt. Die Menschen machten es sich wahrlich zu einfach, wenn es darum ging, mit den unangenehmen Dingen des Lebens nichts zu tun haben zu wollen. Von den feinen Bürgern der Stadt würde sich niemand hinstellen und einen Verbrecher, der ihnen Hab und Gut oder gar das Leben eines Familienmitgliedes genommen hatte, selbst zu richten. Dabei war es vor noch gar nicht allzu langer Zeit sogar üblich gewesen, dass ein Mann, der geschädigt war, das Urteil selbst vollstreckte. Aber jetzt, wo die Leute in schmucken Häusern in Städten wohnten, wollte sich niemand selbst die Hände mit dem Blut der Verurteilten besudeln. Es belastete ihn sehr, dieses Handwerk ausüben zu müssen, doch konnte er nichts dagegen tun, wenn er seine Familie ernähren wollte. Deshalb hielt er jetzt auch den Mund und hoffte insgeheim, dass der Ritter und das junge Weib mit heiler Haut davonkommen würden.

    „Was, um Gottes Willen, geht da unten vor sich?, fragte der Gaugraf aufgebracht den Amtmann, als dieser wieder zurückkehrte. „Wieso habt ihr die beiden zusammen wegführen lassen? Ihr solltet den Schellenberger zu Tode befördern, nicht mit einem Weib versorgen.

    „Sie ist die Tochter des Henkers, verteidigte sich Nikel. „Außerdem hat sich der Pfaffe eingemischt und die Sache zu einer Angelegenheit des Himmels erklärt, indem er es als einen Wink Gottes ansieht, dass dieses Weib gerade jetzt aufgetaucht ist.

    „Was? Wieso?" Miro von Louny war zutiefst verwundert darüber, dass der Henker eine Tochter hatte. Warum wusste er davon nichts? Doch interessierte ihn dieser Umstand erst einmal weniger. Nur, dass die Kirche nun auch noch darauf bestand, dass das Weib Recht hatte, ärgerte ihn maßlos. Der Pfaffe war ein Vertrauter des Prälaten des Passauer Bischofs. Wenn er jetzt dessen Urteil in Frage stellte, würde er sich die Kirche zum Gegner machen, und das liefe seinen ehrgeizigen Zielen, seine Macht über die Grenzen Lounys weiter auszubauen, sehr zuwider.

    „Nun gut. Soll sie diesen Kerl doch heiraten, sagte er. „Doch sobald sie die Ehegelübde abgelegt haben, erkläre ich beide für vogelfrei und lasse sie aus der Stadt jagen. Er lächelte böse. „Dann kann sie jeder wie tollwütige Füchse erschlagen. Ich glaube nicht, dass sie lange überleben. Also ist es letztlich vollkommen egal, wie der Halunke zu Tode kommt. Und das Weib hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie stirbt. Sie hat als Henkerstochter sowieso nichts mehr von dieser Welt zu erwarten. Doch führe ihr diesen Umstand nochmals vor Augen. Vielleicht überlegt sie es sich anders und hängt dennoch am Leben. Dann können wir die Sache, den Schellenberger ins Jenseits zu befördern, etwas beschleunigen."

    Falk beobachtete die junge Frau nun schon eine ganze Weile. Sie saß zusammengekauert in der Ecke unter dem Fenster, wohin sich ein Sonnenstrahl verirrt hatte, der wieder goldene Lichtreflexe in ihr Haar zauberte. Ihr Gesicht schien noch blasser als am Morgen und in ihren Augen stand die nackte Angst, als sie ihn anblickte.

    Wie ist das nur möglich?, dachte Falk. Sollte sie wirklich von Gott gesandt sein? Eigentlich hatte er nie an solche Sachen geglaubt, stand göttlichen Dingen eher skeptisch gegenüber. Was, wenn es nun doch so etwas wie Wunder gäbe? Eigentlich sollte er die Gelegenheit, womöglich doch mit dem Leben davonzukommen, beim Schopfe packen.

    „Wie heißt du?, fragte Falk. „Wie kommt es, dass du behauptest, mich zu kennen? Und, was mich am meisten irritiert, wieso sagst du, dass du mich liebst und heiraten willst? Stumm schaute ihn das Mädchen an, in ihren Augen schimmerten Tränen.

    „Nun, ich weiß nicht recht. Erst bittest du um mein Leben und jetzt scheint es dir die Sprache verschlagen zu haben. Ich hoffe, du bereust deine Tat nicht, denn eigentlich hänge ich sehr am Leben. Diese Chance, die sich mir jetzt hier bietet, will ich wahrlich nicht verstreichen lassen. Ich verspreche dir, dich reich zu belohnen, wenn du dieses Märchen noch eine Weile aufrechterhältst." Er ging vor dem Mädchen in die Hocke und schaute sie eindringlich an.

    Die junge Frau holte tief Luft und schniefte kurz. „Ich hatte meine Gründe, Euch das Leben zu retten, sagte sie zu Falks Verwunderung. „Doch bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob es eine gute Idee war. Sie schluckte kurz. „Immerhin hält mich jetzt jeder für die Tochter des Henkers." In ihr Gesicht trat ein leichter Ausdruck des Bedauerns.

    „Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Doch nun, da es einmal so ist, kannst du dieses Spiel auch noch eine Weile weiterspielen. Ich wäre dir sehr verbunden dafür", sagte er mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme. Allerdings bereute er es sofort, als sie ihn mit einem etwas weidwunden Blick anschaute.

    Fast wie das Rehkitz, was mir vor einigen Wochen vor die Armbrust gelaufen ist, dachte er. Er hatte das Reh damals laufen lassen. Warum, wusste er bis heute nicht, denn so hatte er die Tafel des Herren von Chomotau um ein beträchtliches Festmahl gebracht. Nur, dass sie kein Rehkitz war und auch nicht braune, sondern graue Augen wie der Novemberhimmel hatte und alle seine Sinne verwirrte. Falk erhob sich seufzend.

    „Was, glaubt Ihr, werden sie mit uns tun?", fragte die junge Frau ängstlich.

    „Ich hoffe, die Kirche setzt sich durch. Der Pfaffe will ein Wunder sehen. Und das glaubt er mit deiner Hilfe den Menschen vorsetzen zu können. Also denke ich, sie werden uns trauen und dann aus der Stadt jagen." Er sah, wie ihre Schultern vor Erleichterung nach unten sackten.

    „Nun, wie auch immer die Sache hier ausgehen wird, ich bin dir zu Dank verpflichtet. Falls sie mich doch hinrichten, hoffe ich, du schließt mich in deine Gebete ein. Ich schätze, dir wird nichts weiter geschehen. Vielleicht vertreiben sie dich aus der Stadt." Falk verfiel ins Grübeln und zermarterte sich das Hirn, warum ihn das Mädchen an jemanden erinnerte. Nach einer Weile schoss es ihm durch den Kopf, dass die Frau ihm noch nicht einmal ihrem Namen gesagt hatte. Wieder ging er zu ihr und blieb direkt vor ihr stehen. Sie hob den Kopf, welchen sie auf ihren Knien abgelegt hatte und schaute ihn abwartend an.

    „Wie heißt du?, fragte er erneut. „Wenn ich dich schon heiraten muss, dann will ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe. Nicht, dass ich eine Wahl hätte, setzte er mit trockener Stimme hinzu.

    Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ihr habt Recht. Verzeiht, dass ich Euch meinen Namen noch gar nicht genannt habe. Ich bin Krystina von Hauenstejn und..."

    „Von Hauenstejn!, rief Falk voller Verwunderung aus, ohne sie aussprechen zu lassen. Er hatte ja allerhand vermutet, aber ... „Wie kommt es, dass eine Jungfer von Stand sich als die Henkerstochter ausgibt. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte bisher angenommen, dass dieses Mädchen ein armes Weib irgendwo aus der Gegend war, die sich einen Vorteil davon versprach, wenn sie ihn rettete. „Habt Ihr etwas mit Kaspar von Hauenstejn zu tun?", fragte er.

    „Ja, er ist mein Onkel", antwortete sie verdrossen.

    „Euer Onkel? Und was, zum Teufel, macht Ihr dann hier in diesem Drecksloch?" Er konnte es nicht fassen. Krystina wollte gerade zu einer Antwort ansetzen. Da hörten sie draußen Schritte und alsbald wurde der Riegel aufgeschoben.

    In der Tür erschien der Priester. Mit feierlicher Miene betrat er den Raum, und Falk hoffte, dass der Gesichtsausdruck des Pfaffen verhieß, bald die Sakramente der Ehe zu erhalten und nicht die zum Sterben. Nach ihm traten die beiden Gerichtsknechte ein und schritten auf Falk zu. Ihre Mienen waren abfällig verzogen und drückten Unmut aus.

    „Da hast du Glück gehabt, Schellenberger, sagte der eine respektlos. „Der Prälat konnte den Gaugrafen davon überzeugen, dass es Gottes Wille sei, dass du dieses Mal dem Henkersschwert entronnen bist. Er packte Falk grob an den Armen und löste dessen Fesseln, denn noch immer war er mit den Stricken gebunden gewesen, die sie ihm vor dem Gang zum Schafott am frühen Morgen angelegt hatten.

    „Geh beiseite und lasse mich mein Amt verrichten." Wichtigtuerisch schob der Pater den Waffenknecht hinter sich, der daraufhin unwillig knurrte.

    „Wenn Ihr mich fragt, hätte man die Hexe gleich mit hinrichten sollen", sagte er unwirsch.

    „Dich fragt aber keiner. Der Priester legte seine Stola um. „Und jetzt stelle dich neben den Gefangenen. Es muss ja schließlich auch Zeugen geben, die bestätigen, dass der Ritter hier in den heiligen Stand der Ehe getreten ist. Nicht, dass er es sich hernach einfallen lässt, sich nach einer standesgemäßen Braut umzusehen. Er lachte hämisch auf.

    „Steh auf, mein Kind", forderte er

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