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Die Wächter von Kufstein
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eBook302 Seiten3 Stunden

Die Wächter von Kufstein

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Über dieses E-Book

Im Jahr 1504 tobt der Landshuter Erbfolgekrieg: von Regensburg bis Tirol kämpfen Wittelsbacher gegen Wittelsbacher: Elisabeth von Landshut, Tochter des verstorbenen Herzog Georg des Reichen, ist von ihm zu seiner Erbin bestimmt worden. Doch auch sein Vetter Albrecht von München erhebt Anspruch auf das Herzogtum.
Hans von Pienzenau erhielt von Georg dem Reichen den Auftrag, Kufstein für seine Tochter Elisabeth zu verteidigen. Pienzenau ist fest entschlossen, die Festung zu halten, auch als sich Maximilian I. auf Albrechts Seite schlägt und Stadt und Schloss mit einem Heer von 20 000 Soldaten belagert. Doch welche Chancen haben Pienzenau und seine Schlossbesatzung gegen die modernsten Kanonen und einem zu allem entschlossenen Gegner?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Jan. 2015
ISBN9783738693041
Die Wächter von Kufstein
Autor

Christine Höfig

Christine Höfig, geboren 1977, studierte Englische Literatur und Vergleichende Literatur. Einige Jahre arbeitete sie als Freie Journalistin, unter anderem schrieb sie für die Mittelalter-Zeitschrift Miroque. Heute betreibt sie einen Online Shop für ökologische Bekleidung. Bei der Mittelalter-Darstellergruppe Pienzenauer Schlosswacht ist sie seit 2009 dabei. Die Darstellung inspirierte sie zu ihrem Erstlingsroman.

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    Buchvorschau

    Die Wächter von Kufstein - Christine Höfig

    Jahrhundertwende…«

    Kapitel 1 – Ein neuer Auftrag

    Juni 1500, Burg Trausnitz in Landshut. Herzog Georg von Landshut saß in seinem Arbeitszimmer, das von einem großen Schreibtisch aus schwerem Eichenholz dominiert wurde. Regale an den Wänden zeigten seine beeindruckende Sammlung an ledergebundenen Büchern, daneben reichverzierte Truhen. Georg blickte nachdenklich auf ein Brett mit kunstfertig geschnitzten Schachfiguren aus Elfenbein und Ebenholz. Er war ein stattlicher Mann Ende 40 mit einem dichten, braunen Vollbart, in reiche, pelzbesetzte Gewänder gehüllt.

    Es war nicht zu erkennen, ob Georg über die Verteilung der Schachfiguren auf dem Brett nachsinnierte, oder ob ihn in Wirklichkeit ein anderes Problem beschäftigte, als es an der Tür klopfte.

    »Herein,« rief Herzog Georg.

    Ein Diener trat ein und verkündete: »Freiherr Hans von Pienzenau verlangt Euch zu sprechen. Er sagt, er sei auf Euer Geheiss hier.«

    »Endlich,« murmelte Herzog Georg. Laut sagte er: »Lasst ihn herein.«

    Der Diener trat beiseite und ließ Hans von Pienzenau eintreten. Der Freiherr war ein großer, schlanker Mann mit langen, dunklen Haaren und einem ordentlich gestutztem Bart. Seine Augen, inmitten eines edlen Gesichts, waren von einer seltsamen Mischung aus grün und braun. Er trug, der Mode der Zeit entsprechend, enge Hosen aus schwarzroten Loden, ein helles Hemd und ein Samt-Wams. Pienzenau verbeugte sich stilvollendet und wurde von Herzog Georg aufgefordert, sich zu setzen.

    »Hattet Ihr eine beschwerliche Reise, Hans?« fragte der Herzog.

    »Nicht sehr, Eure Hoheit,« erwiderte Hans von Pienzenau. Die Pienzenauer waren Freiherren, ein niederer Adelsrang, doch stand die weitverzweigte Familie hoch in der Gunst von Herzog Georg von Bayern-Landshut. Besonders Hans von Pienzenau hatte ihm schon mehrmals große Dienste geleistet.

    »Wie geht es Magdalene und den Kindern?« fragte Herzog Georg weiter.

    »Mein Weib und meine Kinder erfreuen sich bester Gesundheit,« antwortete Pienzenau, »doch habt Ihr mich sicher nicht kommen lassen, um mit mir über meine Familie zu plaudern.«

    Herzog Georg lachte herzlich. Er kannte Hans von Pienzenau nun schon seit geraumer Zeit; er war noch nie ein großer Anhänger leichter Konversation gewesen. »Nein, in der Tat, das habe ich nicht. Ihr habt mir in den letzten Jahren in Trostberg gute Dienste geleistet.«

    Pienzenau nickte nur.

    »Doch nun ist es an der Zeit, dass Ihr mir an anderer Stelle dient. Ich schicke Euch nach Kufstein.«

    Pienzenaus Augen weiteten sich erstaunt. Kufstein – ihm war natürlich klar, dass das ein wichtiger, bedeutender Posten war. An der Grenze zu Österreich war es an strategisch wichtiger Stelle gelegen – und die Veste Kufstein war auch bekannt für ihre Baukunst. Sie galt als uneinnehmbar.

    »Zuviel der Ehre, Eure Hoheit,« sagte Pienzenau.

    Herzog Georg lächelte. Dieses Abstreiten war nur eine Phrase – er sah Pienzenau genau an, dass ihn dieser Auftrag mehr als freute. Er kam einer Beförderung gleich.

    »Ihr werdet dort Johann von Ebbs ablösen,« sagte Herzog Georg beiläufig, während er eine Urkunde unterschrieb, die Hans von Pienzenau zum Pfleger von Kufstein machte.

    »Behaim von Abensberg wird das Kommando über Trostberg übernehmen.«

    Herzog Georg blickte Hans von Pienzenau scharf an. »Meine Tage neigen sich dem Ende zu, Hans. Ich spüre es deutlich.« Pienzenau blickte betroffen zu Boden.

    »Ich habe Elisabeth zu meiner Erbin bestimmt.« Hans blickte erstaunt auf. Es war absolut unüblich, eine Tochter zur Erbin zu erklären, manch einer würde sagen, ein Frevel. Hinzu kamen die Wittelsbacher Hausverträge von 1392 und 1450, die besagten, dass die Linien Bayern-Landshut und Bayern-München sich gegenseitig beerben sollten, sollte eine Linie ohne männlichen Erben sterben. Demnach wäre nach Georgs Tod eigentlich sein Cousin Albrecht von München der Nächste in der Erbfolge. »Ich halte sie für geeigneter als meinen Vetter Albrecht,« erklärte Herzog Georg. Er suchte in der Mimik Pienzenaus Anzeichen dafür, dass er bereits früher von dem Testament gewusst hatte – immerhin war sein Bruder Wolf Zeuge gewesen. Doch entweder hatte Wolf von Pienzenau sein Versprechen gehalten und nicht einmal seiner Familie den Inhalt des Testaments erzählt, oder Pienzenau war einfach ein verdammt guter Schauspieler.

    »Ihr seid sicher müde von der Reise,« sagte Herzog Georg. »Ihr seid herzlich eingeladen, mit Eurem Gefolge hier Quartier zu beziehen und heute Abend mit mir zu speisen.«

    Pienzenau verabschiedete sich vorläufig und verliess den Raum. Herzog Georg betrachtete noch einen Moment lang sein Schachbrett, dann verschob er einen Turm.

    **

    Im Innenhof der Trausnitz saßen drei Männer im Schatten einer Birke. Der eine war Anfang 30, wie Hans von Pienzenau, doch von kleinerer, gedrungenerer Statur. Seine blonden Stoppeln waren unter einer Bundhaube verborgen. Ein einfaches Leinenhemd und eine Hose aus demselben Material täuschten über seinen Stand hinweg. Hans Wamboldt von Umstatt gehörte einem alten Rittergeschlecht an. Als der vierte Sohn des alten Wamboldt vom Umstatt hatte er keinen Anspruch auf ein Erbe, und so war Hans Wamboldt in die Dienste des Freiherren Hans von Pienzenau getreten. Seit geraumen Jahren galt er nun schon als seine rechte Hand.

    Die anderen beiden Männer waren deutlich jünger. Der Bogenschütze Dieterich, vielleicht 20 Jahre alt, zog oft die Blicke der Frauen auf sich. Sein langes blondes Haar fiel weit bis auf seinen Rücken, ein verschmitztes Lächeln zierte sein Gesicht und sein Körper war schlank, doch durchtrainiert. Eher schmächtig war der Dritte, ein Junge von vielleicht 17, 18 Jahren, mit dichtem braunen Haar und mädchenhafthübschen Gesichtszügen. Er war des Freiherrn Knappe Lazarus.

    Die Drei erhoben sich, als sie den Freiherrn auf sich zukommen sahen. »Was gibt es Neues, Hans?« fragte Wamboldt.

    »Einiges,« erwiderte Pienzenau, als er seine Gefährten erreicht hatte. »Wir sind eingeladen, heute hier Quartier zu beziehen, und mit dem Herzog zu speisen. Danach reisen wir zurück nach Trostberg und bereiten unseren Umzug vor.«

    »Umzug? Wohin?« fragte Wamboldt.

    »Nach Kufstein.«

    **

    Herzog Georg liess mächtig auftischen, heute, da Gäste anwesend waren. Verschiedene Fleischsorten: Hase, Reh und Fasan, exotisch gewürzt und mit Soßen verfeinert, dazu helles, hochwertiges Brot, und zum Nachtisch Süßspeisen und Obst. Man musste ja zeigen, was man hat.

    Georgs Brokat-Kleidung war, entsprechend der neuesten Mode, an den Ärmeln geschlitzt.

    Seine Tochter Elisabeth, eine hübsche, schlanke dunkelhaarige Frau von 22 Jahren, war in einem dunkelblauen, enganliegenden Samtkleid im Burgunder-Stil gekleidet, ihre Haare unter einer Samthaube verborgen. Ihr Gatte Ruprecht, augenscheinlich ein paar Jahre jünger als sie, trug ebenfalls blauen Samt, der seine blauen Augen und das schwarze, lange Haar betonte.

    Die Halle, in der sie speisten, war mit Wandteppichen mit Jagdszenen geschmückt, echte Wachskerzen in Messing-Haltern erhellten die Tafel.

    Hans von Pienzenau und seine Begleiter hatten mittlerweile den Reisestaub abgewaschen und edlere Gewänder angezogen.

    Elisabeth lächelte Pienzenau über den Tisch hinweg an und fragte: »Wie geht es Magdalene?«

    Elisabeth und Magdalene kannten und verstanden sich sehr gut. War die eine zwar Herzogin, die andere nur eine Freifrau, waren sie doch »vom selben Schlag«. Beide sehr gebildet, auch sehr gute Reiterinnen, und sogar im Umgang mit Waffen nicht unerfahren. Dank dieser für Frauen eher ungewöhnlichen Eigenschaften erweckten sie in ihren Mitmenschen teils Bewunderung, teils Argwohn.

    »Sie hat die Geburt unseres zweiten Sohnes gut überstanden,« erwiderte Hans. Keine Selbstverständlichkeit; viele Frauen starben im Kindbett. »Wir haben ihn Andreas genannt.«

    Elisabeth selbst hatte zwei Söhne, die Zwillinge Ruprecht und Georg. Die Herzogin sprach nun davon, dass sie Magdalene beneidete, dass sie auch zwei Töchter hatte. Natürlich waren ihre Söhne Elisabeths ganzer Stolz, doch manchmal wünschte selbst eine Frau wie sie sich, Töchter in hübschen Kleidchen um sich zu haben.

    Hans nickte höflich. Er liebte seine Kinder zwar, war aber ganz froh, dass sich um die Erziehung die Amme Margret kümmerte und er Zeit für wichtigere Dinge hatte. Der ältere Sohn, Friedrich, war nun schon seit einigen Jahre Page bei Christoph von Layming. Hans wähnte ihn dort gut aufgehoben. Elisabeths Söhne waren noch zu jung, um als Pagen an andere Höfe geschickt zu werden. Doch natürlich wurden auch sie mehr von der Amme als von der Herzogin erzogen. Lediglich Bauern und Handwerker erzogen ihre Kinder selbst, sogar reiche Kaufleute leisteten sich ein Kindermädchen.

    Zu späterer Stunde wurden die Gespräche doch politischer. »Albrecht wird nicht erfreut sein über Euer Testament, Oheim,« sagte Ruprecht. Der sonst recht schweigsame junge Mann wurde leutselig nach einigen Bechern Wein. »Ich kann mir vorstellen, dass er toben wird,« Ruprecht kicherte.

    »Ich fürchte, das wird Anlass zu einem Krieg geben,« warf Elisabeth ernst ein.

    »Und deswegen ist es mir wichtig, gute Leute an strategisch wichtige Orte zu setzen,« erwiderte Herzog Georg. »Was meint Ihr, Hans, wer würde sich als Pfleger von Rattenberg eignen?«

    Pienzenau dachte einen Moment lang nach. Sollte er jemanden aus der Verwandschaft empfehlen? Zwei seiner Brüder waren in den geistlichen Stand eingetreten und fielen daher aus, und Wolf war eher ein Beamter, weniger ein Kämpfer. Wie würde er sich in einem Krieg an strategisch wichtigen Stellen machen? Da musste ein Krieger hin.

    »Freiherr Christoph von Layming,« sprach Pienzenau, »wir haben Seite an Seite im Krieg gegen die Franzosen gekämpft und er hat sich viele Ehren erstritten.«

    Herzog Georg lächelte. »Ich erinnere mich. Ihr wart damals wie alt, 17,18?«

    »19,« erwiderte Pienzenau.

    »Beide noch im Knappenalter und doch hochgelobt für einen Kampfesmut, der den so mancher Ritter übertraf,« sagte Herzog Georg.

    Pienzenau schwieg, während sein Knappe Lazarus ihn mit glühender Verehrung anblickte. Dann zuckte Pienzenau mit den Schultern und sagte mit bitterem Unterton. »Erst 13 Jahre ist das her. Doch wie haben sich die Zeiten geändert? Die Ritter, die früher als die Elite eines jeden Heeres galten, sind nun im besten Fall Strategen, die die Truppen leiten, im schlimmsten Fall Räuber, die vom Überfall auf Reisende leben. Armbrüste, Langbögen und Schießpulver können mühelos die schweren Rüstungen durchschlagen, und die Schlachten werden mehr durch Kanonen entschieden als durch die berittenen Einheiten.«

    Dieterich, der Bogenschütze, hätte in weniger hoher Gesellschaft jetzt wohl eine flapsige Bemerkung gemacht, dass, wenn Pfeil und Bogen auch als unehrenhaft galten, es doch sehr effektive Waffen waren. Hier schwieg er lieber; unter Gleichrangigen oder niederem Adel wie Freiherren fühlte er sich bedeutend wohler.

    Kapitel 2 – Umzug nach Kufstein

    Die Sonne neigte sich zum Horizont und tauchte die Festung Trostberg in ein rotes Licht, als Hans von Pienzenau und seine Gefährten zurückkamen.

    »Wer da?« rief ein Bewaffneter in Brigantine und mit Helm von den Zinnen herab.

    »Euer Herr ist zurück!« rief Pienzenau gutgelaunt zurück.

    Der Bewaffnete spähte nach unten, dann hieß er, das Tor zu öffnen.

    Pienzenau, Wamboldt, Dieterich und Lazarus ritten in den Burghof. Der Gerüstete, ein großer, hagerer Mann mit schulterlangen, feinem schwarzen Haar und scharfen Gesichtszügen kam die Stufen von der Mauer herabgeklettert.

    »Mein Freiherr,« grüßte er, dann rief er einigen Bediensteten zu: »Die schöne Zeit ist vorbei, der Herr ist wieder da.«

    Pienzenau lachte und erwiderte: »Nicht mehr lang, aber diesmal wirst du uns begleiten, Falk. Wir ziehen im Juli nach Kufstein um.«

    »Kufstein,« der Falk genannte dehnte die Silben wie um den Klang des Wortes zu testen. »Gefällt mir!« entschied er.

    Pienzenau lächelte. Falk war Magdalenes Bastard-Bruder, der Sohn des Werner von Seiboltsdorf und einer Küchenmagd. Magdalene und Falk waren wie richtige Geschwister auf der Burg ihres Vaters aufgewachsen. Bei ihrer Heirat war er als ihr Leibwächter mit zu Pienzenau gekommen. Hans setzte ihn gerne als Wachposten ein.

    Heute war Falk sichtlich gut gelaunt, aber Hans kannte ihn auch anders. An manchen Tagen wurde Falk von unerklärlichem Schwermut niedergedrückt, an anderen war er wieder zu ausgelassenen Scherzen aufgelegt.

    Bedienstete kümmerten sich um die Pferde der Reisenden, während Falk sie in die Gemäuer begleitete.

    Magdalene fanden sie schließlich in der Küche, einem großen Raum mit mehreren Herden, die wie Öfen mit Feuer geheizt wurden. Töpfe und Pfannen hingen an Haken an den Wänden, getrocknete Kräuter verbreiteten einen angenehmen Duft. Magdalene gab der Köchin und den Mägden gerade Anweisungen für das Essen. Die große, schlanke Frau trug ein blaues Wollkleid, das sich nur durch die Zierbänder und die metallenen Knöpfe von den Kleidern der Mägde unterschied. Schwarze Locken spitzen unter dem Kopftuch hervor.

    Hans von Pienzenau begrüßte seine Frau mit einer stürmischen Umarmung. Zwar waren sie, wie alle Adeligen, aus politischen Gründen miteinander verheiratet worden, doch hatte sich Hans bald in sie verliebt. Ihm imponierte ihr scharfer Verstand, ihr Mut und ihre Ehrlichkeit, dazu hatte sie ein gutes Herz. Für das spätmittelalterliche Schönheitsideal war sie etwas zu dunkel, etwas zu groß, doch für ihn war sie die Frau seiner Träume.

    Magdalene erging es nicht viel anders: sie liebte ihren kriegerischen, wenn auch manchmal etwas sturen Ritter von ganzem Herzen.

    »Und, was wollte Herzog Georg von dir?« fragte Magdalene.

    »Wir ziehen um,« erwiderte Pienzenau. »nach Kufstein.«

    »Kufstein,« Magdalene ging im Geiste bereits die Reisevorbereitungen durch. »Eine beschwerliche Strecke, wenn ich mich nicht täusche. Wann müssen wir aufbrechen?«

    »In vier Wochen, wenn Behaim von Abensberg uns hier ablöst,« erwiderte Hans.

    **

    Es war durchaus üblich im 15. Jahrhundert, dass ein Fürst niedere Adelige als Pfleger auf Burgen und Festungen in seinem Reich einsetzte. Diese hatten verwaltungstechnische Aufgaben, aber auch die Jurisdiktion lag in ihrer Hand. Ein Pfleger übte sozusagen die Ämter eines Landrates und eines Amtsrichters aus. Derselbe Ritter oder Freiherr konnte für wenige Jahre oder auch mehrere Jahrzehnte auf derselben Burg Verwalter sein, je nachdem, wo ihn sein Landesfürst einsetzte.

    Das bedeutete nicht, dass die Freiherren und Ritter nicht auch eigene Ländereien hatten. Je nach Reichtum der Familie gehörten ihnen unterschiedlich große Gebiete. Die Pienzenauer waren eine weitverzweigte Familie, die in ganz Bayern verteilt war. Schloß Baumgarten bei Pfarrkirchen zum Beispiel war Ende des 15. Jahrhunderts im Besitz der Pienzenauer. Hans hatte drei Schwestern und drei Brüder, Warmund und Christoph waren in den geistigen Stand eingetreten, Wolf verwaltete unter anderem Baumgarten.

    **

    Juli 1500

    Geschäftiges Treiben herrschte im Burghof von Trostberg. Karren und Lasttiere wurden beladen, Menschen rannten hektisch hin und her.

    Wamboldt überwachte die letzten Reisevorbereitungen. Es galt Truhen auf den Karren zu verstauen, Tische, Bänke und Betten zu zerlegen und auf die Wägen zu hieven, auch einiges an Vieh…

    »Obacht!« rief Wamboldt, aber zu spät. Eine Kiste fiel, bevor Wamboldt den Karren erreichen konnte, hinunter, direkt auf den Fuß der Magd Irmi. Das blonde Mädchen schrie und stürzte.

    Wamboldt rannte herbei und ging neben ihr in die Hocke, ebenso wie der Schmied Wolfgang.

    Wamboldt wischte sich den Schweiß von der Stirn, während er fragte: »Bist du verletzt?«

    »Mein Fuß,« jammerte Irmi, Tränen liefen ihr die Wangen herab.

    Wamboldt blickte auf ihren Holzschuh. Er war zersplittert, obwohl es recht dickes Holz war. Vorsichtig zog er ihr den Schuh vom Fuß. Ihr Strumpf war rot von Blut. Der Schmied, ein junger, schlanker Mann, sah sie besorgt an.

    »Das wird schon wieder,« sagte Wamboldt. Suchend blickte er sich nach der Amme Magret um. Die dicke Frau kam schon herbei, kniete neben Irmi nieder und zog ihr den Strumpf vom Fuß.

    »Du blutest am Rist,« sagte sie, »aber keine Holzsplitter drin.« Während sie Irmis Fuß mit einem Tuch verband, meinte sie lachend: »Du hast Glück, Irmi, du wirst die ganze Reise auf einem der Karren sitzen können. Die anderen Mägde müssen sich abwechseln mit dem zu Fuß gehen!«

    Irmi verzog das Gesicht, denn sie fand nicht, dass sie Glück hatte, verletzt zu sein.

    Wamboldt richtete sich auf: »Los, Wolfgang!« rief er, »die Truhe muss wieder auf den Karren!«

    Natürlich zog Hans von Pienzenau mit Kind und Kegel, und vor allem auch seinem Personal um. Neben seiner Frau und drei Kindern beinhaltete das also Wamboldt, Magdalenes Bastard Bruder Falk, ihre Zofe Anna, die dicke Amme Margret, einige Kriegsknechte, der Knappe Lazarus, Pater Linhart de Pildenaw, einige Mägde und Knechte, die die Wägen und die Kutsche lenkten. Endlich war es soweit, alles war gepackt und Hans und Magdalene hatten sich von Pienzenaus Nachfolger verabschiedet, der gestern mit Gefolge in der Burg angekommen war. Auch die Magd Irmi saß zwischen all dem Gepäck auf einem der Wagen.

    »Also, los!« befahl Wamboldt und der Zug setzte sich in Bewegung. An vorderster Stelle ritten Wamboldt und Hans, dahinter kam die hölzerne Kutsche, in der Magdalene mit den Kindern, der Amme und der Zofe weilte. Ihr Pferd wurde vom Knappen Lazarus mitgeführt, der neben der Kutsche ritt. Als nächstes kamen die von Ochsen gezogenen Karren, auf denen sich auch Mägde und Knechte verteilten. Einige liefen zu Fuß neben den Karren her. Den Abschluss bildete Falk auf seinem Rappen, der darauf acht gab, dass niemand verlorenging.

    Wamboldt warf einen wehmütigen letzten Blick zurück, bevor Trostberg außer Sichtweite. Er hatte sich hier sehr wohl gefühlt... aber sicherlich würde ihm Kufstein auch gefallen.

    **

    Vier Tage dauerte die Reise. In den Nächten rasteten die Reisenden zweimal in Gasthöfen, einmal schlugen sie auch auf dem Felde ihre Zelte auf. Es war eine beschwerliche, holprige Strecke durch Täler und Berge. Auf den Karren und auch in der Kutsche wurde jede Bewegung auf die Reisenden übertragen, so dass ihnen am Abend alle Knochen schmerzten. Reiten war auf Dauer auch nicht besser, denn das erzeugte Schmerzen im Gesäss. Zu Fuß war in vielerlei Hinsicht angenehmer, doch auch anstrengend. Kurz: es gab keine wirklich angenehme Art zu reisen im 15. Jahrhundert. Doch beklagte sich Keiner aus dem Gefolge der Pienzenauer: man war an ein beschwerliches Leben gewöhnt.

    Am späten Nachmittag des vierten Tages waren die Pienzenauer schließlich nahe Kufstein. Man konnte die Stadt schon sehen, obwohl sie noch etwa eine Stunde Wegstrecke entfernt lag.

    Nun war es an der Zeit, sich für den Einzug in die Stadt bereit zu machen. Der neue Burgherr konnte ja schlecht verschwitzt und in dreckiger Kleidung einreiten.

    Ein kleiner Bach floss am Wegesrand vorbei. Hier wuschen sich die Reisenden geschwind, bevor es daran ging, die Kleidung zu wechseln. Hans liess sich von seinem Knappen Lazarus seine Prunkrüstung anlegen. Im Gegensatz zu der Kampfrüstung war sie stark verziert, taugte aber auch nicht wirklich für Gefechte. Doch Kämpfe waren nicht zu erwarten heute. Zunächst ein schwarz-rotes Gambeson, so nannte man die gefütterten Rüstmäntel. Dann Beinschienen, Brust und Rückenpanzer, Kragen und Schulterstücke. Lazarus war mittlerweile geübt und konnten seinen Herrn innerhalb einer Viertelstunde anrüsten.

    Wamboldt liess sich ebenfalls von einem Knecht in die Rüstung helfen; im Gegensatz zu seinem Freiherrn hatte er nur eine Kampfrüstung. Auch die Kriegsknechte legten ihre Rüstungen an. Zumeist bestanden sie nur aus Brust- und Rückenpanzern oder einer Brigantine, einer Rüstung aus Metallplatten, die mit Leder überzogen waren, und eine hohe Beweglichkeit garantierten.

    Magdalene zog sich in ihre Kutsche zurück, wo ihre Zofe Anna, ein hübsches, rothaariges Mädchen von 16 Jahren, ihr in ihr Gewand half. Magdalene wählte ein weinrotes Samtgewand im enggeschnittenen, burgundischen Stil. Knöpfe an der Seite dienten teils zur Zierde, teils war das Kleid so eng, dass Magdalene sonst nicht hätte hineinschlupfen können. Die engen Ärmel behinderten ihre Bewegungsfreiheit, so dass sie tatsächlich eine Zofe zum Ankleiden brauchte, da sie die Knöpfe nicht allein hätte schließen können. Auch beim Aufsetzen ihrer Hörnerhaube war ihr Anna behilflich. Diese Samtkappe hatte zwei aufgenähte Hörner aus einem Holzgeflecht, das ebenfalls mit Samt bezogen war. Auf den Spitzen der Hörner war ein Schleier befestigt, und die Haube selber reich mit Perlen und Silberschmuck verziert.

    Auch im restlichen Gefolge zogen sich alle ihr bestes Gewand an – schließlich wollte ein jeder beweisen, dass der Freiherr es sich leisten konnte, sein Gefolge gut auszustatten. Schließlich setzte sich der Zug erneut in Bewegung. Kurz vor Kufstein prüften sie noch einmal die Reihenfolge. Kriegsknecht Ulf war mit dem Banner an der Spitze – eine silber-weisse Flagge mit einem Querbalken und drei goldenen Ballen. Dahinter Hans Wamboldt vom Umstatt, hinter ihm zu Pferde das Freiherrenpaar, dahinter der Knappe Lazarus. In der Kutsche die Kinder mit Amme und Zofe, dann gerüstete Soldknechte, der Tross – also Knechte und Mägde auf den Karren, die die Kisten transportierten. Das

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