Der Investigator: Krimi aus dem Vest Recklinghausen
Von Gerhard Nattler
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Über dieses E-Book
investigativer Journalist und leidenschaftlicher Jäger, wird tot auf seinem Hochsitz im Hervester Bruch aufgefunden. Dem ersten Anschein nach war er einer Bande von Wilderern auf der Spur. Doch dann stoßen die Kommissare Berendtsen und Hallstein bei ihren Ermittlungen auf Verbrechen in großem Ausmaß.
Gerhard Nattler
Nach naturwissenschaftlichem Studium und Aufenthalten in Süddeutschland, der Schweiz und Münster / Westf. ist der Autor in seine Heimatstadt Dorsten zurückgekehrt und hat 30 Jahre lang einen Betrieb aufgebaut und geführt. Nach dessen Verkauf hat er mit dem Schreiben angefangen.
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Buchvorschau
Der Investigator - Gerhard Nattler
Inhalt
Gerhard Nattler
KOMMISSAR BERENDTSEN
der inVESTigator
Krimi
aus dem VEST Recklinghausen
Impressum
Texte: © Copyright by Gerhard Nattler
Umschlag: © iStock.com/ralfgosch
Gestaltung: Katharina Erhardt
Verlag: VGbR
Lessingstr. 1
45896 Gelsenkirchen
Druck: epubli, ein Service der
Neopubli GmbH, Berlin
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Kapitel 1.
Adebar, durch sein weißes, in der Sonne glänzendes Federkleid weithin sichtbar, beobachtete von seinem Thron aus sein Revier im Hervester Bruch und gab Acht auf seine Gattin Luise, die geduldig ihren Nachwuchs bewachte. Sein Kollege in einigen hundert Metern Entfernung, der in seinem Revier nach Fröschen suchte und dabei sehr erfolgreich war, ließ ihn gleichgültig. Er störte ihn nicht, denn es war für alle genug Nahrung vorhanden. Werner hatte alles unter Beobachtung: das Moor, den Wald, die feuchten Wiesen mit vielen bunten Blumen und den kleinen See. Die vielen Besucher, die ihre Fahrräder an den Zaun gelehnt hatten, und die anderen Leute, die sich zu Fuß auf den Weg gemacht hatten, um ihn und seine Gattin zu bewundern, ließen ihn kalt. Auch der Hochsitz, der seit Jahren in einiger Entfernung einsam am Waldrand Wache hielt, passte in sein gewohntes Bild. Was er nicht sah, war der Mensch, der oben in einer Ecke des Ansitzes lag. Zusammengesackt, von Fliegen und Mücken umschwirrt, mit Maden übersät. Seit einigen Tagen lag er dort. Regungslos.
****
Oberstudiendirektor Dr. Otto Brinkhoff, seines Zeichens promovierter Biologie- und Chemielehrer am Gymnasium Petrinum, befand sich seit einem Jahr im Ruhestand. So konnte er sich jetzt ganz seinem Hobby widmen, Flora und Fauna in unberührter Natur zu beobachten. Sein Taschenhandbuch zur Bestimmung der heimischen Pflanzen- und Tierwelt hatte er inzwischen durch eine App auf seinem Smartphone ersetzt nebst einem Notizbuch, in das er Beobachtungen von selten zu sehenden Pflanzen und Tieren samt Fotos säuberlich eintrug. Sogar Tonaufnahmen konnte er speichern. Er brauchte diese Hilfsmittel nur selten und nur in fremder Umgebung, wie bei einem Ausflug in die Eifel oder den Harz, und dann auch nur zu seiner Eigenkontrolle. Unsicherheit konnte er bei sich ebenso wenig leiden wie früher bei seinen Schülern die Fehler. Bisweilen veranstaltete er Seminare für Studenten. Er wanderte mit ihnen durch die verschiedenen Landschaften Deutschlands und erklärte den Studenten der Biologie und Pharmazie die Pflanzen mit volkstümlichen Namen und lateinischer Nomenklatur, Eigenschaften und bevorzugten Standorten. Gegebenenfalls wusste er auch die Bedeutung als Heilpflanze zu erläutern. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf Moose und Flechten, denen seiner Meinung nach nicht die Aufmerksamkeit zuteilwurde, die ihrer Bedeutung für die Natur entsprach. Das alles veranstaltete er kostenlos und mit großer Begeisterung, denn die Erhaltung der Natur lag ihm am Herzen. Auch freute es ihn, wenn er bei der Schar der Jugendlichen, die ihn auf den Exkursionen umringte, auf Interesse stieß. Als Otto der Große war er unter den Studenten eine Institution, bekannt von Münster bis Köln und darüber hinaus. Von Frühjahr bis zum Herbst war er stets einmal am Tag in der freien Natur unterwegs. Meistens morgens in aller Frühe, »wenn die Natur erwacht«, wie er mit Glanz in den Augen zu verkünden pflegte.
Auch heute war Otto der Große wieder unterwegs. Seinen Namen verdankte er ehemaligen Schülern – nicht nur wegen seiner Größe von zwei Metern, sondern auch wegen der Autorität, die er als Direktor der Schule sowohl bei den Schülern und Eltern als auch innerhalb des Kollegiums genossen hatte. Sein Auto hatte er im Hervester Bruch auf dem kleinen Wanderparkplatz abgestellt. Zunächst ging er der gerade aufgehenden Sonne entgegen und war begeistert über dieses wunderbare Schauspiel. Oben auf der kleinen Brücke hatte er weite Sicht. Er entschied, die Situation mit seinem neuen Filteraufsatz auf dem Objektiv einzufangen. Vier Versuche brauchte er für ein vollkommenes Foto. Kurz darauf bog er rechts ab in den Wald und nahm Kurs auf den Hochsitz. Er hatte vor, sich mit einem Freund zu treffen, der ihm einen Teilalbino unter seinen Rehen zeigen wollte. Mit Fotoapparat, Filmkamera und einem Mikrofon bepackt, wollte er Material sammeln für sein Vorhaben, ein »kleines Bilder- und Notizenbuch« über den Hervester Bruch zu schreiben. Das Bild, das er gerade geschossen hatte, hielt er nicht ungeeignet für ein Titelbild.
Die Luft war mit siebzehn Grad noch angenehm an diesem frühen Augustmorgen um halb acht, aber er ahnte schon, dass heute wieder ein sehr warmer Tag anbrechen wollte, vielleicht mit einem kräftigen Gewitter gegen Abend.
Kapitel 2.
»Als Hauptkommissar Albert Berendtsen und sein Assistent Kommissar Oliver Hallstein am Hochsitz eintrafen, war die Spurensicherung schon in vollem Einsatz. Wie immer rannten sie wie die Ameisen umeinander herum. Zwei Fotografen schossen ununterbrochen Fotos. Für einen Außenstehenden schien es ein wirres Durcheinander zu sein, aber jedermann kannte seine Aufgabe und sie arbeiteten sehr effektiv, wie die Kommissare zugeben mussten.
Willi Schmidt, der Leiter der Spurensicherung erspähte seinen Freund Albert, der sich von einer kleinen Aussichtplattform einen Überblick über das Gelände verschaffte, und winkte ihm oben vom Hochsitz aus zu.
»Albert! … Hier bin ich! Hallo!«
Berendtsen winkte kurz zurück zum Zeichen, dass er ihn erkannt hatte, und machte sich auf den Weg zum Hochsitz. Zuerst musste er einmal wieder unter dem rot-weißen Absperrband hindurch. »Wie viel Absperrband er in seinem Leben über- oder unterquert hatte … eine Firma zur Herstellung von Absperrband müsste man haben …«, ging ihm durch den Kopf. Berendtsen blickte skeptisch zu Schmidt, Spurensicherung, und Rother, Pathologin, hoch. Die Leiter schien aufgrund des Grünbelags auf den Stufen und an den Holmen nicht die neueste zu sein. Er fühlte und rüttelte an mehreren Stufen bis Willi ihn beruhigte.
»Alles solide, keine Bange. Wir sind auch heraufgekommen. Nur Mut. Das oberste Brett bitte nicht betreten. Sieht nach einem Fußabdruck aus.«
Die Stufen hielten, aber Berendtsens Magen nicht. Er konnte sich gerade noch über die Brüstung lehnen. Von oben besah er sich das Malheur.
»Drei Tassen Kaffee und eine Schnitte Bauernbrot mit leckerer Mettwurst direkt von Humberts Biohof«, krächzte er. »Tut mir leid, Willi.« Er spuckte mehrmals aus. Jemand brachte eine Flasche Mineralwasser die Leiter herauf und ein anderer bot den Verschluss seiner Thermoskanne an. Er trank zuerst vorsichtig, danach zügig. Schließlich fischte er blind zwei Gummibärchen aus der Tasche seines Jacketts und neutralisierte den Geschmack einigermaßen. Dann ging es ihm besser. Er atmete tief durch.
»Macht nichts, Albert«, lachte Willi. »Man sollte meinen, du wärest aus Hamburg noch andere Kaliber gewöhnt. Auf der Reeperbahn geht man doch auch nicht gerade pfleglich miteinander um.«
»Messer kenne ich, Schusswaffen in den Kopf auch, sogar Tötung durch Schrotverletzungen im Gesicht bin ich gewöhnt, aber das hier … Maden, Insekten, Ameisen und was nicht alles … allein der Geruch …«. Berendtsen zeigte mit dem Fuß auf den Stiefel des toten Jägers. »Ist das eine Schnecke? Mein Gott, der arme Kerl.« Er drehte sich kurz ab, um frische Luft zu schnappen. Willi band ihm einen Mundschutz mit dem Geruch frischer Minze um. Alsdann erläuterte er Albert den Ablauf.
»Also … die Lage stellt sich folgendermaßen dar: Der Schütze hat von unten geschossen. Unser Freund hier stand direkt am Eingang zu dieser Kabine … also hier. Entweder hat er seinen Killer gehört oder gesehen, oder … dieser hat ihn gerufen, so dass er nachschaute. Der Täter hat sofort losgeballert. Großes Kaliber, geeignet für dicke Bachen. Manche gehen damit auch auf Rotwild. Der Mann ist sofort umgefallen. Name und Anschrift haben wir. Es handelt sich um Karl-Heinz Hillebrandt aus Sythen. Einundvierzig Jahre wäre er in der nächsten Woche geworden. Er hatte seinen Jagdausweis in dem Rucksack.«
Berendtsen blickte sich um.
»Den Rucksack haben wir schon in Verwahr genommen. Der ist schon bei den Utensilien in unserem Auto. Den nehmen wir uns im Institut vor.«
»Wie ist die Leiche entdeckt worden? Ich schätze mal, sie liegt schon einige Tage hier.«
»Die Rother sagt, mindestens … also sie wollte sich nicht festlegen, aber sie schätzt auf fünfzig bis sechzig Stunden. Es ist nicht so einfach, sagt sie, weil die Leiche die ganze Zeit auf dem Hochsitz gelegen hat. Da sind die Viecher, die an ihm herumkrabbeln anders, als wenn er auf dem Boden gelegen hätte. Sie muss erst die Maden und den Entwicklungsstand der Larven bestimmen.«
Berendtsen war immer wieder überrascht, mit welcher Coolness Willi die Vorgänge zu erläutern wusste. »Also seit Montag. Kaum zu glauben. Hier gehen so viele Leute vorüber und der liegt hier oben und wird nicht bemerkt. Von unten und von der Plattform aus ist nichts zu sehen. Ich komme gerade von dort. Man sieht nicht einmal das Schwirren der Mücken.«
Willi sah Albert suchend umherschauen »Oliver steht dort etwas abseits mit Otto dem Großen. Der hat die Tat entdeckt.« Willi deutete mit seinem Kopf in die Richtung.
»Wer?«
»Otto der Große ist hier in Hervest eine Institution. Erkläre ich dir mal später. Er geht früh morgens auf Safari mit Kamera und Richtmikrofon. Er beobachtet Vögel und Wild, nimmt ihre Laute auf und macht Fotos von ihnen und von den Pflanzen hier. Er hat schon zwei Bücher veröffentlich. Gute Bücher über die Natur.«
»Wann sehen wir uns?« Berendtsen hatte schon einen Fuß auf der Leiter.
»Ich denke, morgen früh gegen zehn Uhr habe ich alles ausgewertet und Michaela meint, sie kann es bis dahin ebenfalls schaffen.«
»Michaela? Die Rother, glaube ich?«
»Ja. Sie will es versuchen.«
»Bis dann. Ich sehe mal nach Hallstein und unserem Karl dem …«
»Otto dem Großen!«, rief Willi ihm nach. Vertue dich nicht. Da ist er eigen!«
»Otto«, murmelte Berendtsen noch mehrmals vor sich hin und forschte in seinem Handy nach der Geschichte Otto des Großen.
Hallstein stellte seinen Chef vor: »Hauptkommissar Berendtsen von der Mordkommission in Recklinghausen. Er leitet die Untersuchungen. Dieser Herr ist Oberstudiendirektor Dr. Otto Brinkhoff, der die Tat entdeckt hat.«
»Im Ruhestand«, ergänzte er sofort.
Berendtsen gab ihm die Hand. »Sie scheinen in dieser Gegend bekannt zu sein und weit und breit einen guten Ruf zu genießen.«
»Wenn man mehr als dreißig Jahre in einer Stadt wie Dorsten die Ober- und Mittelstufe und auch einmal Sextaner unterrichten durfte, dann soll man wohl bekannt werden, nicht wahr. Die meisten von den Schülern sind schon im Beruf, bis auf die, die noch im Studium sind. Das letzte Abitur habe ich vor zwei Jahren abgenommen.« Dann kam er auf sein Thema. Langzeitstudenten. Früher hätte es das nicht gegeben. Von seiner Abiturientia kenne er niemanden, der nicht in angemessener Zeit sein Studium abgeschlossen habe. Sein Kollegium hatte noch mit dem rechten Anspruch ausgebildet. Berendtsen hörte mit einem Ohr zu. Dann machte Otto eine Pause in seinen Ausführungen, weil er seinen Feldstecher dem Futteral entnahm, um den Storch zu beobachten, der gerade zum Landeanflug ansetzte. Berendtsen ergriff seine Chance, wollte die Ansichten allerdings nicht kommentieren, sondern besann sich auf die Aufgabe, diesen Zeugen zu befragen.
»Sie gehen also häufig in der Frühe spazieren. Heute waren Sie hier unterwegs. Warum heute? Hatte das einen bestimmten Grund?«
»Ich gehe auch hier bisweilen meine Runde. Heute allerdings gab es einen Grund. Ich war hier mit Kalle verabredet. Er wollte mir ein geschecktes Reh zeigen, das seit einem Jahr in seinem Revier lebt. So etwas ist recht selten, nicht wahr, und ich wollte es fotografieren«. Er präsentierte selbstbewusst seine Nikon mit dem beinahe Furcht einflößenden Teleobjektiv, auf das selbst ein Paparazzo stolz gewesen wäre. »Er hoffte, es mir heute oder in den nächsten Tagen zeigen zu können. Jetzt beginnt die Sprungbildung, nicht – nicht wahr, und die Wahrscheinlichkeit, es zu Gesicht zu bekommen, ist groß.«
»Sie kennen Herrn Hillebrandt näher?«
»Seit fünfundzwanzig Jahren. Ich habe ihn vier Jahre in Biologie unterrichtet und ein Jahr Chemie in Klasse Acht. Er hat schon früh seine Freude am Waidwerk erkannt. Sein Vater war begeisterter Jäger. Der alte Hillebrandt, Heinz, kam immer zum Elternsprechtag. Wir haben mehr über die Jagd erzählt als über die Leistungen seines Sohnes, die im Übrigen ganz hervorragend waren. Kalle ist später Journalist geworden und arbeitete bei der Ruhrzeitung. Teilweise schrieb er auch als freier Mitarbeiter für überregionale Zeitungen und Jagdjournale. Er testete Waffen und Munition und berichtete darüber.«
»Sind Sie ebenfalls Jäger?«, wollte Hallstein wissen.
»Ich habe keine eigene Jagd, aber einen Schein. Habe aber eine Ewigkeit nicht mehr angelegt. Zuschauen tue ich noch gerne.«
»Wie haben Sie den Toten gefunden?«
»Ich kam vom Parkplatz, nicht wahr, und sah seinen Wagen dort am Waldrand stehen. Ich vermutete ihn auf dem Anstand. Ich habe mehrmals mit dem Klötzchen auf den Leiterholm geschlagen, mit dem wir uns anmelden. Tack – tacktack. Rufen geht oft nicht, weil dann schnell das Wild erschreckt. Oben angekommen habe ich ihn entdeckt. Schlimm! Ich wäre beinahe rückwärts die Leiter hinuntergefallen. Nachdem ich mich einige Minuten unten im Gras von dem Schreck erholt hatte, habe ich die Polizei gerufen. Bis zum Schluss habe ich gehofft, dass es nicht Karl-Heinz ist. Es tut mir sehr leid. Ich kann es nicht fassen. Er war immer ein anständiger Kerl, nicht wahr.«
»Haben sie eine Vermutung, wer ihn erschossen haben könnte?«
»Um Gottes willen! Nein! Ich kenne nur Kalle, nicht sein Umfeld … außer seiner Frau und seiner Tochter und ein paar Freunden von manchem Beisammensein. Er war freundlich zu jedermann. Ich kenne niemanden, der ihm Böses gewollt hätte.«
»Aber eine Person muss es gegeben haben. Denken Sie nach.« Berendtsen bat ihn, sich in den nächsten Tagen auf dem Revier zu melden, um das Protokoll aufzunehmen, und vergewisserte sich, dass Hallstein seine Adresse notiert hatte. Brinkhoff steckte Berendtsens Karte in sein Portemonnaie, tippte an seinen Hut und wollte schon zu seinem Auto zurückkehren, als Berendtsen noch eine Frage stellte: »Sie kannten Herrn Hillebrandt näher. Waren Sie eng befreundet? Wie war ihr Verhältnis zu dem Toten?«
»Da gibt’s nichts zu berichten. Wir haben uns ab und an getroffen, manchmal haben wir uns hier verabredet, manchmal sahen wir uns zufällig in der Fußgängerzone. Von Zeit zu Zeit haben wir gemeinsam an Exkursionen teilgenommen. Im letzten Oktober waren wir zusammen bei einer Treibjagd im Allgäu am Forggensee. Kennen Sie Hopfen am See? Wunderschönes Örtchen. Sie sollten …«
»Im Augenblick nicht so wichtig, Herr Oberstudienrat.«
»A. D.«, fügte er sofort hinzu. »So viel Zeit muss sein. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Also: wenn es etwas Besonderes gab, hat er mich angerufen. In der vorigen Woche hat er mir ein Foto von seinem Reh gemailt und mich eingeladen, mit ihm auf dem Anstand danach Ausschau zu halten. Er kannte mein Vorhaben, das Buch über diese Gegend zu schreiben. Da wären ein paar Fotos von dem Tier gut angekommen. Er hat mir auch bei den anderen beiden Büchern geholfen. Er hatte Journalismus studiert und dadurch Beziehungen zu Verlegern.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal getroffen?«
»Telefoniert haben wir am letzten Sonntag. Er hat mich angerufen und mir diesen neuen Termin vorgeschlagen. Ursprünglich hatten wir uns für Montag verabredet, aber den Termin hat er am letzten Dienstag abgesagt. Getroffen haben wir uns vor …« - er sah in seinem Handy nach - »vor sechs Wochen zum Grillen in unserem Garten. Er hat einen Rehrücken mitgebracht. Ja, da fällt mir ein, vor zwei Wochen habe ich ihn in der Stadt getroffen. Wir haben nur kurz gesprochen. Er hatte es eilig.«
»Was war er für ein Mensch?«
»Er war ein netter Kerl, sympathisch, bei allen beliebt, nicht wahr. Wer ihm das angetan hat …? Ich weiß es nicht? Es tut mir sehr leid. Er war wie ein Freund für mich.«
»Seine Frau? Hatten Sie Kontakt zu ihr?«
»Die Marianne? Natürlich kannte ich sie. Sie war auch beim Grillen dabei. Meine Frau und ich waren manchmal bei ihm in Sythen zu Besuch, z. B. im letzten Jahr auf seinem vierzigsten Geburtstag. Dabei habe ich nach langer Zeit den Heinz wiedergetroffen, seinen Vater. Er wohnt immer noch in Lembeck.«
»Er hatte eine Tochter?«
»Maike. Sie ist jetzt … ja sie wird zwanzig Jahre sein. Studiert in Münster. Schrecklich für die Familie. Er hat noch einen um zwei Jahre älteren Bruder in Nordkirchen.«
»Danke Herr Dr. Brinkhoff. Meine Kollegen werden noch ihre Fingerabdrücke und die DNA abnehmen zum Vergleich. Sie waren am Tatort … und denken Sie an das Protokoll.« Berendtsen fischte nach Gummibärchen.
»Herr Brinkhoff!« Hallstein rief ihm hinterher und ging auf ihn zu. »Herr Brinkhoff, besitzen Sie Schusswaffen?«
»Zwei Büchsen, eine Flinte und eine Smith & Wessen Pistole. Warum fragen Sie? Sie glauben doch nicht, ich hätte Karl erschossen? So verrückt können Sie doch nicht sein? Aus meinen Waffen wurde seit letztem Herbst nicht geschossen. Das können Sie nachprüfen, nicht äh, nicht wahr. Bei mir …«
Hallstein musste ihn abwürgen. »Alles nur fürs Protokoll und für die Akten. Reine Routine. Das kennen Sie bestimmt auch aus ihrem Berufsleben. Sie mussten sicher früher auch manches dokumentieren, was schon jeder wusste.«
»Das können Sie laut sagen …«
Hallstein überhörte die Antwort und drehte direkt ab, um nicht wieder in ein Gespräch verwickelt zu werden. Er blickte sich um und fand Berendtsen, der etwas abseitsstand und auf einem Bärchen kaute. Er erkundigte sich nach dessen Befinden, denn gesund sah Berendtsen nicht aus. »Was ist los mit dir, Albert? Ist dir nicht gut? Ich denke, du kommst aus dem Urlaub.«
Berendtsen berichtete kurz von dem Erlebnis auf dem Hochsitz, das ihm seine ganze Bräune genommen hatte, die er sich beim Wandern in Südtirols Bergen erworben hatte. Seit Sonntag war er zurück.
Kapitel 3.
Der weiße Bungalow in Sythen lag abseits, von Wiesen und einem Maisfeld umgeben, an einem Waldrand als letztes von drei Häusern. Die Navigation dirigierte den Wagen über einen Wirtschaftsweg. Sie bogen links ab und sahen das Haus am Ende der Straße in der Sonne glänzen. Die Straße führte weiter in einem langen Bogen zu einem benachbarten Bauernhof.
Hallstein bediente den Klingelknopf. Westminster, Big Ben. Die Kommissare stellten sich vor und hielten ihre Ausweise vor die Linse. Ein Summen ertönte und das Gartentor sprang auf. Hallstein ging voraus. Berendtsen registrierte drei Überwachungskameras, die den Eingangsbereich im Visier hatten.
»Frau Marianne Hillebrandt?«, begrüßte sie Hallstein. In der Tür stand eine auf gutes Aussehen getrimmte Frau mit hochgestecktem braunem Haar. Berendtsen schätzte sie auf Mitte vierzig. Sie trug ein grünes T-Shirt und knappe braune Shorts, die ihr seiner Meinung nach nicht zum Vorteil gereichten, denn ihre Beine erschienen ihm zu dünn. Insgesamt hatte diese Frau ein paar Kilo zu wenig, was vermutlich am Rauchen lag. Hinter ihrer tiefen Bräune und den zahlreichen Falten im Gesicht vermutete Hallstein eine Sonnenbank im Keller.
Fast unbemerkt erschien hinter ihr ein großer Hund, der ihr bis zur Hüfte reichte, und zwängte sich neben Tür und Frauchen, um den Besuch zu taxieren. Es handelte sich offensichtlich um den Jagdhund. Braun kurzhaarig, glattes glänzendes Fell, Schlappohren, helle Brust. Er nahm Witterung auf und stand still. Nur der Schwanz pendelte leicht hin und her.
»Steht vor Ihnen. Was führt Sie hierher?«
»Frau Hillebrandt, es geht um Ihren Mann. Dürfen wir einen Augenblick hineinkommen?«
»Mein Mann ist nicht zuhause. Wenn Sie mit mir vorliebnehmen wollen, treten Sie gerne ein, meine Herren. Vielleicht kann ich helfen?«
Der Hund, Filou, trabte voraus ins Wohnzimmer, drehte sich auf seiner Decke einmal um die eigene Achse und machte es sich gemütlich, indem er die Vorderpfoten lang ausstreckte und seinen Kopf darauf ruhen ließ. Berendtsen beobachtete, dass Filou seine linke Pfote bis über das erste Gelenk hinaus dick gepolstert und verbunden hatte.
»Was ist ihm passiert?«
»Er ist in den Boden einer zerbrochenen Bierflasche getreten. Sie lag in einer Pfütze, sonst wäre ihm das nicht passiert. Ich war am Samstag und Montag mit ihm zum Tierarzt in Lavesum.«
»Ist das der Jagdhund Ihres Mannes?«
»Filou ist der beste Jagdhund, den man sich vorstellen kann. Mein Mann war am Wochenende zum Segeln auf dem IJsselmeer eingeladen. Da konnte er den Hund nicht gebrauchen. Am Samstag hat er sich beim Spaziergang verletzt.«
Berendtsen kannte diese Hunderasse, aber die Bezeichnung wusste er nicht.
Frau Hillebrandt führte die Kommissare ebenfalls ins Wohnzimmer. Unaufgefordert stellte sie Mineralwasser, Eistee und Gläser auf den Tisch, denn es war draußen bereits sehr warm. Sie schob jedem ein Glas hin und schenkte ein. Hallstein stand auf Eistee.
Die Kommissare bedankten sich für die Aufmerksamkeit und Berendtsen begann mit den Fragen.
»Frau Hillebrandt,