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Löwenfisch: Ein Rumpler Rosamunde-Krimi Band 3
Löwenfisch: Ein Rumpler Rosamunde-Krimi Band 3
Löwenfisch: Ein Rumpler Rosamunde-Krimi Band 3
eBook330 Seiten3 Stunden

Löwenfisch: Ein Rumpler Rosamunde-Krimi Band 3

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Über dieses E-Book

Anton Zargl, ein selbst ernannter Enthüllungsjournalist, stürzt auf einer Bergtour tödlich ab. Knapp vor seinem Tod hat er die IT-Spezialistin Sonja um Hilfe gebeten. Zargl hat über beschlagnahmte Drogen recherchiert, die illegal wieder in Verkehr gesetzt werden. Nachdem dabei angeblich höchste Beamtenkreise die Finger im Spiel haben, sind offizielle Untersuchungen kaum möglich. Als sich der pensionierte Kriminalist Johann Rumpler an einen ehemaligen Kollegen um Hilfe wendet, stellt ihm dieser einen von Todessehnsucht erfüllten Polizisten, den so genannten Vorsterber zur Seite. Bei einem Treffen im Waldviertel verschwimmen für Rumpler plötzlich die Grenzen zwischen Freund und Feind und er muss befürchten, in eine teuflische Falle geraten zu sein.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Dez. 2020
ISBN9783960743781
Löwenfisch: Ein Rumpler Rosamunde-Krimi Band 3

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    Buchvorschau

    Löwenfisch - Rudolf Trink

    o

    Impressum:

    Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Besuchen Sie uns im Internet - herzsprung-verlag.de

    © 2020 – Herzsprung-Verlag

    Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

    Alle Rechte vorbehalten.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

    Lektorat + Herstellung: CAT creativ - cat-creativ.at

    Bildnachweis Cover: © JeanLuc Ichard - Adobe Stock lizenziert

    Katze: Rudolf Trink

    ISBN: 978-3-96074-377-4 – Taschenbuch

    ISBN: 978-3-96074-378-1 – E-Book

    *

    Inhalt

    PROLOG

    1.

    2.

    3.

    4.

    5.

    6.

    7.

    8.

    9.

    10.

    11.

    12.

    13.

    14.

    15.

    16.

    17.

    18.

    19.

    20.

    21.

    22.

    23.

    24.

    25.

    26.

    27.

    28.

    29.

    30.

    31.

    32.

    33.

    34.

    35.

    36.

    37.

    38.

    39.

    Epilog

    Der Autor

    Buchtipp

    Impressum

    *

    FÜR ANNA B.

    IN RESPEKT UND DANKBARKEIT.

    Absolute Sicherheit ist eine Illusion.

    Wer sie erzwingen will, scheitert.

    Und zwar mit Sicherheit.

    *

    PROLOG

    Das Mobiltelefon zeigte eine unterdrückte Nummer. Es läutete zunächst drei Mal, dann vier Mal. Das vereinbarte Zeichen. Beim nächsten Läuten hob er sofort ab.

    „Ja?"

    „Ich soll anrufen, wenn sich was tut. Sie sind wieder da. In der Imbissstube."

    „Irgendwas anders als sonst?"

    „Ja. Diesmal ist ein Dritter dazugekommen."

    „Hast du ihn schon einmal gesehen?"

    „Nein, noch nie. Aber ich hab sein Autokennzeichen. Er ist so ein Nervöser, Schusseliger. Er war schon im Lokal, hat aber noch was im Auto vergessen, das ganz in der Nähe abgestellt war. Ich bin ihm rasch nachgegangen. Er muss ein Journalist sein. Im Auto war eine Pressekarte."

    „Autokennzeichen?"

    Er notierte die Buchstaben-Ziffernkombination.

    „Du hast was gut bei mir."

    Er legte auf. Ein Journalist also. Der Ernstfall war eingetreten, auf den er sich so sorgfältig vorbereitet hatte. Er griff wieder zum Telefon und legte es erst weg, als das Räderwerk in Gang gesetzt war. Unwiderruflich.

    *

    1.

    Herbert Eisenreh war nervös. Die letzten Wochen hatten an seinen Nerven gezehrt. Er brauchte seinen Job. Immer hatte er gedacht, er wäre für den Chef unentbehrlich. Plötzlich war dann der Neue aufgetaucht, vom Chef persönlich in die Firma geholt. Trotz seines Ärgers hätte er dem Chef nicht drohen sollen, aber das war nicht mehr zu ändern. Und jetzt noch dieser verfluchte Auftrag. Eine Zustellung bei Nacht und starkem Regen, in einer gottverlassenen Gegend. Eisenreh fuhr vorsichtig. Zu langsam durfte er aber auch nicht sein, weil er für die Übergabe eine genaue Zeitangabe bekommen hatte. Eine Ungenauigkeit konnte er sich bei seinen Kunden nicht leisten. Nur noch acht Kilometer. Der Asphalt glänzte tückisch, manchmal kam der Wagen leicht ins Rutschen. Gegenverkehr gab es zum Glück keinen.

    Plötzlich hatte er vor seinem inneren Auge das Bild eines Autounfalls, ein völlig zertrümmertes Wrack. Eisenreh riss sich zusammen. Er wusste, dass er in Gefahr war, aber er durfte sich nicht gehen lassen. Er hatte noch etwas zu erledigen. Ein Gedanke beruhigte ihn. Falls ihm wirklich etwas zustoßen sollte, war da immer noch sein Freund, der Fuchsl, dem er das Dokument mit seiner Geschichte gezeigt hatte. Der Fuchsl hatte diesen Journalisten mitgebracht und der würde dafür sorgen …

    Verdammt! Wieder eine enge Kurve. Dann plötzlich, aus dem Nichts, diese entsetzlich starken Scheinwerfer, direkt vor ihm. Unwillkürlich schloss er wegen der unerträglichen Helligkeit die Augen und verriss den Wagen so stark nach rechts, dass er gegen die Leitschiene knallte, sie halb durchbrach und an der Kante zwischen Böschung und Steilhang hängen blieb. Noch bevor Eisenreh überhaupt realisiert hatte, was geschehen war, spürte er, wie sein Wagen sich wieder in Bewegung setzte, mit unwiderstehlicher Gewalt über die Kante geschoben wurde und den dahinter liegenden Steilhang hinabstürzte. Ein Gedanke an seine Schwester zuckte durch sein Hirn, dann war alles dunkel.

    Der schwere Geländewagen oben auf der Straße wendete, der Fahrer leuchtete mit einem starken Suchscheinwerfer in die Tiefe und sah schließlich das auf dem Dach liegende völlig zertrümmerte Wrack. Erledigt. Er entfernte die an der mächtigen Stoßstange seines Wagens festgezurrten dicken Gummimatten, verstaute sie im Kofferraum und verließ den Unfallort.

    Als der Unfallwagen am nächsten Tag entdeckt und die Leiche des Lenkers ärztlich untersucht wurde, war der entsprechende Drogentest positiv. Hinweise auf Fremdverschulden gab es keine. Somit wurde Herbert Eisenreh als einer der zahlreichen Verkehrstoten des laufenden Jahres zunächst zu den Akten und schließlich zu Grabe gelegt.

    Reinhard Pritzler war glücklich, zum ersten Mal seit langer Zeit. Er fühlte sich stark genug, von dem Zeug wegzukommen, und er würde mit dem Berti nach Afrika reisen. Endlich hatten sie Geld, von dem Journalisten, der dem Berti seine Geschichte abgekauft hatte, und sie würden noch mehr Geld bekommen, wenn sie veröffentlicht war. Genug für eine richtige Safari, mit den big five – Löwen, Leoparden, Büffeln … Schon vor Jahren hatten sie sich in einem Geschäft, das auf Abenteuerreisen spezialisiert war, einzelne Ausrüstungsgegenstände gekauft: Tropenhelme, Moskitonetze, ein Fahrtenmesser, einen Kompass. Er holte die Sachen aus seinem Kasten, legte sie neben sich aufs Bett und befühlte sie mit seiner Rechten. Sie waren ihm völlig vertraut, die Farben und Formen, jede kleine Unebenheit, die Beschaffenheit der Oberflächen. Unzählige Male hatte er dieses Ritual schon durchlaufen. Gleichzeitig fiel sein Blick wie zufällig auf den kleinen Beistelltisch, auf den er die Spritze gelegt hatte. Eigentlich hätte er sie gleich wegwerfen sollen, aber so war es ja noch besser. Endlich konnte er sich selbst wirklich beweisen, dass er es ernst meinte. Sein Verkäufer hatte ihm heute das Zeug angeboten wie jedes Mal, und als er ihm erklärt hatte, er habe nicht genug Geld, hatte er ihm eine Spritze geschenkt. Er hatte das nicht erwartet. Eigentlich nett von ihm. Aber nicht notwendig. Obwohl … nach den Aufregungen der letzten Zeit hatte er sich eine kleine Entspannung verdient und es gab einen Grund zum Feiern. Dieses eine Mal würde ihn schon nicht umbringen. Er griff nach der Spritze, setzte sich die Nadel an den Arm, zögerte noch kurz und fühlte dann, wie sie eindrang. Ein vertrautes, wohliges Gefühl breitete sich in ihm aus. Herrlich würden sie sein, die Abende in Afrika, gemeinsam mit dem Berti, mit unglaublichen Sonnenuntergängen, die die Savanne in allen Farben aufleuchten ließen. Plötzlich fühlte er eine heftige Übelkeit. Die Sonne leuchtete immer stärker, erst orange, dann blutrot, sie begann zu kreisen, schneller und schneller und wurde schließlich grellweiß. Pritzlers Traum riss ab.

    Der nächtliche Besucher öffnete ohne Beschädigung und beinahe lautlos das technisch schwache Schloss der Wohnungstür. Er sah sich kurz um, nahm Pritzlers schlaff herabhängende Linke in die latexbehandschuhte Hand und fühlte seinen Puls. Es hatte geklappt. Kein weiterer Handlungsbedarf, nur noch eine Erfolgsmeldung an den Chef.

    Anton Zargl atmete auf. Geschafft. Er war schon länger nicht auf der Rax gewesen und der Aufstieg war doch anstrengender gewesen, als erwartet. Endlich hatte er die unangenehme Stelle mit dem seltsamen Namen Teufels Badstuben und mit ihr auch seine Sorgen hinter sich gelassen. Während des Aufstiegs hatten sie ihn noch gequält, er hatte an seinem Erfolg gezweifelt, obwohl oder sogar weil die Geschichte, an der er dran war, einfach großartig war, für einen Journalisten eine Gelegenheit, wie man sie wohl nur einmal im Leben bekam. Vielleicht zu groß für ihn, wie der riesige Marlin, der für den alten Fischer in Hemingways Der alte Mann und das Meer eine zu große Beute gewesen war. Jetzt war plötzlich alles anders, die Zweifel waren verflogen. Ihm war klar, er würde es schaffen. In seinem Kopf war der Artikel schon fertig und Zargl malte sich aus, wie er, der so oft von den Kollegen mitleidig belächelt worden war, sie alle überflügeln würde. Die Kurzatmigkeit, die ihm zuvor noch zu schaffen gemacht hatte, war wie weggeblasen. Oben am Grat angekommen, genoss er den freien Blick. Er fühlte sich unbesiegbar. Allen würde er es zeigen, allen. Er musste diesen wunderbaren Moment mit einem Foto festhalten.

    Zargl hörte noch das schwache Geräusch hinter sich, konnte es aber nicht zuordnen. Als er sich umdrehen wollte, war es schon zu spät. Der wuchtige Stoß traf ihn genau zwischen den Schulterblättern und ließ ihn ins Bodenlose stürzen.

    Der Angreifer zog einen Feldstecher aus dem Rucksack. Zargls zerschmetterter Kopf stand in einem völlig unnatürlichen Winkel zu seinen Schultern. Es hatte bestens geklappt. Jetzt war auch der Dritte tot und damit die Gefahr gebannt. Obwohl – da waren noch die Frauen. Die Schwester vom Eisenreh konnte was wissen und vielleicht auch die andere. Er würde sich darum kümmern.

    *

    2.

    Es dauerte bereits über eine Stunde. Für einen kleinen Eingriff eigentlich viel zu lange. Vielleicht hatte es Komplikationen bei der Narkose gegeben. Johann Rumpler, während seiner Dienstzeit als stellvertretender Leiter der Mordkommission berühmt für seine eisernen Nerven, spürte, wie sich Angst in ihm breitmachte. Er hatte sich lange gegen die Operation gesträubt und war erst nach längerem Zureden von ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt worden. Endlich. Die Tür, die von der Ordination ins Wartezimmer führte, ging auf und die Blicke sämtlicher Wartenden richteten sich auf die junge Tierärztin.

    „Alles in Ordnung, Herr Rumpler. Der Zahn war nur ein bissl schwierig zu entfernen, weil er zerbrochen ist, aber letztlich hat alles gut geklappt. Sie ist jetzt noch in Narkose und wird in einer halben Stunde aufwachen."

    Rumpler strahlte die Tierärztin aufgrund der guten Nachricht an wie eine Lichtgestalt. „Danke. Vielen Dank. Ich bin so froh, dass alles gut gegangen ist."

    Die Besucher des Wartezimmers zeigten das übliche tiefe Verständnis einer kleinen, schicksalhaft zusammengeführten Gemeinschaft, hatten doch so gut wie alle von ihnen schon ähnliche Sorgen durchgestanden, um einen Hasso etwa oder eine Senta, vielleicht den Hamster Ramses oder die Schildkröte Thusnelda oder eben, wie im gegenständlichen Fall, um eine ältere Katze namens Rosamunde.

    Während der Heimfahrt lag sie noch ganz benommen in ihrem von Rumpler sorgfältig mit weichen Tüchern ausgepolsterten Transportbehälter und nahm kaum wahr, was er ihr zu sagen hatte.

    „Bist eine tüchtige Maus. Gut gemacht. Hast es wieder geschafft, Alte. Später gibt’s dann ein Futter."

    Als er mit ihr leicht schnaufend in seiner im zweiten Stock – ohne Lift – gelegenen Altbauwohnung in der Josefstadt angekommen war, legte er zunächst sein Wohnzimmer mit Decken und Polstern aus, damit sie sich noch unter Einwirkung der Narkose nicht etwa an seinen Möbeln stieß. Ihre ersten Schritte waren tapsig und taumelig wie die eines späten Heurigen-Heimkehrers. Nach ungefähr einer Stunde, während der sie auch immer wieder Ruhepausen eingelegt hatte, ging sie bereits ziemlich sicher und nach drei Stunden erklomm sie mithilfe des stabilen Kartons, den ihr Rumpler als Aufstiegshilfe zu seinem Schreibtisch gestellt hatte, dieses Möbel und forderte von dem erhöhten Platz aus lautstark eine Mahlzeit.

    Rumpler strahlte. Zur Feier des Tages richtete er ihr eine kleine Portion fein aufgeschnittenen Schinken. Sie fraß ihn zu seiner großen Freude nicht nur mit gutem Appetit, sondern auch ohne sichtbare Vorsichtsmaßnahmen. In den letzten Wochen hatte sie beim Fressen den Kopf etwas schief gehalten, das Kauen wegen des schmerzenden Zahns immer wieder unterbrochen und manchmal ihr Futter sogar einfach stehen lassen, ein für Rosamunde unerhörter Vorgang. Rumpler kannte sie nämlich eigentlich nur heißhungrig noch aus der Zeit, als er sie als verwahrloste Streunerin in Kärnten gefunden hatte oder genau genommen sie ihn, um bei der Wahrheit zu bleiben. Damals hatte Rumplers Frau Elsa noch gelebt und sie war dabei gewesen, als Rosamunde auf einer längeren Wanderung in den einsamen Wäldern der Wimitz, die von manchen der Einheimischen auch das Tal der Gesetzlosen genannt wird, weit entfernt von jeder menschlichen Behausung, plötzlich zerzaust und miauend vor ihnen gestanden war. Elsa hatte sofort mit der völlig verwahrlosten Katze gesprochen und sich um sie gekümmert, während Rumpler sich zunächst sehr zurückgehalten hatte. Wie sich aber schnell herausstellte, hatte Rosamunde, die damals für ihn noch eine namenlose Katze gewesen war, ihn höchstpersönlich zu ihrem Lebensmenschen erwählt und ihm das nach kurzer Zeit auch unmissverständlich klargemacht.

    Während diese Erinnerungen durch Rumplers Kopf zogen, inspizierte er seinen Kühlschrank auf der Suche nach einer Kleinigkeit für sich selbst. Die bevorstehende Operation hatte sich ihm auf den Magen geschlagen und er hatte, abgesehen von einem Kaffee zur Frühstückszeit, untertags überhaupt nichts zu sich genommen. Umso größer war jetzt am frühen Abend sein Appetit. Er fand einige mit Schafskäse gefüllte Oliven, drei Blatt Prosciutto und ein kleines Stück Parmesan. Dazu öffnete er eine Flasche eines schweren Deutschkreuzer Rotweins, den ihm ein befreundeter Münzhändler unlängst anlässlich eines Besuchs mitgebracht hatte, schenkte aber noch nicht ein, um ihn etwas zu belüften. Während Rumpler seine kleine Mahlzeit in der Küche genoss, hatte sich Rosamunde bereits ins Wohnzimmer begeben, auf den ihr vorbehaltenen Liegeplatz zwischen seinen prachtvollen Orchideen. Nach dem Essen übersiedelte er mit dem Wein zu ihr, füllte sein Glas, hielt es gegen das Licht und beschaute und beroch seinen Wein mit größter Sorgfalt. Schließlich hob er das Glas und trank auf Alma, die vor etwa drei Jahren aufregend und beruhigend zugleich in sein Leben getreten war, und natürlich auf seine Rosamunde.

    „Schön, dass es dir wieder gut geht, Maus."

    Rosamunde fand das auch.

    *

    3.

    Am nächsten Morgen machte Rumpler wie gewohnt einen ausgiebigen Spaziergang im Volksgarten. Es war ein klarer Frühsommertag und die unzähligen Rosenstöcke mit ihren vielversprechenden Knospen erzählten ihm ihre Geschichten, durch die liebevoll und sorgfältig gestalteten Widmungstafeln, die an ihren Stützen angebracht waren. Auch der Tempel des Theseus, jenes griechischen Helden, der den stierköpfigen Minotaurus in seinem Labyrinth aufgespürt und getötet hatte, sprach zu ihm. Vordergründig betrachtet war die Sage denkbar einfach – ein Held begegnete einem Ungeheuer und tötete es. In seinem Inneren fühlte Rumpler aber, dass das nicht die eigentliche Geschichte war, sondern dass darunter noch etwas anderes war, in viel tieferen Schichten, etwas ebenso Faszinierendes wie Bedrohliches. Der Minotaurus, halb Tier, halb Mensch, stand für das Animalische und war wohl genau deshalb eingesperrt worden. Wer sich also auf den Weg ins Labyrinth machte, um den Minotaurus zu treffen, der musste damit rechnen, einem weggesperrten Stück von sich selbst zu begegnen. Aber auch weggesperrt stimmte nicht ganz. Das Labyrinth war ja kein Gefängnis, sondern ein kunstvoll angelegter Irrgarten. Er war offen und trotzdem konnte man ihm nicht entrinnen. Zumindest nicht aus eigener Kraft – es bedurfte dazu der Hilfe einer Frau – Ariadne, die den richtigen Weg wies. Oftmals, wenn Rumpler es mit einem neuen Fall zu tun bekommen hatte, hatte er wohl unbewusst den Theseustempel aufgesucht, vielleicht um sich klar darüber zu werden, dass von jedem einzelnen der Mörder, die er auf verschlungenen Wegen verfolgte, immer auch in ihm selbst etwas enthalten war, das ihn gleichermaßen erschreckte und faszinierte.

    Dem Denkmal des von ihm hochgeschätzten Franz Grillparzer stattete er ebenfalls einen kurzen Besuch ab, quasi als Gegengewicht, verließ dann den Volksgarten und erreichte schließlich nach einem flotten Marsch über die sogenannte Zweierlinie die Mariahilfer Straße. Er ging die breit angelegten Stiegen der sehr kurzen Rahlgasse hinunter und dabei fielen ihm die in seiner Kinderzeit alljährlich wiederkehrenden Besuche der Wiener Verkehrsbetriebe ein, bei denen dort nach langem Warten und unter großem Gedränge und Geschrei die Schülerfreifahrt-Ausweise abzuholen gewesen waren. Als er schließlich das Café Sperl erreichte, war er von seinem Spaziergang bereits ziemlich hungrig. Die Kellnerin, Frau Maria, ließ ihm Zeit, sich in Ruhe einen Tisch auszusuchen und zu setzen.

    „Melange und zwei Buttersemmeln wie immer, Herr Kommissar?"

    „Ja, bitte, aber dazu noch eine Eierspeis von zwei Eiern. Ich hab heut einen ordentlichen Hunger."

    „Kommt sofort."

    Er blickte ihr nach, beeindruckt, wie sie es schaffte, sich so flink zu bewegen, ohne jemals hastig zu wirken. Rumpler atmete auf. Endlich angekommen. Das Café Sperl war für ihn ein großer Rückhalt, quasi sein zweites Wohnzimmer, seit über dreißig Jahren. Hier hatte er Pläne geschmiedet, Fälle analysiert, andere Gäste beobachtet, ihnen gelegentlich beim Billardspiel zugesehen und sehr oft, wie auch jetzt, einfach nur in die Luft geschaut, in das sogenannte, für ihn unentbehrliche Narrenkastl.

    Während er auf sein Frühstück wartete, wurde ihm wieder einmal bewusst, dass er rundum zufrieden war, eigentlich mit allem. Dank seiner gesunden Konstitution und seines disziplinierten täglichen Trainings war er für einen Mittsechziger körperlich bemerkenswert gut in Schuss, etwas über mittelgroß, stark, aber nicht zu schwer gebaut, mit sehr kräftigem weiß-grau gesprenkeltem Haar, das sich ohne Hilfe eines Friseurs nur schwer bändigen ließ. Über die Wirkung seiner braunen Augen auf das weibliche Geschlecht staunte Rumpler immer noch, obwohl sie ihn bereits seit vielen Jahrzehnten begleitete. Auf Männer wirkte er meistens seriös, während Frauen häufig das Bedürfnis verspürten, ihm Dinge anzuvertrauen. Das hatte ihm während seiner beruflichen Laufbahn bei der Mordkommission immer wieder geholfen. Was Rumpler jedoch nicht wusste, ja nicht einmal ahnte, war die Tatsache, dass er einen noch größeren Teil seiner Attraktivität für andere Menschen seinen Händen verdankte, großen, kräftigen Händen mit langen Fingern. Wenn er sprach, unterstützte er seine Worte mit Gesten, die natürlich und ausdrucksstark waren, kräftig und sensibel zugleich. Dazu kamen seine zurückhaltende Art und seine Sorgfalt beim Zuhören, die dazu führten, dass er im Lauf der Zeit jede Menge Angebote bekommen hatte. Dass sie ihn nicht zu sehr in Unruhe versetzt hatten, war an den zwei wirklich wichtigen Frauen in seinem Leben gelegen, an der bereits verstorbenen Elsa und an Alma, seiner neuen Liebe. Alma war sensibel, stark und verletzlich zugleich, verbunden mit einer unglaublichen Präsenz. Obwohl sie von Beruf Ärztin war, sah er sie eigentlich immer nur als Tänzerin, weil sie sich so perfekt bewegte.

    Um irgendeine Wolke auf Rumplers heiterem Himmel zu finden, hätte man vielleicht auf seine Kinderlosigkeit verweisen können, aber Sabine, die junge Witwe seines Neffen Karl, hatte vor knapp einem Jahr ein entzückendes Mädchen zur Welt gebracht, sodass er sich beinahe als Großvater fühlen konnte. Nein, ihm fehlte wirklich überhaupt nichts, auch finanziell war er dank einer größeren Erbschaft sehr gut abgesichert. Trotzdem war er während des Wartens im Sperl nicht glücklich, sondern irritiert darüber, dass er doch eigentlich glücklich sein müsste, bei all dem Schönen, das ihm widerfuhr. Immerhin war er aber alt und erfahren genug, sich nicht gegen diese aufkeimende Unzufriedenheit zur Wehr zu setzen. Kaum hatte er nämlich begonnen, sie mit Interesse zu betrachten, als ihm auch schon bewusst wurde, was ihm fehlte. Er war ein Jagdhund, ein ziemlich alter, keine Frage, aber eben doch ein Jagdhund, dem das Jagen im Lauf der Zeit abhandengekommen war. Seine Gedanken wanderten in sein Wohnzimmer, dorthin, wo der von seiner Großmutter geerbte Jugendstilschrank mit seinen filigranen Schnitzereien und den schönen Messingbeschlägen stand. In ihm ruhten zahlreiche Moleskine-Notizbücher mit den persönlichen Aufzeichnungen zu allen seinen Fällen und es war gut möglich, ja sogar höchst wahrscheinlich, dass kein Buch mit einem neuen Fall hinzukommen würde. Aus und vorbei.

    Frau Maria, die ihm sein Frühstück brachte, sah ihn von der Seite her an. „Alles in Ordnung, Herr Kommissar?"

    „Passt schon, Frau Maria."

    „Ja, das Älterwerden ist manchmal ein Hund. Auch wenn alles passt. Ich weiß, wovon ich red."

    Volltreffer.

    „Da haben S‘ Recht, Frau Maria."

    Eben, als Rumpler begann, sich seinem Frühstück zu widmen, läutete sein Mobiltelefon mit jenem nur ganz kurzen Signalton, der das Einlangen einer SMS anzeigte. Sonja, Almas Tochter, bat ihn um einen Rückruf. Das überraschte ihn ein wenig. Normalerweise war das nämlich immer umgekehrt gewesen. Rumpler hatte schon öfters ihre Hilfe

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