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Der Tod gibt Autogramme: Österreich-Krimi
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eBook315 Seiten3 Stunden

Der Tod gibt Autogramme: Österreich-Krimi

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Über dieses E-Book

Die Reichen, Schönen und Berühmten sind seit Jahren die Welt der Wiener Reporterin Lilly. Allerdings kennt sie auch die vielen Schattenseiten nur zu gut und ist deshalb sehr vorsichtig. Dennoch rutscht sie in eine Affäre mit dem aufstrebenden Schauspieler Georg Speltz. Als die auffliegt, beginnt für Lilly eine schrille Achterbahnfahrt im Scheinwerferlicht.
Speltz ist faszinierend, keine Frage, aber auch ein Lügner mit vielen Geheimnissen. Seine Vergangenheit ist dubios, seine Agentin Constanze kaltschnäuzig.
Und es kommt noch schlimmer. Während eines Drehs stirbt eine Prostituierte, die kurz zuvor noch in Speltzs Hotelzimmer war.
Als Lilly eine weitere Leiche entdeckt, die offensichtlich ebenfalls mit ihm zu tun hat, muss sie schleunigst herausfinden, welch perfides Spiel er treibt.
Sonst wird auch sie nicht überleben.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum18. Apr. 2019
ISBN9783990740538
Der Tod gibt Autogramme: Österreich-Krimi

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    Buchvorschau

    Der Tod gibt Autogramme - Dagmar Hager

    1893)

    Kapitel 1

    LILLY - Wien, Jänner, heute

    Alle Welt will meinen Mann.

    Im Film. Im Leben. Im Bett.

    Dadurch ist es bei uns manchmal etwas eng.

    Und kompliziert.

    Aber vielleicht spielt er ja bald keine Rolle mehr.

    Es läutet.

    Er ist da.

    Wenn ich die Türe nicht aufmache, wird er es wieder versuchen. Das letzte Mal war es sehr, sehr knapp.

    Also öffne ich und bitte ihn herein.

    Wir gehen ins Wohnzimmer, stehen uns gegenüber.

    Unsere Blicke verhaken sich.

    Die Luft vibriert.

    Das ist jetzt der Moment der Entscheidung.

    Er oder ich.

    Dabei hat alles so harmlos begonnen.

    Vor zwei Jahren.

    Mit einem Lächeln.

    Kapitel 2

    LILLY - Berlin, vor zwei Jahren

    Vor mir stand Christian Gray. Die Alpen-Version, aus Salzburg.

    »Georg Speltz«, stellte er sich vor und gab mir höflich die Hand.

    Also schön. Da war er. Wieder einmal ein Schauspieler, der mich für gute Presse um den Finger wickeln wollte. Ohne Zweifel sehr attraktiv. Aber das waren sie fast alle. Eine Printkollegin hatte es vorhin beim Warten auf den Punkt gebracht: »Er ist der neueste Tyrannosaurus Sex.«

    Seine Agentin Constanze Müller sah mich auffordernd an. Jetzt wurde es brenzlig, denn ich hatte nur ein paar Minuten von Harte Kerle gesehen. Ich fand den Filmtitel schon so langweilig, dass ich keine Lust gehabt hatte, mir das ganze Machwerk anzutun.

    Was war ich gestern sauer auf Guido, meinen Chefredakteur, gewesen, der das Speltz-Interview für das Starmagazin am Wochenende haben wollte. Extra nach Berlin fahren? Wegen irgendeinem Möchtegern? Dafür den gemütlichen Abend bei meinem Lieblingsjapaner sausen lassen?

    Aber ich war nun mal die Expertin für Promi-Geschichten. Also war ich geflogen.

    Das Interview.

    Herr Speltz war gut und tat alles, um sich und seinen Film zu verkaufen. An einen Journalisten nach dem anderen. Vor der Tür warteten noch mindestens zehn meiner Zunft.

    Mein Kameramann war Ferdl. Ein echter Wiener, dick, gemütlich, homosexuell und der mit den besten Bildern. Er ließ uns den ganzen Zinnober aufführen, den man braucht, um drei Minuten Beitrag sauber auf den Schirm zu bringen.

    Ich streifte den Film nur ansatzweise und wurde bald privat. Schließlich kannte kaum noch jemand dieses neueste Schönchen.

    Trotz meiner direkten Fragen erfuhr ich nicht viel. Das aber sehr charmant. Speltz war nach der Matura ein paar Jahre lang durch die Welt getingelt und hatte gejobbt. Als Matrose auf Schiffen, als Farmhelfer in Australien oder Schmuckverkäufer in Neuseeland. Danach Schauspielstudium am Reinhardt-Seminar. Respekt! Da musste man erst mal aufgenommen werden. Nebenbei »Gelegenheitsjobs«.

    Was damit gemeint war, sollte ich später nur zu genau herausfinden.

    Jetzt stand er jedenfalls auf der Pole-Position in Richtung Superstar. Und ob ich wollte oder nicht: Georg Speltz ließ mich nicht kalt mit seinem unverschämten Lächeln und dem Tick gespielter Schüchternheit.

    Irgendwann war das Interview im Kasten, und wir machten uns auf den Weg zurück nach Wien. Speltz hatte nett, aber unpersönlich »Tschüss« gesagt, sich umgedreht und der Redakteurin des Konkurrenzsenders denselben Provinzprinzen vorgespielt.

    Das ärgerte mich.

    Aber was hatte ich denn erwartet? Sein ausschließliches Ziel war gewesen, mich einzukochen. Dass es ihm so problemlos gelungen war, war meine Schuld, nicht seine. Grimmig nahm ich mir vor, das Thema ab sofort professionell zu sehen. Der nächste Schritt: ihn vergessen. Allerdings ‒ bei der Karriere, die er gerade hinlegte, würde ich wohl bald überall über ihn stolpern.

    Eine Woche später hatte Harte Kerle Galapremiere in Berlin.

    Speltz war überall. Keine Show, in der er nicht zu Gast war, kein Magazin, das ohne ihn auskam. TV, Radio, Online, Social-Media, YouTube, das ganze Programm. Der Verleih war stolz. Die ganze Bussi-Bussi-Gesellschaft kreuzte auf, und natürlich die Pressemeute. Es gab zuerst den Film und dann eine riesige After-Show-Party im Rocker-Design.

    Mein Boss hatte nur milde gelächelt, als ich ihn gebeten hatte, jemand anderen mit der Reportage zu beauftragen, und so stand ich jetzt da, mit noch mehr Flugmeilen auf dem Buckel, den allzeit kampfbereiten Ferdl an meiner Seite.

    Wir machten also unser Ding, froren zunächst am roten Teppich (den hat mittlerweile schon jede Kaufhauseröffnung, aber der war beeindruckend), hielten Ausschau nach guten Bildern, mehr oder weniger gestylten Stars und Sternchen, filmten den üblichen halb nackten Selbstdarstellerinnen überallhin und hofften auf gewollte oder unfreiwillige Busenblitzer, hochgewirbelte Rocksäume oder durchscheinende Brustwarzen.

    Später dann die kernig auf Filmset dekorierte alte Fabrikhalle.

    Es war glühheiß. Die Glanzstücke: bodygepaintete Models tanzend hinter Gittern ‒ nur angetan mit ölverschmierten Motorradketten und Bikerstiefeln. Ferdl fielen fast die Augen raus. Ich dachte mir, dass diese Totengräberinnen des Feminismus Wochen brauchen würden, um sich den ganzen Dreck wieder abzuwaschen.

    Es kochte.

    Speltz sah ich zunächst nur aus der Ferne, aber das reichte schon. Der Kerl sah sogar quer durch einen ganzen Saal verkehrsgefährdend gut aus, trug schwarze Lederhosen zum Tank Top, eine hippe Lederjacke, Gel in den Haaren, Dreitagebart. Die Gesichter der Frauen rundherum sprachen Bände. Jede zweite fragte sich wahrscheinlich in diesem Moment: Wie kriege ich diesen Hottie heute bloß in mein Bett?

    Tschüss Niveau und Anstand.

    Schließlich standen wir uns gegenüber. Speltz streckte sich. »Also, was möchten Sie denn wissen?« Ich schluckte noch mal, bevor ich loslegte, mit lauter Fragen von Ab-in-den-Müll-Qualität. Als wir fertig waren, reichte ich ihm die Hand, um ihm viel Erfolg zu wünschen. Gebot die Höflichkeit.

    Aber ehe ich mich dagegen wehren konnte, zog er mich zu sich. Ich spürte seinen Mund auf meiner Wange. Ein Hauch, mehr nicht. Er hielt mich fest, als hätte er alle Zeit der Welt, mein Einverständnis und hundert Zeugen weniger. Ich hatte keine Chance, ihm zu entkommen, – und, was soll ich sagen – auch keine Lust dazu. Zumindest nicht gleich. Dann ließ er mich abrupt los und sah mich an. Ernst. Fast schüchtern. Hätte er in dem Augenblick gezwinkert oder etwas anderes Dämliches gemacht, ich wäre geheilt gewesen. Aber so …

    Wie bescheuert war ich eigentlich? Im Prinzip hatte er ja eben astrein gegrapscht!

    Dennoch tat ich nichts. Außer mich hilflos umzudrehen. 178 Zentimeter atmende Peinlichkeit stolzierten durch den Saal, Kopf oben, Selbstwert im Keller, dafür massenhaft versorgt mit neugierigen Blicken. Wen hat Speltz da gerade geküsst? Muss man die kennen?

    Du Dreckskerl, schwor ich Rache, das wirst du mir büßen, büßen, büßen!!! Nie wieder wirst du mich so bloßstellen!

    Wie oft habe ich mir später gewünscht, ich hätte es eingehalten!

    Kapitel 3

    LILLY - Wien, am nächsten Tag

    Meine kleine Altbau-Gartenwohnung lag mitten in der Stadt. Mariahilf, 6. Bezirk. Direkt am Esterházypark, vorne hinaus mit Blick auf das Haus des Meeres. Zehntausend Tiere, von Piranhas über Haie bis zu Flughunden, lebten in einem ehemaligen, klotzigen Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg. Und ich daneben.

    Einigeln war angesagt.

    Ging leicht auf fünfundfünfzig Quadratmetern plus Minigarten. Ich war chemisches Chaos mit ausschließlichem Fokus: Speltz. In meiner Fantasie hatte ich Sex mit ihm ‒ in allen möglichen und unmöglichen Situationen.

    Wie krank war das denn? Ich war doch kein Teenie mehr.

    »Du bist geil wie ein Sträfling auf Hafturlaub!«, konstatierte meine Nachbarin Regina augenzwinkernd. »Aber das ist doch im Grunde nicht weiter schlimm!«

    Ach, Regina! Wie ich sie um ihr geordnetes Leben beneidete! Männerfantasien hießen bei ihr Tim und Tom und waren knapp sechs Jahre alt …

    Eine Woche später.

    Samstag. Halb fünf Uhr früh.

    Schon wieder eine Nacht voller Sexfantasien. Ich wünschte mir Hausverbot im Kopfkino. War aber nicht. Keine Chance, die Gedanken an Speltz auszuschalten.

    Ich hatte mir in den letzten Tagen freigenommen und war bei meiner Cousine und besten Freundin Sophie eingezogen. Wenn mir jemand meine Flausen austreiben konnte, dann sie. Sie war zehn Jahre älter als ich, geschieden und das bodenständigste Wesen, das ich kannte. Und Psychotherapeutin. Wie praktisch.

    Sie wohnte im 19. Bezirk nahe dem berühmten Grinzing ‒ zum Glück abseits der großen Heurigenlokale. Nicht aber abseits jeder Menge leckerer Weinflaschen. Doch auch drei Tage alkoholseliger Sophie-Kopfwäsche hatten bislang nicht viel gebracht.

    Kurz nach fünf.

    Eben wurde es hell. Es würde ein prachtvoller Tag werden, aber noch hatte die Junisonne keine Kraft. Ich keuchte durch den Wald, drehte, wie schon an den Tagen zuvor, meine übliche Runde und schwitzte alles raus. Ich trug mein ältestes Trainingszeug. Um die Uhrzeit war mir egal, wie ich aussah, Hauptsache, es war bequem.

    Sonnenstrahlen fielen durch die Bäume, Vögel zwitscherten, Tau glitzerte. Herrlich. Keine Menschenseele war unterwegs, nur weit vor mir ein anderer Jogger, eingemummt in ein Sweat­shirt samt Kapuze. Ich beachtete ihn nicht weiter, doch als er nur noch ein paar Schritte entfernt war, blieb er stehen. Er hatte die Kapuze seines Sweatshirts tief in die Stirn gezogen. Fixierte mich. Alles, was ich von seinem Gesicht sehen konnte, waren die Lichtreflexe der Morgensonne in seinen Augen.

    Das war mir jetzt unheimlich.

    »Ist was?«, zischte ich unfreundlich. Höflich sein konnte ich ein anderes Mal.

    Er schlug seine Kapuze zurück und warf sein berühmtes Grinsen an.

    »Oh, nein!«, stöhnte ich.

    Georg Speltz zuckte nur mit den Schultern.

    »Was tun Sie denn hier?«, stotterte ich überwältigt und verfluchte meinen Körper, der sich natürlich prompt an genau den Stellen zu Wort meldete, die ich gerade überhaupt nicht gebrauchen konnte.

    Er lachte auf und deutete auf seinen Kopf. »Harte Kerle hatte gestern Österreich-Premiere hier in Wien!«

    Mist. Klar! Der Termin war mir wegen meines Kurzurlaubs durchgerutscht!

    Perplex stammelte ich: »Aha. Äh … wie … wo …?«

    Er musterte mich kurz. »Atmen nicht vergessen, Lilly!«, sagt er leise. Ich folgte brav. »Steht in meiner Bio nicht, dass ich hier in der Nähe ein kleines Appartement habe?« Nein, das stand da garantiert nicht! Hundertprozentig nicht.

    Ich senkte den Blick. Ihn noch länger anzustarren, war völlig unmöglich. Meine ohnehin lächerliche Verteidigungsarmee lag vernichtet auf dem Boden.

    Speltz und ich alleine im Wald.

    Na, großartig.

    Dann doch Augenkontakt. Sekundenlang. Die totale Explosion.

    Zum Glück regte sich aber auch mein Fluchtinstinkt. »Tja, dann noch viel Erfolg und schönen Tag!«, stammelte ich und stolperte los.

    Speltz wartete, bis ich bei ihm war. Dann neigte er den Kopf und flüsterte leise in mein Ohr: »Samarkand.«

    Das saß! Er hatte mich durchschaut, wahrscheinlich von Anfang an, und machte mir das mit diesem einen Wort klar.

    Jetzt war ohnehin schon alles egal. Also holte ich Luft und sagte mit einer tiefen, rauen, für mich selbst fremden Stimme: »Sie meinen die Geschichte des reichen, lebenslustigen Kaufmanns, den der Tod besucht, um ihm zu sagen, dass er ihn holen wird.«

    Speltz war jetzt ganz dicht hinter mir. Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken. Nicht schwer, sich vorzustellen, was das mit den Härchen dort anstellte … »Und der auf seinem schnellsten Pferd so weit weg wie nur möglich ‒ nach Samarkand ‒ flüchtet, um sich vor ihm zu verstecken. Doch dort, mitten unter den vielen Menschen, trifft er eine schwarze Frau, den Tod, der zu ihm spricht …«

    Er hielt inne. Wollte, dass ich es selbst sagte. Das tat ich auch. Leise erzählte ich die Lieblingsgeschichte meiner Kindheit zu Ende. »Ich hatte schon Angst, dass du es nicht mehr rechtzeitig schaffen würdest hierherzukommen, Kaufmann! Ich bin es, dein Tod. Es war dir immer bestimmt, hier zu sterben!«

    Dann drehte ich mich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Auf zwanzig Zentimeter Entfernung waren die alles vernichtende Allzweckwaffen. Aber ich war mit einem Mal ganz ruhig. »Ja, ich bin vor Ihnen geflüchtet. Na und? Es stimmt, ich kriege Sie nicht raus aus meinem Kopf, aber Sie werden sich nicht länger auf meine Kosten amüsieren! Lassen Sie mich bitte in Ruhe, ein für alle Mal!«

    Ich stieß Speltz zurück und humpelte los, doch nach nicht einmal drei Schritten hatte er mich eingeholt. Er war fast eins neunzig. Seine langen Arme umschlangen mich, ich fiel nach vorne, er ungebremst auf mich drauf. So blieben wir einen Moment lang liegen. Mein Körper war mit einem Mal wie Gelee. Seine Hände lagen direkt über meinen Brüsten. Die Erkenntnis, dass es sich gut anfühlte, machte mich noch wütender.

    »Hey, Baby«, hörte ich da, »lass es doch einfach zu!« Er küsste mich. Es war kein sanfter Kuss, kein Erforschen oder vorsichtiges Kennenlernen. Nein, Georg Speltz nahm sich, was er wollte. In diesem Augenblick wollte er mich. Und ‒ ich werfe es mir noch heute vor ‒ ich ihn.

    Er machte all das mit mir, wovon ich seit Tagen geträumt hatte. Und ich machte mit. Ich saugte an seinen warmen Lippen, seiner Zunge, die meinen Mund ausfüllte, stöhnte, als seine Hände in einer einzigen, schnellen Bewegung mein T-Shirt nach oben schoben. Wir wälzten uns über den harten Boden, während wir irgendwie unsere Trainingshosen nach unten strampelten. »Das wollte ich schon so lange tun!«, hörte ich Georg murmeln. »Du fühlst dich so unglaublich gut an. Komm, lass dich gehen!«

    Ich hatte ohnehin gerade nichts Besseres vor, also ergab ich mich meinen wild umhertobenden Hormonen. Ich hörte Papier reißen, fühlte Gefummel mit Gummi (erst später schoss es mir: Er ging mit Kondomen joggen … wie krank war das denn?), mich hochgehoben und fand mich schließlich an einen Baum gelehnt wieder, die nackten Beine fest um seine Hüften geschlungen.

    Ich wollte ihn sehen, bevor er mich ausfüllte, und lugte nach unten. Du meine Güte! Doch Georg ließ mir keine Zeit, noch länger über Größenverhältnisse nachzudenken, zwang meinen Blick nach oben und sagte leise: »Schau mich an! Ich will dich sehen, wenn ich zu dir komme!«

    Dann drang er in mich ein, und ich kam ‒ im selben Moment! Ich explodierte wie ein Feuerwerkskörper an Neujahr. Mein erster Instant-Orgasmus. Wir waren absolut kompatibel.

    Irgendwann sanken wir schwer atmend zu Boden. Speltz drückte mich noch einmal fest an sich ‒ und ließ mich dann abrupt los.

    Was war das jetzt? Perplex sah ich zu, wie er sich zur Seite drehte und seinen Kopf in den Händen vergrub. Mit einem Mal schien er ganz weit weg zu sein.

    Ich rappelte mich auf, völlig verstört und überfahren, aber schlagartig wieder ich selbst. Verlegen warf ich ihm vorsichtig einen unsicheren Blick zu. Er reagierte nicht. Von einem Moment zum nächsten war er wieder Georg Speltz ‒ der Unnahbare ‒, der sein Motto lebte: All you can fuck. Und ich hatte mich ihm freiwillig serviert, auf dem Silbertablett ‒ mit Diener. Vollkommen intelligenzbefreit.

    Schlagartig war der Rausch von eben einer kalten, entsetzlichen Stumpfheit gewichen.

    Still und starr wankte ich davon, mit der letzten Energie, die ich noch von irgendwo zusammenkratzte. So hatte ich das nicht gewollt! Der Teil war in keiner meiner Fantasien vorgekommen!

    Es gab nichts zu beschönigen: Ich hatte mich gerade durch und durch lächerlich gemacht!

    Kapitel 4

    LILLY - Wien, am selben Abend

    »Was denn jetzt?«, fragte Sophie und rang mit den Händen. »Willst du dich auf ewig verkriechen und ihn triumphieren lassen?«

    Ich schüttelte den Kopf. Wir fläzten beide, in dicke Bademäntel gehüllt, auf ihrem Bett und schlürften Mädchenbier.

    »Gut, dann stell dich. Wenn du ihn das nächste Mal siehst, lachst du ihm ins Gesicht und sagst, dass Champagner besser knallt als er. Wetten, dass ihn das wurmt?«

    Sophie hatte gut reden! Natürlich war Angriff die beste Verteidigung, aber ich konnte mir im Moment nicht einmal vorstellen, je wieder aus ihrem Bett zu steigen ‒ geschweige denn, Georg Speltz so richtig fest dahin zu treten, wo es so richtig wehtat! Na ja, Letzteres vielleicht doch. Ich war stinksauer auf mich selbst, aber auch auf diesen fiesen Schlumpf, der meine Schwäche eiskalt ausgenutzt hatte.

    Sophie sollte mir helfen, das ganze Chaos auf die Reihe zu kriegen. »Sieh es positiv, Lilly, jetzt hast du ihn wenigstens gehabt und musst nicht länger von ihm träumen! Wie war’s denn überhaupt?«, fragte sie und nahm einen weiteren Schluck Prosecco.

    »Das ist ja das Schlimme«, jammerte ich. »Es war der beste Sex, den ich je hatte! Purer Instinkt, wir waren wie Tiere!«

    »Und kannst du mir jetzt bitte sagen, worüber du dich beschwerst?«, fragte sie und grinste ihr kleines, dreckiges Sophie-Grinsen für ganz besonders lüsterne Gelegenheiten.

    »Ich will nicht Nummer dreitausendzweihundertvierundfünfzig auf seiner Liste sein!«, fauchte ich. »Vermutlich lässt er sich jetzt gerade von einer thailändischen Masseuse bedienen und schmeißt sich weg vor Lachen, während er einen großen Haken hinter seine jüngste Beischlafkandidatin macht.«

    Sophie zog die Augenbrauen hoch. »Na, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Madames Ego ist gekränkt!«

    »Klar!«, gab ich zu. »Aber was soll ich denn machen? Ich könnte den Kerl umbringen!«

    »Der hat nur getan, was du zugelassen hast!«, meinte Sophie gnadenlos.

    »Ich bin schlimmer als eine Zehnjährige, die zum ersten Mal dahinterkommt, dass es YouTube-Stars gibt! Und weißt du, es ist die Sache mit Samarkand, die mich so verwirrt. Woher wusste er, dass ich die Geschichte und das Lied so mag?«

    »Vielleicht solltest du genau das schleunigst herausfinden?«, sagte Sophie kryptisch. »Aber eines ist doch wohl klar: Das heute war kein Zufall!«

    Sie sollte recht behalten.

    Kapitel 5

    LILLY - Wien/London

    Am übernächsten Tag flog ich nach London ‒ für ein Inter­view mit einem ganz, ganz Großen. Aber selbst dabei spukte Speltz mir quasi nonstop im Kopf herum. Und das wollte etwas heißen, denn ich blickte auf eine Legende. Ein Musiker der obersten Liga. Mit allem, was dazugehörte. Er hatte sich mal, als ihm das Kokain ausgegangen war, mit einem Strohhalm eine Line lebender roter Ameisen durch die Nase gezogen. Auch verbrieft: der Blumenstrauß auf einer Beerdigung, den er über seine Schulter nach hinten geworfen und gerufen hatte: »Wer ihn fängt, ist der Nächste!«

    Seine Tochter hatte sich vor Kurzem eine Überdosis Heroin gespritzt und war gestorben. Vor den Augen ihrer Zweijährigen. Was er mir haarklein erzählte. Ich hatte also wieder mal einen tollen Job abgeliefert. Doch was nützte mir das, wenn mir jeder Gedanke an meine spontane Blitzverblödung im Wald beinahe den Magen umdrehte? Wenn da zufällig ein Fotograf in der Nähe gewesen wäre und alles abgelichtet hätte, dann gute Nacht. Ich sah auch schon die Schlagzeile: Georg – genital daneben. Oder irgendein anderer Schwachsinn. Zum Glück war bisher nirgends etwas aufgetaucht. Sollte ich wenigstens dahingehend entschieden mehr Glück als Verstand gehabt haben?

    Wieder zu Hause checkte ich meine Mails. Nicht weniger als 136 neue Nachrichten! Damit war klar, es würde ein ruhiger Abend vor dem Computer werden. Auch Facebook und Co wollten abgefragt werden.

    Und dann Nachricht Nr. 37! Mein nächster Arbeitseinsatz! Ein Interview mit ‒ Halli, hallo! ‒ Georg Speltz! Das Thema: seine Haltung zur Hochzeit eines Kunsthändlers mit einer Jung­schauspielerin. Pikantes Detail am Rande: Er war einer ihrer Lover gewesen und kannte auch den Bräutigam gut. Und sooo praktisch: Speltz weile ja ohnehin gerade in Wien, und ich wäre ja schließlich ein guter Kumpel von ihm.

    Ich war ja auch tatsächlich eine Speltz-Expertin. Mittlerweile sogar mehr, als mir lieb war.

    Ferdl, wer sonst, holte mich von zu Hause ab. Als Treffpunkt hatte die Redaktion Speltz’ Loft vereinbart. Loft? Hatte der nicht was von einem »kleinen Appartement« erzählt? Na, dann hast du ja auch noch Heimvorteil, dachte ich grimmig, als ich aus dem Auto stieg und Ferdl half, den Beleuchtungskoffer zur Eingangstüre zu schleppen.

    Speltz lebte in einer ausgebauten Dachwohnung im obersten Stock eines Altbaus im 18. Bezirk. Es waren 74 Stufen. Ich schickte Ferdl mit dem Lift hoch und ließ mir Zeit, zählte jede einzelne und freute mich, dass es so viele waren. Von mir aus hätte Speltz im fünfzigsten Stock eines Wolkenkratzers logieren können.

    Ich hörte Ferdl schon herumrumoren und lautstark den »lieben Georg« begrüßen. Wie gesagt, er ist schwul, und Speltz ließ auch ihn nicht kalt. Auch wenn in die Richtung nichts lief. »Schauen darf ich bei dem Muckitainment auch!«, hatte er das mal grinsend kommentiert.

    Als ich um die letzte sichere Ecke bog, sah ich eine große graue Holz-Glastür und mitten im Türrahmen einen ganz in Schwarz gekleideten Georg Speltz von hinten. Er zeigte Ferdl gerade die Steckdosen für das Licht. Ich setzte ein tapferes Lächeln auf und trabte los. Er bemerkte mich erst, als ich dicht hinter ihm stand. Langsam drehte er sich um und fixierte mich. Ich erwartete das berühmte Speltz-Lächeln, vielleicht noch garniert mit einem Hauch Frechheit, aber er blieb, und das verunsicherte mich noch mehr, völlig ernst.

    »Hallo!«, sagte er leise und beugte sich vor.

    Um Himmels willen, der wollte mich doch

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