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Der Rosenpitter: Gefährliches Erbe
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eBook401 Seiten5 Stunden

Der Rosenpitter: Gefährliches Erbe

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Über dieses E-Book

Spannende Jagd auf dunkle Geschäfte
Mord in der Lüneburger Heide. Kommissar Berendtsen geht nicht von einem großen Fall aus, doch dann führt die erste Spur zu dem im Hamburger Milieu gut bekannten Hotelbesitzer Peter Friedmann. Noch ehe dieser befragt werden kann wird er unter den Augen zweier LKA-Beamter erschossen. Während die Untersuchungen beginnen finden Friedmanns Kinder heraus, dass ihr Vater noch an anderen, gefährlichen Geschäften beteiligt war. Dadurch geraten Sie selbst ins Visier der Killer und eine rasante Jagd weit über die Grenzen von Deutschland beginnt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Jan. 2015
ISBN9783738014440
Der Rosenpitter: Gefährliches Erbe
Autor

Gerhard Nattler

Nach naturwissenschaftlichem Studium und Aufenthalten in Süddeutschland, der Schweiz und Münster / Westf. ist der Autor in seine Heimatstadt Dorsten zurückgekehrt und hat 30 Jahre lang einen Betrieb aufgebaut und geführt. Nach dessen Verkauf hat er mit dem Schreiben angefangen.

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    Buchvorschau

    Der Rosenpitter - Gerhard Nattler

    Prolog

    Der Rosenpitter

    Ein gefährliches Erbe

    Gerhard Nattler

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    Impressum

    Texte: © Copyright by Gerhard Nattler

    Umschlag: © Copyright iStock.com/pungem

    Verlag: VermGes. b.R.

    Lessingstr. 1

    45896 Gelsenkirchen

    Druck: epubli, ein Service der

    neopubli GmbH, Berlin

    Printed in Germany

    Nachdem der alte Toyota schon eine ganze Weile dem Wirtschaftsweg gefolgt war und der asphaltierte Teil des Weges zunächst in einen Schotterweg, dann in einen Sandweg übergegangen war mit dicker Grasnarbe in der Mitte zwischen den beiden Fahrspuren, hält der Fahrer den Wagen an und steigt aus, um sich anhand einer Geländekarte zu orien­tieren. Dann setzt er seine Fahrt noch ein Stück fort, bis er nach einer kleinen Biegung an einen Holzschober kommt, in dem, wie man ihm beschrieben hatte, ein Pferdeanhänger steht und eine Pferdebox eingerichtet ist. Die Box ist leer. Der Schimmel grast einsam auf der Weide. Durch sein Fernglas kann er einige Kühe in der Ferne auf einer Nachbarwiese beobachten, die zufrieden im Gras liegen und wiederkäuen. Der Verschlag ist offen und so fällt sein Blick durch ein kleines Fenster auf der Rückseite des Holzbaus direkt auf das Haus, zweigeschossig, Satteldach, zwei Garagen, große Terrasse mit eingeklapptem Sonnenschirm. Er hat es gefunden, knapp 100 m entfernt. Alles ist ruhig. Kein Luftzug, kein Hauch. Die Vögel haben ihren morgendlichen Gesang unterbrochen, nur ein Specht hat noch seine liebe Arbeit mit dem hohlen Baumstamm einer Kiefer. Alles ist friedlich. Die Morgensonne steht schon am Himmel und erleuchtet direkt die Terrasse, die er gesucht hat. Mit einem Laser misst er die Entfernung: 98,5 Meter. Es stellt ihn zufrieden, dass man heute alles so genau messen kann und der Zufall eine nicht mehr so große Rolle spielt. Er begutachtet seinen Arbeitsplatz, indem er zweimal langsam und mit prüfendem Blick um den Schober herumgeht. Er findet einen alten Holztisch, prüft die Haltbarkeit – zufriedenstellend. Er rückt ihn an die Holzwand des Schobers.

    Er klappt den Kofferraum auf und entnimmt seinen altgedienten Werkzeugkasten. Er klettert mit dem Koffer auf das Dach des Schobers und beginnt mit seinen Vor­bereitungen. Zuerst wird das Stativ aufgebaut und auf Stand­sicherheit geprüft. Er ist unzufrieden mit dem Untergrund, das Dach ist uneben und so nicht gerade geeignet für Präzisions­arbeit. Er sieht sich nach geeignetem Material um und findet zwei kleine alte Brettchen, die halb unter einem Heuhaufen verborgen sind, wischt sie mit einem Büschel Heu und danach noch einmal mit seinen feinen Lederhandschuhen ab. Er bläst das letzte Heu fort, wirft einen prüfenden Blick darüber, findet sie gut geeignet. Er legt die beiden Brettchen nebeneinander auf die Dachpappe unter die vier Standbeine des Stativs. Jetzt ist es so stabil, dass es seinen Ansprüchen standhält. Nur die kleine Luftblase oben in der Wasserwaage zeigt ganz nach rechts. Das Einjustieren ist mittels zweier kleiner Dreher, mit denen die Füße etwas weiter aus- und eingefahren werden können, schnell erledigt. Darauf montiert er das Präzisionsgewehr und schließlich das Zielfernrohr. Ziel fixieren, scharf stellen und die Entfernung am Gewehr einjustieren. Alles ist Routine. Jetzt braucht er nur noch zu warten.

    1. Kapitel

    Peter Friedmann sah so aus, wie man sich einen Geschäftsmann aus den fetten Jahren des Aufschwungs nach dem Krieg vorstellt, mit einem kleinen Wohlstandsbauch, Hornbrille, Anzug und Hut, Limousine und Chauffeur. Wenn das Wetter es erforderte, trug er einen Trenchcoat. Klein war er nicht mit seinen 1,80 m. Er war, auch für seine fünfund­fünfzig Jahre, recht konservativ ausgerichtet, wenn man nicht bieder sagen wollte. Auch in der Freizeit waren ihm Jeans ein Gräuel. Er sorgte für seine Familie, gab für alle sein Bestes und freute sich, wenn es allen gut ging, und seine Frau und die beiden Kinder ihm dankbar waren, was zweifellos auch der Fall war. Hobbies hatte er keine, außer seinen Geschäften. Geschäfte machen und Erfolg dabei haben war seine Leiden­schaft. Wenn ihm mal wieder ein Coup gelungen war, konnte er sich diebisch freuen. Immer noch, denn finanziell war inzwischen alles im sogenannten grünen Bereich und es gelang ihm dann häufig, seine Frau anschließend zu einem eleganten Essen auszuführen. Den einzigen Luxus, den er sich gönnte, war der Kauf eines Cabrios. Alle Jahre, wenn ein neues Modell oder ein Facelift auf den Markt kam, gönnte er sich diese Ausgabe, denn er hatte als Jugendlicher immer davon geträumt, einmal einen Mercedes SL sein Eigen zu nennen und nun war dieser Traum in Erfüllung gegangen. Er hatte sehr viel Spaß daran. Es war für Peter Friedmann immer wieder ein Genuss, in einer lauen Sommernacht, so wie es heute eine war, mit geöffnetem Cabrio durch die Heide zu fahren. Wie oft hatte er mit seiner Frau früher eine Nachttour unternommen. Wenn sie beide nach dem Abendessen noch auf der Terrasse saßen, dann fuhren sie oft einfach los und genossen die laue Luft in der Heide. Er nahm sich vor, sein Leben wieder mehr zu genießen, ja er würde seinen Kindern das Unternehmen übergeben und sich ganz ins Privatleben zurückzuziehen. Er musste nur jetzt erst alles in geordnete Bahnen lenken, die »schlechten Geschäfte«, wie er sie nannte, abwerfen und nur noch das Kerngeschäft behalten. Das ganze schlechte Umfeld musste er verlassen. Aber wie? Er musste dies alles mit Magdalene besprechen. Gleich morgen. Sie würde ihm helfen, denn sie hatte immer gute Ideen, wenn er in einer schwierigen Lage war, einfach weil sie außen vor stand und auf diese Weise ein anderes Blickfeld hatte. Schließlich wollte er nicht so enden wie Gregori.

    Der Wagen bog in die Einfahrt ein. Er schloss das Dach, öffnete das Garagentor und stellte den Wagen ab, nahm den Koffer und die kleine Tasche aus dem Kofferraum und wollte gerade die Haustür aufschließen, als Magdalene schon in der Tür stand und ihn begrüßte. Sie hatte ihn erwartet und das Auto gehört.

    »Hallo Peter! Schön, dass du heile wieder zuhause bist. Wie war der Flug?«

    Ehe er antwortete, stellte er das Gepäck ab, nahm sie fest in seine Arme und küsste sie lange auf ihren rot geschminkten Mund. Er mochte dieses kräftige Rot und freute sich, dass sie es für ihn noch so spät am Abend aufgelegt hatte. »Hallo meine liebe Magdalene, gut siehst du aus!«, sagte er zuerst und sie freute sich über das Kompliment. Dann fuhr er fort: »Der Flug war angenehm, aber die Maschine hat sich auf dem kurzen Stück von Larnaka nach Hamburg um eine dreiviertel Stunde verspätet. Erst verzögerte sich der Abflug und dann konnten wir nicht pünktlich landen. Ich weiß nicht warum. Ich habe aber mehr als zwei Stunden fest geschlafen. Diese neuen Schlafsitze sind wunderbar«. Er reckte sich. »Aber jetzt bin ich froh, dass ich wieder zuhause bin.«

    Sie wischte ihm einen kleinen roten Streifen von der Oberlippe. »Warum hast du nach der Landung nicht angerufen?«, fragte sie ihn auf dem Weg zum Wohn­zimmer und fuhr sogleich fort: »Komm erst einmal herein. Setzen wir uns noch ein wenig auf die Terrasse? Ich habe dir ein Bier kalt gestellt.«

    Zunächst hängte er sein Jackett an die Garderobe. Den Autoschlüssel warf er lässig in die Schale auf dem kleinen Schränkchen und seine Schuhe tauschte er mit den Filzpantoffeln. Sie hatten waren nicht mehr die neusten, aber er trug sie immer gerne. Er zog seine alte Strickweste über und antwortete ihr: »Ich habe nicht gedacht, dass du so lange auf mich wartest, dachte, du liegst schon im Bett und wollte dich nicht auf­wecken. Bist du wach geblieben?«.

    »Ich habe den Abend vor dem Fernseher verbracht. Ich bin während eines alten Tatorts eingenickt und erst aufgewacht, als ich deinen Wagen bemerkt habe.

    Er trank den ersten Schluck mit Genuss. »Richtiges Bier gibt es eigentlich nur hier bei uns. Habe mich schon unterwegs darauf gefreut.«

    »Wie waren die Tage auf Zypern? Hast du etwas über Gregoris Tod erfahren?«

    »Sie gehen davon aus, dass er von seinem Boot gestürzt und ertrunken ist. Vorstellen kann ich mir das nicht.«

    »Der Mann ist mit Booten aufgewachsen. Er hat doch schon als Kind seinem Vater beim Bootsbau geholfen.« Magdalene machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wann hat er den Bootsbau von seinem Vater übernommen? Vor zwanzig Jahren? Oder länger?«

    Sie schwiegen eine Weile, Peter trank einen Schluck und machte ein nachdenkliches Gesicht.

    »Vor jetzt bald zwanzig.«

    »Aber… wer sollte ihm etwas antun? Und warum?«, fuhr Magdalene fort. »Jetzt auf einmal.«

    »Ich weiß es nicht. Es war mit ihm etwas im Gange, womit er nicht herausgerückt ist. Er ist ja nicht nach Zypern gekommen, um Urlaub zu machen. Ich habe vor knapp zwei Wochen mit ihm telefoniert und er sagte mir, dass es in Ägypten Probleme gäbe und er eine Weile dorthin wollte, um sich um verschiedene Angelegenheiten zu kümmern. Er hat sich nicht darüber ausgelassen, was es war, obwohl ich ihn mehrfach gefragt habe, ob ich ihm helfen könnte. Es muss sich aber um etwas sehr Wichtiges gehandelt haben. Er wollte mir bei Gelegenheit Bescheid geben. Dann könnte ich etwas für ihn tun.«

    »Was sollte das sein?«

    »Ich habe eine Vermutung, denn er hat mir aus Limassol eine kurze SMS geschrieben, aber ich kann noch nicht darüber reden, denn ich muss erst noch etwas telefonieren. Morgen Mittag weiß ich bestimmt schon mehr.« Er holte eine zweite Flasche Bier aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein. »Das Blöde ist, er hatte wichtige Informationen, die ich unbedingt brauche und wollte mir deswegen eine Nachricht zukommen lassen.« Er trank sein Bier. »Wie soll ich jetzt an diese Daten kommen?«

    »Für die Geschäfte? …Wichtig?«

    »Ganz wichtig, aber das erzähle ich alles morgen, wenn ich telefoniert habe. Jetzt lass uns einfach etwas plaudern«, er trank mit großen Schlucken das halbe Glas leer, dann fuhr er fort: »Wir sollten wieder öfter eine Cabrio-Tour unternehmen. Es war so schön heute Abend von Hamburg bis hierher. Ich bin den ganzen Weg über die Landstraße gefahren. Weißt du noch, wie wir früher oft abends losgefahren sind? Manchmal waren wir erst um drei Uhr nachts wieder zuhause. Daran musste ich heute Abend denken, als ich durch die Heide kam.«

    Sie plauschten beide noch lange von alten Zeiten und es wurde spät, bis sie zufrieden ins Bett gingen.

    »Du hast aber lange geschlafen, mein Lieber! Ich sitze schon fast eine halbe Stunde hier auf der Terrasse und warte auf dich. Was möchtest du frühstücken?«

    Er begrüßte seine Frau mit einem Guten-Morgen-Kuss, strich ihr übers Haar, blinzelte in die Runde und sah so aus, als habe er immer noch nicht richtig ausgeschlafen. »Ich habe gar nicht bemerkt, dass du aufgestanden bist.« Er ordnete seinen Morgenmantel neu und band ihn etwas fester zu. »Nur erst einmal Kaffee, dann vielleicht einen Toast.« Er nahm auf seiner Bank Platz, angelte nach der Zeitung und begann zu lesen. »Immer dasselbe«, sagte er noch zu Magdalene, »ich kann den ganzen Blödsinn und das Lügen über den Nahen Osten bald nicht mehr hören«, aber seine Frau überhörte seine Bemerkung, weil sie diese seine Ansichten schon recht oft unterbreitet bekommen hatte.

    Als sie den Kaffee angestellt und sich um den Toast gekümmert hatte, schellte es an der Tür. Auf dem Bildschirm im Flur erkannte sie zwei Männer. Sie schaltete die Sprechanlage ein.

    »Bitte?«

    »Landeskriminalamt Hamburg. Guten Morgen«, stellten sie sich vor und einer der beiden hielt seinen Ausweis unter die Kamera.

    Sie öffnete die Tür. »Was gibt uns die Ehre so früh am Morgen?«

    »Mein Name ist Schwertfeger, Kommissar Schwertfeger und das ist mein Kollege Kampmann. Sind wir hier richtig bei Friedmann, Peter Friedmann?«

    »Ja, das ist mein Mann. Warum?«

    »Dürfen wir bitte hineinkommen? Wir hätten Ihrem Mann einige Fragen zu stellen. Nichts Schlimmes, nur einige wenige Auskünfte.«

    »Wir wollen ihn nur zu einer Person befragen«, ergänzte Kampmann.

    »Wir sind noch gar nicht auf Besuch eingestellt. Mein Mann ist heute Nacht aus Larnaka gekommen und gerade erst aufgestanden. Er sitzt im Morgenmantel auf der Terrasse. Bitte kommen Sie herein.« Sie wich einen Schritt zurück und schloss hinter den beiden die Haustür.

    Als die beiden Männer ihre Garderobe ablegten, war ein kurzes Stöhnen zu hören, ein unterdrückter Schrei. Ein Stuhl kippte um, Geschirr fiel zu Boden. Die Geräusche kamen ein­deutig aus Richtung der Terrasse.

    Frau Friedmann war tief erschrocken. »Peter? Peter, ist alles in Ordnung?«, schrie sie. Sie erinnerte sich an eine Herzattacke ihres Mannes, die er vor einem Jahr schon einmal hatte durchstehen müssen und geriet in Panik. Er war damals knapp mit dem Leben davon gekommen und hatte lange gebraucht, bis er sich wieder richtig erholt hatte.

    Dann standen sie auch schon alle auf der Terrasse. Peter Friedmann lag zusammengebrochen neben dem Tisch. Er hatte die Augen geöffnet und sah seine Frau hilfesuchend an, was aber nur kurz währte, denn dann erlosch ihr Glanz und sie waren starr auf den Himmel gerichtet. Die Tischdecke hatte er bei seinem Sturz mitgezogen. Er hielt sie noch fest in der Hand. Die Zeitung verdeckte einen Teil seines Oberkörpers. Darunter erkannte Kampmann eine kleine Blutlache, die schnell größer wurde. Die Scherben des Frühstücksgeschirrs waren bis hin zu den Blumenbeeten verstreut. Harald Kampmann stand die Angst im Gesicht. Er brauchte einige Augenblicke, um sich von dem Schrecken zu erholen. Man sah ihm an, dass er einen Würgereiz unterdrücken musste. Er zog seine Waffe unter seinem Jackett hervor, nahm Deckung hinter einem Kaminvorsprung und sah sich nach allen Seiten um und als er glaubte, sich nicht in unmittelbarer Gefahr zu befinden, legte er sich flach auf den Boden und robbte zu Friedmann hinüber, fühlte den Puls und die Halsschlagader. Er warf einen Blick unter die Zeitung. Er schüttelte den Kopf.

    »Nichts mehr zu machen! Mitten in die Brust, Herz wahrscheinlich!« Er strich mit seiner Handfläche über das Gesicht des Toten und schloss so seine Augen. Peter Friedmann war tot.

    Magdalene schlug mit einem Schrei die Hände vor ihr Gesicht und wollte sich zu ihrem Mann niederbeugen, ihr wurde aber dabei schwindelig und sie musste sich am Tisch aufstützen. Sie schwankte stark. Beinahe wäre sie kollabiert und der Länge nach auf die Fliesen gestürzt, hätte Schwert­feger sie nicht geistes­gegenwärtig aufgefangen. Er hob sie an, um sie auf einem Gartensessel zu platzieren, der etwas abseits stand. Dabei rückte er ihr den Morgenmantel wieder zurecht, dessen zu einem Knoten gebundene Kordel, die ihn zusammenhalten sollte, aufge­gangen war. Kampmann blickte sich nach dem Schützen um. Weit und breit nichts zu sehen, nur Kühe auf der Wiese lagen in aller Ruhe da und sahen keinen Anlass, ihr Wiederkäuen zu unterbrechen. Ein unruhiger Schimmel tänzelte über die Weide. Schwertfeger versuchte, sich ebenfalls ein Bild von der Umgebung zu machen, musste aber ständig mit einer Hand die Frau auf dem Stuhl festhalten, die immer wieder aufzu­stehen versuchte, um zu ihrem Mann zu gelangen. Dabei rief sie immer leiser werdend: »Peter, Peter, was machst du?« Sie blickte mit entsetzten Augen den Kommissar fragend an: »Ist er tot? Ist mein Mann tot?« Schwertfeger brachte es nicht fertig, ihr eine Antwort zu geben. Schließlich hielt er es für das Beste, die Frau vom Ort des Geschehens fernzuhalten. Er griff ihr unter die Arme und beförderte sie zurück ins Haus, um sie im Wohnzimmer auf der Couch hinzulegen. Sie hatte die Augen geschlossen und war kreide­bleich. Mit leichten Schlägen auf ihre Wangen, weckte er sie auf und versuchte, beruhigend auf sie einzureden, was ihm aber alsbald völlig sinnlos erschien. Sie sah, noch ver­stärkt durch ihr hageres Gesicht, das nun jede Durch­blutung verloren hatte, geisterhaft aus, war völlig abwesend und gab keinen Ton von sich. Kampmann telefonierte indessen mit dem Kommissariat, um die ganze Maschinerie in Gang zu setzen, die bei einem solchen Ereignis vorgesehen war. Es war das erste Tötungsdelikt in seiner Laufbahn, bei dem er die Tat direkt miterlebte. Er war nervlich fast überfordert und musste auf seinem Spickzettel nachsehen, bei welcher Adresse er sich befand. So bemerkte er vor lauter Aufregung nicht, obwohl er beim Telefonieren in die Richtung blickte, dass sich auf der anderen Seite der hinter dem Haus gelegenen Wiese ein kleiner blauer Toyota von dem Holzschober verabschiedete.

    2. Kapitel

    Auf dem Polizeirevier Jesteburg war die Stimmung gedrückt. Zur Lagebesprechung um acht Uhr morgens waren alle anwesend, auch die, die eigentlich wegen der Nachtschicht seit sechs Uhr Feierabend hatten. Sie waren dazu verdonnert worden, bei dem Briefing, wie die Leute aus Hamburg die morgendliche Besprechung heute nannten, anwesend zu sein. Die Stühle mussten zusammengerückt werden und verschie­dene Kollegen holten weitere aus den benachbarten Büros, bis alle einen Sitzplatz hatten. Ein Einsatz­kommando aus Hamburg war angereist »zur Unter­stützung der Ermittlungen«, wie sie es nannten.

    Hauptkommissar Berendtsen, ein untersetzter Mittvierziger im grauen Anzug mit roter Krawatte, stellte sich und seine beiden Kollegen vor. Es handelte sich um die beiden Kriminalassistenten Holler und Weinheim. Dann fand er ein Papiertaschentuch in seiner Hosentasche und polierte die Gläser seiner Hornbrille. Dann wandte er sich an die Anwesenden.

    »Guten Morgen, meine Herren«, in diesem Augenblick erspähte er die einzige Dame im Raum. Es war Laura, die Praktikantin.

    »Entschuldigung bitte. Also noch einmal: guten Morgen, meine Dame und meine Herren.

    Was haben wir bisher? Kann bitte jemand die Situation zusammenfassen? Wie ist die Lage?« Er machte eine einladende Handbewegung. »Herr Kollege Schmidt, bitte?« Dieser war der Leiter der Dienststelle und so dem Beamten aus Hamburg inzwischen bekannt.

    Der erhob sich von seinem Platz.

    »Viel haben wir nicht, wie sie ja wissen, aber wir hatten ja auch noch keine Möglichkeit, der Sache richtig nach­zu­gehen, weil Ihre Leute ja alles an sich gerissen haben, ohne dass sie die Gegeben­heiten hier in der Heide kennen. Hamburg und Heide sind zwei Paar Stiefel….«

    »Meine Leute haben gar nichts an sich gerissen. Wir haben genug zu tun, da brauchen wir nicht noch mehr Arbeit hinterher zu laufen. Außerdem kennen wir die Gegeben­heiten, …auch hier in der Heide.«

    »Ich fasse zusammen:«, fuhr Schmidt fort und man sah ihm an, dass er sich fühlte wie ein begossener Pudel. »Heute Nacht um 1 Uhr 25 hörte ein Gast im Hotel‚ ›Lamm‹ in Marxen einen lauten Schrei, der aus dem Zimmer 206 zu kommen schien. Als er an die Tür klopfte, hörte er mehrmals das Wort »Hilfe, Hilfe«. Er versuchte vergebens, die Tür zu öffnen – dort sind die Zimmer mit Türschlössern versehen, die nur mit einer Zimmerkarte zu öffnen sind«, fügte er anmerkend hinzu und sah dabei in die Runde als wolle er sicher gehen, dass alle Anwesenden ihn verstanden hatten. Dann glitten seine Augen kurz suchend über sein Konzept und er fuhr fort: »Er rief in etwa: ›Kann ich helfen? Aufmachen! Ich trete die Tür ein‹! Er rappelte mehrfach an der Türklinke, als auch schon von innen geöffnet wurde und ein Mann das Zimmer fluchtartig verließ und Herrn Kohlmann – so heißt der Zeuge – so heftig zur Seite stieß, dass dieser zu Fall kam. Der Täter entfernte sich über den Gang. Dieser Herr Kohlmann betrat das Zimmer und fand ein regungslos im Bett liegendes Mädchen im Alter von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Er konnte weder Atemgeräusche noch den Puls des Mädchens ausmachen und ging davon aus, dass sie tot war. Während er die 110 anrief, hörte er die Nebentür zufallen, die auf die Feuerleiter führt. Vond dort aus gelangt man auf den Parkplatz.«

    »War diese Tür nach außen etwa offen!?«, unterbrach ihn Hauptkommissar Berendtsen mit völligem Unverständnis.

    »Diese Tür ist nachts zwar nicht abgeschlossen, sondern nur zugezogen, weil sie als Notausgang gilt und nicht abge­schlossen werden darf. Sie ist aber durch ein Spezialschloss gesichert und nicht von außen, sondern nur von innen her zu öffnen. Als die Nachtschicht und der Notarzt eintrafen, stellte…«, er blätterte seinen Notizblock um, »Herr Dr. Wellenberg, ein Arzt hier aus dem Jesteburger Krankenhaus, den Tod fest. Nach erstem Anschein wurde ihr wohl das Genick gebrochen. Es handelt sich also mit ziemlicher Sicherheit um einen professionellen Killer, denn viel Gegenwehr hat das Mädchen auf keinen Fall geleistet. Der Kollege Groß sah sich im Zimmer um und fand einen Zettel mit der Adresse ›Asendorfer Heide 19‹. Es handelt sich um einen Zettel – wohl von einem Werbe­blöckchen – mit einem Firmenlogo und griechischer Schrift darunter. Die Adresse war ganz normal in lateinischen Groß­buchstaben geschrieben. Wir haben die Kriminalpolizei in Hamburg benachrichtig, wie es in diesem Fall vorgeschrieben ist und den Zettel an einen Herrn Kommissar…« Er wollte gerade wieder auf seinen Block schauen, da ergänzte Berendtsen…

    »Schwertfeger«

    »Genau. Der ist inzwischen zu dieser Adresse unterwegs.«

    »Kennt jemand die Adresse?«, fragte Bernds

    Es meldete sich die Praktikantin: »Es ist die Adresse von Herrn Peter Friedmann. Ich kenne das Haus. Es sind Nachbarn von meiner Tante.«

    »Was sind das für Leute, die Friedmanns?«

    Schmidt antwortete: »Es sind Geschäftsleute. Dem Mann gehören in Hamburg drei Etablissements im Rotlichtviertel, eines davon liegt auf der Reeperbahn. Außerdem gehören ihm einige Hotels.«

    »Könnte es sein, dass sich das Mädchen bei ihm vorstellen wollte?«

    »Das glaube ich kaum, denn diese Mädchen waren hier noch nie zu sehen. Die gehen direkt zu den Häusern. Da befinden sich auch die Leute, die sie begutachten.« Unangebrachte Kommentare erfüllten den Raum.

    »Meine Herren…bitte!« Der Kommissar bat um erneute Aufmerksamkeit.

    In dem Moment schellte das Mobiltelefon in Berendtsens Hosentasche. Er nahm an.

    »Hier Berendtsen.«

    Es meldete sich Kampmann, der von dem Geschehen bei Friedmann berichtete.

    »Was?!...« Berendtsen war entsetzt. »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Friedmann ist tot? Der Schütze konnte entkommen? Und Ihr zwei Schafsköpfe konntet nichts machen? Das will ich aber schriftlich. Heute noch! Und zwar in Schönschrift!« Sein Gesicht, was vorher mit leichten roten Äderchen durchzogen war, schwoll auffallend an und bekam jetzt eine tiefrote Farbe, die vermuten ließ, dass er im nächsten Moment einem Schlaganfall erliegen könnte, zumal er mit seinem leichten Übergewicht nicht der Sportlichste zu sein schien. In dem Konferenzraum herrschte eisige Stille. Die Anwesenden bekamen es mit der Angst, dass der Hauptkommissar gleich selbst einen Notarzt benötigte. Dann hörte er einen Augenblick wieder zu, um gleich darauf wieder laut zu werden: »Ihr habt alle beide keine Ahnung, woher der Schuss kam?«

    »Keinen blassen Schimmer! Wir können uns nicht einmal daran erinnern, einen Schuss gehört zu haben. Tut uns leid. Wir hatten keine Chance.«

    »Dann schicke ich mal die Leute«

    »Die haben wir bereits benachrichtigt.«

    »Auch gut, dann läuft das ja wenigstens.« Dann wandte er sich an die kleine Versammlung, musste allerdings einmal tief Luft holen:

    »Herr Peter Friedmann ist vor wenigen Minuten in seinem Haus erschossen worden….«

    Es entstand Unruhe und er musste seine Mitteilung für einige Augenblicke unterbrechen, um den Kollegen Zeit zu geben, das Geschehen zu verarbeiten und auch sich selbst darüber klar zu werden, was ihm da jetzt mitgeteilt worden war. Dann hob er die Hand und die Anwesenden unterbrachen ihre Gespräche, so dass im Raum eine Stille herrschte, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dann fuhr er fort: »…unter der Anwesenheit von den beiden Kollegen Schwertfeger und Kampmann. Von dem oder den Tätern fehlt jede Spur. Es muss sich nach erstem Anschein um einen Schuss aus einem Präzisionsgewehr gehandelt haben, das aus größerer Entfer­nung abgefeuert worden ist. Es fiel nur ein einziger Schuss und der traf Herrn Friedmann direkt tödlich in die Brust.«

    Damit wurde die Konferenz erst einmal vertagt. Das allgemeine Gemurmel auf dem Gang ging hauptsächlich darum, was denn nun mit der stillen und gemütlichen Heide passiert. Jahrelang keine Vorkommnisse, außer vielleicht einiger Verkehrsdelikte. Und bei denen kannte man immer die Übeltäter. Meist handelte es sich um Leute aus den umliegenden Dörfern und die hatten meistens auch eine plausible Erklärung für ihr Verhalten, so dass man gar keine Personalien aufnehmen, geschweige denn, eine Anzeige zu Protokoll bringen musste. Da ließ man schon mal fünfe gerade sein. Und dann auf einmal zwei Vergehen an einem Tag, innerhalb von acht Stunden, und beides Morde. Wohin sollte das führen. Hatte die Mafia die Heide für sich entdeckt? Na dann gute Nacht…

    Hauptwachtmeister Schmidt wollte gerade mit seinen Akten unter dem Arm stillschweigend in seinem Büro verschwinden, als er von den Kollegen Wimmer und Olschewski an der Schulter gehalten wurde.

    »Mensch Wolle, nun schau nicht so trist drein, mein Jung. Ärgerst du dich über die arrogante freche Schnauze von dem Berendtsen? Die müssen so quatschen...«

    »..sonst verlieren diese Kapazitäten ihre Autorität und werden versetzt… auf Streife«, ergänzte der andere, machte eine Pause vor »Kapazitäten« und »Autorität« und sprach jedes der beiden Wörter in einzelnen Silben aus, um diesen eine herrschaftlich, wichtige Note zu geben. »Das darfst du gar nicht persönlich nehmen … Da hast du doch schon ganz andere Dinge gehört. Bist doch sonst auch hart im Nehmen.«

    »Ein Quatschkopp ist der«, versuchte Schmidt seinen Frust zu verbergen. »Macht hier auf wichtig. …Ich möchte mal wissen, wie klein der wird, wenn der von oben einen Anschiss kriegt. …Man muss sich den nur einmal in langen Unterhosen vorstellen, dann sieht die Sache schon wieder anders aus.«

    »Dann guck auch anders aus der Wäsche.« Wimmer klopfte ihm auf die Schulter. »Was ist? Gehen wir drei kurz nach Ulla frühstücken?«

    »Nee, heute geht das nicht. Ich muss mit zum Tatort. Sie brauchen da jeden Mann, meint der Döskopp. Eigentlich solltet Ihr zwei auch mit, aber ich habe gesagt, wir hätten heute den Radarwagen hier und ihr seid damit unterwegs.«

    »Das war die beste Idee heute Morgen. Hast du gut gemacht. Danke«, freuten sich die beiden anderen.

    »Dann sehen wir uns heute Nachmittag«.

    »Wenn wir bis dahin fertig sind. Man weiß ja gar nicht, wie aufwändig sich die Besichtigung des Tatorts hinzieht. Das scheint ja nicht sowas Normales zu sein. Aber wir wollen erst mal sagen bis heute Nachmittag. Jedenfalls hoffe ich, dass pünktlich Feierabend ist! Hab nämlich meiner Frau versprochen, heute frühzeitig zuhause zu sein. Ich soll mit ihr zum Shoppen.«

    »Dann viel Spaß bei der Untersuchung«, meinte Wimmer und Olschewski sagte nur:

    »Bis dahin.«

    »Schöne Grüße an Ulla«, gab Schmidt ihnen noch mit auf den Weg. Und gib nicht so viel Geld aus.

    3. Kapitel

    In der Asendorfer Heide war die Maschinerie angelaufen. Weitläufig war ein Areal um das Haus von Friedmann abgesperrt und die Spurensicherung suchte nach der Stelle, von der aus der Schuss abgefeuert worden war.

    Frau Friedmann lag auf dem Sofa und man hatte ihr die Füße mit drei Kissen unterlegt, die gerade griffbereit gewesen waren. Kommissar Schwertfeger hatte sich den Hocker geholt, der vor dem Fernsehsessel gestanden hatte, saß neben ihr und hielt ihre Hand. Dabei beobachtete er die Eifrigkeit der Spuren­sicherung. Die Männer in den weißen Überzügen schwirrten nur so durch die Wohnung und erweckten den Eindruck, als stände einer dem andern im Weg. »Immer wieder sieht es aus wie das Durcheinander auf einem Ameisenhaufen, aber dennoch hat alles seinen Sinn«, dachte er bei sich. Er sah sich im Zimmer um. Ganz normal wie überall, wie auch bei ihm zuhause. Helle Ledergarnitur mit Dreier-Sofa, Zweisitzer und einem Sessel, ein separater Fernsehsessel mit einem Hocker, zu dem Flachbildschirm in der Ecke ausgerichtet, Parkett­fußboden, Bilder an der Wand und eine Standuhr mit Perpendikel und zwei Gewichten mit Kettenaufzug. In der ihm gegenüberliegenden Ecke gab es über einer halb herunter gebrannten Wachskerze ein Kruzifix, hinter dem ein Palmenzweig hervorguckte. Friedmanns waren dem Anschein nach ganz normale Leute. Nur eben machten die Möbel und die anderen Gegenstände, so wie das Haus selbst, den Eindruck, dass das Ehepaar Fried­mann einen guten Geschmack hatte und auch bereit war, dafür das nötige Kleingeld aufzuwenden. Nichts Auffälliges, außer der großen Vase mit den Blumen, die auf dem Boden vor der Schiebetür stand, die zur Terrasse führte, und eine Ikone an der Wand neben der Tür zur Küche. Diese beiden Dinge erschienen ihm außerge­wöhnlich teuer und er dachte kurz darüber nach, wo die Friedmanns wohl diese Exoten erworben hatten, denn er hatte so etwas noch nie gesehen. In Deutschland waren seinem Wissen nach diese großen Ikonen nicht zu bekommen. Dann erst fiel ihm auf dem Parkett ein wohl 3 ½ über 4 ½ Meter großer Perserteppich auf, der seiner laienhaften Meinung nach mit sehr hohem Seidenanteil gewebt war, denn er hatte niemals vorher einen so schönen Teppich gesehen, der so wunderbar zart in der durch die großen Terrassentüren scheinenden Morgensonne glänzte. Er war ganz leicht rosa gefärbt mit einer etwas dunkleren Rosette in der Mitte und einem Rand in der gleichen Farbe. Darauf standen drei Tischchen auf verchromten Metallrahmen in verschiedenen Größen mit Glasflächen, so dass die Schönheit des Teppichs nicht verdeckt wurde. Arm schienen die Friedmanns jedenfalls nicht zu sein. In der Ecke, in dem der Bildschirm auf einem wahrscheinlich von

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