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Schützenmaske
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eBook352 Seiten4 Stunden

Schützenmaske

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Über dieses E-Book

Eine merkwürdig gekleidete Leiche in einem Gelsenkirchener Park unterbricht abrupt die sportlichen Ambitionen des frustrierten Dozenten und Hobby-Detektivs Robert Werner. Die Witwe des Toten beauftragt ihn mit Ermittlungen, um Licht in das seltsame Ableben ihres Mannes zu bringen: War es Mord? Hat er sich selbst umgebracht? Ist er Opfer seiner sexuellen Vorlieben geworden? Bei seinen Recherchen stößt der Detektiv schnell an seine Grenzen – bis er selbst in den Fokus der Fahnder gerät.Zusammen mit seinem alten Kumpel, dem Taxifahrer Manni, und dem Besitzer einer Schwulenbar, Jan, ermittelt er in Gelsenkirchen und Iserlohn. Weitere Leichen und skurrile Zeitgenossen machen ihnen die Arbeit nicht leicht. Erst als sie einer verschworenen Bruderschaft auf die Spur kommen, klären sich alle Verstrickungen.
SpracheDeutsch
HerausgeberLente Verlag
Erscheinungsdatum11. Juni 2016
ISBN9783946468561
Schützenmaske
Autor

Ralf Weißkamp

Der Autor wurde 1961 in Gelsenkirchen geboren. Dort besuchte er die Schule, machte Abitur und studierte auf der Ruhr-Universität Bochum einige Semester Germanistik, Philosophie und Sozialwissenschaften. Bereits während des Studiums schrieb er für eine Gelsenkirchener Zeitung und machte später seine Passion zum Beruf. Während seiner Jahre als freiberuflicher Journalist war er für Tageszeitungen, Wochenblätter, Pressestellen und überregionale Zeitungen tätig. 1996 siedelte er der Liebe wegen nach Iserlohn um. Im Journalistenzentrum "Haus Busch" in Hagen absolvierte er eine Ausbildung zum Infografiker, neben Texten und Fotos erweiterte er dort sein Spektrum um die grafische Komponente. In Iserlohn arbeitet Ralf Weißkamp als Integrationsbegleiter bei privaten Bildungsträgern und als Journalist. Neben seinem Brot-Job baut er aktuell ein Lektorat und Korrektorat auf und widmet sich intensiv dem Schreiben. Bereits 2014 erschien in erster Auflage die "Schützenmaske" im Oldigor Verlag. Ihr folgte im Lente Verlag der Kriminalroman "Auftragsengel", den dritten Band, "Mordsbürger", brachte er in Eigenregie heraus. 2020 erschien im Franzius Verlag "Tödliche Ruhr", was ihm eine Nominierung für den Literaturpreis Ruhr einbrachte. Ralf Weißkamp ist verheiratet, hat keine Sehnsucht mehr nach dem Ruhrgebiet und fühlt sich im Sauerland sehr wohl.

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    Buchvorschau

    Schützenmaske - Ralf Weißkamp

    Andrea

    Kapitel 1

    Robert Werner fühlte sich wie ein alter Mann. Diese verdammten Rückenschmerzen!

    So, wie ich hier durch den Park krauche, fehlt nur noch der Rollator, dachte er sarkastisch.

    Und die Schmerztablette zeigte auch noch keine Wirkung. Wie jedes Jahr im Frühling hatte er sich vorgenommen, mehr Sport zu treiben, zu laufen, abzunehmen, fitter und schlanker zu werden, sich besser zu fühlen. Wie jedes Jahr wollte er dem kleinen Bauchansatz beweisen, dass er sich gegen ihn wehren würde. Der unbedingte Wille dazu hatte ihn heute Morgen mit dem festen Vorsatz aufstehen lassen, seine Laufklamotten endlich wieder nicht nur vor dem Fernseher zu tragen.

    Leider hatte sich der gute Wille auf dem Weg ins Bad in Schmerzen aufgelöst. Ein eingeklemmter Nerv hatte die sportlichen Träume begraben. Aber einfach aufgeben wollte er nicht, und so machte er zumindest einen ausgedehnten Spaziergang.

    Die nächste Runde würde sicher schon flotter werden, die gute alte Ibu 800 brauchte immer eine Zeit, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Trotzdem genoss er diesen herrlichen Frühlingstag. Das Laufen hätte ihn wahrscheinlich sowieso nur frustriert, weil ihm nach wenigen hundert Metern die Luft weggeblieben wäre.

    Aber bevor er sich der nächsten Runde widmete, musste er erst mal pinkeln. Robert sah sich kurz nach Spaziergängern und den Obdachlosen um, die oft auf einer Parkbank in der Nähe ihr Bier tranken.

    Keine in Sicht. Also näherte er sich dem Busch, den er sich für sein Geschäft ausgesucht hatte, öffnete den Reißverschluss seiner Hose und sah zu Boden. Er stutzte.

    Unter den Blättern des Busches sah er ein graues Hosenbein mit einem schwarzen Lederschuh. Wahrscheinlich doch ein Penner, der im Gebüsch den Rausch ausschlief, den er sich an der Bude am Ückendorfer Platz im Schweiße seines Angesichtes angesoffen hatte.

    Roberts Neugier siegte. Vorsichtig bückte er sich, wobei er mehr Angst vor den Schmerzen als vor dem Unbekannten hatte.

    „Hey, Kaffee ist fertig, kannst aufstehen!", feixte er.

    Nichts.

    „Hey, komm hoch, wir essen zeitig!", versuchte er es erneut.

    Wieder nichts.

    Robert warf einen Blick auf die Hose. Wider Erwarten wirkte sie sauber und gepflegt. Er griff nach ihr, um den Inhaber zu schütteln und zu wecken. Doch etwas war merkwürdig. Das Bein war steif und kalt, ziemlich kalt.

    Vorsichtig richtete sich Robert auf und blieb kurz stehen, um sich zu sammeln. Mit einem langsamen Luftholen schob er dann die dichten Zweige des Busches zur Seite.

    Die Augen des Mannes auf dem Boden waren geöffnet und sahen Robert starr an. Sie blinzelten und bewegten sich nicht. Es war kein Leben in ihnen.

    Scheiße, der ist tot!, durchfuhr es Robert.

    Das Gesicht des Mannes konnte er nicht sehen. Der Tote trug eine schwarze, lederne Hundemaske.

    Kapitel 2

    Kriminalhauptkommissar Hollunder starrte mit offenem Mund auf den Kopf des Toten. Die Maske ließ nur die Augen und die Nasenlöcher frei, das schwarze Leder reichte über den Hals bis zum Schulteransatz. Auf dem Kopf waren Ohren geformt, über den Nasenlöchern des Toten wölbte sich eine Hundeschnauze. Am Hals, zum Rand der Maske, waren Ösen angebracht, ähnlich wie bei einem Hundehalsband. Ein silbrig glänzender Reißverschluss führte von der Stirn mittig über den Schädel bis zum Nacken - bequem konnte das Ding nicht sein.

    Der Kommissar war morgens auf dem Weg zum Dienst durch den Anruf eines Polizisten von der Wache am Zentralbad alarmiert worden.

    „Da liegt ein toter Hund im Ückendorfer Park", war die erste, knappe Nachricht.

    „Hören Sie, Herr Hauptwachtmeister, ich bin von der Kripo, zuständig für Mord und Totschlag - bei Zweibeinern!"

    „Kann auch ’n Toter mit ’nem Hund sein, die Verbindung ist schlecht, auf jeden Fall was für die Kripo."

    Dann war das Gespräch beendet.

    Der Hauptwachtmeister brachte Hollunder mit seiner Gleichgültigkeit immer wieder auf die Palme. Aber was da vor ihm lag, fiel eindeutig in seine Zuständigkeit - es sei denn, der Mann mit der Maske hatte sich freiwillig zum Sterben unter den Busch gelegt. Dagegen sprachen die dunkelroten Striemen direkt unter dem Rand der Maske.

    Der Bereich um den Busch war mittlerweile abgesperrt worden, zwei uniformierte Kollegen hielten einige schaulustige Rentner und Fahrradfahrer fern, die den Park auch am frühen Morgen als Abkürzung zwischen Wattenscheid und Ückendorf nutzten.

    „Der da hat den Toten gefunden", informierte Obermeister Kasimke Kommissar Hollunder.

    Der sah sich den Finder aus einigen Metern Entfernung mit professioneller Neugier an. Etwa 1,75 groß, fast schlank, Oberkörper leicht gebeugt, braune Haare, etwas wirre Frisur mit einigen lichten Stellen oberhalb der Stirn. Er schätzte ihn auf etwa Mitte 40, die Kleidung war gepflegt aber leger, Jeans, kariertes Hemd und eine sandfarbene Jacke.

    Er ging zu ihm hinüber. „Kommissar Hollunder von der Kripo", stellte er sich vor und hielt seinen Ausweis in die Höhe.

    „Werner", entgegnete der Mann knapp.

    „Sie haben also den Mann gefunden, stellte Hollunder fest. „Was haben Sie denn abseits des Weges an dem Busch gemacht?

    „Ich musste pinkeln."

    „Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?"

    „Außer einer Leiche mit einer Ledermaske nix."

    Gesprächig ist er nicht gerade, dachte Hollunder mit aufkommender Ungeduld.

    „Ich meine, haben Sie jemanden gesehen? Lag noch etwas in der Nähe herum? Haben Sie etwas gehört?"

    „Nein, gar nichts, da war nur der Mann im Gebüsch."

    „Gut, dann nimmt der Kollege jetzt Ihre Personalien auf und Sie melden sich am Montag um zehn bei mir im Kommissariat."

    „Zehn geht in Ordnung, nur Montag nicht. Dienstag."

    Hollunder seufzte. „Gut, dann am Dienstag." Auf eine unbestimmte Art mochte Hollunder diesen Werner nicht.

    „Wo wohnen Sie denn, junger Mann?"

    „Flöz Sonnenschein 37, 45886 Gelsenkirchen."

    „Name, Beruf?", fragte Kasimke.

    „Robert Werner, freiberuflicher EDV-Dozent. Warten Sie, ich gebe Ihnen meine Karte." Er zog sein Portemonnaie aus der Jacke und fingerte eine Visitenkarte heraus.

    Der Beamte behielt die Karte und schrieb die Daten auf. Mittlerweile waren einige Leute angerückt, die die Spuren sicherten und diesen Teil des Parks, der jetzt ein Tatort war, fotografierten. Und dazu noch mehr Rentner, die sich das Spektakel ansahen.

    Kommissar Hollunder hörte nicht mehr weiter zu. Er bückte sich zu dem Toten hinunter, nachdem dieser von allen Seiten fotografiert worden war. Schuhe und Hose waren von guter Qualität und stammten mit großer Sicherheit nicht aus dem Kaufhaus, in dem er seine Sachen kaufte. Etwas unpassend war die Oberbekleidung, sie bestand nur aus einer sehr engen schwarzen Lederweste und ließ den Blick auf einen gut genährten, aber muskulösen Oberkörper frei. Papiere hatte er keine bei sich, wäre auch zu schön gewesen.

    Hollunder begann, den Reißverschluss der Maske in Richtung Nacken zu ziehen. Haare verhedderten sich darin.

    Muss eine ziemliche Tortur gewesen sein, sich das Ding an- und auszuziehen, dachte er, während er langsam die lederne Maske vom Kopf nahm. Er sah in das Gesicht eines etwa 60-jährigen Mannes, gebräunte Haut, blaue Augen und gepflegte, kurze graue Haare. Der Mund stand auf. Keine Zeichen von Verletzungen im Gesicht, nur am Hals zeichneten sich deutliche Striemen ab.

    Hollunder richtete sich auf und trat zurück. Dann taten die Männer der Spurensicherung wieder ihre Arbeit.

    Kapitel 3

    Robert Werner konnte den Leichnam von seiner Position aus nicht erkennen. Also machte er sich auf den Weg nach Hause, Richtung Bochumer Straße. Trotz des Fundes hatte er Hunger, was ihn etwas verstörte. Doch seinem Magen schien der Tote ziemlich gleichgültig zu sein, also steuerte er den nächsten Bäcker an.

    Hier am Park zeigte sich die Bochumer Straße recht ansehnlich und ließ noch etwas erahnen von der Prachtstraße, die sie früher einmal gewesen war. Hinter dem Schulzentrum standen noch viele alte, mehrgeschossige Häuser. Die Straße hatte, wie ganz Gelsenkirchen, während des Krieges einiges abbekommen. Die Gussstahlwerke weiter oben waren ein häufiges Angriffsziel gewesen. Bis 1984 war hier noch produziert worden, seit 1995 war im ehemaligen Verwaltungsgebäude des Werkes das Arbeitsgericht untergebracht. Der Rest der Bauten war platt gemacht worden, man hatte Platz für die Internationale Bauausstellung gebraucht.

    Die ehemaligen Direktoren-Villen an der Bochumer Straße waren zum großen Teil auch heute noch in gutem Zustand und mit Geschmack und Geld renoviert worden. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger hielt sich in diesem Abschnitt in Grenzen. Der weitere Teil der Straße, bis hoch zur Neustadt, wurde von den Ückendorfern schon lange „Klein-Ankara" genannt. Mittlerweile hatten sich dort auch einige russische Landsleute niedergelassen und Geschäfte eröffnet.

    Arbeiten musste Robert Werner heute, am Samstag, nicht. Erst ab nächsten Montag war er wieder für das GEIBAZ im Einsatz, das „Gelsenkirchener Institut für Bildung, Arbeit, Zukunft". Hinter dem hochtrabenden Namen verbarg sich ein privater Bildungsträger, der ausschließlich von Aufträgen der Agentur für Arbeit und des örtlichen Jobcenters lebte. Arbeitslose sollten geschult, qualifiziert oder einfach nur wieder in die Spur gebracht werden. Oder für eine Weile aus der Statistik verschwinden. Kundschaft gab es in Gelsenkirchen genug.

    Robert schulte dort Anfänger und auch Leute, die meinten, mit einem Computer umgehen zu können, in den gängigen Office-Programmen. Außerdem versuchte er ihnen beizubringen, wie man einen der DIN-Norm entsprechenden Brief schreibt. Bei manchen reichte es auch schon, ihnen die Angst vor dem Gerät zu nehmen und somit das Gefühl, etwas kaputt machen zu können. Und er versuchte, die Leute von der Notwendigkeit ordentlicher Bewerbungsunterlagen zu überzeugen. Montag begann ein neuer Kurs, sechs Wochen lang. Das Honorar war schon verplant.

    Selbst diese eine Woche ohne Auftrag konnte er sich kaum leisten. Zumindest war die Miete durch die Aufträge der GEIBAZ gesichert.

    Neben seinem Dozentenjob versuchte er, als Detektiv Fuß zu fassen, bislang ziemlich erfolglos. In den letzten drei Monaten zwei Einsätze im örtlichen Kaufhaus und eine - vergebliche - Observation bei einer Scheidung, das war’s. Diesen Beruf hatte er dem Kommissar verschwiegen. Er hatte das Gefühl gehabt, dieser Hollunder würde ihn dann noch misstrauischer betrachten.

    Er machte sich Frühstück und holte das Anzeigenblatt aus dem Briefkasten. Der Eingang zu seiner Wohnung lag im Hof. Er wohnte Parterre, ein kleiner Garten war dahinter, den er manchmal nutzte. Er kümmerte sich um den Rasen und hatte einige Blumen angepflanzt. Früher machte die alte Nachbarin die Gartenarbeit, aber sie litt seit Jahren unter ihrer Gicht - und unter ihrem Mann.

    Der schwerhörige Gatte gehörte einer christlich-fundamentalen Sekte an.

    Manchmal, wenn die Gichtanfälle seiner Frau ihr besonders zu schaffen machten, brüllte er sie an, sie solle Gott auf den Knien um Verzeihung bitten.

    Die Morgenzeitung am Montag überflog Robert nur kurz, wie üblich war er spät dran. Der unbekannte Tote war ihm das ganze Wochenende nicht aus dem Kopf gegangen, aber jetzt musste er sich wieder auf den Alltag konzentrieren.

    Er startete seinen altersschwachen Golf Kombi und nahm Kurs auf das GEIBAZ. Die etwas künstlich wirkende Fröhlichkeit im Aufenthaltsraum der Mitarbeiter am frühen Morgen war nicht seine Sache, er brauchte immer reichlich Anlauf, um fit und gesprächig zu werden.

    Robert drückte seine Selbstgedrehte aus und machte sich mit einem Seufzen auf in Richtung Unterrichtsraum.

    18 neue Teilnehmer warteten auf ihn. Wie immer wusste Robert von ihnen nur, ob sie vom Jobcenter oder der Bundesagentur für Arbeit kamen. Die Kunden der Agentur waren in den meisten Fällen motivierter, wollten mehr lernen und schnell zurück in den Job. Die vom Jobcenter, dem Arbeitsleben meistens schon länger mehr oder weniger freiwillig entwöhnt, brauchten immer etwas länger. Sie waren ihm lieber, denn sie bedeuteten mehr Ruhe für ihn.

    „Wat soll ich denn noch hier, dat kann ich doch schon allet!"

    Ganz klar einer von der Agentur.

    „Ich bau’ zuhause Computer selbst zusammen, wat wollen Sie mir denn noch zeigen?"

    Am liebsten den nackten Hintern, wollte Robert antworten, sagte stattdessen jedoch nur: „Wir werden sicher noch etwas finden, das für Sie interessant ist. Und vielleicht kann ich ja auch was von Ihnen lernen."

    Der so umgarnte Teilnehmer grunzte warm und dunkel, ließ seinen beträchtlichen Bauch noch etwas tiefer in den ausgeleierten Drehstuhl rutschen und schwieg.

    Erste Schlacht gewonnen.

    Der Rest der Bande war ganz umgänglich, die Vorkenntnisse wieder so unterschiedlich wie nur möglich. Der dicke Computer-Supermann hatte Schwierigkeiten, den Rechner unfallfrei einzuschalten, eine andere, schüchterne und auf reife Art noch sehr schöne Frau entpuppte sich als wahre Spezialistin für Textverarbeitung und Tabellenkalkulation. Robert freute sich auf die Arbeit mit ihr.

    Die üblichen Spielchen zu Anfang eines neuen Kurses ließen nicht lange auf sich warten. Der erste Teilnehmer kam natürlich verspätet aus der Zigarettenpause zurück und balancierte wie selbstverständlich eine Tasse Kaffee in den EDV-Raum. Von der Tasse grinste Robert ein Smiley an.

    „Wir dürfen hier drin keinen Kaffee trinken, das wissen Sie doch."

    „Woher soll ich das denn wissen und warum überhaupt?"

    „Das steht in der Hausordnung, die sie unterschrieben haben, Essen und Trinken ist im EDV-Raum untersagt."

    „Quatsch, ich pass auf, da passiert nix!"

    Wieder so einer, immer der gleiche Käse. Robert hatte keine Lust, diese Diskussion zu einem Machtspielchen werden zu lassen. Er wartete, bis alle wieder Platz genommen hatten.

    „Ich muss Sie noch mal darauf hinweisen, dass das Essen und Trinken hier drinnen verboten ist, hob er an. „Und das aus gutem Grund.

    Die ersten drehten sich gelangweilt wieder den Monitoren zu.

    „Es passiert immer wieder, dass eine Kaffeetasse umfällt und dann ist die Tastatur hin!"

    „Na und, ihr habt doch noch mehr von den alten, versifften Dingern." Der Spaßvogel erhielt sein erwartetes zustimmendes Gelächter.

    „Stimmt, und die werden Sie dann bezahlen! Noch bevor sich jemand empören konnte, schickte Robert hinterher: „Außerdem haben Sie das unterschrieben. Oder zählt Ihre Unterschrift nichts mehr? Die türkischen Männer bekam er mit dieser Masche immer. Bei den anderen würde er noch in den nächsten sechs Wochen um Verständnis und ein gutes Miteinander werben müssen. Und er wusste genau, dass spätestens morgen wieder einer mit einer Kaffeetasse in der Hand hier reinlatschen würde.

    Die Spielchen waren eröffnet. Wie immer.

    Die meisten seiner Teilnehmer hatten von dem Toten im Park gelesen oder davon im Lokalradio gehört. In den Berichten war es nicht um Details gegangen, die behielt die Polizei für sich, und so machten die wildesten Gerüchte die Runde. Eine aufgeregte Dame wusste ganz genau, dass der Tote ein schwarzverbranntes Gesicht hatte, eine andere meinte: „Das war doch ’n Neger, so‘n Schwatter!" Auch eine ganz normale Leiche kam in den Erzählungen vor.

    Robert schwieg dazu, er wollte sich nicht in den Mittelpunkt stellen. Außerdem hatte er keine Lust auf die vielen Fragen und auf das, was später daraus werden würde.

    Der erste Tag mit den neuen Teilnehmern war fast vorüber. Es war ganz gut gelaufen, die Meute war ruhig geblieben, und auch das Thema Kaffee hatte sich tatsächlich für heute erledigt. Robert fotokopierte noch einige Arbeitsblätter und verteilte sie dann unter den Kursmitgliedern. Sie enthielten Übungsaufgaben unterschiedlichsten Niveaus, diese sollten die Leute morgen früh selbständig bearbeiten.

    Während seines Termins bei Kommissar Hollunder mussten die Leute beschäftigt sein. Die Verantwortlichen vom GEIBAZ sahen es zwar nicht gerne, wenn die Gruppe unbeaufsichtigt blieb, aber gegen einen Termin bei der Kripo konnten sie nichts machen. Auch nicht der zuständige Lehrgangsbetreuer, dem Pünktlichkeit über alles ging. Hauptsache, die Leute waren von 8 bis 15 Uhr anwesend - was sie in dieser Zeit machten, juckte ihn nicht. Robert rechnete eher damit, dass ihn vor allem die dicke Verwaltungskraft - „Ich bin nur etwas stark um die Hüfte!" - löchern würde, was denn die Kripo von ihm wollte, auch wenn sie ihn nicht leiden konnte. Aber er würde schweigen und ihre brennende, ungestillte Neugier genießen.

    Die angemieteten Räume des GEIBAZ lagen in einem alten Gebäude der Zeche Holland. Dort war bis in die 80 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Kohle gefördert worden. In Wattenscheid sah man schon von weitem den imposanten und restaurierten Förderturm der Anlage. Um ihn herum lagen die ehemaligen Verwaltungsgebäude der Zeche, die jetzt als Büro- und Gewerberäume dienten. Direkt nebenan befand sich das Lohrheidestadion, in dem die heimische SG Wattenscheid 09 schon wieder einem weiteren Abstieg entgegenkickte.

    Robert fühlte sich hier in den alten Zechengebäuden heimisch, in der Nähe jener Industriegeschichte, die diese ganze Region und ihre Menschen so sehr geprägt hatte. Auf dem Ückendorfer Teil der Zeche, der bereits 1963 die Förderung der Kohle eingestellt hatte, standen Doppel-Malakowtürme, die einzigen in ganz Europa.

    Kurz vor zehn betrat Robert das Polizeigebäude an der Overwegstraße. Der Verwaltungsbau aus den 70er Jahren lag hinter dem Zentralbad, zumindest, wenn man aus Richtung Innenstadt nach Gelsenkirchen-Horst blickte. Das Büro von Kommissar Hollunder war im ersten Stock, mit Blick auf die Overwegstraße. Robert klopfte und trat ein.

    Der Kommissar saß hinter seinem Schreibtisch, dem der Sperrmüll gedroht hätte, würde er nicht zum Polizeiinventar gehören.

    „Ah, guten Morgen, nehmen Sie Platz, Herr Werner."

    Robert setzte sich. So bequem, wie das Sitzmöbel war, meldete sich gleich sein Rücken und mahnte ihn, das Gespräch nicht in die Länge zu ziehen.

    „So, Herr Werner, ich bin noch mal alles durchgegangen. Einige Besucher des Parks haben wir befragt, aber außer Ihnen hat niemand den Mann bemerkt."

    Sonst hätte ja auch ein anderer die Bullen gerufen, dachte Robert, nickte aber nur.

    „Können Sie mir noch einmal kurz erklären, warum Sie zu diesem Gebüsch gingen? Es liegt ja doch etwas abseits des Weges."

    „Wie schon am Samstag gesagt, ich musste pinkeln, und dazu sucht man sich ja bekanntlich keinen Busch, der direkt am Hauptweg steht."

    „Haben Sie bei dem Toten etwas gefunden? Eine Brieftasche? Lagen irgendwelche Papiere bei ihm?"

    Der will wissen, ob ich ihn beklaut habe! Für wie doof hält der mich?

    „Wenn Sie wissen möchten, ob ich den Mann durchsucht habe, warum fragen Sie es dann nicht? Nein, hab ich nicht, mir reichte es, dass er da lag. Ich hab nicht so viel Übung im Leichenfinden."

    „Ist Ihnen noch etwas aufgefallen? Gegenstände, die im Bereich des Toten lagen, und seien es Sachen, die Ihnen wie Müll erschienen?"

    Erstens erscheint mir nichts, ich bin bei bester Gesundheit, und zweitens herrscht im Von-Wedelstedt-Park weiß Gott kein Mangel an Müll, dachte Robert.

    „Nein, gar nichts. Weiß man denn nichts über den Toten?"

    „Er hatte keine Ausweispapiere bei sich, und die gestrige Obduktion ergab eine Strangulation, aber nicht unbedingt einen Hinweis auf Fremdverschulden. Zumindest nicht am Fundort. Aber das werden weitere Untersuchungen klären. Deshalb sind wir auch auf kleinste Spuren angewiesen."

    Robert fragte sich, wie der sich denn da selbst stranguliert haben sollte? Eine Hundemaske aufsetzen, feste zuschnüren, sich ins Gebüsch hocken und dann auf den Tod warten? Bei allen möglichen Todesursachen hielt Robert diese nicht für die wahrscheinlichste.

    „Tut mir leid, ich habe wirklich nichts gefunden, und durchsucht habe ich den Mann auch nicht." Robert bemühte sich, versöhnlicher zu klingen.

    „Manchmal übersieht man Kleinigkeiten, weil sie selbstverständlich sind, man nimmt sie nicht mehr wahr, etwa eine zerknüllte Packung Zigaretten auf dem Boden."

    „Sorry, da war wirklich nichts. Ich würde Ihnen gerne helfen, Herr Kommissar, aber ich fürchte, mehr kann ich Ihnen nicht sagen." Und wollte er auch nicht mehr. Im Zweikampf Rücken gegen Stuhl war eindeutig das Sitzmöbel der sichere Sieger.

    Robert trat aus dem Kommissariat auf den Gehsteig der Overwegstraße. Vor ihm rauschten die Autos in Richtung Innenstadt. Es war ein warmer Frühlingstag, die Sonne hatte bereits genug Kraft, um seinen Hunger auf ein Eis zu wecken. Gegessen hatte er noch nichts.

    Himbeereis zum Frühstück. Spontan fiel ihm die Schnulze aus dem Jahr 1977 ein. Er wusste noch genau, wann dieser unsägliche Song in den Radios rauf und runter gedudelt worden war. Das Duo „Hoffmann & Hoffmann" traktierte mit dieser deutschen Version des Hits der Bellamy Brothers sein Gehör. Er hatte ihn schon damals zum Würgen gefunden, aber Sylvia hatte ihn toll gefunden, und er hatte Sylvia toll gefunden.

    Statt sich sofort auf den Weg zum GEIBAZ zu machen, ging er Richtung Hans-Sachs-Haus. Bald würde von dem Rathaus nicht mehr viel übrigbleiben. Nur die Fassade würde stehenbleiben, ansonsten sollte es komplett neu gebaut werden.

    Mal wieder ein Millionengrab, aber Gelsenkirchen geht’s ja besser als München, dachte er.

    In der Nähe fand er einen kleinen Italiener, eine Eisdiele. Er nahm zwei Kugeln im Hörnchen, Joghurt-Mandarine und Stracciatella. Die warme Sonne, der zwischen dem Verkehrslärm gelegentlich zu hörende Gesang der Vögel und die frischen Farben der Blätter und Blumen brachten ihn in eine leicht heitere, sorglose Stimmung. Von den Frauen sah er sich nur die hübschen an. Die in bunten, farbenfrohen und luftigen Kleidern, mit langen, wehenden Haaren und einem Lächeln auf den Lippen.

    Herrlich, dieser Frühling! Robert fühlte sich jung und leicht.

    Kapitel 4

    Sylvia Behnke parkte ihr schwarzes Mercedes Cabrio auf dem Besucherparkplatz der Polizeihauptwache Iserlohn. Sie ging mit wehendem Mantel bis zum Haupteingang an der Friedrichstraße. Sie war gekommen, um eine Anzeige aufzugeben. Ihr Mann war verschwunden.

    „Ich möchte meinen Mann als vermisst melden." Direkt und mit unbewegtem Gesicht sah sie Hauptwachtmeister Piepenkötter in die Augen. Er war ein erfahrener Beamter in den Fünfzigern, mit leichtem Bauchansatz und rötlichem Gesicht. Diese Färbung hatte er weniger der sauerländischen Mittelgebirgssonne zu verdanken als einem leichten Bluthochdruck.

    Die Frau, die ihn ansah, wirkte sehr kontrolliert und elegant, mit langen braunen Haaren und einem scharf geschnittenen, makellosen Gesicht. Ihre Kleidung war dezent und farblich gut abgestimmt. Trotz ihrer sehr souveränen Erscheinung hatte sie warme braune Augen. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, und das machte Piepenkötter stutzig.

    Wenn hier irgendjemand einen anderen als vermisst meldete, geschah das meist unter vielen Tränen, Schreien, Wimmern und Verzweiflung. Am schlimmsten war es natürlich bei vermissten Kindern, aber das war in Piepenkötters Karriere erst sechs Mal vorgekommen, und alle sechs Racker hatten sich selbst eine kleine Auszeit gegönnt. Wenn die Eltern ihre Kinder anschließend auf der Wache wieder abholen konnten, spielten sich Dramen ab, in denen die Kinder abwechselnd geküsst und angebrüllt wurden.

    Aber diese Dame, und das schien ihm der passende Begriff, war jenseits aller Gefühlsregungen.

    „Wie lange vermissen Sie ihn denn schon, Frau ..."

    „Sylvia Behnke, Entschuldigung. Ich habe ihn vor zwei Tagen zum letzten Mal gesehen."

    „Und wie ging es Ihrem Gatten da? Der Begriff „Gatte schien für die Dame angemessen.

    „Er verabschiedete sich, weil er sich an diesem Abend noch mit einem Schützenbruder treffen wollte. Es war eine informelle Vorbesprechung des nächsten Schützenfestes."

    Bei dem Namen Behnke hatte es gleich bei Piepenkötter geklingelt, er konnte ihn nur nicht sofort einsortieren. Also gehörte der Gatte auch dem inneren Kreis jenes Schützenvereins an, der einmal im Jahr dieses große Volksfest organisierte.

    „Gut, dann werde ich jetzt

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