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Quellwasser
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eBook295 Seiten4 Stunden

Quellwasser

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Über dieses E-Book

Der kleine Ort Zinzendorf in der Oberpfalz besitzt eine eigene Quelle. Die Zinzendorfer sind stolz auf ihr Wasser. Eines Tages erkranken die Bürger, ein alter Mann stirbt, im Brunnen werden todbringende Bakterien gefunden. Die Quelle wurde offenbar vergiftet. Ein Erpresserbrief erreicht die Polizei in Wörth und zur gleichen Zeit wird bei Kiefenholz ein junger Mann tot aus der Donau geborgen. Hat der Leichenfund mit dem Fall zu tun? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Wasserkrieg, der Ende des vorigen Jahrhunderts zwischen Zinzendorf und der Stadt Wörth tobte? Die Regensburger Kommissare Kurt Weinzierl und Benedikt Oberhauser ermitteln in diesem seltsamen Fall.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpielberg Verlag
Erscheinungsdatum28. Feb. 2013
ISBN9783954520206
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    Buchvorschau

    Quellwasser - Pia Roth

    14

    Kapitel 1

    Kurt Weinzierl saß an seinem Schreibtisch und starrte an die Wand. Die Wand war nicht mehr reinweiß, sie war über die Jahre hinweg mehr als etwas angegraut, wie eigentlich alles im Kriminalkommissariat Regensburg. Weinzierl, als Hauptkommissar in diesen Gemäuern tätig, sollte sich konzentrieren, sich in die Akten einarbeiten. Sein Blick glitt aber über die Wand mit dem Regal, das Bild – Chiemsee an einem Regentag –, das ihm noch nie gefallen hat, den Schrank, die Ordner, ohne das eine oder andere wahrzunehmen. Er ignorierte das Klingeln des Telefons und das Klopfen an der Tür. Hätte man ihn nach dem Wetter gefragt, er hätte es nicht sagen können. Er starrte vor sich hin.

    Er dachte an den gestrigen Abend, an Luise, an Franz.

    »Schlafst du? Mir ham an Mord. Und du schlafst!« Hauptkommissar Benedikt Oberhauser, genannt Hausl, war mit Schwung ins Zimmer gestürzt und hatte den Tagträumen seines Kollegen ein Ende gesetzt. Weinzierl blätterte pflichtschuldig in den Akten, die Gott sei Dank aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lagen.

    »Spinnst du, hast du mich jemals im Dienst schlafen gsehn?«

    »Ja. Scho.« Aber Oberhauser besaß Anstand und vertiefte das Thema Büroschlaf nicht weiter.

    »Nach Kiefenholz raus müssen wir, da hams an junga Mo aus da Donau zong.« Darauf wechselte er in verständliches Deutsch: »Junger Mann, circa dreißig Jahre« – Oberhauser war wie Weinzierl weit jenseits der dreißig – »gefesselt mit Kabelbinder. Jetz kum, s Auto wart scho.« Weinzierl zog seine Strickjacke, dunkelblau und ebenfalls angejahrt, von der Stuhllehne und warf sie sich über die Schulter. Es war Mitte März und bereits ungewöhnlich warm in diesem Jahr. Das war selten, denn meist machte der »Böhmische«, der kalte Wind aus dem Osten, die Anstrengungen der Sonne zunichte.

    »Gibt’s a Vermisstenmeldung?« wollte Weinzierl wissen.

    »Bis jetzt liegt nix vor.« Oberhauser schnäuzte sich. »Jetz hab i bei dem schönen Wetter an Katarrh!«

    »Steck mich bloß nicht an! Des dad mir jetzt noch fehln.« Kurt trat sicherheitshalber einen Schritt zur Seite. Im Auto setzte er sich schnell neben den Fahrer, so dass Oberhauser nur der Platz auf dem Rücksitz blieb.

    Der Kandler Fritz, Polizeimeister-Anwärter, in der Blüte seiner Jugend, ihr diensthabender Chauffeur, steuerte den BMW von der Bahnhofstraße über die viel befahrene Landshuter Straße zur A 3 Richtung Passau.

    Es ging ohne Blaulicht, erstens war nicht übermäßig viel Verkehr auf der Autobahn und zweitens war der »junge Mann«, den man aus der Donau gezogen hatte, ja eh bereits tot. Allzu große Eile war also nicht mehr geboten. Eigentlich wäre es eine schöne Fahrt gewesen. Eine weite Ebene, im leichten, sonnendurchfluteten Dunst, breitete sich südlich der Autobahn aus. Gegen Nordosten waren die Ausläufer des Bayerischen Waldes, ebenfalls in Dunst gehüllt, zu ahnen. Ein Tag zum Durchatmen. Doch im Auto herrschte Schweigen. Die Idylle der Welt draußen drang nicht ins Wageninnere. Jeder hing seinen trüben Gedanken nach, eine Unterhaltung kam nicht zustande. Außer: »Jetz nies mir doch ned ins Gnack« und »halt dir halt d’ Hand vor, wennst niast«, wurde kaum geredet.

    Oberhauser ärgerte sich noch immer darüber, dass seine Frau, die Magda, entschieden gegen seinen Willen doch das Fahrrad für den Enkel gekauft hatte. Kurt Weinzierl war sauer auf Luise, die gestern ganz offensichtlich mit dem Franz geflirtet hatte, obwohl sie wusste, dass er den Franz absolut nicht leiden konnte. So hatte keiner der beiden ein Auge für die überaus reizvolle Landschaft und den vorsichtig nahenden Frühling.

    Nur Kandler pfiff vor sich hin – er hatte offenbar keine renitenten Angehörigen. Wahrscheinlich war er wieder verliebt.

    Kurz vor der Ausfahrt Wörth West, Richtung Wiesent, erkundigte sich Weinzierl, ob Oberhauser wisse, wer von der Inspektion Wörth am Fundort Dienst tat. Der nuschelte unverständliche Worte in sein Taschentuch. »Jetzt weiß ich mehr, danke«, grunzte Weinzierl, wiederholte aber die Frage nicht.

    Kandler parkte neben den Polizeifahrzeugen, die bereits eingetroffen waren, auch ein Krankenwagen war schon da. Die Wörther Polizei hatte alles großräumig mit Bändern abgesperrt. Weinzierl und Oberhauser betraten die nasse Wiese hinter der Absperrung; Kandler blieb im Wagen und griff nach der Zigarettenschachtel. Weinzierl verachtete ihn dafür. Er war seit sechs Wochen Nichtraucher. Oberhauser war nicht betroffen. Er hatte nie geraucht.

    Polizeiobermeister Richard Remser von der Polizeiinspektion Wörth kam den Hang herunterrutschend auf sie zu, grüßte geschäftsmäßig, wie es seine Art war, und führte die Regensburger Kollegen auf den Damm. Remser war ein junger, dynamischer Beamter. Groß, sportlich, dunkelhaarig und gutaussehend, ein Frauentyp. Aber das wurde von den beiden Regensburgern wenig beachtet, man kannte sich seit Jahren. Er deutete auf einen älteren Mann, der in einem der Streifenwagen auf dem Rücksitz saß und sagte zu Weinzierl: »Des ist der Herr Unterhuber, der hatn gfundn.«

    Herr Unterhuber war ein rüstiger, älterer Herr, dem das Unbehagen, im Polizeiauto zu sitzen und abwarten zu müssen, welche Unannehmlichkeiten heute noch auf ihn zukommen würden, anzusehen war. Dem Mann zu Füßen saß sein Dackel. Den Zeugen würden sie später befragen.

    »Das ist gewiss ein Rentner, der hat es sicher nicht so eilig und kann noch ein bisschen warten«, meinte er zu Remser gewandt. Sie stapften den Hang hinauf durch das nasse Gras in Richtung Uferbefestigung. Oberhauser schniefend hinterher. Weinzierl kannte die Gegend, er war hier zuhause. Doch jedes Mal, wenn er sie sah, so wie heute, wenn Dunst über dem Fluss lag und die Sonnenstrahlen um ihr Durchkommen kämpften, sich das Blau der Donau in immer neuen Schattierungen zeigte, dann empfand er die Schönheit körperlich. Es war, als würde sich seine Brust weiten und er mit diesem Anblick verschmelzen. Ein Flussdampfer fuhr nach Süden, schwer beladen, man sah, wie tief er im Wasser lag. Darüber kreisten Vögel. Er rief sich den Grund ihres Hierseins ins Bewusstsein. Kein Grund zum Träumen. Es war schwer vereinbar, dort soviel Schönheit und zu seinen Füßen der Tod. Er war kein Philosoph, doch er wusste, das Eine war ohne das Andere nicht möglich. Leben und Tod. Gut und Böse.

    Oberhausers Gedanken waren weitaus banaler. Er dachte an seinen Schnupfen und die Auswirkungen nasser Füße auf diesen. Eine Lungenentzündung könnte das geben! Weiter kam er nicht mit seinen hypochondrischen Ahnungen, denn der Pathologe Doktor Anton Späth, der neben dem am Boden liegenden Toten kniete, drehte sich zu ihnen und gab kurzen Bericht. »Mann, Ende 20, Anfang 30, äußerlich keine Anwendung von Gewalt sichtbar. Auf einen unnatürlichen Tod deuten die Handfesseln mittels Kabelbinder. Er ist seit circa zehn bis zwölf Stunden tot. Im Wasser hat er nicht lange gelegen. Mehr erfahrts dann morgen, wenn ich ihn mir genau angeschaut habe.« Das waren sie gewohnt vom Anton und hatten es nicht anders erwartet. Der Doktor war ein Mann weniger Worte. Das lag sicher am täglichen Umgang mit seinen schweigsamen Patienten. Am Stammtisch aber, abends, nach ein paar Bier, da konnte er Reden schwingen. Dafür war er berühmt und berüchtigt; besonders in politischen Belangen war er eine Kapazität. Er informierte, gefragt oder ungefragt. Weinzierl drang also nicht weiter in ihn. Er würde geduldig auf den Bericht warten.

    Weinzierl und Oberhauser, zu denen Kandler getreten war, blickten nun auf den jungen Mann, der so kalt und nass vor ihnen im Gras lag. Sein dunkles Haar klebte feucht an der Stirn, die Augen waren geschlossen. Ein sympathisches, jugendliches Gesicht mit leichtem Bartwuchs. Der junge Mann war nicht sehr groß, aber sicher kräftig. Er hatte einen breiten Oberkörper, der auf körperliche Arbeit schließen ließ.

    Da er nicht lang im Wasser gelegen hatte, war er wenig verändert, falls man von der Veränderung, die ein gewaltsamer Tod brachte, absah. Aber noch wussten sie nicht, wer dieser Mann war und wen sie mit der Nachricht seines Todes konfrontieren mussten. Der Mann war sicher Arbeiter gewesen; er trug verschlissene Jeans, an den Oberschenkeln fast durchgewetzt, und Schuhe mit verstärkten Kappen. Eine Strickjacke, vermutlich handgestrickt, mit Zopfmuster, die an den Ellbogen mit lederähnlichem Material verstärkt worden war. Darunter ein kariertes Hemd, ebenfalls typisch für die hiesigen Arbeiter. Die Hand, die Weinzierl am nächsten lag, zeigte Schwielen.

    Weinzierl wandte sich an Oberhauser: »Hausl, i glaub, den könnens jetzt mitnehmen. Mehr erfahrn wir hier nicht mehr.«

    »Der Fundort ist ganz offensichtlich nicht der Tatort«, glaubte Oberhauser. »Schon wegen der Strömung«. Zu Remser gewandt: »Habt Ihr bei ihm was gfundn? Hat er was dabeigehabt?«

    »Hat die Spurensicherung mitgenommen. Aber einen Ausweis hat er keinen ghabt«, gab Richard Remser Auskunft.

    »Dann gehn wir!« Die Drei nickten dem Doktor zu, drehten sich um und gingen oder vielmehr rutschten stumm den Hang hinab, wieder durch das nasse Gras. Weinzierl ging zu dem älteren Herrn, der noch im Polizeiauto saß. »Grüß Sie Gott, Herr Unterhuber, mein Name ist Weinzierl, Hauptkommissar. Sie haben den Mann gefunden? Wie geht’s Ihnen denn? Ham Sie sich schon wieder a bissl erholt von dem Schrecken?«

    Unterhuber, der leicht zitterte, nickte.

    »Es wär gut, wenn sie mit zur Inspektion kommen würden. Ist ja ned weit. Dann könnt ma gleich s Protokoll schreiben.«

    Unterhuber stimmte zu: »Dann fahr ma halt mit, gei Rudi.« Er tätschelte den Kopf seines Hundes. In was für eine Situation war er da geraten. Er, der Rentner Alois Unterhuber, von dem seine Frau meinte, seit seiner Pensionierung wär er zu nix mehr zu gebrauchen und oft im Weg. Da werds schaun, die Gerda, dachte er und überlegte, wie er den Hergang seines Erlebnisses, diesen schaurigen Leichenfund, zuhause gebührend zum Besten geben könnte. Sie sollte sehen, wen sie da morgens aus dem Haus treibt mit ihrer Putzerei! Was ihm alles passieren kann! Er nahm seinen Dackel zu sich auf den Rücksitz. Weinzierl setzte sich daneben. »Wie heißt er denn?«, fragte er nach dem Hund, um die Anspannung etwas zu lösen.

    »Des is da Rudi, seit vier Jahr hama den. Wie ich in die Rente kommen bin, hab ich mir den gholt. Aus dem Tierheim, wissen’s. Zum Spazierngehn halt. Und überhaupt. Ein freundlicher Hund. Der tut nix, den könnens schon streicheln.« Weinzierl kraulte den freundlichen Rudi hinterm Ohr. Da der freundliche Rudi knurrte, beließ er es bei diesem ersten Kontakt. »Geh, Rudi!«, entschuldigte sich Unterhuber »des tut er sonst ned, der ist jetzt auch durcheinander«.

    Der Streifenwagen fuhr durch Wiesent, vorbei am Schloss, Richtung Wörth. Vorbei an den typischen Einkaufszentren in Ortsrandlage. Der Kommissar spähte auf den Parkplätzen nach dem weißen VW von Luise. Vielleicht war sie gerade einkaufen. Er hätte sie gern gesehen. Auch nach gestern Abend und ihrem dummen Geflirte mit dem Franz. Heute würde er sich nicht in ihrer Weinstube sehen lassen. Auch wenn er noch so gern hingegangen wäre. »Was wird das wieder für ein langweiliger Abend werden«, dachte er. Na ja, er könnte das Buch zu Ende lesen, das er vom Franz zum Geburtstag bekommen hat. »Die Freuden eines Junggesellen«! Typisch für den Franz. »Na Kurt, des passt doch für dich, genieß es, dass du frei bist und tun und lassen kannst, was’d willst. So schön möcht ich’s auch noch mal haben.« Der Depp. Spontan wollte er das Buch verbrennen. Aber diese Blöße konnte er sich dann doch nicht geben vor dem Fatzke. Also hatte er gute Miene zum bösen Spiel gemacht und mit dem Lesen begonnen. Wenn er ehrlich war, war’s gar nicht so schlecht. Er konnte schon einige Male herzhaft lachen. Er würde sich eine gute Brotzeit richten und ein oder zwei Bier trinken. Der Abend lag in seiner Trostlosigkeit fertig geplant vor ihm, als sie auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion der Stadt Wörth an der Donau hielten.

    Der Kommissar half Herrn Unterhuber mit Hund aus dem Auto, wobei er es vermied, Letzterem zu nahe zu kommen.

    Sie betraten das Polizeigebäude an der Regensburger Straße und wurden von Richard Remser in dessen Büro geführt. Das Innere des Hauses, 1939 erbaut und bis 1959 Sitz des Amtsgerichts, machte auf die meisten Menschen, die hier freiwillig oder unfreiwillig zu tun hatten, einen düsteren Eindruck. Die Einrichtung des Büros, war genauso wie man es vermuten konnte. Es stand jedoch ein Rechner unter und ein Flachbildschirm auf dem Schreibtisch. Das Ensemble milderte den Eindruck, dem das vorige Jahrhundert den Stempel aufgedrückt hatte. Auch die Sonne nahm dem Raum viel von seiner Düsternis, sie blinzelte unverdrossen durch die verstaubten Scheiben. Remser nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. Oberhauser, Weinzierl und der Zeuge Unterhuber setzten sich in die Besucherecke, ebenfalls ein Relikt vergangener Zeiten, da vor dem Schreibtisch für drei Personen mit Hund zu wenig Platz war. Unterhuber hob seinen Dackel mit auf den Sessel, der groß genug, grün-braun gestreift und ohnehin nicht mehr zu sauber war. Remser musste sich wohl oder übel zu ihnen gesellen, hinter seinem Schreibtisch hätte er sich wohler gefühlt. Dort hätte er Autorität ausgestrahlt. Bevor er sich setzte, rief er nach der Sekretärin. Sie sollte das Protokoll schreiben. Wie sähe es aus, hätte er es selbst getan!

    Die Sekretärin war eine junge Frau. Weinzierl war nicht eben ein großer Kenner holder Weiblichkeit, doch er wagte eine Schätzung: Dreißig, verheiratet, zwei Kinder, und er hatte Recht.

    Remser wurde geschäftsmäßig: »Ihr Name, bitte, Herr Unterhuber.«

    »Alois Unterhuber, geboren 1945 in Straubing. Verheiratet, zwei Kinder. Den Jürgen und die Inge. Wohnen tu ich mit der Gerda in Kiefenholz.«

    Polizeiobermeister Richard Remser unterbrach: »Wann sind sie geboren, Herr Unterhuber?«

    »Des hab ich doch gsagt: 1945 in Straubing. Kurz bevor der Kriag aus war.«

    »Mir brauchen aber des genaue Datum, Herr Unterhuber.«

    »Am 16. April 1945 in Straubing«.

    »Danke. Hast es?« Remser sah fragend zu Rita. Sie nickte.

    Weinzierl schaltete sich ein. »Herr Unterhuber, wenns jetzt bitte erzählen würden, wie sich das heute morgen zugetragen hat, als Sie mit Ihrem Rudi spazieren gegangen sind.« Er erntete einen bösen Blick von Remser. Er war hier der Mann, der berechtigt war, Vernehmungen durchzuführen.

    »Jamei, ganga sama halt; mir genga meistens in der Früh spaziern, weils da immer putzt, die Gerda, und mir san dann im Weg, der Rudi und ich.« Dabei zupfte er ein Flinserl von seiner braunen Cordhose, das der Gerda wohl auch ein Dorn im Auge gewesen wäre, mit ihrem Reinlichkeitssinn.

    »Und wann ham Sie dann die Leiche entdeckt?«

    »Dem Rudi is langweilig, wenn er nur so neben mir herlaufen soll, da werd er dann grantig und mag nimmer. Aber zum Tragen die ganze Streck ist er mir zu schwer. Er hat gut seine vier Kilo und stadhalten tut er sich auch nicht beim Tragen. Und das pack ich dann halt nimmer so im Kreuz. Ich habs nämlich mit den Bandscheiben, wissens. Also muss i mir was einfalln lassen, damit er sein Spaß hat. Da wirf i dann imma Stoana, Steine, ins Wasser, des regt eam furchtbar auf, weil er sich ned neitraut, nicht hineintraut. Und wie ich so gschmissn hob, hob i mir denkt, da schwimmt a Schuh, den hol i raus. Des hat dem Rudi gfalln und er hat immer nach dem Stecka gschnappt, mit dem ich im Wasser nach dem Schuh gestochert hab, grad wichtig hat ers ghabt, grad rumghupft ist er. Beinah wär er mir neigfalln, mei Rudi. Ja pfiadi, des wär was gwen.«

    Remser rutschte auf seinem Sessel, die Ausführungen des Hundefreundes gingen ihm entschieden zu weit. Er sollte doch bitte bei der Sache bleiben.

    Unterhuber ließ sich nicht beirren: »Dann hab ich denkt, der Schuh hat sich irgendwo eingehakelt und hab mit einem längern Stecken fester zogn. Und dann hat er nachgebn.

    Da Schlag hat mich troffa, wia an dem Schuah a Mensch ghängt is. Und weil i a Handy hab, des hat die Gerda so wolln, damit sie immer weiß wo i bin, hab ich bei Ihnen da angrufen. Und dann wissens es eh.«

    Eine lange Rede. Unterhuber schien erschöpft, als er mit seinem Erlebnisbericht zu Ende war. »Gehns Frau Rita, sinds doch so nett und bringens dem Herrn Unterhuber a Glasl Wasser«, bat Weinzierl.

    »Hättens a Bier a? Mei des wär ma jetzt liaba.«

    »Geht des?«, fragte Weinzierl den Remser.

    »Werd scho geh. Bitte Rita holns eins.« Sie verließ den Raum und bat wahrscheinlich einen ihrer Kollegen um das gewünschte Bier. Weinzierl glaubte nicht, dass sie selbst eines in ihrem Schreibtisch hätte.

    »Herr Unterhuber, ist Ihnen was aufgfallen an dem Mann, ich mein, außer dass er tot war?«

    »Glaums mas, ich hab so zittert, dass ich kaum hab telefoniern können, und den Rudi hob ich weghalten müssen, der hätt den sonst womöglich noch abgschleckt. Und dann warn Sie auch bald da.« Mit einer Geste deutete er auf Remser. »Natürlich hab ich schon Tote gsehn, wer ned in meim Alter. Aber so einen jungen und in der Früh? Mit so was rechnet man doch ned.«

    Rita brachte das Bier. Unterhuber nahm einen tüchtigen Zug und dann noch einen. Dann dachte er, dass es vielleicht nicht so recht passte, wenn ihm jetzt ein Bier schmeckte, wo es doch um den Tod des jungen Mannes ging. Mit Bedauern stellte er das Glas auf das kleine Tischchen vor sich.

    Weinzierl überlegte, dass es wohl das Beste wäre, den Zeugen mitsamt Hund jetzt in die Hände der Gattin zu entlassen. »Bitte Richard, sei doch so gut und lass den Herrn Unterhuber heimfahrn. Die Frau wartet bestimmt schon. Und wir haben ja die Adresse, sollte es noch Fragen geben.«

    Nachdem Unterhuber seine Aussage unterschrieben hatte, erhob er sich etwas erschöpft, nahm seinen Rudi, grüßte freundlich, wie es Oberpfälzer Art ist, und verließ das Dienstzimmer, nicht ohne einen bedauernden Blick auf das zurückgelassene Bier zu werfen.

    Remser eilte ebenfalls aus dem Raum, um die Heimfahrt des Zeugen Unterhuber nebst Hund zu veranlassen.

    Weinzierl und Oberhauser hätten jetzt gern einen Kaffee gehabt. Remser brachte das Gewünschte zur Freude der Beiden unaufgefordert mit. Die zwei Regensburger Kollegen nahmen dankend an. Die Idee mit dem Kaffee kam sicher von Rita, nicht von Remser, aber sie konnten sich auch täuschen.

    Der so gedanklich Kritisierte setzte sich wieder zu ihnen, ebenfalls mit einer Tasse in den Händen, aus der Tee dampfte. Er wusste, was er sich schuldig war.

    »Was meints jetzt Ihr?« Remser schlürfte an seinem Tee.

    »Ich glaub, es ist zu früh zum Meinen. Wart ma auf den Bericht vom Doktor Späth, dann wiss ma mehr. Vielleicht kriegen wir bis heut Nachmittag auch eine Vermisstenanzeige. Dass er aus der Gegend stammt, steht für mich fest. Was meinst du, Hausl?«

    »Das glaub ich auch. Hoffentlich hat er keine Kinder.« Hausl dachte an seine Tochter und an die Enkelkinder. Beide nickten.

    Weinzierl erhob sich: »Du weißt ja, wo du uns erreichst, Richard. Wir packens jetzt. Die Arbeit wartet. Heut Nachmittag oder morgen Früh telefoniern wir miteinander. Da wissen wir dann sicher etwas mehr. Danke für den Kaffee.«

    Beim Hinausgehen verabschiedeten sie sich von Rita, bedankten sich auch bei ihr für den Kaffee und winkten Kandler: »Komm, wir müssen fahren«. Kandler hielt ebenfalls eine Tasse in Händen und flirtete nebenbei auf Teufel-komm-raus mit der verehelichten Rita, Mutter zweier Kinder.

    Auf dem Weg zum Auto beratschlagten die Drei, was jetzt weiter zu tun sei.

    »Wennts mich fragts«, meinte Hausl, »wär jetzt was zum Essen recht. Auf einen Kaffee krieg ich immer so einen Hunger.«

    »Den kriegst du auch ohne Kaffee«, murmelte Weinzierl. »Was meinst du, Kandler?«

    »Ich könnt auch was vertragen.«

    »Gut, dann fahrn wir beim Rankl vorbei, da gibt’s den besten Leberkäs.«

    Gesagt, getan! In der Ludwigstraße hielten sie vor der Metzgerei und kauften ein für eine Brotzeit, die leicht für sechs kräftige Esser gereicht hätte.

    »Wissts was, jetzt fahrn wir zu mir nach Hofdorf, da kömma ungestört essen«, schlug Weinzierl vor. »Im Büro hat man doch keine richtige Ruh«. Man war sich einig, und so fuhren sie nach Hofdorf zu Weinzierls Wohnung.

    Die drei Packl Wurst wurden auf dem Küchentisch ausgebreitet, nachdem man das Frühstücksgeschirr, bestehend aus Kaffeetasse und Teller, zur Seite geschoben und mit dem Ärmel einige Brösel vom Frühstück auf den Boden gewischt hatte. Der Hausherr brachte frische Teller, Besteck und einen Laib Brot. »Mögts was trinken?«

    »Hast a Bier, wir müssen ja nicht fahrn?« Hausl deutete auf Kandler, der sich notgedrungen ein Wasser erbat.

    Weinzierl brachte Gläser, zwei Flaschen Bier und einen Spezi. »Wasser hab ich keins mehr«.

    Oberhauser und Kandler nahmen auf der Eckbank Platz, Weinzierl zog sich einen Stuhl heran, nahm die Zeitung herunter, legte sie neben seinen Teller und setzte sich zu den Kollegen. Sie ließen es sich schmecken. Während der erste Hunger gestillt wurde, saß man schweigend und kauend zusammen, jeder mit sich, dem Essen und seinen Gedanken beschäftigt.

    »Wenn ich so nachdenk, meine ich, ich hätt den schon einmal gsehn, den Toten«, kam Kandler nach einem kräftigen Schluck Spezi, mit dem er die restlichen Brösel aus seinem Mund gespült hatte, auf den Grund ihres Hierseins zurück.

    »Aber das muss woanders gewesen sein. Ich denk, er wäre feiner angezogen gewesen. Ich kann mich aber auch täuschen.«

    »Altersmäßig würde es schon passen, dass du den kennst. Von der Disco vielleicht.«

    »Geh, Oberhauser, für die Disco bin ich zu alt. Nein, bei irgendeiner Vereinsfeier, mein ich, könnts gewesen sein.«

    »Bei der Feuerwehr oder bei den Trachtlern«, schlug Weinzierl vor.

    »Da könntest Recht haben, Kurt. Das könnt passen. Aber nagelts mich nicht fest. Vielleicht komm ich noch darauf.« Er schmierte sich noch ein Brot mit Leberwurst und aß sinnend weiter.

    Eine richtige Unterhaltung wollte nicht aufkommen. So schob man, nachdem die Reste der Wurst wieder eingewickelt waren und zum späteren Verzehr eingepackt, die Teller auf die Seite, stellte die leeren Gläser dazu und verließ die Küche. Im Hausgang zog Oberhauser seinen Kollegen am Ärmel: »Kurt, hättest du vielleicht ein Paar trockene Socken für mich? Bei dem Katarrh krieg ich mit meine kalten Füß noch eine Lungenentzündung.« Zur Demonstration seiner bereits vorhandenen Leiden schnäuzte er sich gewaltig in sein Taschentuch.

    »Klar, ich bring dir welche, weiße oder schwarze?«

    »Ist wurscht.« Er hatte seinen großzügigen Tag.

    Nachdem man einer schwerwiegenderen Erkrankung durch das Wechseln der Socken vorgebeugt hatte, verließen die Drei Weinzierls Wohnung und machten sich auf den Weg nach Regensburg. Mittlerweile hatte die Sonne ihren Eifer etwas zurückgefahren und ein kalter Wind aus dem Osten machte die Aussicht auf ein warmes Büro erfreulich. Mit einer richtigen Unterhaltung wurde es auch auf der

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